Urteil des OLG Köln vom 21.06.1996

OLG Köln (unerlaubte handlung, einstellung, tätigkeit, firma, beurteilung, zpo, aufgaben, wachmann, auswahl, ergebnis)

Oberlandesgericht Köln, 19 U 2/96
Datum:
21.06.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 2/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 86 O 25/95
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16. November 1995
verkündete Urteil des Landgerichts Köln - 86 O 25/95 - wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten
hat in der Sache keinen Erfolg.
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Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte gemäß §§ 823, 831 BGB verurteilt,
gesamtschuldnerisch mit dem bei ihr angestellten H. P. den durch die Entwendung der
Fernsehgeräte am 28./.29. April 1991 - nunmehr unstreitig entstandenen - Schaden in
Höhe von 53.947,80 DM nebst Zinsen zu ersetzen.
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Der Wachmann P. war bei der Beklagten angestellt und hatte im Rahmen des
Bewachungsvertrages mit der Firma F. M. für die Sicherheit der eingelagerten
Gegenstände zu sorgen. In dieser Funktion war er nicht nur im schuldrechtlichen Sinne
Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB), sondern ist wegen des aus dem Arbeitsverhältnis
begründeten Weisungsrechts von der Beklagten im Sinne des § 831 BGB zu einer
Verrichtung bestellt worden. Durch die von ihm geleistete Beihilfe zu dem
Einbruchsdiebstahl hat er eine unerlaubte Handlung gemäß § 823 Abs. 1 zum Nachteil
der Klägerin begangen.
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Der von der Beklagten in der Berufungsinstanz unternommene Versuch, den
Entlastungsbeweis gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB im Hinblick auf die Auswahl und
Eignung des Wachmannes zu führen, ist nicht gelungen. Schon der eigene Vortrag der
Beklagten läßt nicht erkennen, daß sie bei der Einstellung des Bediensteten P. die
notwendige Sorgfalt hat walten lassen.
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Das Maß der an die Auswahl und Überwachung zu stellenden Anforderungen richtet
sich nach der Art der Verrichtung (Palandt-Heinrichs, § 831 Randziffer 13 m.w.N.).
Dabei ist nicht von starren Regeln auszugehen, sondern den Umständen des
Einzelfalles Rechnung zu tragen (BGH VersR 1984, 67). Die Anforderungen an die
Eignungsprüfung sind aber um so strenger, je schwieriger die auszuübende Tätigkeit ist
oder je mehr sie dem Gehilfen an Verantwortungs- und Pflichtbewußtsein abverlangt.
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Bei der Einstellung eines Wachmannes ist insbesondere zu bedenken, daß dieser
eigenverantwortlich vermögensbetreuende Aufgaben wahrzunehmen hat und dabei
häufig allein und unkontrolliert tätig ist. Gerade bei der Bewachung größerer
Lagerbestände - so wie im vorliegenden Fall - liegt es nahe, daß er dabei einer erhöhten
Versuchung des Zugriffs ausgesetzt ist. Aus diesem Grunde sind an den erfolgreichen
Entlastungsbeweis vergleichsweise strenge Anforderungen zu stellen. Neben der
selbstverständlichen Obliegenheit der Einholung eines polizeilichen
Führungszeugnisses (vgl. BGH VersR 1967, 53, 54) ist der Arbeitgeber gehalten, sich
den bisherigen beruflichen Werdegang des Bewerbers durch Zeugnisse lückenlos
nachweisen zu lassen (vgl. RGRK-Steffen, § 831, Randziffer 39). Da solche Unterlagen
in der Regel nur eine beschränkte Aussagekraft beinhalten, sind darüber hinaus die
persönlichen und insbesondere finanziellen Verhältnisse in einem eingehenden
Einstellungsgespräch nachzufragen. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit und
Eignung eines Wachmannes sind detaillierte und nach Möglichkeit schriftlich belegte
Angaben über dessen Familienstand, eventuell vorhandene Schulden und deren Höhe
sowie Auskünfte über das Freizeitverhalten (teure Hobbys?) unerläßlich, da sie
Rückschlüsse auf mögliche Gefährdungslagen zulassen.
Diesen Anforderungen hat die Beklagten anläßlich der Einstellung des Wachmannes P.
nur unzureichend genügt. Zwar hat sie sich ein polizeiliches Führungszeugnis sowie
eine Zwischenbeurteilung der Firma A., bei der Herr P. zuvor tätig gewesen war, vom
05.02.1989 vorlegen lassen. Letzteres Zeugnis hat die Beklagte nicht in den
Rechtsstreit eingeführt. Soweit es zitiert worden ist, ist es allerdings zu wenig
aussagekräftig, um eine verläßliche Grundlage für eine Beurteilung zu bilden. Die
Formulierung "seit seiner Einstellung (hat er sich) als außerordentlich tatkräftiger und
zuverlässiger Mitarbeiter erwiesen, der alle seine Aufgaben mit Nachdruck und
Präzision zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt und auch im Bedarfsfalle keine
Mehrarbeit "gescheut hat", ist äußerst allgemein gehalten und läßt nicht erkennen, in
welchen Bereichen der Angestellte tatsächlich tätig war und wie er dort konkret seinen
Aufgaben nachgekommen ist. Die Beklagte durfte sich mit dieser Beurteilung auch
deswegen nicht begnügen, weil sie zeitlich weit vor der Einstellung erfolgt ist. Ihr Vortrag
läßt nicht erkennen, wie sich die Tätigkeit des Wachmannes P. in der nachfolgenden 2-
jährigen Selbständigkeit von 1989 bis 1991 entwickelt hat. Offenbar hat sich die
Beklagte auf dessen Angaben verlassen, ohne diesbezüglich eigene Erkundigungen
einzuziehen. Danach bleibt es aber unklar, ob Herr P. nur als Subunternehmer für die
Firma A. tätig war oder auch für andere Unternehmen. Möglicherweise ist er im Rahmen
der Tätigkeit bei der Beklagten auch erstmals mit der Bewachung größerer
Lagerbestände betraut worden. Was die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit
betrifft, bleibt nach dem Vortrag der Beklagten ebenfalls offen, ob ein den oben
dargelegten Anforderungen genügendes Einstellungsgespräch überhaupt stattgefunden
hat. Sie hat sich offenbar in diesem Rechtsstreit im wesentlichen damit begnügt, den
persönlichen Werdegang ihres Angestellten aus dessen (späteren) Angaben in der
staatsanwaltlichen Ermittlungsakte abzuschreiben (vgl. Bl. 168, 169 d. A.). Hätte sie ihn
anläßlich der Einstellung intensiver befragt oder hätte entsprechende Erkundigungen
über Dritte eingezogen, so wäre es ihr wahrscheinlich nicht verborgen geblieben, daß
Herr P. sich zu dieser Zeit einer Forderung des Finanzamtes über ca. 4.000,00 DM
ausgesetzt sah. Dies hat er bei seiner polizeilichen Vernehmung eingeräumt (vgl. Bl.
171 d. A.).
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Was die Wahrnehmung der Überwachungspflichten betrifft, so reicht der Vortrag der
Beklagten ebenfalls nicht aus, um sich im Sinne des § 831 Abs. 1 BGB zu entlasten.
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Zwar darf sich der Geschäftsführer auf eine sorgfältige Einstellungsprüfung, wenn diese
noch nicht lange zurückliegt, grundsätzlich verlassen (RGRK-Steffen, § 831, Randziffer
40). Diese ist aber, wie darlegt, gerade nicht in der gehörigen Weise erfolgt. Es liegt auf
der Hand, daß ein frisch eingestellter Wachmann, von dessen Zuverlässigkeit man noch
nicht überzeugt sein kann, genauer ins Auge zu nehmen ist. Wenn es die Umstände
erfordern, daß er von Anfang an allein im Einsatz ist, so genügt keinesfalls eine
Kontrolle über ein elektronisches Steckkartensystem. Hieraus kann nämlich allenfalls
geschlossen werden, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort der
Kontrollmechanismus ausgelöst worden ist. Dies muß aber nicht notwendigerweise
durch den Wachmann geschehen, wenn dieser beispielsweise die Steckkarte
weitergegeben hat. Ob der Angestellte an Ort und Stelle seinen konkreten
Überwachungsaufgaben (Rundgänge, Sicherheitsüberprüfungen etc.) nachgekommen
ist, kann durch diese Art der Kontrolle erst Recht nicht festgestellt werden. Zusätzlich
notwendig und unerläßlich sind aus diesem Grunde zumindest zu Beginn des
Beschäftigungsverhältnisses häufige, zielgerichtete und für den Bediensteten
überraschende persönliche Kontrollen durch den Überwachungsunternehmer. Ob
solche Überprüfungen in ausreichender Zahl und Intensität stattgefunden haben, läßt
sich dem Beklagtenvortrag nicht hinreichend entnehmen. Der pauschale Hinweis, der
Zeuge Z. hätte den Angestellten P. stichprobenartig bei der Ausübung seiner Tätigkeit
aufgesucht, reicht nicht aus, wenn nicht konkret vorgetragen wird, wann, in welcher
Weise und mit welchem Ergebnis solche Überprüfungen stattgefunden haben. Damit
verbleibt es bei dem Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 831 BGB.
Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen der
Verjährung dieses Anspruchs gemäß § 852 BGB nicht hinreichend dargetan worden.
Fest steht, daß der Lauf der Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB in
Verbindung mit § 270 Abs. 3 ZPO mit der Anbringung des Mahnbescheides am 25. Juli
1994 (Bl. 2 d. A.) wirksam unterbrochen worden ist. Daß die Klägerin 3 Jahre zuvor, also
vor dem 25. Juli 1991 von der Person des Schädigers und damit von der Möglichkeit
einer Klage gemäß § 831 BGB gegen die Beklagte Kenntnis hatte, ist zwar behauptet,
aber nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden. Zwar ist es zutreffend, daß der
Angestellte P. unter dem 20. Juni 1991 gegenüber der Kriminalpolizei in E. ein
Geständnis abgegeben hat und dies einen Tag später dem bei der Beklagten tätigen
Zeugen Z. telefonisch mitgeteilt worden ist. Auch mag die Firma F. M. als die
seinerzeitige Vertragspartnerin der Beklagten über das Ergebnis der Ermittlungen
benachrichtigt worden sein. Wann, durch wen und in welcher Weise diese aber die
geschädigte Klägerin über die genauen Zusammenhänge informiert haben soll, hat die
Beklagte jedoch nicht konkret vorgetragen, sondern schlichtweg behauptet. Der Senat
hatte vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, die zum Beweis hierfür angebotenen
Ermittlungsakten 5 Ds-21 Js 923/91 StA Bonn - 271/91 AG E. beizuziehen. Angesichts
des Fehlens weiterer Anhaltspunkte für die Richtigkeit der erhobenen Behauptung
(Bezeichnung von Dokumenten oder Angaben von Blattzahlen) würde die beantragte
Durchsicht der Strafakten auf eine prozessual unzulässige Ausforschung hinauslaufen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Beklagten: 53.947,80 DM.
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