Urteil des OLG Köln vom 01.06.2001

OLG Köln: ware, internet, gefahr, verbraucher, vertriebssystem, versteigerung, wettkampf, käufer, werbung, widerrufsrecht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 6 U 204/00
01.06.2001
Oberlandesgericht Köln
6. Zivilsenat
Urteil
6 U 204/00
Landgericht Köln, 33 O 180/00
1.) Die Berufung der Beklagten gegen das am 10.10.2000 verkündete
Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 33 O 180/00 - wird mit
der Maßgabe zurückgewiesen, dass den Beklagten bis zum 31.8.2001
eine Umstellungsfrist eingeräumt wird, innerhalb derer das beanstandete
Vertriebssystem noch aufrechterhalten werden darf. 2.) Die Kosten des
Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen. 3.) Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann jedoch die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in nachbenannter Höhe
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit
jeweils in derselben Höhe leistet. Es ist Sicherheit in folgender Höhe zu
leisten bzw. sind folgende Beträge zu hinterlegen: Bei Vollstreckung des
Anspruches auf a) Unterlassung 100.000,00 DM; b) Zahlung 350,00 DM;
c) Kostenerstattung 16.200,00 DM. 4.) Die Beschwer der Beklagten wird
auf 100.315,65 DM festgesetzt.
T a t b e s t a n d
Der Kläger ist ein Verband zur Förderung gewerblicher Interessen im Sinne des § 13 Abs.2
Ziff.2 UWG. Seine Befugnis, den vorliegenden Prozess zu führen, ist außer Streit. Die
Beklagte zu 2) betreibt im Internet für unterschiedliche, von Dritten bezogene Waren eine
besondere Vertriebsform, auf die sogleich näher einzugehen ist. Die Beklagte zu 1) ist ihre
alleinige Gesellschafterin.
Bei der von den Beklagten als "P." bezeichneten Absatzform handelt es sich um ein
Vertriebssystem, bei dem Kaufinteressenten gebündelt werden und der Preis für die zu
erwerbende Ware von der Anzahl der gesammelten Nachfragenden abhängig ist: Je größer
die Zahl der Kaufinteressenten ist, um so niedriger liegt der von diesen für die Ware zu
zahlende Preis. Die einzelnen Kaufinteressenten beteiligen sich über das Internet an dem
System und kennen sich untereinander nicht notwendig.
Die Beklagten bieten dieses - in unterschiedlichen Ausgestaltungen auch von
Wettbewerbern betriebene - System in verschiedenen Versionen an. Der Kläger
beanstandet nicht die beschriebene, all diesen Versionen eigene Bündelung von
Kaufinteressenten zur Erreichung eines niedrigeren Preises als solche, sondern lediglich
die spezielle "Angebotsvariante mit verschiedenen Preisstufen" der Beklagten. Diese
Version des P. ist von folgenden Kriterien gekennzeichnet:
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Die betreffende Ware steht nur in begrenzter Stückzahl zur Verfügung und wird nur
innerhalb eines festgelegten Zeitraumes angeboten. Es existieren mehrere von den
Beklagten vorgegebene Preisstufen, denen jeweils eine ebenfalls vorgegebene Anzahl
von erforderlichen Kaufinteressenten zugeordnet ist. Jeder Teilnehmer kann - von einer
sogleich darzustellenden Ausnahme abgesehen - grundsätzlich frei wählen, in welcher
Preisstufe er sich beteiligt, und es ist ausgeschlossen, dass er einen höheren Preis als den
der gewählten Stufe bezahlen muss. Nach Ablauf des Angebotszeitraumes werden alle
diejenigen Kaufinteressenten nicht berücksichtigt, die eine Preisstufe gewählt haben, deren
notwendige Teilnehmerzahl nicht erreicht worden ist. Andererseits wird die Ware an alle
anderen Teilnehmer zu dem Preis abgegeben, der der erreichten Preisstufe entspricht. Hat
also jemand die (teuerste) Stufe 1 gewählt und beteiligen sich ausreichend Interessenten
z.B. für die Stufe 3, so muss auch jener Erstgenannte nur den niedrigeren Preis der Stufe 3
bezahlen. Stellt das System insoweit noch im wesentlichen die Grundform der Bündelung
möglichst vieler Kaufinteressenten zur Erreichung eines niedrigen Preises dar, so kommen
bei der streitgegenständlichen Variante folgende Besonderheiten hinzu:
Wird die vorgesehene Teilnehmerzahl einer Preisstufe ("notwendige
Einkaufsgruppengröße") vor Ablauf der Laufzeit erreicht, so wird diese Preisstufe
geschlossen. Andere Interessenten können sich dann auf dieser Preisstufe nicht mehr
beteiligen. Andererseits kann der einzelne Teilnehmer - wenn auch schon seine erste
Beteiligung verbindlich ist - noch während der Laufzeit in eine andere noch nicht
geschlossene Preisstufe wechseln. Der jeweilige aktuelle Stand des Verfahrens ist
jederzeit im Internet einsehbar. Insbesondere wird dort immer und ohne zeitliche
Verzögerung nach einer weiteren Beteiligung angezeigt, wie viele Interessenten sich in
den einzelnen Preisstufen bereits beteiligt haben. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Systems wird auf die Anleitungshinweise im Internet Bezug genommen, die als
Papierausdruck Bestandteil des Klageantrages sind (= Seiten 5-10 dieses Urteils).
Der Kläger, der auch der Höhe nach unstreitige Abmahnkosten geltend macht, rügt das
geschilderte System als wettbewerbswidrig:
Es liege zunächst ein Verstoß gegen §§ 1,2 Rabattgesetz vor, weil die Beklagten auf diese
Weise Preisnachlässe von mehr als 3 % gewährten. Überdies handele es sich um
Sonderpreise im Sinne des § 1 Abs.2 Rabattgesetz. Wegen der zeitlichen Befristung seien
auch die Voraussetzungen des § 7 Abs.1 UWG erfüllt. Darüber hinaus werde auch gegen
die Vorschriften der Preisangabenverordnung verstoßen. Im übrigen verstoße das System
aber auch gegen § 1 UWG, und zwar unter den Aspekten des übertriebenen Anlockens
und der wettbewerbswidrigen Laienwerbung.
Die Kläger hat b e a n t r a g t ,
die Beklagten zu verurteilen,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden
Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu
unterlassen,
in der an den Endverbraucher gerichteten Werbung zu Wettbewerbszwecken, wie
nachstehend wiedergegeben, Waren im Rahmen zeitlich begrenzter Präsentationen nach
Maßgabe von mehreren P.-Status-Preisstufen jeweils zu einem jetzigen Preis unter
Angabe eines möglichen Preises anzubieten, wobei sich der jetzige Preis entsprechend
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den angekündigten P.-Status-Preisstufen bei Erreichen einer jeweils notwendigen
Mindestzahl von Käufern von Stufe zu Stufe bis zum möglichen Preis reduziert:
2.) an ihn 315,65 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21.6.2000 zu zahlen.
Die Beklagten haben b e a n t r a g t ,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die Auffassung vertreten, das angegriffene System sei unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt zu beanstanden.
Das L a n d g e r i c h t hat der Klage aus § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des
übertriebenen Anlockens stattgegeben und zur Begründung auf die als Anlage 2 (Bl.32 ff.)
von dem Kläger vorgelegte Entscheidung einer anderen Zivilkammer des Landgerichts
Köln in dem auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Verfahren 31 O
990/99 Bezug genommen. In jenem Urteil, das ebenfalls das streitgegenständliche System
betraf, hatte die 31.Zivilkammer u.a. ausgeführt, durch die laufende Einblendung der in den
einzelnen Preisstufen aktuell fehlenden Käufer und die zeitliche Befristung erhalte das
System einen gewissen Wettkampf- oder Wettlaufcharakter dergestalt, dass das "P." vom
Verbraucher in erster Linie als Spiel unter der ständigen Fragestellung gesehen werde,
welche Preiskategorie erreicht werden könne. Dieser Anreiz werde durch ausgesprochen
hohe erzielbare Preisreduzierungen verstärkt. Um diese enormen Sparmöglichkeiten zu
erzielen, erscheine es für den Verbraucher auch durchaus naheliegend, in seinem
Bekanntenkreis weitere Käufer für die Abgabe eines Angebots zu werben. Der
Spielcharakter werde außerdem dadurch betont, dass eine Beteiligung auf einer Preisstufe
nicht mehr möglich sei, auf der sich bereits ausreichend Käufer gefunden haben. Ein
potentieller Käufer werde daher, wenn nur noch wenige Personen auf einer Preisstufe
fehlten, geneigt sein, sich übereilt noch auf dieser Preisstufe zu beteiligen, um das Risiko
auszuschließen, auf die nächst höhere Preisstufe angewiesen zu sein, in der der Preis
noch niedriger sei, und damit Gefahr zu laufen, dass sich die größere Interessentenzahl für
jene Preisgruppe nicht mehr finde. Das System bringe dabei auch die Gefahr mit sich, dass
der Kunde mehr Artikel bestelle als er benötige.
Ihre hiergegen gerichtete B e r u f u n g begründen die Beklagten im wesentlichen wie folgt:
Zumindest im Lichte der neuen, durch das Internet möglich gewordenen Vertriebs- und
Werbeformen könne das angegriffene "P."-System nicht als wettbewerbswidrig gewertet
werden.
Es liege insbesondere kein übertriebenes Anlocken in der Form der Ausnutzung der
Spiellust vor, wie es das Landgericht angenommen habe. Von den üblichen Fällen des
übertriebenen Anlockens unterscheide sich das System schon dadurch, dass es nicht der
Wertreklame zugerechnet werden könne, sondern der besondere Anreiz gerade in dem
Preis für die von dem Interessenten nachgefragte Ware selbst liege. Auch der
angenommene Wettkampf- oder Wettlaufcharakter könne das Verbot nicht rechtfertigen.
Zum einen zeichneten sich alle "O.-A." durch einen derartigen gewissen Wettkampf- oder
Wettlaufcharakter aus. Zum anderen gehe es beim "P." primär um die Frage, ob der
Betreffende an einer bestimmten Ware interessiert und welchen Preis er für diese Ware zu
zahlen bereit sei. Das System biete dem Kunden die Möglichkeit, sein Angebot gerade zu
dem Preis abzugeben, den er für die betreffende Ware zu zahlen bereit sei. Seine
Kaufentscheidung werde auch durch die Möglichkeit, dass sich die Ware durch das
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Erreichen günstigerer Preisgruppen verbillige, nicht beeinflusst, weil er sie vorher bereits
getroffen habe.
Es treffe auch nicht zu, dass der nach Auffassung des Landgerichts unmittelbar vor
Schließung einer Preisstufe aufkommende Wettlaufcharakter die Sittenwidrigkeit
begründen könnte. Auch in einer solchen Situation stelle sich für den Kunden allein die
Frage, ob er die Ware mit Sicherheit zu dem höheren Preis erwerben oder das Risiko
eingehen wolle, sie zu dem niedrigeren Preis nicht zu bekommen. Es sei schließlich ganz
lebensfremd, dass Kunden veranlasst werden könnten, mehr Exemplare der Ware zu
erwerben, als sie tatsächlich benötigten.
Auch aus den Gründen, die der BGH-Entscheidung "Versteigerung eines gebrauchten Kfz
in umgekehrter Richtung" (WRP 86,381 f) zugrundelägen, könne das Verbot nicht
hergeleitet werden. Der Kunde trete nämlich nicht mit anderen potentiellen Kunden in einen
Wettkampf um das angebotene Produkt, den nur einer gewinnen könne.
Jedenfalls könne das Verbot nicht auf den Gesichtspunkt der unzulässigen Laienwerbung
gestützt werden, hierzu fehle es bereits an der Voraussetzung, dass der werbende Laie
sein eigenes Prämieninteresse verschleiere.
Es liege aus im einzelnen dargestellten Gründen auch kein Verstoß gegen das
Rabattgesetz, § 7 Abs.1 UWG oder die PAngVO vor.
Die Beklagten b e a n t r a g e n,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,
hilfsweise ihnen eine Umstellungsfrist von 3 Monaten - gerechnet ab dem Tag der
Urteilsverkündung - zu gewähren.
Der Kläger b e a n t r a g t,
die Berufung hinsichtlich des Hauptantrages zurückzuweisen, und tritt dem Hilfsantrag
nicht entgegen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Nach seiner Auffassung liegt unter beiden
angesprochenen Gesichtspunkten ein Verstoß gegen § 1 UWG vor. Darüber hinaus
verstoße die Beklagte auch gegen das Rabattgesetz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Berufung ist zulässig, hat aber - von der Einräumung der Umstellungsfrist abgesehen -
in der Sache keinen Erfolg. Das P. in der angegriffenen Version weist einerseits stark
aleatorische Elemente und andererseits Elemente einer besonderen Form der Wertreklame
auf, die zumindest zusammen als im Sinne des § 1 UWG unlauter und damit sittenwidrig
anzusehen sind. Auch die Wesentlichkeitsgrenze des § 13 Abs.2 Ziff.2 UWG ist
überschritten.
Soweit die Beklagten eingangs darauf hinweisen, dass das Internet neue Vertriebsformen
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ermögliche und dies neue Wertungen gebiete, mag das zutreffen. Es ändert aber nichts
daran, dass sich ihre Verhaltensweise im Rahmen der Regeln halten muss, die ein lauterer
Wettbewerb fordert. Das ist indes aus den nachfolgenden Gründen, die im wesentlichen
bereits von den beiden Kammern des Landgerichts aufgeführt worden sind, nicht der Fall.
Ausgangspunkt der Beurteilung ist der Umstand, dass nicht das "P."-System als solches,
sondern nur die hier angegriffene konkrete Ausgestaltung in Rede steht. Dabei handelt es
sich um eine besondere Version, bei der auf die dargestellte Weise nicht nur die (Kauf-)
Kraft der Interessenten gebündelt, sondern darüber hinaus durch die zeitliche Befristung
einerseits und die zahlenmäßige Begrenzung der Teilnehmer in den einzelnen Preisstufen
andererseits ein besonderes System geschaffen wird, das ein eigenes Gepräge mit
eigenen wettbewerbsrechtlichen Aspekten aufweist.
Dieses System ist unlauter, weil es die Teilnehmer durch das an bestimmte Kundenzahlen
gebundene Versprechen ganz erheblicher Preisnachlässe von bis zu 50 % und die
Eröffnung der Möglichkeit, auf die Höhe des Preises unter spekulativen Gesichtspunkten
Einfluss zu nehmen, in nicht unerheblichem Maße davon abhält, ihre Kaufentscheidung
allein nach der Preiswürdigkeit der Ware zu treffen.
Nach gefestigter auch jüngerer höchstrichterlicher Rechtsprechung handelt unter dem
Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens unlauter, wer durch das Überlassen von
Waren bewirkt, dass der Umworbene "gleichsam magnetisch" angezogen und so davon
abgehalten wird, sich mit den Angeboten seiner Mitbewerber zu befassen (vgl. z.B. BGH
GRUR 98,1037 f - "Schmuck-Set"; BGH GRUR 99,261,263 - "Handy-Endpreis" und BGH
WRP 99,517,518 - "Am Telefon nicht süß sein?"). Bei dem übertriebenen Anlocken handelt
es sich um eine Ausprägung der Wertreklame. Diese setzt voraus, dass die Werbe- oder
Anlockwirkung nicht von der beworbenen Ware selbst oder ihrem Preis, sondern von einer
dem Kunden daneben zusätzlich besonders preisgünstig oder ohne Entgelt überlassenen
Ware ausgeht. Ein besonders günstiges Angebot für sich genommen ist daher dann nicht
unlauter, wenn die Anlockwirkung nicht von einer neben der vertriebenen zusätzlich
abgegeben Ware, sondern von dem Preis für die angebotene Ware selbst ausgeht (BGH
a.a.O. "Handy-Endpreis" und "Am Telefon nicht süß sein?"). Ausgehend von diesen
Grundsätzen rechtfertigt allein die Preisgestaltung der Beklagten im Rahmen des
angegriffenen "P."-Systems den Unlauterkeitsvorwurf nicht. Die Beklagte stellt zwar den
Erwerb der angebotenen Waren für einen Preis in Aussicht, der bis zu 50 % unter dem von
einem einzelnen Kunden geforderten Preis liegt, die in dieser Preisreduzierung liegende
erhebliche Anlockwirkung geht aber nicht von einer zusätzlich gewährten Ware, sondern
von dem - allerdings variablen - Preis für die angebotene Ware selbst aus.
Kann damit die - angesichts der Höhe der Preisreduzierung sogar erhebliche -
Anlockwirkung für sich genommen den Unlauterkeitsvorwurf nicht rechtfertigen, so ist es
doch gerechtfertigt, die besondere und unter Umständen auch besonders günstige
Preisgestaltung der Beklagten in die wettbewerbsrechtliche Gesamtbeurteilung mit
einzubeziehen. Tut man dies, dann erweist sich der Klagevorwurf indes als berechtigt.
Das angegriffene Vertriebssystem ist darauf abgestellt, die Spiellust der Kunden
anzuregen. Diese laufen Gefahr, ein verbindliches Kaufangebot nicht deswegen
abzugeben, weil sie die betreffende Ware gerade zu dem betreffenden Preis erwerben
wollen, sondern weil sie sich von dem spekulativen Aspekt in Bann ziehen lassen, ob ein
besonders günstiger Preis noch erreicht werden kann. Unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass dabei eine Preisreduzierung von bis zu 50 % erreicht werden kann,
besteht die Gefahr, dass Kunden in nicht unerheblicher Zahl nicht wegen der
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Preiswürdigkeit der Ware, sondern aus Lust an der Teilnahme an dem System
Kaufangebote abgeben.
Nach der auch jüngeren Rechtsprechung des BGH ist die bloße Ausnutzung der Spiellust
für sich genommen zwar nicht ohne weiteres unlauter, sie ist aber dann zu untersagen,
wenn besondere zusätzliche Umstände den Vorwurf der Sittenwidrigkeit rechtfertigen (vgl.
zu Gewinnspielen zuletzt BGH WRP 00,724 f - "Space Fidelity Peep-Show"; WRP 98,424 f
- "Rubbelaktion" jeweils m.w.N.). Für den Fall einer sogenannten umgekehrten
Versteigerung hat der BGH in der Entscheidung "Versteigerung eines gebrauchten Kfz in
umgekehrter Richtung" (WRP 86,381 f) derartige Umstände in der Suggestivkraft des
täglich sinkenden Preises gesehen. Auch durch die angegriffene Version des P. wird die
Spiellust der Interessenten geweckt und begründen die näheren Umstände, nämlich die Art
der Teilnahmemöglichkeiten, den Vorwurf der Unlauterkeit.
Der Interessent kann sich in der von ihm favorisierten Preisstufe nur beteiligen, wenn die
von den Beklagten festgelegte "notwendige Einkaufsgruppengröße" nicht erreicht ist. Ist
das der Fall, bleibt dem Interessenten nur die Möglichkeit, eine andere Preisstufe zu
wählen, in der zwar der Kaufpreis noch niedriger, aber die notwendige Teilnehmerzahl
höher ist. Diese auf den ersten Blick vorteilhafte Möglichkeit, sich an der Option des
Erwerbs zu einem noch günstigeren Preis zu beteiligen, enthält das Risiko, die Ware
tatsächlich gar nicht zu erhalten, weil die "notwendige Einkaufsgruppengröße" dieser
Preisstufe bis zum Ende der Aktion nicht mehr erreicht wird. Der Interessent sieht sich
daher in die Lage versetzt, zu entscheiden, ob er das Risiko des Nichterwerbs eingehen
oder lieber den höheren Preis innerhalb der Preisstufe akzeptieren soll, deren "notwendige
Einkaufsgruppengröße" voraussichtlich erreicht wird. Das in dieser Systemgestaltung
liegende spielerische Element wird dadurch noch nachhaltig verstärkt, dass der Teilnehmer
einerseits die auf Grund der Gebote anderer Interessenten eintretenden Veränderungen der
Situation ständig aktuell im Internet abfragen und andererseits seine Beteiligung bis zum
Ende der Aktion noch durch einen Wechsel der Preisstufe, in der er sich beteiligt, ändern
kann. Nicht wenige Teilnehmer werden sich angesichts dieser Möglichkeiten dem
aleatorischen Reiz des Systems hingeben und den Verlauf der Aktion beobachten, dabei
spekulieren, ob die erforderliche Teilnehmerzahl einer bestimmten Preisstufe noch erreicht
wird oder nicht, und davon ihr eigenes Verhalten abhängig machen. Es besteht dabei die
Gefahr, dass diese Interessenten ihr eigentliches Ziel des Erwerbs der Ware zu einem
günstigen Preis aus dem Auge verlieren und sich allein von diesem spielerischen Element,
das - wie das Landgericht zutreffend formuliert hat - auch Züge eines Wettlaufes bzw.
Wettkampfes mit den anderen Interessenten trägt, zu verbindlichen Geboten verleiten
lassen, die sie bei einer sachlichen Prüfung der Preiswürdigkeit der Ware nicht abgegeben
hätten. Das gilt insbesondere gegen Ende der Aktionszeit, weil dann ein Hinzutreten
anderer ebenso spekulierender Teilnehmer in größerer Zahl zu erwarten ist und in dieser
Situation sehr schnell auf deren im Internet sichtbare Beteiligungen in den einzelnen
Preisgruppen reagiert und die Situation immer neu eingeschätzt werden muss. Nimmt man
hinzu, dass das System - wie bereits dargelegt worden ist - sehr hohe Preisabschläge von
bis zu 50 % in Aussicht stellt und daher dem Interessenten besonders attraktiv erscheint, so
ist das Vertriebssystem in der angegriffenen Ausprägung insgesamt als im Sinne des § 1
UWG unlauter zu bewerten und aus diesem Grunde zu untersagen.
Dem können die Beklagten nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Teilnehmer entscheide
sich von vorne herein für den Preis, den ihm die angebotene Ware wert sei, und nehme
daher nur in der Preisstufe teil, die diesem Preis entspreche. Es macht gerade den
Spieltrieb aus, dass der Betroffene dazu verleitet wird, sich gegen seine ursprünglichen
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Absichten an dem angebotenen Spiel zu beteiligen. Dieser Verführung wird ein nicht
unerheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher aus den dargelegten Gründen
erliegen.
Zu Unrecht setzen die Beklagten das System auch mit Versteigerungen üblicher Art gleich,
wie sie inzwischen auch im Internet stattfinden. Denn bei herkömmlichen Versteigerungen
wird dem Teilnehmer durch jedes aktuelle Gebot vor Augen geführt, welchen - höheren -
Preis er bieten muss, um die Ware zu bekommen. Demgegenüber besteht bei dem
angegriffenen System die Unsicherheit, ob ein Gebot in einer Preisstufe mit höherem Preis
erforderlich ist, und der Druck der knappen Zeit, innerhalb derer diese Entscheidung zu
treffen ist.
Soweit die Beklagten schließlich einwenden, die noch neuen Möglichkeiten, die das
Internet biete, machten neue wettbewerbsrechtliche Wertungen erforderlich, ist nicht
ersichtlich, aus welchen Gründen die Verbraucher bei der Nutzung des Internet für die
Gefahren der Spiellust weniger anfällig sein oder weniger davor geschützt werden sollten,
aufgrund der geschilderten Ablenkungen unbedachte Kaufentscheidungen zu treffen. Es
kommt hinzu, dass nicht das gesamte P.-System, sondern nur die streitgegenständliche
Variante in Rede steht, ohne deren kennzeichnende Merkmale indes ebenfalls die
Kaufkraft vieler Interessenten im Internet gebündelt und so der Preis gesenkt werden kann.
Der Senat sieht sich im Einklang mit der erwähnten Entscheidung "Versteigerung eines
gebrauchten Kfz in umgekehrter Richtung", in der der BGH ebenfalls in einer Verbindung
aleatorischer Elemente mit solchen der Wertreklame das erforderliche
Unlauterkeitsmerkmal erblickt hat. Dort war zwar nicht eine Aktion im Internet zu beurteilen,
die Situation war aber insofern ähnlich, als der Preis mangels Gebotes täglich sank und so
wegen des ständig attraktiver werdenden Preises der Kunde veranlasst werden konnte, ein
Gebot nur deswegen abzugeben, damit ihm nicht zu einem noch niedrigeren Preis ein
anderer zuvorkommen könne.
Der Senat sieht sich im übrigen in seiner Auffassung durch den Umstand bestätigt, dass die
Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt haben, aus welchem Grunde die
einzelnen Preisstufen bei Erreichen der notwendigen Einkaufsgruppengröße geschlossen
werden. Zur Erreichung des Zieles, möglichst viele Interessenten zu sammeln und wegen
der entstandenen großem Abnehmerzahl einen möglichst günstigen Preis zu erreichen, ist
die Schließung der Preisstufen, die andererseits den dargestellten Entscheidungsdruck
verursacht, ersichtlich nicht erforderlich.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine andere Wertung auch nicht mit Blick auf
das derzeitige Gesetzesvorhaben zur Aufhebung des Rabattgesetzes geboten. Dabei
braucht auf den Umstand nicht näher eingegangen zu werden, dass die Situation nicht
derjenigen gleichzusetzen ist, die der Entscheidung "Testpreis-Angebot" des BGH (GRUR
98,824 ff) zugrundelag. In jener Entscheidung hat der BGH bereits vor der
gesetzgeberischen Umsetzung der Richtlinie 97/55/EG zur vergleichenden Werbung durch
den späteren § 2 UWG n.F. § 1 UWG richtlinienkonform im Sinne der EG-Norm ausgelegt.
Während in jener Situation ein Zwang für den deutschen Gesetzgeber bestand, das Recht
der vergleichenden Werbung zu regeln, und auch der Inhalt der gebotenen gesetzlichen
Regelung zumindest im Kern bereits feststand, besteht hinsichtlich des Rabattgesetzes
lediglich die Absicht des Gesetzgebers, dieses ersatzlos aufzuheben. Dies kann indes auf
sich beruhen. Denn wenn auch in der Begründung des Gesetzesentwurfes der
Bundesregierung (S.7) das P. als neue und - wie der Zusammenhang ergibt - durch das
Gesetzesvorhaben zu fördernde Vertriebsform genannt ist, ist eine abweichende
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Entscheidung nicht veranlasst. In der Begründung des Gesetzgebungsvorhabens wird
lediglich die "Bündelung privater Nachfrage im Rahmen des sog. Power-Shopping (bzw.
Co-Shopping)" und damit ersichtlich nicht jede Form des P.s und insbesondere nicht eine
solche als förderungswürdig behandelt, die über die Bündelung von Interessenten hinaus
durch zusätzliche, zur Ausnutzung der gebündelten Kaufkraft nicht notwendige Elemente
die Spiellust der Teilnehmer ausnutzt und sie in Situationen bringt, in denen sie
unbedachte Kaufabschlüsse tätigen.
Schließlich kommt eine andere Wertung auch nicht deswegen in Betracht, weil die Kunden
gem. § 3 FernAbs.G ein Widerrufsrecht haben. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher
schützen und kann nicht dazu führen, Handlungsweisen von Gewerbetreibenden, die ohne
das Widerrufsrecht wegen der unsachlichen Beeinflussung von Verbrauchern als unlauter
zu werten sind, zu legalisieren. Der Senat sieht hierzu von weiteren Ausführungen ab,
nachdem die Beklagten sich auf diesen Gesichtspunkt selbst nicht berufen haben.
Liegt damit eine Verstoß gegen § 1 UWG vor, so ist die Klage begründet und die Berufung
dementsprechend zurückzuweisen, weil die gem. § 13 Abs.2 Ziff.2 UWG bestehende
Wesentlichkeitsgrenze ersichtlich überschritten ist. Die Vertriebsform der Beklagten ist
angesichts ihrer bundesweiten Verbreitung und der erheblichen Attraktivität der in Aussicht
gestellten Preise geeignet, den Markt des betreffenden Warenabsatze wesentlich zu
beeinträchtigen.
Den Beklagten ist auf ihren Antrag zum Zwecke der Umstellung
zu gestatten, das untersagte Verkaufssystem noch drei Monate weiter zu betreiben. Der
Senat sieht hierzu von einer weiteren Begründung ab, nachdem der Kläger diesem Antrag
nicht entgegengetreten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
Die gemäß § 546 Abs.2 ZPO festgesetzte Beschwer der Beklagten entspricht dem Wert
ihres Unterliegens im Rechtsstreit.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 100.315,65 DM.