Urteil des OLG Köln vom 21.08.2001

OLG Köln: formelle rechtskraft, aufruf, pflichtverteidiger, gebühr, bauer, vergütung, rechtssicherheit, prozess, wahlverteidiger, verfügung

Oberlandesgericht Köln, 2 ARs 183/01
Datum:
21.08.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 ARs 183/01
Tenor:
Dem Pflichtverteidiger wird eine Pauschalvergütung in Höhe des
Betrages der Regelgebühren zzgl. 400,00 DM (vierhundert Deutsche
Mark) bewilligt.
G r ü n d e
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I.
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Gegen den früheren Angeklagten war je gesondert unter dem 4. Dezember 1998
Anklage wegen 271 Fällen des Diebstahls und eines Falles der Sachbeschädigung
sowie unter dem 16. August 1999 wegen räuberischer Erpressung zum
Jugendschöffengericht Köln erhoben worden. Dieses hat in beiden Verfahren unter
getrennten Aktenzeichen Termin zur Hauptverhandlung für den 8. Dezember 1999 auf
die selbe Terminsstunde bestimmt. Erst nach Aufruf der beiden Sachen sind die
Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden worden. In
einem weiteren Hauptverhandlungstermin vom 15. Dezember 1999 ist der Angeklagte
verurteilt worden.
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Mit Pflichtverteidigerliquidation vom 16. Dezember 1999 hat der Pflichtverteidiger für die
Verteidigung im ersten Rechtszug einen Betrag von 1.325,00 DM geltend gemacht.
Festgesetzt worden sind mit Beschluss vom 17. Januar 2000 insoweit nur 825,00 DM
mit der Begründung, dass am ersten Hauptverhandlungstag die beiden Verfahren zur
gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung miteinander verbunden worden seien
und daher der Pflichtverteidiger nur eine Gebühr in Höhe von 500,00 DM nach §§ 97, 83
BRAGO verlangen könne. Der hiergegen eingelegten Erinnerung hat das Amtsgericht
durch Beschluss vom 11. Oktober 2000 "nicht abgeholfen". Eine hiergegen gerichteten
Beschwerde des Pflichtverteidigers ist durch Beschluss des Landgerichts Köln (4. große
Strafkammer - 1. Jugendkammer) vom 16. November 2000 verworfen worden. Einer
Gegenvorstellung des Pflichtverteidigers, wonach diese Entscheidung nicht der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln entspreche, ist u. a. mit der Begründung
nicht stattgegeben worden, eine Bindungswirkung der Strafkammer an eine
entsprechende Entscheidung des Senats bestehe nicht.
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Unter dem 27. April 2001 hat daraufhin der Pflichtverteidiger beantragt, nach § 99
BRAGO eine "weitere Gebühr" in Höhe von 500,00 DM zzgl. Umsatzsteuer festzusetzen
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und damit einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Entscheidung der
Beschwerdestrafkammer des Landgerichts bzgl. der Gebühren für die
Hauptverhandlung vom 8. Dezember 1999 - die nicht mehr anfechtbar ist - nicht der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln entspreche und damit ihn, den
Pflichtverteidiger, um den nicht festgesetzten Betrag in Höhe von 500,00 DM
benachteilige.
Der Vertreter der Staatskasse hat angeregt, diesem Antrag zu entsprechen.
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II.
7
1.
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Der Antrag auf Bewilligung einer über die gesetzlichen Gebühren hinausgehenden
Pauschvergütung (§ 99 Abs. 1 BRAGO) ist nur im Ergebnis teilweise begründet.
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Die begehrte Erhöhung der Vergütung um weitere 500,00 DM kommt nach § 99 Abs. 1
BRAGO nicht schon deswegen in Betracht, weil die Kürzung der angemeldeten
Gebühren für die Hauptverhandlung vom 8. Dezember 1999 um 500,00 DM gemäß der
Beschwerdeentscheidung der Jugendkammer vom 16. November 2000 nicht der
Rechtssprechung des Senats entspricht.
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1. Allerdings hält der Senat die Kostenfestsetzung vom 17. Januar 2000 bzw. die
Beschwerdeentscheidung vom 16. November 2000 in der Tat für unzutreffend. Sie
entspricht nicht der Rechtsprechung des OLG Köln (vgl. Beschluss vom 2. Februar
2000, 2 Ws 53/00), wie sie inzwischen wohl auch Eingang in die sonstige
Rechtsprechung des Landgerichts Köln gefunden hat.
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Für die Hauptverhandlung am 8. Dezember 2000 wären in jedem der beiden bei
Aufruf der Sache noch nicht verbundenen Verfahren je 500,00 DM gemäß §§ 83,
97 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BRAGO anzusetzen gewesen.
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Der Senat ist in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Ansicht in
Rechtsprechung und Schrifttum der Meinung, dass die einzelnen Strafverfahren bis
zur Verbindung selbstständig bleiben und auch die Anberaumung der
Hauptverhandlung auf den gleichen Termin noch nicht die Verbindung bedeutet;
der Verteidiger erhält je getrennt für jede Hauptverhandlung die Gebühr nach § 83
BRAGO, wenn erst in der Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache ein
Verbindungsbeschluss ergeht (vgl. OLG Bremen, MDR 75, 514; OLG Düsseldorf,
Anw. Bl. 71, 24; LG Krefeld, Anw. Bl. 74, 399; AG Köln, Anw. Bl. 70, 111; Hartmann,
Kostengesetze, 29. Aufl., § 83 BRAGO Rnr. 9; von Eicken pp./Madert, BRAGO, 14.
Aufl., § 83 Rnr. 21; Schumann-Geißinger, BRAGO, 2. Aufl., § 83 Rnr. 41; Schmidt
MDR 69, 241). Entgegenstehender vereinzelter Rechtsprechung kann nicht gefolgt
werden. Entscheidend ist nämlich - und insoweit kann eine nachträgliche
Verfahrensverbindung erst in der Hauptverhandlung keine gebührenrechtlichen
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Folgen mehr haben -, dass die Hauptverhandlung mit dem Aufruf der Sache (§ 243
Abs. 1 StPO) beginnt und dass die volle Gebühr nach § 83 Abs. 1 BRAGO verdient
ist, sobald dieser Aufruf in der Gegenwart des Verteidigers stattgefunden hat
(Hartmann, a. a. O. Rnr. 7; Riedel-Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 7. Aufl., § 83 Rnr.
8).
Nichts anderes gilt auch für den vorliegenden Fall deswegen, weil (so der
Beschluss der Jugendkammer vom 16. November 2000) auch die angesetzte
Terminsstunde in beiden Sachen die gleiche war. Ob ein Verbindungsbeschluss
ergeht oder nicht, steht jedenfalls bei Aufruf der Sache, die den
Gebührentatbestand auslöst, noch nicht fest. Kommt es etwa - aus welchen
Gründen auch immer - doch nicht zu einer von dem Gericht beabsichtigten
Verbindung, so ändert dies nichts daran, dass der Verteidiger die je gesondert
angefallene Hauptverhandlungsgebühr mit dem Aufruf bereits verdient hat.
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1. Gleichwohl kann § 99 Abs. 1 BRAGO nicht zum Ausgleich dafür herangezogen
werden, dass die rechtskräftig gewordene Festsetzung der gesetzlichen Gebühren
des Pflichtverteidigers zu niedrig ausgefallen ist.
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Zwar wird (wohl vereinzelt) die Ansicht vertreten, durch einen
Pauschvergütungsantrag könne ein gerechter Ausgleich dafür geschaffen werden,
dass dem Rechtsanwalt unanfechtbar eine zu geringe Vergütung bewilligt worden
ist (so in einer Unterbringungssache OLG Hamm - 14. Zivilsenat - Rechtspfleger
1961, 412; dem folgend Riedel-Sußbauer/Fraunholz § 100 Rn. 16). Dem vermag
der Senat jedoch nicht beizupflichten.
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Wenn das OLG Hamm a. a. O. darauf abstellt, dass auf diese Weise eine von der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts abweichende, jedoch unanfechtbare
Entscheidung des Landgerichts wegen ihres "ungerechten und gesetzwidrigen"
Ergebnisses in dem Verfahren über die Bewilligung einer Pauschvergütung "als
Fehler auszumerzen" ist, dann verstößt dies nicht nur gegen die Voraussetzungen
des § 99 Abs. 1 (im Falle des OLG Hamm i. V. m. § 112 Abs. 4) BRAGO, wonach
eine Pauschvergütung nur im besonders umfangreichen oder schwierigen Sachen
zu bewilligen ist. Es würde hierdurch vielmehr auch die Rechtskraft einer mit
ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbaren Entscheidung im
Kostenfestsetzungsverfahren über die gesetzlichen Gebühren unterlaufen. Die
formelle Rechtskraft dient der Rechtssicherheit und soll dazu führen, dass eine
Entscheidung von denVerfahrensbeteiligten für diesen Prozess nicht mehr
abänderbar ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Einleitung Rn. 164
und 166).
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Die Richtigkeit dieses Ergebnisses zeigt sich auch daran, dass einem
Wahlverteidiger bei ansonsten vergleichbarem Sachverhalt die Möglichkeit eines
Ausgleichs über § 99 Abs. 1 BRAGO auch nicht zur Verfügung stünde.
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2.
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Gleichwohl kann dem Pflichtverteidiger, wenn auch aus anderen Gründen, eine
Pauschvergütung bewilligt werden, welche die gesetzlichen Gebühren um 400,00 DM
übersteigt.
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Es handelte sich insofern um eine besonders umfangreiche Strafsache im Sinne des §
99 Abs. 1 BRAGO, als Gegenstand der später verbundenen Verfahren nicht nur zwei
gänzlich unterschiedliche Tatkomplexe waren. Insbesondere die Anklage vom 4.
Dezember 1998 hatte sich auf 272 einzelne Straftaten bezogen, wenn auch deren je
ähnliche Tatbegehung, soweit es um die Fahrraddiebstähle geht, bei dem Ansatz für die
Höhe der Pauschvergütung wieder mindernd zu berücksichtigen ist.
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