Urteil des OLG Köln vom 17.07.2007

OLG Köln: grundsatz der gleichwertigkeit, eltern, nettoeinkommen, krankheit, abänderungsklage, verfügung, alkoholmissbrauch, nebentätigkeit, alkoholismus, arbeitsfähigkeit

Oberlandesgericht Köln, 4 UF 40/07
Datum:
17.07.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 UF 40/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Brühl, 32 F 127/05
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.02.2007 verkündete Urteil
des Amtsgerichts – Familiengericht – Brühl - 32 F 127/05 – wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
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Die zulässige – insbesondere frist- und formgerecht eingelegte – Berufung der
Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Familiengericht
nämlich in dem angegriffenen Urteil festgestellt, dass der Beklagten kein höherer
Kindesunterhaltsanspruch gegen die Klägerin ab Februar 2005 als der vom
Familiengericht ausgeurteilte Unterhaltsanspruch von 73,31 € monatlich zusteht.
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Dem entsprechend konnte die Klägerin eine Abänderung des Versäumnisurteils des
Amtsgerichts – Familiengericht – Brühl vom 06.09.2004 – 32 F 215/04 -, durch welches
sie verurteilt worden ist, ihrer damals noch minderjährigen Tochter, der Beklagten des
hiesigen Verfahrens, Barunterhalt in Höhe von 284,00 € beginnend ab Januar 2004 zu
zahlen, verlangen.
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Die Voraussetzungen für eine Abänderungsklage nach § 323 Abs. 1 ZPO liegen vor.
Seit der Verurteilung im Jahre 2004 haben sich nämlich die Umstände, die zu einer
Verurteilung der Beklagten geführt haben, so entscheidend geändert, dass eine
Abänderung des Versäumnisurteils begehrt werden kann. Eine Änderung ist schon
alleine deswegen eingetreten, weil sich die Steuerklasse der Klägerin , nachdem die
Beklagte in den Haushalt des Vaters gezogen war, ab Januar 2005 geändert hat.
Darüber hinaus haben sich die Höhe der Selbstbehalte zum 01.07.2005 gemäß den
Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Köln geändert. Und schließlich ist die
Beklagte am 07.11.2006 volljährig geworden.
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Im Rahmen der Abänderungsklage konnte nunmehr auch berücksichtigt werden, dass
der Vater der Beklagten über ein wesentlich höheres Nettoeinkommen als die Klägerin
verfügt und daher trotz seiner Betreuungsleistungen gegenüber seiner Tochter, der
Beklagten, barunterhaltspflichtig auch für die Zeit ihrer Minderjährigkeit ist.
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Die Klägerin ist mit ihrem Vorbringen nicht nach § 323 Abs. 2 ZPO präkludiert. Zwar
bestand das erhebliche Einkommensgefälle zwischen den beiderseitigen Einkommen
der Eltern der Beklagten schon im Zeitpunkt des Erlasses des Versäumnisurteils.
Gleichwohl ist die Klägerin nicht gehindert, diesen Umstand im Abänderungsprozess
geltend zu machen. Zwar kann grundsätzlich die Abänderungsklage auf Gründe, die vor
dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess bereits vorhanden waren,
auch dann nicht gestützt werden, wenn sie dort nicht vorgetragen worden und deshalb
noch nicht Gegenstand der gerichtlichen Beurteilung gewesen sind. Das gilt aber nicht
uneingeschränkt. So können fortdauernde Gründe für die Zukunft neu vorgebracht
werden, wenn denn daneben sonstige wesentliche Veränderungen eingetreten sind.
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So liegt der Fall hier. Denn das erhebliche Einkommensgefälle zwischen den beiden
Elternteilen fand mit der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses nicht sein Ende;
vielmehr dauert und wirkt es weiter fort ( vgl. hierzu u.a. BGH FamRZ 1990, 1095).
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Bestand bzw. besteht aber weiterhin das – nunmehr aufgrund der sonstigen Umstände
noch gesteigerte - erhebliche Ungleichgewicht zwischen den Einkommensverhältnissen
der beiden Elternteile, erscheint es gerechtfertigt, den Vater der Beklagten als
betreuenden Elternteil zu Braunterhaltsleistungen heranzuziehen.
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Nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB haften die Eltern für den Unterhalt eines Kindes nicht
als Gesamtschuldner, sondern anteilig nach ihren Erwerbs- und
Vermögensverhältnissen. Aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB ergibt sich, dass im Falle des
Getrenntlebens der Eltern der Elternteil, bei dem das Kind lebt, seinen Teil der
Unterhaltspflicht grundsätzlich durch die Betreuung des Kindes in vollem Umfang erfüllt,
während der andere Elternteil den Barunterhalt allein zu tragen hat. Dieser Grundsatz
der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gilt allerdings nicht
uneingeschränkt. Er gilt z. B. nicht für Zusatzbedarf. Auch für den normalen
Unterhaltsbedarf gilt er nicht, wenn die Vermögens- oder Einkommensverhältnisse des
betreuenden Elternteils deutlich günstiger sind als die des anderen Elternteils. In einem
solchen Falle kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils sich
ermäßigen oder ganz entfallen, insbesondere dann, wenn der nicht betreuende
Elternteil zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung des eigenen
angemessenen Unterhalts in der Lage wäre, während der andere Elternteil neben der
Betreuung des Kindes auch den Barunterhalt leisten könnte, ohne dass dadurch sein
eigener angemessener Unterhalt gefährdet würde. Die Heranziehung des
nichtbetreuenden Elternteils zum Barunterhalt darf nicht zu einem erheblichen
finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen (so u. a. BGH FamRZ 1998,
286 ff. m. w. N.; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des
Unterhalts, 9. Aufl. 2004, Rdn. 899 m. w. N.). Entscheidend ist, dass der für seinen
eigenen angemessenen Unterhalt verbleibende Betrag denjenigen des an sich
barunterhaltspflichtigen, nicht betreuenden Elternteils so deutlich übersteigt, dass eine
Abweichung von der Regel des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB geboten ist.
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Hiervon kann vorliegend ausgegangen werden. Der Vater der Beklagten verfügt über
ein monatliches Nettoeinkommen von 2.836,00 €. Der Senat geht von diesem
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Einkommen aus, auch wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat nunmehr eine Entgeltabrechnung des Arbeitgebers des
Vaters der Beklagten für Mai 2007 zu den Akten gereicht hat (vgl. Bl. 99 GA), aus der
sich für Mai 2007 ein Nettogehalt von 2.606,74 € ergibt. Diese Entgeltabrechnung gibt
lediglich eine Momentaufnahme für den Monat Mai wieder und lässt keine zuverlässigen
Rückschlüsse auf das Jahreseinkommen zu. So kann nicht festgestellt werden, welche
Einmalbezüge der Vater der Beklagten im Jahr erhält. Auch kann nicht festgestellt
werden, wie sich die jeweiligen Zulagen, die der Vater der Beklagten monatlich bezieht,
im Jahresdurchschnitt darstellen. Dagegen steht das bisher eingeräumte
Nettoeinkommen von rund 2.836,00 €. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass
die Beklagte bisher fälschlicherweise ein zu hohes Einkommen ihres Vaters
zugestanden hat.
Demgegenüber verfügt die Klägerin nur über ein Jahresbruttoeinkommen von 16.730,24
€ entsprechend der von ihr überreichten Entgeltabrechnung für Dezember 2006. Nach
Abzug von Steuern (Lohnsteuerklasse 1/0,5) verbleibt ihr unter Berücksichtigung von
Kirchensteuer, Sozialabgaben, des Arbeitgeberanteils von 13,00 € für
vermögenswirksame Leistungen sowie eines Beitrags für eine Zusatzversicherung von
20,00 € noch ein Nettoeinkommen von rund 1.000,00 €. Dieser Betrag liegt für die Zeit
bis zum 30.06.2005 gerade noch im Bereich des angemessenen Selbstbehaltes und
danach um 100,00 € darunter. Dagegen verbleiben dem Vater der Beklagten über dem
angemessenen Selbstbehalt noch 1.836,00 € bzw. 1.736,00 €. Damit kann für den
Senat nicht zweifelhaft sein, dass auf Seiten des Vaters der Beklagten der für seinen
angemessenen Unterhalt verbleibende Betrag denjenigen, den die Klägerin zur
Verfügung hat, so deutlich übersteigt, dass eine Abweichung von der Regel des § 1606
Abs. 3 Satz 2 BGB geboten erscheint.
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Vorliegend verbliebe der Klägerin auch unter Berücksichtigung des bloßen
Mindestselbstbehaltes (890,-- € ab 1.7.2005), lediglich ein überschießender Betrag von
rund 110,00 € und von rund 160,00 € für die Zeit davor. Dagegen verfügt der Vater der
Beklagten sogar über ein den angemessenen Selbstbehaltes zur Zeit über ein diesen
übersteigendes Einkommen von rund 1.800,00 €. Bei wertender Betrachtungsweise
liegt daher ein so erhebliches Ungleichgewicht zwischen den beiden
Einkommensverhältnissen vor, dass aus Billigkeitsgründen eine alleinige
Barunterhaltspflicht des Vaters der Beklagten zu bejahen ist.
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Soweit die Klägerin das erstinstanzliche Urteil mit 73,31 € akzeptiert hat, ist eine evt.
anteilsmäßige Unterhaltsschuld jedenfalls angemessen berücksichtigt. Das gilt sowohl
für die Zeit vor wie auch nach der Volljährigkeit der Beklagten.
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Die Klägerin ist auch nicht gehalten, durch die Aufnahme einer Nebentätigkeit ihr
Einkommen zu verbessern, um sich leistungsfähiger zu machen. Der Senat folgt
insoweit der zitierten Rechtsprechung des BGH., dass im Falle eines erheblichen
finanziellen Ungleichgewichtes zwischen den Eltern, welches zur Barunterhaltspflicht
des betreuenden Elternteils führt, eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit des an sich
barunterhaltspflichtigen nichtbetreuenden Elternteils entfällt. Die Klägerin ist zum Einen
vollschichtig tätig und zum Anderen durch ihre zwei unstreitig erlittenen Schlaganfälle
krankheitsbedingt so beeinträchtigt, dass ihr jedenfalls die Ausübung einer
Nebentätigkeit nicht zumutbar ist.
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Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorwurf der Beklagten, dass die Klägerin
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ihre Krankheit durch früheren Alkoholmissbrauch selbst verursacht habe. Die
Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit, die nicht ohne Weiteres dazu führt, dass aus
unterhaltsrechtlicher Sicht die durch den Alkoholismus verursachte Beeinträchtigung der
Arbeitsfähigkeit als schuldhafter Verstoß gegen eine unterhaltsrechtliche Obliegenheit
angesehen werden kann. Erst dann, wenn der Unterhaltsschuldner eine Behandlung
der Krankheit ablehnt oder rückfällig wird, kommt eine vorwerfbare
Obliegenheitsverletzung in Betracht. Dass solches der Klägerin – unterstellt ein früherer
Alkoholmissbrauch liegt vor – unterstellt werden kann, ist nicht einmal ansatzweise
dargetan.
Bei der Billigkeitsentscheidung war im Rahmen der Beurteilung der unterschiedlichen
wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern der Beklagten zudem die hohe Miete, die die
Klägerin zahlen muss, zu berücksichtigen. Die Klägerin ist als "Hausdame" in einem
Seniorenheim tätig. Sie ist aus "Präsensgründen" gehalten, die zur Verfügung gestellte
Dienstwohnung zu beziehen. Daher kann sie auch nicht darauf verwiesen werden, sich
eine billigere Wohnung zu suchen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10,
713 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 15 x (284,00 € - 73,31 €) =
3.160,35 €.
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