Urteil des OLG Köln vom 20.06.2000

OLG Köln: eintritt des versicherungsfalls, schweres verschulden, versicherer, versicherungsnehmer, wagen, kauf, unterlassen, vollstreckbarkeit, versicherungsschutz, datum

Oberlandesgericht Köln, 9 U 157/99
Datum:
20.06.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 157/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 24 O 416/98
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 30. September 1999
verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O
416/98 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
2
Die Klage ist im Ergebnis mit Recht abgewiesen worden.
3
Dem Kläger steht wegen der behaupteten Entwendung des Fahrzeugs Mercedes Benz
Typ 124 D, amtliches Kennzeichen ..-.. ... kein Anspruch aus der Kaskoversicherung zu.
Die Beklagte ist wegen einer dem Kläger zuzurechnenden Obliegenheitsverletzung von
der Verpflichtung zur Leistung frei, § 7 I Nr. 2 Satz 3, V Nr. 4 AKB in Verb. m. § 6 Abs. 3
Satz 1 VVG.
4
In dem "Fragebogen bei Kfz-Totalentwendung", den der Zeuge V. unter dem 12.9.1997
ausfüllte und unterschrieb, wurden die Fragen danach, ob es für das Abstellen des
Fahrzeugs und für die Feststellung des Diebstahls Zeugen gebe, wahrheitswidrig
verneint, indem an die betreffende Stellen des Fragebogens ein Strich gesetzt wurde.
Unerheblich ist hier selbstverständlich, daß der Zeuge V., der angab, selbst den Wagen
abgestellt und den Diebstahl festgestellt zu haben, nicht sich selbst als Zeugen eintrug.
Dies beruhte offensichtlich auf der Verkennung seiner eigenen Rolle, die ihn, da er nicht
der Versicherungsnehmer war, auch zum Zeugen machte. Entscheidend ist vielmehr,
daß er es unterließ, seine Begleiterin, die Zeugin K., an den entsprechenden Stellen zu
benennen. Die Angabe, es gebe keine (weiteren) Zeugen, war objektiv falsch, wie sich
aus der eigenen Darstellung des Klägers und den Bekundungen der Zeugin ergibt, die
5
diese im Rahmen des beigezogenen Strafverfahrens machte.
Indem der Zeuge Venticinque es unterließ, die Zeugin anzugeben, verstieß er gegen die
dem Kläger obliegende Aufklärungspflicht, vgl. § 7 I Nr. 2 Satz 3 AKB. Der Kläger muß
sich die fehlerhafte Angabe des Zeugen V. zurechnen lassen, denn der Zeuge wurde
als sein Wissenserklärungsvertreter tätig.
6
Steht der Tatbestand einer nach Eintritt des Versicherungsfalls begangenen
Obliegenheitsverletzung wie hier objektiv fest, wird nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG
vermutet, daß die Falschangabe vorsätzlich erfolgt ist. Der Kläger räumt letztlich sogar
ein, daß der Zeuge V. vorsätzlich handelte. Er wußte genau, daß er sich in Begleitung
der Zeugin K. befunden hatte, und es war erklärtermaßen seine Absicht, diese Zeugin
zu verschweigen, um sie aus der Angelegenheit herauszuhalten, wobei hier
dahinstehen kann, aus welchen Motiven dies geschah.
7
Die fragliche Obliegenheitsverletzung ist folgenlos geblieben. Es ist nichts dafür
ersichtlich, daß sie sich auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder auf die
Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten ausgewirkt hat. Die Beklagte hat den
Schaden insbesondere nicht reguliert.
8
Leistungsfreiheit tritt bei einer vorsätzlichen, folgenlos gebliebenen, nachträglichen
Obliegenheitsverletzung nach der Relevanzrechtsprechung jedoch nur ein, wenn die
konkrete Obliegenheitsverletzung (hier: Falschangabe über die Existenz weiterer
Zeugen) generell geeignet ist, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden
und wenn den Versicherungsnehmer schweres Verschulden trifft (BGH r+s 1993, 310 =
VersR 1993, 830; BGH VersR 1984, 228). Außerdem ist eine ausdrückliche Belehrung
darüber erforderlich, daß Leistungsfreiheit bei der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung
auch dann eintritt, wenn dem Versicherer aus der Falschangabe kein Nachteil
entstanden ist (BGH VersR 1967, 593).
9
Diese Voraussetzungen liegen vor. Falsche Angaben über die Existenz von Zeugen für
das Abstellen und Nichtwiederauffinden des entwendeten Fahrzeuges sind generell
geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Bei der Ermittlung der
Umstände, die zum Eintritt des Versicherungsfalls geführt haben sollen, ist der
Versicherer darauf angewiesen, zutreffende Angaben über eventuell vorhandene
Zeugen zu erhalten. Nur dann, wenn er weiß, wer als Zeuge in Betracht kommt, hat er
die Möglichkeit, im Vorfeld zu klären, ob er von einer Eintrittspflicht auszugehen hat.
Durch falsche Angaben des Versicherungsnehmers wird dem Versicherer die Ermittlung
der Tatumstände erheblich erschwert.
10
Erhebliches Verschulden ist ebenfalls gegeben, wobei hier auf das Verschulden des
Zeugen V. abzustellen ist, weil er vom Kläger damit betraut wurde, das
Schadensformular als Wissenserklärungsvertreter auszufüllen und zu unterschreiben.
Kein erhebliches Verschulden wird angenommen, wenn ein Verstoß vorliegt, der auch
einem sonst ordentlichen Versicherungsnehmer angesichts der Umstände des Falles
leicht unterlaufen kann und für den ein einsichtiger Versicherer Verständnis
aufzubringen vermag (vgl. BGH r+s 1989, 5, 6). Hier macht der Kläger geltend, der
Zeuge Venticinque habe mit Rücksicht auf seine Ehefrau die Zeugin K. unerwähnt
gelassen. Auch wenn diese Erklärung zutrifft, kann seine Falschangabe gegenüber der
Beklagten aber nicht in milderem Licht beurteilt werden. Eventuelle Erklärungsnöte
gegenüber seiner Ehefrau mußte der Zeuge in Kauf nehmen, als es darum ging, den
11
Fragebogen der Beklagten auszufüllen. Hier kommt noch hinzu, daß nichts dafür
sprach, daß seine - meist in Italien lebende - Ehefrau davon erfahren würde, daß die
Zeugin K. Zeugin für das Abstellen und Nichtwiederauffinden des Wagens war. Die
Umstände und die Tageszeit dieser Geschehnisse waren auch völlig unverfänglich. Im
übrigen fällt auf, daß der Zeuge V. keine Scheu hatte, bei seiner polizeilichen
Vernehmung in S. am 4.11.1997 anzugeben, daß die Zeugin K. sein Hotelzimmer
bestellt hatte. Diese Angabe, die er ohne weiteres hätte unterlassen können, konnte weit
verfänglicher sein als die unterlassene Angabe der Zeugin für das äußere Bild des
Diebstahls. Eine Würdigung sämtlicher Umstände spricht sehr dafür, daß die
Behauptung, mit Rücksicht auf die Ehefrau sei die Existenz der Zeugin unerwähnt
geblieben, eine nachträgliche Schutzbehauptung war, zu der der Zeuge sich veranlaßt
sah, als er damit konfrontiert wurde, daß Aufzeichnungen vorlagen, die belegten, daß
seine Angabe, bei der Fahrt nach Polen alleine gewesen zu sein und den Wagen selbst
gesteuert zu haben, falsch waren. Tatsächlich dürfte der Zeuge V., ohne daß es hierauf
entscheidend ankommt, die Zeugin K. verschwiegen haben, um - aus welchen Gründen
auch immer - ihre Vernehmung zu verhindern.
Schließlich ist der Zeuge V., der für den Kläger als Wissenserklärungsvertreter tätig
wurde, im fraglichen Fragebogen über die Rechtsfolgen einer vorsätzlich unwahren
oder unvollständigen Angabe ordnungsgemäß belehrt worden. Über der
Unterschriftszeile befindet sich in Fettdruck und deutlich abgesetzt der Satz: "Bewußt
unwahre oder unvollständige Angaben können auch dann zum Verlust des Anspruchs
auf Versicherungsschutz führen, wenn dem Versicherer hierdurch kein Nachteil
entsteht."
12
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
13
Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Urteilsbeschwer für den Kläger:
19.700 DM
14