Urteil des OLG Köln vom 06.05.1993

OLG Köln (kläger, wert, schenkung, frist, erblasser, höhe, pflichtteil, grund, gegenstand, inventar)

Oberlandesgericht Köln, 18 U 79/92
Datum:
06.05.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
18. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 U 79/92
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 250/91
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 8. April 1992 verkündete
Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 250/91 - mit
seinen Feststel-lungen aufgehoben und wie folgt neu gefaßt: Die Klage
ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Wegen der Höhe wird der
Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen. Die
Kostenentscheidung einschließlich derjenigen des Berufungsverfahrens
bleibt dem Landgericht vorbehalten.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien sind die Kinder der am 13. Juni 1988 in A. verstorbenen Frau A.C.,
geborene S. Die Eltern der Parteien hatten sich im notariel-len Erbvertrag vom 14.
November 1964 gegenseitig zu Alleinerben des Erstversterbenden eingesetzt. Nach
dem Tode des vorverstorbenen Vaters der Parteien im Jahre 1966 verlangte der
Kläger den Pflichtteil.
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Für diesen Fall war in dem Erbvertrag der Eltern bestimmt, daß dem Kläger auch
nach dem Tode des Letztversterbenden nur der Pflichtteil zustehen sollte. Die
Beklagte ist damit, wie zwischen den Parteien unstreitig, Alleinerbin der am 13. Ju-ni
1988 verstorbenen Mutter geworden, während der Kläger nur den Pflichtteil
verlangen kann, dessen Auszahlung er im vorliegenden Rechtsstreit ver-langt.
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Die Parteien haben bereits mehrere Rechtsstreite geführt.
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Der Rechtsstreit 11 U 423/88 (LG Aachen) wurde hinsichtlich des
Auskunftsanspruchs über den Nachlaß von beiden Parteien übereinstimmend für
erledigt erklärt. Durch anschließendes Urteil vom 15. März 1989 wurde die Beklagte
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zur entsprechen-den eidestattlichen Versicherung verurteilt.
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In dem Rechtsstreit 11 U 61/90 (LG Aachen) wurde die Beklagte ferner verurteilt, dem
Kläger über alle Grundeigentumszuwendungen, die sie von ihrer Mutter erhalten
habe und bei denen die Eigentums-umschreibung seit dem 14.06.1978 auf sie erfolgt
sei und/oder an denen sich die Erblasserin über den 14.06.1978 hinaus ein
Nießbrauchsrecht vorbe-halten habe, nach Bestand und Wert Auskunft zu erteilen
durch Vorlage von Grundbuchauszügen und Verkehrswertgutachten.
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Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger in erster Instanz einen
Pflichtteilsanspruch in Höhe von insgesamt 761.750,00 DM nebst Zinsen geltend
gemacht, deren Zahlung die Beklagte verweigert.
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Die Parteien haben insbesondere darüber ge-stritten, ob die Grundstücke der
Erblasserin T.-H.-Straße und L. Straße 15 in .... A. dem Nach-laß hinzuzurechnen
sind und der Kläger einen Zah-lungsanspruch hinsichtlich des Grundstücks T.stra-ße
8 in .... A. hat. Ferner war streitig, ob dem Nachlaß das gesamte Inventar des
Hausgrundstücks L. Straße 15 mit einem Gesamtwert von wenigstens 90.000,00 DM
zuzurechnen ist und ob Mieteinnahmen von 337.000,00 DM zu berücksichtigen sind.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, ein
Pflichtteilsanspruch sei nicht schlüssig vorgetragen. Die Grundstücke sei-en vor
Ablauf der 10-Jahres-Frist geschenkt und umgeschrieben worden, womit eine
wirtschaftliche Ausgliederung des Geschenks aus dem Vermögen des Erblassers
erfolgt sei. Das Vorbringen des Klägers zur Höhe und zum Verbleib der
Mieteinnahmen sei ebenso wie sein Vortrag zu dem Inventar des Hauses L. Straße
15 unsubstantiiert.
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Der Kläger hat Berufung eingelegt mit dem Antrag auf Zahlung von 550.736,31 DM
nebst 8,5 & Zinsen ab Klagezustellung (18.6.1991).
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Er zieht in die Berechnung seines Pflichtteilser-gänzungsanspruchs das Grundstück
T.straße 8 und das Inventar des Hausgrundstückes L. Straße 15 nicht mehr ein und
wiederholt zu den Grundstücken T.H.-straße 2 und L. Straße 15 sein bisheriges
Vorbringen. Er ist der Auffassung, daß insbeson-dere mit Rücksicht auf den der
Erblasserin ein-geräumten Nießbrauch an beiden Grundstücken eine wirtschaftliche
Ausgliederung aus dem Vermögen der Erblasserin nicht stattgefunden habe und
damit die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht abge-laufen sei. Der Wert des
Nachlasses erhöhe sich insoweit daher um 1.475.000,00 DM.
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Der Nachlaß sei ferner um die Beträge zu ergänzen, die die Beklagte im Laufe der
Jahre aus dem Vermögen der Erblasserin für sich entnommen habe bzw. ihr von der
Erblasserin geschenkt worden seien. Hierbei handele es sich um einen Betrag von
724.000,00 DM. Hinzu kämen Konten-Guthaben von 3.945,25 DM, so daß sich ein
Gesamtbetrag von 2.202.945,25 DM ergebe. Sein Pflichtteilsergän-zungsanspruch
(25%) betrage damit 550.736,31 DM.
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Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Be-rufung und tritt unter Wiederholung
und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens den Ausführun-gen des Klägers
entgegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Ak-teninhalt sowie die Beiakten 11 O
61/90 LG Aachen und 11 O 423/88 LG Aachen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige und statthafte Berufung des Klägers hatte in der Sache insoweit Erfolg,
als der Klageanspruch durch Zwischenurteil (§ 304 ZPO) dem Grunde nach
zuzusprechen ist.
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Der Kläger hat hinsichtlich der Grundstücke T.-H.-Straße 2 und L. Straße 15 in .... A.
einen Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2303 Abs. 1 BGB, 2325 Abs. 1 BGB). Der
abzüglich der Belastungen verbleibende Wert beider Grund-stücke ist dem Nachlaß
hinzuzurechnen (§ 2325 Abs. 1 BGB). Entgegen der vom Landgericht vertre-tenen
Auffassung war zur Zeit des Erbfalls die Frist von 10 Jahren seit der Leistung des ver-
schenkten Gegenstandes nicht verstrichen (§ 2325 Abs. 3 BGB), denn eine
wirtschaftliche Ausgliede-rung aus dem Vermögen der Erblasserin war nicht erfolgt.
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a)
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Die Beklagte hat die Grundstücke T.-H.-Straße 2 und L. Straße 15 in A. durch
notariellen Schen-kungsvertrag vom 11. Dezember 1973 von der Erblas-serin erlangt.
Die Eigentumsübertragung für das Objekt L. Straße 15 erfolgte am 20. März 1974, für
das Objekt T.-H.-Straße 2 am 8. Mai 1974. Die Er-blasserin ist am 13. Juni 1988
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verstorben, so daß rechnerisch die in § 2325 Abs. 3 vorgesehene Frist von 10 Jahren
verstrichen war.
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b)
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Dennoch liegen die Voraussetzungen von § 2325 Abs. 3 BGB, wonach die
Schenkung unberücksichtigt bleibt, wenn zur Zeit des Erbfalls 10 Jahre seit der
Leistung des verschenkten Gegenstandes ver-strichen sind, nicht vor.
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Es reicht für den Beginn der in § 2325 Abs. 3 BGB vorgesehenen Frist von 10 Jahren
nicht schon aus, wenn der Erblasser alles getan hat, was von seiner Seite für den
Erwerb durch den Beschenkten erfor-derlich ist. Nötig ist vielmehr, daß der Erblasser
einen Zustand geschaffen hat, dessen Folgen er selbst noch 10 Jahre lang zu tragen
hat und der schon im Hinblick auf diese Folgen von einer bös-lichen Schenkung
abhalten kann. Dazu bedarf es der wirtschaftlichen Ausgliederung des Geschenks
aus dem Vermögen des Erblassers (BGH MDR 1987, 126, 127). Sinn der
Bestimmung des § 2325 BGB ist, nur solche Schenkungen des Erblassers
auszunehmen, de-ren Folgen er selbst längere Zeit hindurch zu tra-gen, in die er und
seine Familie sich daher einzu-gewöhnen hatten und die deshalb und dadurch eine
(gewisse) Sicherheit vor solchen Benachteiligungen der Pflichtteilsberechtigten
bieten, die nicht von guten Gründen getragen sind. Darüberhinaus spricht die
Begründung des § 2325 Abs. 3 Halbsatz 2 BGB dafür, daß solche Schenkungen, bei
denen der Schenker den Genuß des verschenkten Gegenstandes auch nach der
Schenkung tatsächlich nicht entbeh-ren muß, wie es bei Schenkungen unter
Ehegatten die Regel sein dürfte, und die den Erblasser des-halb nicht schon wegen
ihrer Folgen von böslichen Schenkungen abhalten mögen, auch im Sinne von § 2325
Abs. 3 Halbsatz 1 BGB noch nicht als gelei-stet gelten sollen (BGH a.a.O.).
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Die gesetzlichen Vorschriften über die Pflicht-teilsergänzung sind darauf angelegt,
die Pflicht-teilsberechtigten davor zu schützen, daß der Erb-lasser Teile seines
Vermögens wegschenkt und das Recht seiner nächsten Angehörigen auf
angemessene Beteiligung an seinem Nachlaß auf diese Weise be-einträchtigt. Von
diesem Schutz nimmt die Bestim-mung des § 2325 Abs. 3 BGB nur solche
Verfügungen des Erblassers aus, durch die der Erblasser mehr als 10 Jahre vor
seinem Tode Gegenstände aus sei-nem Vermögen weggeschenkt hat. Damit ist nicht
der schuldrechtliche Schenkungsvertrag (Versprechens-schenkung) gemeint,
sondern die Verfügung über den verschenkten Gegenstand. Dementsprechend
kommt es nicht darauf an, von welchem Zeitpunkt an der Be-schenkte sicher sein
kann, beispielsweise das ver-sprochene Grundstück demnächst zu Eigentum zu er-
langen, sondern darauf, wann der Schenker es auch wirklich an den Beschenkten
vollständig verliert; erst dann kann die Zeit der Eingewöhnung und die Folgen der
Schenkung zu laufen beginnen, um die es dem Gesetz mit der Frist des § 2325 Abs.
3 BGB geht (BGH MDR 1988, 296). Maßgebend ist daher die Zeit der Umschreibung
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im Grundbuch (§ 873 Abs. 1 BGB).
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b)
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Eine wirtschaftliche Ausgliederung beider Grund-stücke aus dem Vermögen der
Erblasserin im Zeit-punkt der Umschreibung ist nicht erfolgt.
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Die Erblasserin hat sich an beiden Grundstücken jeweils ein mit einer
Rückauflassungsvormerkung verbundenes Nießbrauchsrecht bis zu ihrem Tode
vorbehalten. Darüberhinaus hat sich die Beklagte der Erblasserin gegenüber
verpflichtet, den ihr übertragenen Grundbesitz zu Lebzeiten der Erblas-serin nicht
ohne deren vorherige Zustimmung zu veräußern oder zu belasten; sollte sie gegen
diese Verpflichtung verstoßen, so stand der Erblasserin das Recht zum Rücktritt,
gesichert durch die Ein-tragung einer Auflassungsvormerkung, zu.
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Durch die Einräumung des Nießbrauchs und das Ver-bot der Veräußerung und
Belastung ohne vorherige Zustimmung der Erblasserin war die Beklagte in ihrer
wirtschaftlichen Freiheit bezüglich beider Grundstücke derart beschränkt, daß nicht
von einer wirtschaftlichen Ausgliederung des Geschenks aus dem Vermögen der
Erblasserin ausgegangen werden kann.
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Die Beklagte konnte ohne vorherige Zustimmung der Erblasserin die Grundstücke
weder veräußern, noch belasten und unterlag damit Beschränkungen, die zwar den
formalen Eigentumsübergang nicht beein-trächtigten, ihr aber wirtschaftlich nicht die
einem Eigentümer zustehende Nutzungsmöglichkeiten eröffneten.
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Die Beklagte war im Hinblick auf beide Beschrän-kungen nicht in der Lage, die
wirtschaftliche Herrschaft auszuüben, deren gewöhnlicher Ausdruck die Nutzungs-
und Verwertungsbefugnis ist. Diese Rechtsstellung hatte sich die Erblasserin bis zu
ihrem Tode vorbehalten und damit die Beklagte langfristig daran gehindert, auf den
Grundbesitz wirtschaftlich einzuwirken, ihn insbesondere zu belasten und zu
veräußern. Der Entzug jeglicher Verwertungsbefugnis steht der Annahme einer wirt-
schaftlichen Ausgliederung aus dem Vermögen der Erblasserin entgegen, so daß
sich die Anwendung der Bestimmung des § 2325 Abs. 3 BGB verbietet und die
Schenkung damit nicht unberücksichtigt bleiben kann.
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3.
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Der Kläger kann damit hinsichtlich beider Grund-stücke als Ergänzung des
Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der
verschenkte Gegenstand dem Nachlasse hin-zugerechnet wird (§ 2325 Abs. 1 BGB).
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Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung ist nicht der volle Verkehrswert
beider Grundstücke im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin entscheidend.
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Beide Grundstücke kommen nur mit dem Werte in Ansatz, den sie zur Zeit des
Erbfalles hatten; war dieser Wert zur Zeit der Schenkung geringer, so wird nur dieser
in Ansatz gebracht (§ 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB).
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Hinzu kommt, daß beide Grundstücke mit einem umfassenden Nießbrauchsrecht der
Erblasserin be-lastet waren, so daß abgesehen von dem noch zu ermittelnden
Niederstwert ein weiterer Abzug zu machen ist in Form des zu kapitalisierenden
Nießbrauchsrechts. Da lediglich ein belasteter Gegenstand verschenkt ist, kann auch
nur dessen Wert ergänzungspflichtig sein. Der Wert des wegge-schenkten
Grundstücks ist somit um den Wert der dem Erblasser verbleibenden kapitalisierten
Nut-zungen vermindert (und zwar unter Berücksichtigung der Lebenserwartung des
Nießbrauchers), wodurch zugleich auch der Wert erfaßt ist, den der künfti-ge Wegfall
der Nutzungsmöglichkeiten des Nießbrau-chers für den Beschenkten bereits im
Zeitpunkt der Schenkung hat (BGH NJW-RR 1990, 1958, 1959).
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Wegen der Höhe bedarf es weiterer Ermittlungen, die dem Landgericht vorbehalten
bleiben. Dieses wird ebenfalls die weiteren im Berufungsverfahren geltend
gemachten Ansprüche des Klägers auf deren Begründetheit zu prüfen haben.
Insoweit handelt es sich lediglich um einzelne Rechnungen eines - ein-heitlichen -
Pflichtteilsanspruchs, so daß insge-samt der Erlaß eines Grundurteils gerechtfertigt
ist.
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Die Kostenentscheidung war dem Landgericht vorzu-behalten, da derzeit nicht
abgesehen werden kann, in welchem Umfang der Kläger obsiegt.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 550.736,31 DM.
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