Urteil des OLG Köln vom 18.09.1996

OLG Köln: lagerung, operation, erhöhter beweiswert, lege artis, gefahr, einwilligung, minderung, kausalität, komplikation, fettleibigkeit

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 5 U 26/96
18.09.1996
Oberlandesgericht Köln
5. Zivilsenat
Urteil
5 U 26/96
Landgericht Köln, 25 O 207/93
Die Berufung des Klägers gegen das am 13. Dezember 1995 verkündete
Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 207/93 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Der Kläger wurde am 24.09.1991 in der Neurochirurgischen Klinik der Beklagten zu 3)
wegen eines Akustikus-Neurinoms links operiert. Nach der Operation stellten sich an
beiden Unterschenkeln und Füßen Lähmungs- und Taubheitserscheinungen ein, die auf
eine Schädigung des Nervus-Ischiadikus mit Fußheberparese infolge Drucks, rechts
stärker als links, zurückzuführen sind.
Der Kläger hat behauptet, die Nervschädigung beruhe auf einer unsachgemäßen Lagerung
während der vielstündigen Operation. Er sei darüber, daß sich ein solches Risiko
verwirklichen könne, nicht aufgeklärt worden. Er hat beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an ihn als Gesamtschuldner ein in das Ermessen des
Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 20.000,00 DM zu zahlen,
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm sämtliche
weiteren immateriellen und materiellen Schäden aus der Operation vom 24.09.1991 zu
ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger
übergegangen seien,
die Beklagten zu verurteilen, an ihn als Gesamtschuldner 9.859,11 DM zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben ordnungsgemäße Lagerung behauptet. Eine Aufklärung über die Möglichkeit
einer Ischiadikus-Schädigung sei nicht geboten gewesen, weil damals nicht bekannt
gewesen sei, daß es in sitzender Lagerung zu einer solchen Schädigung kommen könne.
Vorsorglich haben sie sich auf hypothetische Einwilligung berufen.
Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er behauptet, er sei überhaupt nicht
über die Gefahr aufgeklärt worden, Lagerungsschäden erleiden zu können. Das Risiko
einer Ischiadikus-Schädigung sei sehr wohl aufklärungspflichtig. Gerade wegen seiner
starken Übergewichtigkeit sei das Risiko, in sitzender Position Lagerungsschäden zu
erleiden, besonders groß gewesen. Ihm sei auch nicht die Alternative einer Operation in
Rückenlage erklärt worden. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er diese Position
gewählt.
Im übrigen bestreitet er die von den Beklagten behauptete Lagerung in sitzender Position.
Im Konsiliar-Bericht vom 26.09.1991 sei nämlich davon die Rede, daß die Lagerung in der
Hocke erfolgt sei. Die sitzende Position sei wegen seines Gewichtes kontrainidiziert
gewesen. Er beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen in erster Instanz zuletzt
gestellten Anträgen zu erkennen.
Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
Sie treten der Berufung entgegen, wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen und
verteidigen das angefochtene Urteil.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die form- und fristgerecht eingelegte und prozeßordnungsgemäß begründete Berufung ist
in der Sache nicht gerechtfertigt. Das Landgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen, weil
dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche weder aus unerlaubter Handlung (§§ 823,
831, 847 BGB) noch dem Gesichtspunkt der schuldhaften Vertragsverletzung (§§ 611, 242,
278 BGB) gegen die Beklagten zustehen.
1.
Ein schadensursächlicher Behandlungsfehler ist nicht bewiesen.
a)
Der Kläger ist in sitzender Position operiert worden. Das ergibt sich aus dem
Operationsbericht des Operateurs Prof. K. vom 24.09.1991, dem Anästhesieprotokoll vom
selben Tage, dem Aufklärungsbogen vom 23.09.1991 und schließlich dem
Gedächtnisprotokoll des Operateurs vom 27.09.1991. Insbesondere den Operations- und
Anästhesieberichten kommt als zeitnahe Dokumentation erhöhter Beweiswert zu. Soweit
im Konsiliar-Bericht vom 26.09.1991 von einer Lagerung "in der Hocke" die Rede ist,
handelt es sich um die unmaßgebliche Niederlegung eines an der Operation unbeteiligten
Dritten, die in diesem Punkt offenbar unrichtig ist. Im übrigen hat der Kläger erstinstanzlich
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selbst vorgetragen, er sei in sitzender Position gelagert gewesen.
b)
Die spezielle Art der Lagerung in sitzender Position ist nach den Feststellungen des
Sachverständigen Prof. Dr. S. für Operationen der durchgeführten Art lege artis. Sie biete
erhebliche Vorteile für den Operateur (und den Patienten), weil die venöse und kapillare
Blutfüllung im Schädel-inneren vermindert werde. Dies führe zu einer wesentlich
verbesserten Einsicht in das Schädelinnere und eine Minderung der Blutungsneigung (vgl.
Bl. 114 d.A.). Der Sachverständige hat ausdrücklich dargelegt, daß die erhebliche
Fettleibigkeit des Klägers in Bezug auf die gewählte Lagerung keine Kontraindikation
darstelle (Bl. 111 - 116 d.A.). Daß der Kläger wegen seines Gewichtes stark auf das
Fußende des Operationstisches drückte, hat dabei keine Rolle gespielt. Letzteres kann im
übrigen auch nicht zu einer Schädigung des Ischiadikusnerven geführt haben, wie sich aus
der Diskussion der möglichen Schadensursächlichkeit ergibt (Quetschung des Nervs als
Ergebnis einer Einklemmung zwischen einem entzündeten Muskel und dem knöchernen
Becken; atypischer Verlauf des Nerven in Verbindung mit einer Innenrotation der Hüfte;
Zusammenpressen von Nerven einschließlich der sie versorgenden Gefäße durch
ischämische Muskelschwellung; vgl. Sachverständigengutachten Seite 16, 17), wobei er
betont hat, daß die Kausalität der Schädigung letztlich unbekannt sei.
c)
Der Sachverständige hat nach Auswertung von Operationsbericht und Narkoseprotokoll
ferner auch keinen Lagerungsfehler festzustellen vermocht.
Zugunsten des Klägers streitet schließlich auch kein Anscheinsbeweis. Das folgt aus der
Sachverständigenbeantwortung der Fragen 2 bis 4 des erstinstanzlichen
Beweisbeschlusses (Bl. 108 d.A.), die diesen rechtlichen Aspekt betreffen. Zwar ist dem
Sachverständigen eine Fußheberparese als Folge einer Operation in sitzender Lagerung
des Patienten bisher unbekannt geblieben; er hat aber in der Weltliteratur drei Fälle
gefunden, bei denen es ohne erkennbaren Anlaß zu dieser Komplikation gekommen sei.
Anders als bei einem Lagerungsschaden im Zuge einer Operation in "Häschen-Stellung"
(vgl. BGH NJW 1984, 1403), geht es im Streitfall nicht um ein sogenanntes
vollbeherrschbares Risiko. Es war den Beklagten ohne Schuldvorwurf gar nicht bekannt,
daß im Falle des Klägers die Gefahr einer Ischiadikus-Schädigung bestand, wie der
Sachverständige überzeugend dargelegt hat. Es ist darüberhinaus kein irgendwie gearteter
Mechanismus bekannt, auf diese Gefahr zu reagieren, sofern man die sitzende Position
wählt. Offenbar gibt es danach keine Möglichkeit, dieses seltene Risiko zu vermeiden, es
sei denn, man wählt eine andere Art der Lagerung (Rückenlage), die von den Behandlern
indessen vor diesem Hintergrund nicht in Erwägung gezogen zu werden brauchte, eben
weil ihnen das Risiko ohne Schuldvorwurf damals nicht bekannt war.
2.
Die Klage ist auch nicht aus dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung
gerechtfertigt, die auch vorliegt, wenn die Einwilligung in die Operation wegen
unzureichender Risikoaufklärung unwirksam ist. Den Beklagten ist ein
schadensursächliches Aufklärungsversäumnis nicht anzulasten.
Der Kläger ist über die speziellen Operationsrisiken, von denen sich keines verwirklicht hat,
aufgeklärt worden. Er ist auch über die Lagerungsposition ("ITN im Sitzen") und die sich
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daraus ergebende spezielle Gefahr, eine Luftembolie zu erleiden, aufgeklärt worden, ferner
über weitere Risiken, die sich sämtlich nicht verwirklicht haben (vgl. Aufklärungsbogen vom
23.09.1991, Bl. 4 des Anlagenheftes). Das Risiko, eine Ischiadikus-Schädigung zu
erleiden, über das er nicht aufgeklärt worden ist, ist damals jedenfalls nicht
aufklärungspflichtig gewesen. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, daß zum
Operationszeitpunkt über dieses Risiko in der Bundesrepublik generell nicht aufgeklärt
worden sei, weil es den beteiligten Neurochirurgen und Anästhesisten in diesem
Zusammenhang unbekannt gewesen sei. Er selbst habe erst aufgrund der Recherchen zu
dem in diesem Rechtsstreit zu erstattenden Gutachten von drei in der Weltliteratur
beschriebenen Fällen erfahren, von einem weiteren, der sich nach der
streitgegenständlichen Operation ereignet hat. Die Ursachendiskussion sei offen. Danach
kann von einer vorwerfbaren Aufklärungspflichtverletzung nicht die Rede sein.
Aufklärungspflichtig sind neben den allgemeinen, die bekannten eingriffsspezifischen
Risiken, selbst wenn sie sich sehr selten verwirklichen. Jedenfalls an der erforderlichen
Kenntnis hat es im Streitfall gefehlt. Der Kläger war deshalb auch nicht über die Alternative
der Rückenlage aufzuklären.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert des Berufungsverfahrens und Wert der Beschwer für den Kläger: 39.859,11 DM,
davon 20.000,00 DM für den Antrag zu 1) und 10.000,00 DM für den Feststellungsantrag.