Urteil des OLG Köln vom 22.08.1994

OLG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, berufungsfrist, eigenes verschulden, datum, rechtsmittelfrist, stand, berufungsschrift, verschulden, zpo, wiedereinsetzung)

Oberlandesgericht Köln, 22 U 178/94
Datum:
22.08.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
22. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 U 178/94
Schlagworte:
STREITHILFE; RECHTSMITTELFRIST; WIEDEREINSETZUNG
Normen:
§ 233 ZPO
Leitsätze:
Versäumung der Rechtsmittelfrist durch den Streithelfer
Hat der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte des Streithelfers nicht
beachtet, daß die Rechtsmittelfrist für den Streithelfer mit der Zustellung
des Urteils bei der Hauptpartei beginnt und hat er die notwendige
Nachforschung nach diesem Zustellungsdatum unterlassen, so kommt
eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Berufungsfrist nicht in Betracht.
G r ü n d e
1
I.
2
Das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts ist der Klägerin am 29.06.1994 und
der Streitverkündeten, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten war, am
30.06.1994 zugestellt worden. Die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der
Streitverkündeten gingen von einem Beginn der Berufungsfrist für die Streitverkündete
am 30.06.1994 aus und errechneten einen Fristablauf am 01.08.1994, da der
30.07.1994 ein Samstag war. Dies teilten sie den Korrespondenzanwälten der
Streitverkündeten mit, die sodann am 29.07.1994 mit dem Hinweis "Fristablauf:
01.08.1994" den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Streitverkündeten
beauftragten, Berufung einzulegen. Die mit Datum vom 01.08.1994 versehene
Berufungsschrift ist bei dem Oberlandesgericht über den Nachtbriefkasten eingegangen
und trägt den Eingangsstempel vom 02.08.1994.
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Die Streitverkündete hat am 12.08.1994 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie trägt vor, ihr zweitinstanzlicher
Prozeßbevollmächtigter habe die Berufungsschrift am 01.08.1994 in den
Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen. Am 29.07.1994 sei eine Anfertigung der
Berufungsschrift wegen eines Engpasses bei den Schreibkräften ihres
zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nicht mehr möglich gewesen. Im übrigen
habe er auch auf den ihm mitgeteilten Lauf der Berufungsfrist bis zum 01.08.1994
vertraut und erst am 02.08.1994 von den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin erfahren,
daß das angefochtene Urteil der Klägerin bereits am 29.06.1994 zugestellt worden war.
Die Streitverkündete ist der Auffassung, sie sei unter diesen Umständen ohne eigenes
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Die Streitverkündete ist der Auffassung, sie sei unter diesen Umständen ohne eigenes
Verschulden und ohne Verschulden ihrer Rechtsanwälte gehindert gewesen,
fristgerecht Berufung einzulegen.
II.
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Das fristgerecht eingereichte Wiedereinsetzungsgesuch ist unbegründet.
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Eine besondere Rechtsmittelfrist für den Streithelfer gibt es nicht. Dieser ist nach
ständiger Rechtsprechung an die für die Hauptpartei laufende Frist gebunden und kann
daher ein Rechtsmittel nur so lange einlegen, wie die Rechtsmittelfrist für die
Hauptpartei läuft (BGH, NJW 1986, 257; NJW 1990, 190). Dieser Grundsatz wird aus §
67 ZPO hergeleitet, wonach die Erklärungen und Prozeßhandlungen des Streithelfers
nicht zu denen der Hauptpartei im Widerspruch stehen dürfen. Da das Urteil der
Klägerin am 29.06.1994 zugestellt worden war, endete die Berufungsfrist auch für ihre
Streithelferin am Freitag, dem 29.07.1994. Mithin war die Rechtsmittelfrist bereits
abgelaufen, als der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Streitverkündeten am
01.08.1994 die Berufungsschrift fertigte. Ob diese Berufungsschrift noch am 01.08. oder
erst am 02.08.1994 in den Nachtbriefkasten eingeworfen wurde, ist insoweit ohne
Belang.
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Dem Wiedereinsetzungsgesuch der Streitverkündeten konnnte nicht stattgegeben
werden, weil die Streitverkündete nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der
Berufungsfrist gehindert war (§ 233 ZPO). Dabei steht das Verschulden des
Prozeßbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO).
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Im vorliegenden Fall hatten es die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der
Streitverkündeten an der erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen, indem sie unter
Nichtbeachtung der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die
Berufungsfrist nach dem Datum der Urteilzustellung an die Streitverkündete berechnet
und den Korrespondenzanwälten der Streitverkündeten einen falschen Zeitpunkt des
Ablaufs der Berufungsfrist mitgeteilt haben, die sodann dieses falsche Datum an den
zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Streitverkündeten weitergaben. Hätten
ihre erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten den Fristablauf richtig auf den
29.07.1994 ermittelt und berechnet und das zutreffende Datum den
Korrespondenzanwälten mitgeteilt, so hätte die Berufung von dem zweitinstanzlichen
Prozeßbevollmächtigten, bei dem der Berufungsauftrag am 29.07.1994 eingegangen ist,
noch rechtzeitig eingelegt werden können. Dem stand auch nicht der Umstand
entgegen, daß in der Kanzlei des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am
29.07.1994 nach 16.00 Uhr keine Schreibkraft mehr zur Verfügung stand. Denn die Zeit
zwischen 14.26 Uhr (Eingang des Berufungsauftrags) und 16.00 Uhr hätte auch unter
Berücksichtigung der Mittagspause des Anwalts ausgereicht, um das kurze Schreibwerk
der Berufungseinlegung bis 16.00 Uhr zu erledigen.
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Die Streitverkündete kann sich auch nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum ihrer
erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten bei der Berechnung der Rechtsmittelfrist
berufen. Von einem Rechtsanwalt ist zu erwarten, daß er sich anhand von
Entscheidungssammlungen und gängiger Literatur über den Stand der Rechtsprechung
unterrichtet (BGH NJW 1957, 750; BGH, Versicherungsrecht 1986, 892; Zöller-Greger,
ZPO, 18. Aufl., § 233 Rdnr. 23, Stichwort "Rechtsirrtum"). Die Annahme, daß für die
Berechnung der Berufungsfrist das Datum der Urteilszustellung an die Streitverkündete
maßgebend sei, stellt daher einen vorwerfbaren Rechtsirrtum dar (BGH NJW 1986,
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257). Die Streitverkündete konnte sich auch nicht darauf verlassen, daß die
Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ihr das Datum der Urteilszustellung an die
Klägerin von sich aus mitteilen würden, wodurch möglicherweise der Irrtum bei der
Fristberechnung vermieden worden wäre. Vielmehr waren die erstinstanzlichen
Prozeßbevollmächtigten der Streitverkündeten verpflichtet, von sich aus durch
geeignete Maßnahmen (z. B. Auskunftsersuchen an die Geschäftsstelle des
Landgerichts oder an die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin) das Datum der
Urteilszustellung an die Klägerin in Erfahrung zu bringen (BGH, NJW 1986, 257; Zöller-
Vollkommer a.a.O., § 67, Rdnr. 5). Auch der Verstoß gegen diese Erkundigungspflicht ist
vorwerfbar und steht einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen (BGH,
NJW 1986, 257).