Urteil des OLG Köln vom 16.07.1992

OLG Köln (kläger, haftung des staates, entschädigung, bundesverwaltungsgericht, grenze, eingriff, höhe, verordnung, milch, amtspflicht)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 128/91
Datum:
16.07.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 128/91
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 1 O 423/90
Tenor:
Die Berufungen beider Parteien gegen das am 12. Juni 1991 verkündete
Grundurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 1 O 423/90 -
werden zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden
gegeneinander aufgehoben.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadenser-satz wegen der Nachteile, die
ihm als Milcherzeuger durch die am 2. April 1984 in Kraft getretene Milch-
Garantiemengen-Verordnung (MGVO, BGBl I, 720) entstanden sind.
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Die Verordnung sieht vor, daß für jeden Milcherzeu-ger als Höchstmenge eine
sogenannte Anlieferungs- Referenzmenge festzusetzen ist, bei deren Über-
schreitung eine Abgabe (in Höhe von 100 % des Wer-tes der Mehrlieferung) erhoben
wird.
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Die Referenzmenge entspricht nach der Grundregel des § 4 Abs. 2 Satz 1 MGVO der
um 4 % gekürzten Milchmenge, die der Erzeuger im Kalenderjahr 1983 an einen
Käufer geliefert hat. War die Anliefe-rungsmenge 1983 höher als 1981, so erhöht sich
der Kürzungssatz von 4 % nach einer bestimmten Berech-nungsformel, jedoch um
nicht mehr als 5 % (Satz 2). Der sich hiernach ergebende Kürzungssatz wird aber-
mals um bis zu 3,5 % heraufgesetzt, wenn die Anlie-ferungsmenge 1983 161.000 kg
oder mehr betragen hat (Satz 3). Eine von § 4 MGVO abweichende Regelung gilt für
solche Milcherzeuger, die innerhalb be-stimmter Frist vor dem Inkrafttreten der
Verordnung (1. Juli 1978 bis 29. Februar 1984) Baumaßnahmen mit dem Ziel einer
Erweiterung ihrer Stallkapazitä-ten durchgeführt oder geplant haben. Ihnen stehen
unter in § 6 Abs. 1 - 5 im einzelnen festgelegten Voraussetzungen erhöhte
Referenzmengen nach Maßgabe der geplanten "Zielmenge" zu. Geändert worden ist
inzwischen die Sonderregelung des § 6 Abs. 6 MGVO (sogenannte 80-Kuh-Grenze).
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Die ursprüngliche Fas-sung lautete:
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"Die nach den Absätzen 2 - 5 berechneten Men-gen bleiben insoweit
unberücksichtigt, als sie die in dem betreffenden Bundesland 1983 durch-schnittlich
angelieferte Milchmenge von 80 Kühen übersteigen."
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Die Bestimmung wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Dezember
1988 (BVerwGE 81, 49) wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie des Artikels
14 GG für rechtswidrig erklärt. § 6 Abs. 6 MGVO erhielt daraufhin durch die am 28.
Juli 1989 verkündete 12. Verordnung zur Änderung der MGVO BGBl I Seite 1509)
folgende Neufassung:
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Übersteigt die nach den Absätzen 2 - 5 a berech-nete Zielmenge die in dem
betreffenden Bundes-land 1983 durchschnittlich angelieferte Milch-menge von 80
Kühen, so wird der diese Milchmenge übersteigende Teil der Zielmenge vor
Anwendung von § 1 Satz 2 um 15 v.H. gekürzt. Liegt die Anlieferungsmenge 1983
bereits über der in Satz 1 genannten Grenze, so wird nur der dieser An-
lieferungsmenge übersteigende Teil der Zielmenge entsprechend gekürzt."
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14
Der Kläger verfügte Anfang 1982 über Stallungen mit 164 Kuhplätzen. Von Mai 1982
bis Januar 1984 errichtete er einen Erweiterungsbau, mit dem die Stallkapazität auf
23O Kühe erhöht wurde. Die ge-plante Aufstockung des Viehbestandes unterblieb im
Hinblick auf die Regelung des § 6 Abs. 6 a.F. MGVO. Im Wirtschaftsjahr 1983/84
lieferte der Kläger an seine Molkerei eine Milchmenge von 67O.1OO kg. Sein Antrag,
ihm die Voraussetzungen für die Anerkennung einer auf 1.253.385 kg erhöhten
Referenzmenge zu bescheinigen, wurde von der zuständigen Landwirt-
schaftskammer H. abgelehnt. Dagegen erhob der Kläger nach erfolglosem
Widerspruch Klage und erstritt, nachdem er in zwei Instanzen erfolglos geblieben
war, das Urteil des Bundesverwaltungs-gerichts vom 8.12.1988 (a.a.O.). Seinen
während der Geltungsdauer des § 6 Abs. 6 a.F. MGVO er-littenen Ertragsausfall
beziffert der Kläger auf 697.199,- DM. In dieser Höhe nimmt er die Beklagte auf
Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 697.199,- DM nebst 9,5 % Zinsen seit Eintritt der
Rechtshän-gigkeit (21.12.199O) zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Das Landgericht hat mit Grundurteil vom 12. März 1991 ausgesprochen, der
Klageanspruch sei unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs dem
Grunde nach gerechtfertigt, nicht jedoch unter dem Gesichtspunkt der schuldhaften
Amtspflicht-verletzung. Begründet hat es die Entscheidung im wesentlichen mit
folgenden Erwägungen: Die Voraus-setzungen des § 839 BGB lägen nicht vor, da
die Beklagte mit dem Erlaß der MGVO nur innerhalb ihres vom Interesse der
Allgemeinheit geprägten Pflich-tenkreises gehandelt habe, in dem ihr der einzelne
Milcherzeuger nicht als "Dritter" im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB
gegenüberstehe. Dagegen sei eine Ersatzpflicht der Beklagten aus dem Gesichts-
punkt des enteignungsgleichen Eingriffs zu bejahen. Insoweit sei der Auffassung des
Bundesverwaltungs-gerichts zu folgen. Die durch Artikel 14 Abs. 1 GG geschützte
Rechtsposition, in die durch § 6 Abs. 6 a.F. MGVO eingegriffen worden sei, sei das
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Daß der Kläger es
unterlassen habe, mit Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln gegen die Anwendung des
§ 6 Abs. 6 a.F. MGVO vorzugehen, rechtfertige keine Minderung des
Ersatzanspruchs in entsprechender An-wendung des § 254 BGB. Hierfür fehle es
jedenfalls an dem erforderlichen Verschulden und an der Zumut-barkeit.
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Die Beklagte hat gegen das ihr am 17. Juni 1991 zugestellte Urteil mit einem am 5.
Juli 1991 ein-gegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Be-rufung des Klägers,
dem das Urteil am 18. Juni zu-gestellt worden ist, ist am 18. Juli 1991 eingegan-gen.
Beide Parteien haben ihr Rechtsmittel inner-halb der bis zum 7. bzw. 15. November
1991 verlän-gerten Frist begründet. Die Beklagte wendet gegen die Annahme eines
enteignungsgleichen Eingriffs im wesentlichen ein, daß dem Kläger keine durch Arti-
kel 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition entzogen worden sei. Der Kläger macht
geltend, das Landge-richt habe übersehen, daß der Tatbestand des § 839 BGB stets
erfüllt sei, wenn durch eine amtspflicht-widrige Handlung nicht nur das Vermögen,
sondern ein anderes Rechtsgut des Betroffenen geschädigt werde.
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Die Beklagte beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Kläger in vollem Umfang
mit der Kla-ge abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß ihm auch
ein Anspruch gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG dem Grunde nach zusteht.
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Beide Parteien beantragen die Zurückweisung der gegnerischen Berufung.
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Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das
angefochtene Urteil und auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze
sowie auf das Protokoll der Senatssit-zung vom 22. Juni 1992 Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Beide Rechtsmittel sind zulässig, haben in der Sa-che aber keinen Erfolg.
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I. Der Kläger hat dem Grunde nach gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Entschädigung aus enteignungs-gleichem Eingriff.
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1.)
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Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 8. Dezember 1988 (BVerwGE 81, 49) davon aus, daß die Regelung des § 6 Abs.
6 a.F. MGVO wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie des Artikels 14 GG
rechtswidrig war.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil, dessen Richtigkeit im Kern auch
von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird, zu den wesentlichen für den
Tatbestand des enteignungsgleichen Ein-griffs relevanten Fragen bereits Stellung
genommen. Es hält § 6 Abs. 6 a.F MGVO deshalb für verfas-sungswidrig, weil die
Vorschrift in ihren Wirkungen über eine bloße Inhalts- und Schrankenbestimmung im
Sinne des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 GG hinausgeht und damit die betroffenen in
ihrem Eigentumsrecht verletzt, ohne ihnen eine Entschädigung zuzubilli-gen. Das
Bundesverwaltungsgericht hat damit sowohl die Rechtswidrigkeit des durch § 6 Abs.
6 a.F MGVO bewirkten Eingriffs wie auch die Verletzung einer durch Artikel 14 GG
geschützten Rechtsposition po-sitiv festgestellt. Erforderlich ist darüber hinaus als
weiteres Merkmal nur noch die Unmittelbarkeit des Eingriffs, die im Hinblick auf die
zielgerich-tete Wirkungsweise der Vorschrift ohne weiteres zu bejahen ist.
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Der Senat vermag dem Bundesverwaltungsgericht nicht uneingeschränkt zu folgen,
soweit es offen läßt, ob das Recht am eingerichteten und ausgeübten Ge-
werbebetrieb verletzt ist, während es eine Verlet-zung des Eigentums an sonstigen
Gütern bejaht. Es erscheint zweifelhaft, ob durch die Mengenbegren-zung tatsächlich,
wie das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O. Seite 55) meint, das Eigentum der Milch-
erzeuger an der Milch selbst, an den Betriebsge-genständen, am Stall, den Kühen
und etwaigen Melk-anlagen beeinträchtigt ist. Unmittelbar betroffen ist weder die
Substanz noch der Wert der Sachen, sondern deren Nutzbarkeit im Rahmen des
durch den Betrieb hergestellten Funktionszusammenhangs. Die hierdurch
verkörperte Rechtsposition ist der Be-trieb selbst, nicht die Substanz oder die
Nutzbar-keit der einzelnen Betriebsgegenstände. Im Ergebnis braucht der Frage, ob
auch das Sacheigentum des Klägers verletzt ist, nicht weiter nachgegangen zu
werden. Eine Beeinträchtigung seines Rechts am ein-gerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb liegt je-denfalls vor.
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Geschützt ist durch Artikel 14 GG der Gewerbebe-trieb in seiner "Substanz", die nur
dann berührt ist, wenn in die den Betrieb darstellende Sach- und Rechtsgesamtheit
als solche, in den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus eingegriffen und damit das
ungestörte Funktionieren dieses Orga-nismus unterbunden oder beeinträchtigt, wenn
mit anderen Worten der Inhaber gehindert wird, von dem Gewerbebetrieb als der von
ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher
Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen (BGH NJW 1967, 1857;
1868, 293; BGHZ 111, 349, 356). Dagegen besteht kein Recht auf den Fortbestand
von Vorteilen, die sich für den einzelnen Betrieb aus einer günstigen tatsächlichen
oder rechtlichen Lage ergeben (BGH NJW 1968, 293). Zur Abgrenzung der durch
Artikel 14 GG geschützten Substanz von den nicht geschützten bloßen Vorteilen
können die von der Rechtsprechung entwickelten Kri-terien zum deliktischen Schutz
des Gewerbebetriebs (als sonstigem Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB) nur
bedingt herangezogen werden. Denn der Begriff des von der Verfassung
gewährleisteten Eigentums kann nur aus der Verfassung selbst gewonnen werden
(BVerfGE 58, 300, 335). Die unter enteignungsrecht-lichen Gesichtspunkten
maßgebende Grenze zwischen der verfassungsrechtlich geschützten Substanz des
Gewerbebetriebs und den nicht geschützten bloßen Vorteilen und Chancen
entspricht der Zulässigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums
nach Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG (BGHZ 78, 41, 46; 111, 349, 357). Die Vereinbarkeit
des § 6 Abs. 6 a.F. MGVO mit Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG hat das
Bundesverwaltungsgericht - allerdings von seinem Standpunkt aus im
Zusammenhang mit der Frage der Schutzwürdigkeit des Eigentums - eingehend
geprüft und verneint. Aus den gleichen Erwägungen ist ein Eingriff in das
verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am Gewerbebetrieb zu bejahen.
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Die Regelungen des § 6 MGVO zielen darauf ab, die Wirkungen der
Milchmengenbegrenzung durch eine Übergangslösung für Härtefälle zu mildern.
Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß eine Inhalts- und
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Schrankenbestimmung für die Zukunft zulässig sein kann, im Hinblick auf subjektive
Rechtspositionen, die aufgrund des früher geltenden Rechts erworben worden sind,
aber enteignende Wir-kung haben kann (BVerfGE 36, 281, 292). In solchen Fällen ist
eine schonende und flexible Übergangsre-gelung verfassungsrechtlich geboten,
indem bestimm-te Fristen eingeräumt, Vorteile stufenweise abge-baut,
Härteregelungen getroffen oder Anpassungshil-fen gewährt werden. Die
Übergangsvorschriften sind ebenso wie die Hauptregelung Inhalts- und Schran-
kenbestimmungen im Sinne des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. Maurer, Festschrift
für Dürig, Seite 308). Dabei können auch günstige Gegebenhei-ten und Chancen, die
sich für einen Gewerbebetrieb aus einer bestimmten Rechtslage, etwa im Bereich
des Steuerrechts, des Zollrechts oder dem Recht der Marktlenkung ergeben, zu
beachten sein. Eine Neuordnung der hierdurch für seine Tätigkeit vorge-gebenen
sozialen Bedingungen braucht der Unterneh-mer nur hinzunehmen, wenn die
Rechtslage in "nicht zu mißbilligender Weise" geändert wird (BGHZ 78, 41, 44/45).
Den hiernach zu stellenden verfassungs-rechtlichen Anforderungen genügte § 6 Abs.
6 a.F. MGVO nicht.
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2.)
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58
Der Erlaß des Grundurteils ist gerechtfertigt, da mit ausreichender Wahrscheinlichkeit
zu erwarten ist, daß die weitere Aufklärung des Sachverhalts einen
Entschädigungsanspruch des Klägers in be-stimmter Höhe ergeben wird.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Eingriff in die Rechte der
Milcherzeuger durch die Neufassung des § 6 Abs. 6 MGVO nicht wieder beseitigt
worden. Richtig ist nur, daß durch die Neuregelung eine endgültige Entwertung der
bis zum Inkrafttreten der MGVO getätigten Investitionen verhindert worden ist. Artikel
14 GG schützt das Eigentum aber auch gegen vorübergehende Beeinträch-tigungen.
Der Höhe nach ist die Entschädigung bei vorübergehenden Eingriffen, wenn das
Eigentum an Grund und Boden betroffen ist, an der Bodenrente zu messen (BGHZ
30, 338, 353; 65, 182, 189). Dem ent-spricht bei einer vorübergehenden
Beeinträchtigung eines Gewerbebetriebs die entgangene Nutzung oder Verzinsung
des durch den Eingriff entwerteten Kapi-tals (BGHZ 57, 359, 369).
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Andererseits kann bei der Bemessung der Entschä-digung nicht außer Betracht
gelassen werden, daß der Kläger auch durch eine verfassungskonforme Regelung
gehindert worden wäre, seinen Viehbestand in dem ursprünglich geplanten Umfang
aufzustocken. Davon geht er auch selbst aus, indem er sich bei der Berechung
seines Entschädigungsanspruchs an der Neufassung des § 6 Abs. 6 MGVO orientiert
und seine Zielmenge, soweit sie die 80-Kuh-Grenze übersteigt, um 15 % kürzt. Ob
aber die Neuregelung ohne weiteres zum Maßstab der Entschädigung gemacht
werden kann, erscheint zweifelhaft. Die Entschädi-gungspflicht reicht nicht weiter als
der Schutz des Artikels 14 Abs. 1 GG. Sie findet ihre Grenze in der Befugnis des
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Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Artikel 14 Abs. 1 Satz 2
GG. Geht es - wie hier - um die Folgen normativen Unrechts, kommt dem
Gesetzesvorbehalt eine haf-tungsbegrenzende Funktion zu. Die zu entschädigen-de
Rechtsposition ist entsprechend eingeschränkt (BGHZ 78, 41, 51/52). Die durch eine
rechtswid-rige Norm bewirkte Vermögenseinbuße ist nicht zu entschädigen, wenn
und soweit sie auch als Folge einer - fiktiven - rechtmäßigen Norm eingetreten wäre.
Insoweit kann die Entschädigung aus enteig-nungsgleichem Eingriff durch den
Gesichtspunkt des rechtmäßigen bzw. verfassungsmäßigen Alternativver-haltens
ausgeschlossen oder beschränkt sein (vgl. BGHZ 92, 34, 50).
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Im einzelnen braucht der Frage, nach welchem Maßstab die Entschädigung zu
bemessen ist, erst im Verfahren über die Höhe des Anspruchs nachgegangen zu
werden. Für die Entscheidung über den Grund genügt die Feststellung, daß für die
Fälle des § 6 Abs. 6 MGVO eine verfassungsmäßige Alternativ-lösung, bei der die
betroffenen Milcherzeuger die gleichen Nachteile erlitten hätten, nicht denkbar ist. Zu
erwägen ist nur die Möglichkeit, daß der Verordnungsgeber von den
Beschränkungen des Direkt-verkaufs nach §§ 13 ff. MGVO abgesehen und den
Milcherzeugern den Zugang zum "freien Markt" offen-gehalten hätte. Anders als das
Bundesverwaltungs-gericht, das aus diesen Beschränkungen das verfas-
sungswidrige Vermarktungsgebot ableitet (a.a.O. Seite 53, 54), mißt der Senat der
Regulierung des für die Vermarktung der Milch praktisch ohnehin bedeutungslosen
Direktverkaufs im Rahmen der ver-fassungsrechtlichen Beurteilung keine
entscheidende Bedeutung bei. Ausschlaggebend ist vielmehr, wie ausgeführt, daß
die Regelung des § 6 Abs. 6 a.F. MGVO dem Gebot des Vertrauensschutzes nicht
ausrei-chend Rechnung trägt. Der Vertrauensgrundsatz wur-zelt zwar im Gedanken
der Rechtssicherheit und da-mit im Rechtsstaatsprinzip (BVerfGE 45, 142, 174). Er ist
aber auch ein Element der Eigentumsgarantie des Artikels 14 GG, durch die er für die
vermögens-werten Güter eine "eigene Ausprägung und verfas-sungsrechtliche
Ordnung" erfahren hat (BGHZ 78, 41, 45; BVerfGE 36, 281, 293; 71, 1, 12). Der hier-
durch gewährleistete "eigentumsrechtliche Vertrau-ensschutz" (BGHZ 111, 349, 359)
muß auch den markt-ordnungsrechtlichen Ansprüchen aus der Milchpreis- und
Abnahmegarantie zuteil werden, mögen sie auch nicht auf einer eigenen Leistung
der Begünstigten beruhen und damit letztlich als bloße Subvention zu beurteilen
sein. Sie beruhen jedenfalls auf einer Rechtslage, die nicht ohne Beachtung des
Vertrau-ensgrundsatzes abgeändert werden darf (BGHZ 78, 41, 44 f.).
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Der Entschädigungsanspruch entfällt auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer
"Wiedergutmachung", die die Beklagte daraus ableiten will, daß sie den gebotenen
Vertrauensschutz durch die Neufassung des § 6 Abs. 6 MGVO wirksamer
ausgestaltet hat, als ihrer Ansicht nach verfassungsrechtlich geboten war. Dem steht
bereits entgegen, daß die seit dem Inkrafttreten der Neuregelung verstrichene Zeit zu
kurz ist, um die von den Milcherzeugern während der 5- jährigen Geltungsdauer des
§ 6 Abs.6 a.F. MGVO erlittenen Einbußen durch die Vorteile, die ihnen seither
möglicherweise - gemessen am "ver-fassungsgemäßen Minimum" - im Übermaß
zugeflossen sind, auch nur annähernd auszugleichen. Ein solcher Ausgleich ist auch
für die Zukunft nicht sicher zu erwarten, weil nicht feststeht, daß die betroffenen
Landwirte die Vorteile der Neuregelung voll aus-schöpfen. Im übrigen begegnet die
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Argumentation der Beklagten rechtsstaatlichen Bedenken. Wenn mit der Änderung
des § 6 Abs. 6 MGVO nicht nur der Verfas-sungsverstoß beseitigt, sondern auch die
gebotene Entschädigung geleistet werden sollte, so hätte dies im Interesse der
Rechtssicherheit durch eine entsprechend klare, zwischen der Neuregelung und der
Entschädigung differenzierende Fassung der Norm zum Ausdruck gebracht werden
müssen. Bei der jetzi-gen Fassung des § 6 Abs. 6 MGVO bleibt der Umfang einer
evtl. in der Neuregelung enthaltenen Entschä-digung im Dunkeln. Abgesehen davon
kann sie den Entschädigungszweck nur unzulänglich erfüllen, weil nicht erwartet
werden kann, daß die Betriebsinhaber die ihnen durch das neue Recht eingeräumten
Ziel-mengen auch tatsächlich solange in Anspruch nehmen, bis die in der
Vergangenheit entstandenen Nachteile ausgeglichen sind.
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II. Ein Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverlet-zung gemäß § 839 BGB in
Verbindung mit Artikel 34 GG steht dem Kläger nicht zu.
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§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, daß ein Amtsträger eine ihm gegenüber einem
"Dritten" obliegende Amtspflicht verletzt hat. An dieser Vor-aussetzung fehlt es, wenn
die verletzte Amtspflicht allein dem Interesse der Allgemeinheit dient und keine
besonderen Beziehungen zwischen der Amts-pflicht und bestimmten Personen oder
Personengrup-pen bestehen. Gesetze und Verordnungen sind dadurch
gekennzeichnet, daß sie durchweg generelle und abstrakte Regelungen enthalten,
denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt. Eine
Ausnahme gilt nur bei sogenannten Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen. Im übrigen
besteht bei unrechtmäßigen Gesetzen und Verordnungen, da der einzelne
Normbetroffene nicht "Dritter" im Sinne des § 839 BGB ist, keine Haftung des Staates
wegen Amtspflichtverletzung. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (BGHZ 56,
40, 46; 84, 292, 300; 102, 350, 367).
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Der vorliegende Fall weist keine Besonderheiten auf, die eine abweichende
Beurteilung rechtfer-tigen.
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Für die Frage, wer "Dritter" im Sinne des § 839 BGB ist, kommt es auf die Art des
verletzten Rechtsguts nicht an. Unerheblich ist insbesondere, ob der Geschädigte in
einem Grundrecht verletzt ist. Die gegenteilige Auffassung des Klägers hat der
Bundes-gerichtshof ausdrücklich abgelehnt (NJW 1989, 101, 102). Für das
Eigentumsgrundrecht aus Artikel 14 GG gilt insoweit keine Ausnahme. Nur
beispielhaft ist dazu aus der neueren Rechtsprechung auf das Urteil zur
Staatshaftung für Waldschäden zu verweisen, in dem der Bundesgerichtshof eine
drittbezogene Amts-pflicht verneint, obwohl eine Eigentumsverletzung zweifelsfrei
vorlag (BGHZ 102, 350, 367).
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Die MGVO läßt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht als
Maßnahmegesetz qualifizie-ren, das ausnahmsweise Amtspflichten auch gegenüber
einzelnen Personen oder Personengruppen begründen kann. Maßnahmegesetze
sind dadurch gekennzeichnet, daß sie der Verwirklichung eines konkreten Zwecks
dienen und gegenstandslos werden, wenn dieser Zweck erreicht ist (vgl.
Ronellenfitsch, DÖV 1991, 774). Dieses Merkmal liegt bei der auf eine dauerhafte
Beschränkung der Milchmengen angelegten MGVO nicht vor. Daß von einer
einzelnen Bestimmung innerhalb der Verordnung nur eine begrenzte und
überschaubare Zahl von Personen (immerhin noch rund 200 Landwir-te) betroffen ist,
rechtfertigt keine andere recht-liche Einordnung. Auch insoweit handelt es sich um
eine generelle und abstrakte Regelung, aus der sich Amtspflichten gegenüber den
betroffenen Landwirten nicht ableiten lassen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreck-barkeit ist entbehrlich, weil das
Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.
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Berufungsstreitwert: 697.199,-- DM;
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Der Wert der Beschwer liegt für beide Parteien über 60.000,-- DM.
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