Urteil des OLG Köln vom 29.03.1996

OLG Köln (rechtliches gehör, anspruch auf rechtliches gehör, ast, anhörung, zpo, begründung, beschwerde, herstellung, technik, ergänzung)

Oberlandesgericht Köln, 20 W 10/96
Datum:
29.03.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 W 10/96
Schlagworte:
SELBSTÄNDIGES BEWEISVERFAHREN
Normen:
ZPO §§ 492 ABS. 2, 411 ABS. 3, 397, 402
Leitsätze:
Selbständiges Beweisverfahren
Im selbständigen Beweisverfahren ist dem Antrag auf Anhörung des
Sachverständigen grundsätzlich auch dann zu entsprechen, wenn das
Gericht selbst unter Ausübung seines beweisrechtlichen Ermessens die
Erläuterung des Gutachtens nicht für geboten hält.
Rechtskraft:
unanfechtbar
G r ü n d e
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Die Antragstellerin (Ast) verfolgt im vorliegenden Verfahren die Beweissicherung wegen
der Mangelhaftigkeit eines größeren Hof-Einfahrtstores, zu dessen Herstellung und
Einbau die Antragsgegnerin (Agg) sich ihr gegenüber verpflichtet hatte. Auf den
antragsgemäß erlassenen Beweisbeschluß hin erstattete der Sachverständige
Schumacher am 04.12.1995 ein schriftliches Gutachten, in dem er sich mit der Ursache
der Mängel auseinandergesetzt und darlegt hat, daß angesichts des Umfangs der
Mängel deren Beseitigung außer Betracht zu bleiben habe und lediglich ein Neubau
des Tores in Betracht komme. Zu der ebenfalls verlangten Kostenermittlung nahm er
nicht konkret Stellung, weil die Erneuerung der vorhandenen Ausführung in absehbarer
Zeit abermals zu den von ihm vorgefundenen Schäden führen könne und die
Neuerrichtung von der Wahl der von ihm aufgezeigten Konstruktionsalternativen
abhängig sei. Die Ast. hat unter anderem gebeten, die Ergänzung des schriftlichen
Sachverständigengutachtens dazu zu veranlassen, welche Kosten bei einer
Neuherstellung unter Beachtung der vom Sachverständigen aufgezeigten
Konstruktionsalternativen entstehen. Ferner solle der Sachverständige klarstellen, ob
bei der Herstellung des Tores gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen
worden sei. Auch die Agg. hat um eine Anhörung des Gutachters gebeten.
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Mit dem angegriffenen Beschluß hat das Landgericht beide Anträge zurückgewiesen.
Zur Begründung der Zurückweisung hat es, ohne insoweit zwischen den Anträgen der
Verfahrensbeteiligten zu differenzieren, unter anderem ausgeführt, die angekündigten
Fragen beträfen überwiegend nicht mehr den mit der Antragsschrift abgegrenzten
Gegenstand des vorliegenden Beweisverfahrens, sondern im wesentlichen
Auslegungs- und Rechtsfragen. Zu der weitergehenden Frage der Ast. nach den Kosten
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der Herstellung habe sich der Sachverständige bereits abschließend erklärt. Der
Zustand der Toranlage, die Ursachen dafür und die nicht mögliche Instandsetzbarkeit
seien durch das insoweit nicht angegriffene und nicht ergänzungsbedürftige Gutachten
hinreichend geklärt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Ast., zu deren
Begründung sie unter anderem geltend macht, sie beabsichtige, den Sachverständigen
im Rahmen der Anhörung unter anderem dazu zu befragen, ob die von der Agg.
gewählte Konstruktion und die Materialien den anerkannten Regeln der Technik für die
Herstellung eines mangelfreien Werks entsprechen und welche Kosten mit der
Neuherstellung unter Beachtung der Vorgaben des Sachverständigen verbunden seien.
Auch die Agg. hat dagegen ,remonstriert", daß das Landgericht die Anberaumung eines
Anhörungstermins abgelehnt hat.
Mit Beschluß vom 23.02.1996 hat das Landgericht der Beschwerde der Ast., ohne dies
zu begründen, nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
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Die zulässige Beschwerde der Ast. (§ 567 ZPO; zur Zulässigkeit der Beschwerde vgl.
ferner Hanseatisches OLG Hamburg, OLGZ 3, 93 m.w.N.), führt zur Aufhebung des
angegriffenen Beschlusses.
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Das Landgericht hat davon abgesehen, seine Entschließung, dem Rechtsmittel der Ast.
nicht abzuhelfen, zu begründen.
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Die Pflicht zur Begründung ablehnender Entscheidungen ergibt sich aus dem Grundsatz
des verfassungsmäßig garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör, der verlangt, daß
der Richter nicht nur Gelegenheit zur Äußerung gibt, sondern sich mit dem Inhalt dieser
Äußerung auch befaßt und den Parteien jedenfalls die tragenden Gründe seiner
Entscheidung mitteilt. Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch für
Nichtabhilfebeschlüsse. Deren Begründung erübrigt sich nur dann, wenn die
Beschwerde ihrerseits nicht begründet oder die Begründung lediglich bereits
Vorgetragenes wiederholt (Hanseatisches Oberlandesgericht, OLGZ 1982, 391 f; OLG
Köln, FamRZ 1986, 487 f.; jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Ob danach die
fehlende Begründung des Nichtabhilfebeschlusses im vorliegenden Falle einen
Verfahrensmangel darstellt, bedarf hier keiner eingehenderen Untersuchung, weil der
Beschluß jedenfalls aus anderen Gründen nicht bei Bestand bleiben kann. Immerhin hat
aber die Ast. zur Begründung ihrer Beschwerde unter anderem zum Ausdruck gebracht,
daß sie keine Ergänzung des schriftlichen Gutachtens verlange, sondern lediglich
anläßlich der Anhörung ergänzende Fragen stellen wolle, wobei der Gutachter die ihm
nach dem Inhalt des Beweisbeschlusses ausdrücklich vorgelegte Frage nach den
Kosten der Mangelbehebung nicht konkret beantwortet habe; dabei wolle sie sich
insoweit seine Vorschläge zur Herstellung zu eigen machen.
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In sachlicher Hinsicht bestand kein Anlaß, die Anberaumung eines Anhörungstermins
zu versagen, in dem die Ast. ihren Anspruch auf rechtliches Gehör hätte wahrnehmen
können. Im selbständigen Beweissicherungsverfahren ist, wovon auch das Landgericht
im Ausgangspunkt ausgeht, gemäß §§ 492 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 411 ZPO
dem Antrag einer Partei auf Anhörung des Sachverständigen zum Inhalt des von ihm
erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachtens grundsätzlich auch dann zu
entsprechen, wenn das Gericht selbst nach Ausübung seines beweisrechtlichen
Ermessens (§ 411 Abs. 3 ZPO) die Erläuterung des schriftlichen Gutachtens nicht für
geboten hält (BGH NJW 1983, 340 f.; OLG Saarbrücken NJWRR 1994, 784 ff. m.w.N.).
Das den Verfahrensbeteiligten als Konkretisierung ihres Anspruchs auf rechtliches
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Gehör im Rahmen des Beweisverfahrens zustehende generelle Fragerecht (§ 397, 402
ZPO) darf ausnahmsweise nur dann übergangen werden, wenn das Gericht nach der
Ankündigung von Beweisfragen (§ 411 Abs. 4 ZPO) zu dem Ergebnis gelangt, dessen
Ausübung sei rechtsmißbräuchlich, diene der Prozeßverschleppung oder die
angekündigten Fragen seien sachlich abwegig oder beweisrechtlich insgesamt
unerheblich. Ebenso ist Gegenanträgen auf Ergänzung und Erweiterung des
Beweisbeschlusses über den Beweisgegenstand hinaus nicht zu folgen, weil das
Gesetz eine dahingehende Erweiterung des selbständigen Beweisverfahrens nicht
vorsieht (OLG München, BauR 1993, 365 f.; LG Köln, BauR 1994, 407 f.). Auch wenn
danach ausnahmsweise unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze und nach der
Ausübung des beweisrechtlichen Ermessens des Gerichts die Anberaumung eines
Anhörungstermins nicht geboten sein sollte, ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter dem
konkret entgegentritt, weiterhin zu beachten, daß die Ausübung des Fragerechts nicht
auf die etwa angekündigten Beweisfragen beschränkt ist. Die Partei hat vielmehr auch
das Recht, von der Stellung ihrer angekündigten Fragen ganz oder teilweise abzusehen
und statt dessen anderweitige, auch durch den Verlauf der Anhörung selbst veranlaßte
Fragen zu stellen, soweit diese dem durch den Beweisantrag konkretisierten Ziel des
Beweissicherungsverfahrens dienen, den Zustand einer Person oder Sache, deren
Wert, die Schadens- oder Mangelursache festzustellen (Thomas/Putzo, 18. Aufl.,
Vorbemerkung zu § 485, Rdnr. 2; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1994, 787 ff.). Schon
unter Beachtung dieser Grundsätze kann der Ast. die Ausübung ihres Fragerechts in
einem vom Landgericht anzuberaumenden Anhörungstermin nicht versagt werden. Dies
gilt jedenfalls unter Berücksichtigung der von der Ast konkret angekündigten Fragen.
Der Sachverständige hat nämlich die ihm gemäß Ziffer II. und IV. des landgerichtlichen
Beweisbeschlusses vorgelegten Fragen dazu, ob ein Verstoß gegen die anerkannten
Regeln der Baukunst vorliege (I, 2) und welche Kosten für eine fachgerechte
Mangelbeseitigung erforderlich sind (I, 4) nicht konkret beantwortet. Die Ausübung ihres
Fragerechts zu I, 2 des Beweisbeschlusses kann der Ast. auch nicht deshalb versagt
werden, weil es sich bei der Beurteilung, ob ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln
der Baukunst vorliegt, nicht allein um eine Rechts- sondern auch um eine
Tatsachenfrage handelt. Daß der Sachverständige zur Beantwortung dieser Frage den
technischen Zustand des von ihm zu begutachtenden Gewerks nach den bei dessen
Herstellung zu beachtenden anerkannten Regeln der Technik zu beurteilen und etwaige
Verstöße festzustellen hat, ändert daran nichts. Ebensowenig kann der Ast. die
Beantwortung der vom Landgericht in den Beweisbeschluß aufgenommenen Frage
nach den Kosten der Mangelbeseitigung deshalb versagt werden, weil die
Mangelbeseitigung über den Umfang einer teilweisen Reparatur hinausgeht und nach
der gutachtlichen Stellungnahme des Sachverständigen nur im Rahmen einer
Neuherstellung erfolgen kann. Sollte dabei die Anhörung ergebenen, daß die
Konstruktion und gegebenenfalls auch die Materialauswahl nicht den Regeln der
Technik entspricht, so hat der Sachverständige von den Kosten eines den Regeln der
Technik jedenfalls entsprechenden Tores auszugehen, das erforderlichenfalls mit einer
Galerie ausgestattet ist.
Falls das Landgericht im Rahmen des im zustehenden beweisrechtlichen Ermessens
von einer schriftlichen Ergänzung des Gutachtens absehen und unmittelbar Termin zur
Anhörung des Sachverständigen anberaumen sollte, wird in diesem Termin auch die
Agg. Gelegenheit haben, ihr Fragerecht auszuüben, soweit ihre Fragen zur
tatsächlichen Aufklärung des Beweisgegenstandes beitragen.
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Beschwerdewert: 15.000,00 DM.
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