Urteil des OLG Köln vom 01.07.1992

OLG Köln (kläger, umsatzsteuer, zahlung, sequester, venire contra factum proprium, treu und glauben, kenntnis, gläubigerbenachteiligung, anfechtung, konkursforderung)

Oberlandesgericht Köln, 13 U 303/91
Datum:
01.07.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 303/91
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 4 0 455/91
Tenor:
Die Berufung des beklagten Landes gegen das am 4. Dezember 1991
verkün-dete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 0
455/91 - wird zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung trägt das
beklagte Land. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land
kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitslei-stung in Höhe
von DM 91.000,-- abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Parteien können
die Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft
einer deutschen Großbank, öffentlich-rechtlichen Sparkasse oder Volks-
bzw. Raiffeisenbank erbringen.
T A T B E S T A N D
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Der Kläger ist gemäß Beschluß des Amtsgerichts Aachen vom 17. September 1990 -
19 N 152/90 - zum Konkursverwalter über das Vermögen der Firma T., G. in A.,
bestimmt worden. Der Konkurseröffnung ging, angeordnet durch Beschluß des
Amtsgerichts Aachen vom 8. August 1990 - 19 N 152/90 -, eine Sequestration unter
Bestellung des Klägers zum Sequester voraus. Bis zur Konkurseröffnung wurde der
Geschäftsbetrieb der Firma T. unter Aufsicht des Klägers weitergeführt. Unter
anderem erklärte die Gemeinschuldnerin gegenüber der zuständigen Finanzbehörde
die während der Sequestration abge-wickelten Umsätze. Die für den Monat August
1990 angefallene Umsatzsteuer in Höhe von DM 76.751,39 wurde am 14. September
1990 mit Zustimmung des Klägers von dem Sequestrationsanderkonto an das
beklagte Land (im folgenden: Beklagter) zu der Steuernummer überwiesen. Bereits
bei der Zahlung wies der Kläger darauf hin, daß möglicherweise ei-ne
Rückzahlungspflicht bestehen könnte.
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Mit Schreiben vom 9. September 1991 erklärte der Kläger die Anfechtung der
Zahlung für den Monat August 1990 und forderte den Beklagten zur Rück-zahlung
auf das Konkursanderkonto auf. Dieser Auf-forderung kam der Beklagte nicht nach.
Die Partei-en streiten mit Rechtsansichten über die Frage, ob der Kläger ein
Anfechtungsrecht bezüglich der ge-leisteten Umsatzsteuer besitzt.
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Der Kläger hat gemeint, daß es sich bei der Zah-lung der Umsatzsteuer um ein
anfechtbares Rechts-geschäft handele, so daß ihm ein Rückzahlungsan-spruch
gemäß § 37 KO zustehe.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 76.751,39 DM nebst 4 % Zinsen seit Klage-
zustellung (23. September 1991) zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat gemeint, daß es sich bei der Zahlung der Umsatzsteuer nicht um
eine anfechtbare Rechtshandlung handele. Es fehle schon an einer Rechtshandlung,
da in der Überweisung ein bloßer Realakt liege. Weiterhin fehle es an der Gläubi-
gerbenachteiligung. Bei der Umsatzsteuer handele es sich nämlich nur um einen
"durchlaufenden" wertneutralen Posten. In diesem Zusammenhang könne man auch
an ein Bargeschäft denken. Die bloße Anfechtung der Umsatzsteuer stelle darüber
hinaus in Bezug auf die zugrundeliegenden Geschäfte eine unzulässige
Teilanfechtung dar. Zudem dürfe der Sequester keine pflichtwidrigen Handlungen
vorneh-men, die ein Konkursverwalter anfechten könne. Dem Kläger könne auch §
814 BGB bzw. der Gedanke des venire contra factum proprium entgegengehalten
werden, da ihm schon bei Zahlung eine mögliche Rückzahlungspflicht bekannt
gewesen sei.
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Das Landgericht Aachen hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es
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ausgeführt, bei der Zahlung der Umsatzsteuer handele es sich um eine gemäß § 30
Nr. 1 2. Alt. KO anfechtbare Rechtshandlung, so daß der Beklagte gemäß § 37 KO
die erhaltene Umsatzsteuer in Höhe von 76.751,39 DM an den Kläger
zurückzugewähren habe. Die Rechtshandlung habe zu einer
Gläubigerbenachteiligung geführt, da durch die Zahlung eine Konkursforderung
bevorzugt vor anderen Konkursforderungen befriedigt worden sei, was zu einer
Masseverkürzung geführt habe. Die Zahlung sei in der Krise erfolgt, wovon der
Beklagte Kenntnis gehabt habe. Als Konkursverwal-ter stehe dem Kläger das
Anfechtungsrecht zu, un-abhängig davon, ob er zuvor als Sequester die an-fechtbare
Rechtshandlung selbst getätigt habe. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben könne
auch im kon-kreten Einzelfall nicht angenommen werden, zumal der Kläger bei
Zahlung auf die bestehende Proble-matik hingewiesen habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung und des erstinstanzlichen
Sachvortrages der Par-teien wird auf den Inhalt des am 4. Dezember 1991
verkündeten Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 O 455/91 -
Bezug genommen (Bl. 44 - 51 d.A.).
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Gegen dieses Urteil, welches dem Beklagten am 5. Dezember 1991 (Bl. 52 d.A.)
zugestellt worden ist, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 18. De-zember 1991 - bei
Gericht eingegangen am 23. De-zember 1991 - Berufung eingelegt (Bl. 55 d.A.).
Nach zweimaliger Verlängerung der Berufungsbe-gründungsfrist auf zuletzt den 23.
März 1992 hat der Beklagte die Berufung mit am gleichen Tage eingegangenem
Schriftsatz vom 23. März 1992 (Bl. 64 ff. d.A.) begründet.
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Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstin-stanzlichen Vortrags hat der
Beklagte erstmalig in der Berufungsinstanz bestritten, Kenntnis von der Krise bei
Zahlung der Umsatzsteuerschuld gehabt zu haben. Das Landgericht habe eine
solche Kenntnis ohne nähere Prüfung unterstellt. Hierfür gäben die
Umsatzsteuerakten jedoch nichts her. Die Zahlungen seien für die spätere
Gemeinschuldnerin per Scheck erfolgt, und zwar zur Steuernummer der Organträ-
gergesellschaft, der Firma F. KG, die zu 100 % An-teilseignerin der jetzigen
Gemeinschuldnerin sei. Für das Finanzamt sei nicht erkennbar gewesen, daß der
Kläger als Sequester die Zahlungen ausgeführt habe.
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Der Beklagte vertritt zudem die Auffassung, bei der vorliegenden Zahlung handele es
sich um einen bloßen, nicht anfechtbaren Realakt. Dem Scheck vom 14. September
1990, zusammen mit der Umsatzsteu-ervoranmeldung vom selben Tage, sei nämlich
nicht mit der hinreichenden Deutlichkeit der Wille, eine bestimmte Schuld zu erfüllen,
zu entnehmen ge-wesen.
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Darüber hinaus handele es sich bei der erfolgten Anfechtung um eine unzlässige
Teilanfechtung. Un-ter den gebotenen wirtschaftlichen Gesichtspunkten könne die
Umsatzsteuerzahlung nicht isoliert be-trachtet werden. Diese bilde eine untrennbare
Ein-heit mit dem umsatzsteuerpflichtigen Veräußerungs-geschäft.
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Jedenfalls sei eine Gläubigerbenachteiliung nicht eingetreten. Die Masse sei nicht
verkürzt worden. Der Nettowert der Ware sei dieser wieder zugeflos-sen. Die
Umsatzsteuer dagegen sei nur für den Fis-kus einzunehmen und zu verwalten sowie
an diesen weiterzuleiten. Sie gehöre bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht zum
späteren Konkursvermögen. So sei anerkannt, daß keine Gläubigerbenachteiligung
bei Steuerzahlungen, die zur Fortführung eines Be-triebes geleistet werden, vorliege.
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Dies müsse auch vorliegend gelten. Die umsatzsteu-erpflichtigen Geschäfte seien
Verkäufe von hochmo-dischen Kleidungsstücken gewesen. Die Veräußerung sei
daher geboten gewesen, um noch einen ver-nünftigen Preis erzielen zu können.
Vorteilhafte Verwertungshandlungen könnten aber keinesfalls ur-sächlich für eine
Gläubigerbenachteiligung sein.
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Schließlich ist der Beklagte der Auffassung, der Kläger handele treuwidrig, wenn er
einerseits vor Eröffnung des Konkursverfahrens als Sequester bereits wie ein
Konkursverwalter agiere, anderer-seits aber verlange, ihn als Konkursverwalter so zu
stellen, als habe der Gemeinschuldner selbst gehandelt.
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Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Ur-teils die Klage abzuweisen;
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im Falle eines Vollstreckungsschutzan-spruchs Sicherheit auch durch selbst-
schuldnerische und unbefristete Bürg-schaft der Landeszentralbank, einer
deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zuzulassen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzu-weisen;
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ihm nachzulassen, erforderliche Sicher-heiten durch selbstschuldnerische Bürg-
schaft einer deutschen Großbank, Volks-bank oder öffentlich-rechtlichen Spar-
kasse zu stellen.
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Er tritt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens den
Rechtsansichten des Beklagten entgegen.
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Die Kenntnis von der Krise ergebe sich aus den ge-samten Umständen. Das Wissen
um die Sequestration impliziere dies. Im übrigen müsse die Kenntnis als
zugestanden geltend, da erstinstanzlich dem nicht widersprochen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsät-ze nebst
in Bezug genommener Anlagen sowie den Inhalt der Konkursakte 19 N 152/90
Amtsgericht Aa-chen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung war,
verwiesen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
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Die zulässige Berufung des Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das
Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Rückgewähr der
abgeführten Umsatzsteuer in Höhe von DM 76.751,39 gemäß §§ 37, 30 Nr. 1 2. Alt.
KO für begründet er-achtet. Dieser Betrag ist nämlich durch eine gemäß § 30 Nr. 1 2.
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Alt. KO anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des Gemeinschuldners
weggegeben worden. Bei der Zahlung der Umsatzsteuer handelte es sich um eine
Rechtshandlung, die nach dem An-trag auf Konkurseröffnung erfolgte und welche ei-
nem Konkursgläubiger Befriedigung gewährte, wobei dem Beklagten als Gläubiger
zur Zeit der Handlung der Eröffnungsantrag bekannt war.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten stellt die Zahlung der Steuerschuld eine
Rechtshandlung dar. Rechtshandlung im Sinne der Norm sind nämlich alle
Handlungen mit rechtlicher Wirkung, gleich ob die-se gewollt ist oder nicht.
Rechtshandlung im enge-ren Sinne sind dabei Äußerungen eines auf die Her-
beiführung eines tatsächlichen Erfolges gerichte-ten Wollens und zwar sowohl
materiell-rechtlicher wie auch prozessualer Art. Mit der Zahlung der Um-satzsteuer
wollte der Kläger als damaliger Seque-ster der späteren Gemeinschuldnerin eine
Steuer-schuld begleichen. Hierauf war sein Tun gerichtet. Damit verbietet sich aber
die Annahme eines bloßen Realaktes. Gegenstand der Tätigkeit des Klägers war
gerade nicht der bloße Zahlungsvorgang. Viel-mehr war die Handlung auf die
Tilgung der Steuer-schuld gerichtet. Dies war auch für den Beklagten erkennbar.
Entsprechend hat er die Zahlung auch entgegengenommen und auf die Steuerschuld
ver-rechnet.
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In der Anfechtung des Klägers liegt auch keine unzulässige Teilanfechtung.
Grundsätzlich ist je-de Rechtshandlung getrennt anfechtbar. Zwar ist richtig, daß ein
Rechtsgeschäft nur als Ganzes angefochten werden kann. Hierüber verhält sich aber
der vorliegende Sachverhalt nicht. Es sind nämlich zwei getrennte Handlungen zu
bewerten. Zum einen hat der Gemeinschuldner mit Einwilligung des Klägers das
Veräußerungsgeschäft mit einem Drit-ten abgeschlossen, welches nicht Gegenstand
der Anfechtung ist. Zum anderen ist mit Zustimmung des Klägers die hieraus
resultierende Steuerschuld an den Beklagten abgeführt worden. Von einem einheit-
lichen Rechtsgeschäft kann insoweit nicht gespro-chen werden. Die Trennung ist
auch nicht rein for-maljuristisch. Sie entspringt vielmehr zwei ver-schiedenen
Lebenssachverhalten, die zwar miteinan-der verknüpft sind - und zwar durch die
Begründung der Steuerschuld mit Abschluß und Durchführung des Kaufvertrages -,
aber gerade keine untrennbare Einheit bilden. Dies zeigt sich daran, daß die
Kaufverträge nicht gemäß § 30 Nr. 1 Abs. 1 KO anfechtbar wären. Hierbei handelt es
sich nämlich um sogenannte Bargeschäfte. Bei den Kaufverträgen wurden
gleichwertige Leistungen Zug um Zug ausge-tauscht. Der Kläger lieferte die Ware,
während die Käufer als Gegenwert den Kaufpreis zahlten. Die Konkursgläubiger
wurden durch diese Rechtsgeschäf-te nicht benachteiligt, da dem Vermögen des
späte-ren Gemeinschuldners ein entsprechender Gegenwert zufloß. So trägt der
Beklagte selbst vor, daß der Kaufpreis dem Wert der Ware entsprach und die
Veräußerung geboten erschien, weil bei der hoch-modischen Kleidung bei längerem
Zuwarten Verluste drohten.
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Der Vorgang kann auch nicht als Grundgeschäft einerseits und Erfüllungsgeschäft
andererseits er-achtet werden. Vorliegend geht es nicht um die wegen des
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Abstraktionsprinzipes gegebene Aufspal-tung in ein dingliches und ein
schuldrechtliches Rechtsgeschäft. Der Kaufvertrag und die bestehende
Umsatzsteuerschuld stehen gerade nicht im Verhält-nis eines Grundgeschäftes zu
einem Erfüllungsge-schäft.
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Die Rechtshandlung ist auch in der Krise - näm-lich nach Stellung des
Konkursantrages - erfolgt. Sie hat auch zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt.
Ohne die Zahlung der Umsatzsteuer hätte sich nämlich die Befriedigung der
Konkursgläubiger insgesamt günstiger gestaltet. Die Umsatzsteuer-schuld der
späteren Gemeinschuldnerin stellt sich nämlich als eine Konkursforderung dar, um
die die Masse insgesamt durch die Vorabbefriedigung verkürzt worden ist. Anfechtbar
nach § 30 Nr. 1 2. Alt. KO sind Rechtshandlungen, die einem "Kon-kursgläubiger"
Sicherung oder Befriedigung gewäh-ren. Die Sicherung oder Befriedigung bezieht
sich also auf eine Konkursforderung. Mit anderen Worten bedeutet dies, der erfüllte
Anspruch muß seiner Art nach als Konkursforderung (§ 3 KO) verfolgbar sein. Dies ist
hier der Fall. Die im Zeitraum der vorkonkurslichen Sequestration begründeten Um-
satzsteuerforderungen stellen Konkurs- und nicht Masseforderungen dar. Denn die
während des Seque-strationszeitraums - von wem auch immer - ausge-lösten
Verbindlichkeiten wurden vor der Konkurs- eröffnung begründet und können daher
gemäß § 3 Abs. 1 KO nur als Konkursforderungen geltend ge-macht werden. Danach
ist eine bis zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung (§ 1 KO) in ihren materiel-len
Merkmalen verwirklichte Umsatzsteuerforderung - unbeschadet ihrer Entstehung
nach § 13 Abs. 1 UStG - eine Konkursforderung (§ 3 Abs. 1 KO). Die gegenteilige
Auffassung würde auf eine Erweiterung des in § 59 KO enumerativ aufgeführten
Katalogs der Masseschulden hinauslaufen, welche im Hinblick auf die insoweit
abschließende Regelung in der KO mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar wäre (vgl.
BFH ZIP 1986, 849, 851).
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Mit der Ausführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen durch den Sequester
gegen Entgelt war der Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG bereits vor
Konkurseröffnung erfüllt. Danach stellt die Umsatzsteuerforderung des Finanzamtes
eine Konkursforderung und keine Masseforderung dar, weil sie im Zeitraum der
vorkonkurslichen Se-questration begründet worden ist.
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Daß es sich bei der Umsatzsteuerforderung nicht um eine Forderung handelt, die aus
der Masse vorab zu berichtigen ist, ergibt sich auch daraus, daß die Konkursordnung
in den §§ 57 - 59, 224 die Ansprü-che aufführt, die aus der Konkursmasse vorweg zu
berichtigen sind. Im übrigen steht einer Behand-lung der Umsatzsteuerschuld als
Konkursforderung auch nicht entgegen, daß die Umsatzsteuer auf Handlungen des
Sequesters beruht. Dieser wird als gerichtlich bestellter Verwalter fremden
Vermögens tätig und verpflichtet den Inhaber des Vermögens und späteren
Gemeinschuldner (§ 3 KO) als Steuer-schuldner. Bei den abzuführenden Steuern
handelt es sich nicht um Steuern des Vermögensverwalters, sondern um die aus dem
Steuerschuldverhältnis des Eigentümers zum Finanzamt erwachsenden Steuern.
Sind diese vor Konkurseröffnung bereits begründet, so stellen sie - soweit sie nicht
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getilgt sind - Konkursforderungen dar (vgl. BFH ZIP 1989, 384, 385, 386 m.w.N.).
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Die Benachteilung der übrigen Konkursgläubiger er-gibt sich daraus, daß der
Sequester zur Abführung der Sequestrationsumsatzsteuer nicht verpflichtet ist. Der
Sequester ist, auch wenn ihm das Konkurs-gericht die Führung des schuldnerischen
Betriebes übertragen hat, nur verpflichtet, die zur Auf-rechterhaltung des Betriebs
unabweisbar erforder-lichen "Notmaßnahmen" zu ergreifen, wozu die Zah-lung der
Umsatzsteuer nicht gehört (vgl. BFH ZIP 1986, 849). Zahlungen auf die -
Konkursforderung darstellende - Umsatzsteuer greifen damit den "im Interesse der
gleichmäßigen Befriedigung sämtli-cher Gläubiger gebotenen Maßnahmen des
Konkurs-verwalters vor und benachteiligen wegen dieser Verringerung des
Massebestandes die Konkursgläu-biger".
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Insoweit hat der Bundesfinanzhof in seiner Ent-scheidung vom 29. April 1986 (vgl.
ZIP 1986, 849 ff.) eine Zahlungspflicht des Sequesters auf die Umsatzsteuer verneint.
Der hiergegen verein-zelt geäußerten Kritik in der Literatur kann nicht gefolgt werden.
Diese hat eingewandt, der Sequester könne nicht mit der Begründung, der spätere
Konkursverwalter könne und müsse Zahlungen anfechten, von der
Umsatzsteuerabführungspflicht freigestellt werden. Einerseits müsse dem Konkurs-
verwalter überlassen bleiben, ob er die Anfechtung erkläre, andererseits liege die für
die Anfech-tung notwendige Gläubigerbenachteiligung nicht vor, weil der Sequester
die Umsatzsteuer mit der gesetzlichen Zweckbestimmung erhalte, sie an das
Finanzamt abzuführen. Durch die Vereinnahmung des Warenwertes zuzüglich
Umsatzsteuer sei das seque-strierte Vermögen um den Umsatsteuerbetrag berei-
chert, so daß durch die Abführung der Umsatzsteuer an den Fiskus der "status quo
ante" wieder herge-stellt werde.
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Nach Auffassung des Senats ist die die Rechtspre-chung des Bundesfinanzhofs
ablehnende Ansicht de lege lata nicht haltbar, weil sie auf einer These aufbaut, die
im Gesetz keine Stütze findet, nämlich daß der Unternehmer die Umsatzsteuer
treuhänderisch für den Fiskus verwaltet, so daß der auf sie entfallende Anteil des
Entgeltes gar nicht seinem Vermögen und damit auch nicht der Konkursmasse in
dem über sein Vermögen eröffneten Konkursverfahren hinzugerechnet werden
könne. Eine solche Treuhänderschaft besteht bei der Umsatz-steuer nicht.
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Zwar mag der Unmut der Gegenmeinung verständlich sein. So soll der Sequester in
der Lage sein, dem Abnehmer den Vorsteuerabzug auf Kosten der vom Fiskus
repräsentierten Allgemeinheit zu verschaf-fen, seinerseits aber nicht verpflichtet sein,
die Umsatzsteuer abzuführen. Dieser (finanz- oder rechtspolitische) Unmut
rechtfertigt ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung jedoch nicht. Die
Gegenmeinung verkennt, daß der Sequester näm-lich zur Befriedigung von
Konkursforderungen nur im Rahmen von Notmaßnahmen zur Aufrechterhaltung des
schuldnerischen Geschäftsbetriebs berechtigt ist. Die Anfechtbarkeit ist damit
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lediglich Folge, nicht aber Voraussetzung des Nichtbestehens der Zahlungspflicht
(vgl. Onusseit, Neuere Tendenzen im Umsatzsteuer-Konkursrecht, ZIP 1990, 345,
349 m.w.N.).
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Solche Zahlungen führen auch zur Minderung der Aktivmasse, wodurch die
Gläubiger benachteiligt werden. Es handelt sich nämlich bei der Zahlung auf die
Umsatzsteuerschuld nicht um die Beglei-chung einer Forderung aus einem
Bargeschäft, weil der Umsatzsteuer keine unmittelbare Leistung des Fiskus an die
spätere Masse gegenübersteht. Es erscheint auch nicht vertretbar, anfechtungs-
rechtlich einen wirtschaftlichen Gesamtlebenssach-verhalt zu bilden und lediglich zu
untersuchen, ob dieser eine Gläubigerbenachteiligung verur-sacht.
Anfechtungsrechtlich sind nämlich zwei Le-benssachverhalte gegeben: Einerseits
die Veräuße-rung gegen Entgelt zuzüglich Mehrwertsteuer, die auch den
Umsatzsteueranspruch - unabhängig von seiner Durchsetzungsmöglichkeit im
Konkurs - ent-stehen läßt, andererseits die wirtschaftlich und rechtlich hiervon völlig
unabhängige Zahlung der Steuer an das Finanzamt, also die Erfüllung der kraft
Gesetzes mitentstandenen Verbindlichkeit. Für die Beurteilung des zweiten
Sachverhaltes ist unter anfechtungsrechlichen Kriterien der erste daher nicht
heranzuziehen (vgl. u.a. Onusseit, a.a.0., Seiten 348, 349 zu 2.2.1, 2.2.2 und 2.2.3
m.w.N.). Dem steht auch nicht entgegen, daß eine Gläubigerbenachteiligung für den
Fall verneint wurde, daß eine Steuerschuld durch den Sequester beglichen wurde,
um die Fortführung des Betriebes zu erreichen (vgl. OLG Braunschweig MDR 1950,
356 ff.). In dem dort entschiedenen Fall ging es um die Schließung eines
Theaterbetriebes, die dadurch hinausgeschoben wurde, daß der Sequester für die
Vorstellungen anfallende Vergnügungssteu-ern entrichtete. Hier war die Zahlung der
Vergnü-gungssteuer notwendige Voraussetzung für die Mög-lichkeit weiterer
Einnahmen des Gemeinschuldners durch die Fortführung der Theateraufführungen.
Wä-ren in dem dort entschiedenen Fall die Zahlungen der Vergnügungssteuer
unterblieben, so hätte der dortigen Beklagten nach § 4 Abs. 5 der Steuerord-nung
vom 12. Juni 1926 das Recht zugestanden, die Aufführungen zu untersagen, solange
nicht für die voraussichtliche Steuerschuld Sicherheit geleistet war. In diesem Fall
haben die Steuerzah-lungen nicht zu einer Benachteiligung der späteren
Konkursgläubiger, sondern zu einer Erhöhung der ihnen zur Verfügung stehenden
Masse geführt (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.). Denn die Nichtzahlung der
Steuerverbindlichkeit hätte dazu führen kön-nen, daß der Steuergläubiger die
Fortführung des schuldnerischen Betriebes unterband und so weitere
Einnahmequellen entfielen.
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Darüber hinaus ist anfechtungsrechtlich kein Un-terschied zwischen Zahlungen des
Gemeinschuldners und des Sequesters zu machen. In der Krise gelei-stete
Umsatzsteuerzahlungen des Gemeinschuldners unterliegen im späteren Konkurs
grundsätzlich der Anfechtung. Dasselbe gilt daher auch für Zahlungen des
Sequesters.
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Schließlich rechtfertigt auch die Ansicht der Gegenmeinung, der Rechtsgedanke des
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§ 30 KO trage eine Anfechtung nicht, wenn einem Gläubiger, der im Falle sofortiger
Konkurseröffnung Massegläubi-ger wäre, Befriedigung gewährt wird, den Ausschluß
der Anfechtungsmöglichkeit nicht. Die Anordnung der Sequestration verlagert die
anfechtungsrecht-lichen Rechtsfolgen der Konkurseröffnung nicht in das
Sequestrationsverfahren (vgl. Onusseit, a.a.O., 349).
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Auch aus den §§ 34, 35 AO ergibt sich nichts anderes. Wird nämlich durch
anderweitige Rechts-vorschriften, die den §§ 34, 35 AO vorgehen, die Begleichung
der Steuerforderungen untersagt, ent-fällt die durch §§ 34, 35 AO statuierte Pflicht.
Für den Sequester finden sich in § 251 AO, der ausdrücklich bestimmt, daß die
Vorschriften der Konkursordnung durch die Abgabeordnung unberührt bleiben, in
Verbindung mit den §§ 58, 59, 60, 149 ff. und 106 KO klare Anordnungen, daß grund-
sätzlich keine Zahlungen zu leisten sind, weil die Befriedigung der Massegläubiger
dem Konkursverwal-ter und die der Konkursgläubiger den Verteilungen nach § 149 ff.
KO vorbehalten sind. Lediglich zur Sicherung der späteren Masse, insbesondere zur
Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unauf-schiebbare Zahlungen sind ihm
gestattet. Hierzu gehört die Befriedigung von Umsatzsteuerforderun-gen nicht (vgl.
Onusseit, a.a.O., S. 350).
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Nicht gefolgt werden kann dem Beklagten auch darin, daß die Beträge, die als
Umsatzsteuer geschuldet waren, nicht dem Vermögen der Gemein-schuldnerin
zuzurechnen sind, da sie nur treuhän-derisch für den Fiskus verwaltet würden. Wie
oben bereits ausgeführt, ist zu trennen zwischen der Entstehung der
Umsatzsteuerschuld durch die Ver-äußerung gegen Entgelt und die Zahlung der
Steuer, als die Erfüllung der kraft Gesetzes entstandenen Verbindlichkeit. Hier sind
zwei Lebenssachverhalte gegeben. Die Entstehung der Umsatzsteuerschuld führt
nicht dazu, daß die Kaufpreisforderung in Höhe der Umsatzsteuerschuld nicht in das
Vermögen des späteren Gemeinschuldners geflossen wäre. Eine
Gläubigerbenachteiligung kann daher auch nicht deswegen verneint werden, weil
gar keine Vermö-genswerte aus dem Vermögen des Gemeinschuldners weggegeben
worden wären.
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Nach Auffassung des Senates ergeben auch die gesamten Umstände, daß die
Rechtshandlung zu einer Zeit vorgenommen wurde, als der Beklagte Kenntnis von
der Krise hatte. Dies war erstinstanzlich unstreitig. Insoweit kann dem Beklagten nicht
gefolgt werden, das Landgericht Aachen habe dies ohne nähere Prüfung
angenommen. So hat der Kläger in der Klageschrift vom 16. September 1991 vorge-
tragen, der Beklagte habe Kenntnis von der Stel-lung des Konkursantrages gehabt.
Er, der Kläger, habe den Beklagten auf die Möglichkeit der Rück-zahlungspflicht
hingewiesen (vgl. Bl. 3, 5 d.A.). Noch im Schriftsatz vom 9. September 1991, in
welchem der Kläger gegenüber dem Beklagten die An-fechtung erklärt, wird
ausgeführt, daß die Finanz-behörde von dem Konkursantrag unterrichtet gewesen sei
(vgl. Anl. zur Klageschrift, Bl. 11 d.A.). Demgegenüber hat der Beklagte in der
Klageerwi-derung vom 9. Oktober 1991 ausgeführt, der vom Kläger wiedergegebene
Sachverhalt sei unstreitig (vgl. Bl. 17 d. A.). Erstmals mit der Berufungsbe-gründung
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vom 23. März 1992 bestreitet der Beklagte unsubstantiiert eine Kenntnis. Er trägt
lediglich vor, die Steuerakten gäben hierzu nichts her. Auch aus der Scheckhingabe
könne nicht entnommen werden, daß der Kläger als Sequester gezahlt habe. Dies
reicht nicht aus, um das in erster Instanz zugestandene Vorbringen des Klägers zu
erschüt-tern. Dies gilt um so mehr, als der Beklagte nicht bestreitet, daß der Kläger
die Finanzbehörde auf die mögliche Rückforderungsmöglichkeit hingewiesen hat.
Ein solcher Hinweis wird nämlich nur dann verständlich, wenn dem Beklagten
bekannt war, daß Konkursantrag gestellt war. Gerade die Tatsache, daß der Beklagte
erstinstanzlich ausdrücklich den gesamten Sachvortrag unstreitig gestellt hat und die
Frage der Kenntnis zu keiner Zeit problema-tisiert wurde, spricht eindeutig dafür, daß
der jetzige Vortrag nicht den Tatsachen entspricht und ins Blaue hinein aufgestellt
worden ist. Auch das Schreiben des Klägers vom 12. September 1990 an das
Finanzamt A. zeigt deutlich, daß die Finanzbehörde bei Zahlungseingang Kenntnis
von den gesamten Umständen hatte (vgl. Bl. 92 d. A.). Hier handelte der Kläger als
Sequester. Hierauf wies er das Finanzamt hin. Auch wurde das Konkursantrags-
verfahren bezüglich der Gemeinschuldnerin genannt. Es wurde hervorgehoben, daß
von dem Gemeinschuld-ner mit Zustimmung des Sequesters die Steuerschuld
bezahlt wurde.
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Jedenfalls kommt dem erstinstanzlichen Vortrag Geständnisfunktion zu, so daß der
Beklagte hieran gemäß §§ 288, 532 ZPO gebunden ist.
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Der Kläger handelte auch nicht treuwidrig, als er die eigene als Sequester
vorgenommene Rechts-handlung angefochten hat. In der Regel können auch
Handlungen eines Sequesters angefochten werden, falls auf sie die Merkmale von
Anfechtungstatbe-ständen der Konkursordnung zutreffen. Das gilt selbst dann, wenn
der Sequester wie üblich mit dem späteren Konkursverwalter personengleich ist. Das
Anfechtungsrecht ist nämlich eigens für Kon-kurszwecke geschaffen, von denen sich
die Zwecke der Sequestration wesentlich unterscheiden. Es ist außerdem untrennbar
mit dem Amt des Konkursver-walters verbunden und kann deshalb vom Sequester
nicht ausgübt werden. Daraus ergibt sich umge-kehrt, daß Rechtshandlungen des
Sequesters grund-sätzlich vom Konkursverwalter angefochten werden können (vgl.
Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch 1990, § 48 Rn. 21). Entgegen einer
Gegenmeinung erscheint es nach Auffassung des Senates auch nicht erforderlich,
pflichtwidrige Handlungen des Sequesters, der später als Konkursverwalter einge-
setzt wird, von vornherein und generell aus dem Bereich der Anfechtbarkeit
herauszunehmen. Viel-mehr erscheint es geboten, in einer Einzelfallbe-trachung
über das Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) nach einer
befriedigen-den Lösung zu suchen.
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Dem Kläger kann vorliegend nicht vorgeworfen wer-den, er handele
rechtsmißbräuchlich, wenn er seine als Sequester vorgenommene Handlung
nunmehr nach Konkursrecht anfechtet. Die Zahlung der Umsatz-steuerschuld
während des Konkursantragsverfahrens erscheint schon deswegen gerechtfertigt,
weil dem Beklagten eigenständige Vollstreckungsmöglichkei-ten zur Verfügung
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standen. Der Kläger mußte damit rechnen, daß der Beklagte von dieser Möglichkeit
Gebrauch machte.
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Im übrigen hat der Kläger im einzelnen dargelegt, daß zum Zeitpunkt der Zahlungen
eine Rechtsent-wicklung zu erwarten war, die dem Rechtsstandpunkt des Beklagten
entsprach. Bei dieser Sachlage kann es nicht als pflichtwidrig bezeichnet werden,
wenn der Kläger unter Vorbehalt der Rückforderung die Steuerschuld beglich.
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Zudem hat der Kläger gerade ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er Bedenken
gegen die Rechtsauf-fassung des Beklagten hatte. Unter ausdrücklichem Hinweis auf
die Möglichkeit der Rückforderung hat er geleistet. Ein widersprüchliches, rechts-
mißbräuchliches Verhalten des Klägers kann hierin nicht gesehen werden. Durch
sein Verhalten hatte der Kläger gerade zum Ausdruck gebracht, er ver-zichte durch
die Zahlung nicht auf die Rechte, die einem Konkursverwalter im Falle der Eröffnung
des Konkursverfahrens möglicherweise zustehen. We-gen dieses
unmißverständlichen Vorbehalts konnte sich der Beklagte nicht darauf verlassen,
daß ihm die vom Kläger erbrachte Leistung, die Bezahlung der Umsatzsteuer,
endgültig verbleiben werde (vgl. BGHZ 97, 87, 92).
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Von daher kann sich der Beklagte auch nicht auf § 814 BGB berufen.
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Der Zinsanspruch des Klägers ist nach § 291 BGB begründet.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Beschwer des Beklagten: DM 76.751,39.
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