Urteil des OLG Köln vom 17.12.1999

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Oberlandesgericht Köln, 6 U 59/99
Datum:
17.12.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 59/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 26 O 47/98
Normen:
AGBG § 9; BGB § 651 K; VVG § 75
Leitsätze:
1. Schließt eine Versicherungsgesellschaft mit Reiseveranstaltern
Versicherungsverträge ab, die Entschädigungsleistungen für den Fall
vorsehen, dass Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder
Insolvenz des Reiseveranstalters ausfallen, wenn und soweit der
Reisewillige Zahlungen nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze und
nur innerhalb bestimmter Fälligkeitszeiträume erbringt und sind die
dieserart versicherten Reiseveranstalter vertraglich verpflichtet, mit den
Reisenden keine abweichenden Zahlungsmodalitäten zu vereinbaren,
handelt es sich um eine Fremdversicherung, bei der die reisewilligen
Kunden im Versicherungsfalle einen unmittelbaren materiellrechtlichen
Anspruch gegen den Versicherer erwerben. Dieser - und nicht der
Reiseveranstalter - ist Klauselverwender im Sinne von § 1 Abs. 1 AGBG.
2. Folgende Klauseln in Versicherungsverträgen der in Leitsatz 1.
bezeichneten Art halten einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe des § 9
AGBG stand:
a) Vor Reisebeginn besteht ausschließlich für folgende Zahlungen
Versicherungsschutz: Für Anzahlungen: Bis zu 10% des Reisepreises,
die jedoch nicht mehr als DM 500,00 betragen dürfen.
b) Vor Reisebeginn besteht ausschließlich für folgende Zahlungen
Versicherungsschutz: Für weitere Zahlungen: Frühestens einen Monat
vor dem aus der Buchungsbestätigung ersichtlichen Abreisetag.
c) Höhere Anzahlungen oder frühere Zahlungen des Reisepreises sind
nicht versichert.
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.02.1999 verkündete
Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 26 O 47/98 -
geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 9.000,00
DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit
in gleicher Höhe leistet.
Beiden Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch
unwiderrufliche, unbefristete und unbedingte Bürgschaft eines in der
Bundesrepublik Deutschland als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen
Kreditinstituts zu erbringen.
Die Beschwer des Klägers wird auf 30.000,00 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Bei dem Kläger handelt es sich um die Verbraucherzentrale B.-W. e.V., dessen
Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 AGBG
die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.11.1999 ausdrücklich
unstreitig gestellt hat. Die Beklagte, die A. + M. Versicherung AG, schließt mit
Reiseveranstaltern Versicherungsverträge, die Entschädigungsleistungen für den Fall
vorsehen, dass Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des
Reiseveranstalters ausfallen, wenn und soweit der Reisewillige Zahlungen nur bis zu
einer bestimmten Höchstgrenze und nur innerhalb bestimmter Fälligkeitszeiträume
erbringt. Die bei ihr versicherten Reiseveranstalter verpflichtet die Beklagte vertraglich,
mit den Reisenden keine abweichenden Zahlungsmodalitäten zu vereinbaren. In ihren
Sicherungsscheinen, die die Beklagte den bei ihr versicherten Reiseveranstaltern
aushändigt und die der Reiseveranstalter an seinen reisewilligen Vertragspartner
weitergibt, sind bestimmte Klauseln enthalten, die nach Auffassung des Klägers gegen
§ 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG verstoßen. Der Kläger beanstandet,
dass nach den Versicherungsbedingungen vor Reisebeginn Versicherungsschutz für
Anzahlungen nur bis zu 10% des Reisepreises, höchstens jedoch 500,00 DM, besteht
und dass sich der Versicherungsschutz für weitere Zahlungen nur auf solche Zahlungen
erstreckt, die frühestens einen Monat vor dem aus der Buchungsbestätigung
ersichtlichen Abreisetag geleistet worden sind.
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Der Kläger hat beantragt,
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der Beklagten unter gleichzeitiger Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu
500.000,00 DM ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder der Ordnungshaft
bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu untersagen, die
nachfolgenden oder inhaltsgleiche Klauseln in ihren Allgemeinen
Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit Verträgen über die Versicherung von
Reiseleistungen zu verwenden oder sich auf diese Klauseln zu berufen,
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ausgenommen Verträge mit einem Kaufmann im Rahmen eines Handelsgeschäfts, mit
einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder mit einem öffentlich-rechtlichen
Sondervermögen:
a)
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Vor Reisebeginn besteht ausschließlich für folgende Zahlungen Versicherungsschutz:
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Für Anzahlungen: Bis zu 10 % des Reisepreises, die
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jedoch nicht mehr als DM 500,00 be-
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tragen dürfen.
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b)
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Vor Reisebeginn besteht ausschließlich für folgende Zahlungen Versicherungsschutz:
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Für weitere Zahlungen: Frühestens einen Monat vor dem
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aus der Buchungsbestätigung er-
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sichtlichen Abreisetag.
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c)
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Höhere Anzahlungen oder frühere Zahlungen des Reisepreises sind nicht versichert.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Durch das angefochtene Urteil vom 24.02.1999, auf das wegen der Einzelheiten
verwiesen wird (Blatt 94 ff. d.A.), hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur
Unterlassung verurteilt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen
ausgeführt, die streitgegenständlichen Klauseln unterliefen die in § 651 k Abs. 1, 3 und
4 BGB enthaltenen Bestimmungen, benachteiligten den Reisenden entgegen Treu und
Glauben unangemessen und seien deshalb wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 und
Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam.
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Gegen das ihr am 18.03.1999 zugestellte Urteil des Landgerichts vom 24.02.1999 hat
die Beklagte am 16.04.1999 Berufung eingelegt und diese nach zweifacher
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.06.1999 mit einem an diesem
Tag bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und meint, der
Reiseveranstalter und nicht sie sei Verwender der vorformulierten, mit der Klage
angegriffenen Vertragsbedingungen. In der Sache habe das Landgericht zu Unrecht
einen Verstoß gegen § 9 AGBG angenommen.
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Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Auch er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt das
angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den in der
mündlichen Verhandlung vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst sämtlichen Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung der Beklagte hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das
Landgericht angenommen, die streitgegenständlichen Klauseln benachteiligten den
Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessen, sie seien deshalb gemäß § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Nr. 1
AGBG unwirksam.
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Nicht anzuschließen vermag sich der Senat allerdings der Auffassung der Beklagten,
sie sei nicht der Verwender der vorformulierten Vertragsbedingungen im Sinne des § 1
Abs. 1 AGBG. Zwar ist es richtig, dass Vertragspartner der Beklagten ausschließlich der
Reiseveranstalter ist. Träger des versicherten Interesses ist allerdings allein der
reisewillige Kunde. Dieser soll grundsätzlich davor geschützt werden, dass er den
normalerweise erst nach Beendigung der Reise fälligen Reisepreis verliert, wenn er ihn
vor Reiseantritt begleicht und der Reiseveranstalter insolvent wird. Es handelt sich
mithin um eine Fremdversicherung, bei der durch Aushändigung des
Sicherungsscheins im Sinne des § 651 k Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 75 Abs. 2
VVG sichergestellt ist, dass der reisewillige Kunde des Vertragspartners der Beklagten
den materiellen Anspruch unmittelbar gegen den Versicherer geltend machen kann.
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Kann demnach nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Beklagte Verwender der
vorformulierten Vertragsbedingungen und damit passivlegitimiert ist, scheitert der
geltend gemachte Unterlassungsanspruch jedoch daran, dass die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 AGBG nicht vorliegen. Nach § 9 Abs. 1 AGBG sind
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den
Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. Eine solche unangemessene Benachteiligung ist nach § 9 Abs. 2 Nr. 1
AGBG im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen
Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu
vereinbaren ist. Eine solche Abweichung hat das Landgericht hier mit der Begründung
angenommen, nach § 651 k BGB dürfe der Reiseveranstalter vor Beendigung der Reise
Zahlungen nur dann entgegennehmen, wenn er dem Reisenden gleichzeitig einen
Sicherungsschein übergebe, der diesen bis zur Höhe des gezahlten Reisepreises
gegen das Insolvenzrisiko des Veranstalters absichere, § 651 k Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BGB, von dieser Regelung könne gemäß § 651 l BGB zum Nachteil des Reisenden
nicht abgewichen werden. Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Gesetzgeberisches
Ziel des § 651 k BGB war es, den Reisenden vor Schäden infolge der
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Zahlungsunfähigkeit oder der Insolvenz des Veranstalters abzusichern. Das ist dadurch
geschehen, dass der Reiseveranstalter von dem Reisenden den vereinbarten
Reisepreis grundsätzlich erst nach Beendigung der Reise verlangen kann. Fordert der
Reiseveranstalter von seinem Kunden vor Beendigung der Reise Zahlungen auf den
Reisepreis, muss er den Reisenden gegen das Insolvenzrisiko absichern. Hierzu hat
der Reiseveranstalter unter anderem die Möglichkeit, dem Reisenden einen
Sicherungsschein zu übergeben und ihm so einen unmittelbaren Anspruch gegen den
Versicherer zu verschaffen (§ 651 k Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 BGB). Letztlich
bedeutet die Regelung des § 651 k Abs. 4 BGB damit, dass der Reiseveranstalter von
seinem Kunden nur versicherte Zahlungen verlangen darf.
Nach ihrem unstreitigen Sachvortrag verpflichtet die Beklagte jeden bei ihr um
Versicherungsschutz nachsuchenden Reiseveranstalter, im Außenverhältnis, also im
Verhältnis des Reiseveranstalters zu dessen reisewilligen Kunden, ausschließlich
kongruente Fälligkeitsbedingungen zu vereinbaren. Im Verhältnis zum Versicherer ist
der Versicherungsnehmer also vertraglich verpflichtet, von seinen reisewilligen Kunden
bei Anzahlungen nicht mehr als 10% des Reisepreises, höchstens jedoch 500,00 DM zu
verlangen, außerdem darf er weitere Zahlungen frühestens 1 Monat vor dem aus der
Buchungsbestätigung ersichtlichen Abreisetag fordern. Halten sich der
Reiseveranstalter und der Reisende an diese gesetzlichen Bestimmungen und
vertraglichen Vereinbarungen, zahlt der Reisende also vor Reisebeginn pflichtgemäß
nur den Teil des Reisepreises, den er im Falle der Insolvenz seines Vertragspartners
per zu seinen Gunsten abgeschlossener Fremdversicherung von dem Versicherer
zurückerhält, ist dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, deren Adressat der
Reiseveranstalter und nicht der Versicherer ist, genüge getan. Verlangt und/oder erhält
der Reiseveranstalter dagegen von dem Reisenden Zahlungen, die er weder fordern
noch vereinnahmen darf, weil er mit seinem Versicherer eine kongruente Deckung nicht
vereinbart und deshalb gegen die zwingende Regelung des § 651 k Abs. 4 BGB
verstoßen hat, sanktioniert der Gesetzgeber das zum einen dadurch, dass er die zum
Nachteil des Reisenden abweichende Vereinbarung für nichtig erklärt (§ 651 l BGB),
zum anderen dadurch, dass er die Bestrafung des Reiseveranstalters durch
Verhängung eines Bußgeldes vorsieht, § 147 b GewO. Sind aber im Reisevertrag
vereinbarte Fälligkeitsregelungen, die vom Versicherungsschutz nicht erfasst werden,
mit der Folge nichtig, dass sich der Reisende hierauf nicht einzulassen braucht, wird er
nicht dadurch unangemessen benachteiligt, dass sich der Versicherer darauf beruft, er -
der Reisende - habe ohne entsprechende vertragliche Verpflichtung zu früh und/oder zu
viel bezahlt. In diesem Fall beruht das Ausfallrisiko im Insolvenzverfahren
ausschließlich darauf, dass der Reisende eine Leistung erbracht hat, die zu erbringen er
nicht verpflichtet war.
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In seiner Auffassung, dass die mit der Klage konkret angegriffenen Klauseln einer
Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG standhalten, sieht sich der Senat durch zwei
Überlegungen bestärkt: Bei anderer Auffassung würde nämlich zum einen der
Versicherer gezwungen sein, ausnahmslos alle Anzahlungen eines Reisewilligen
abzusichern, auch und gerade die nicht geschuldeten, aber vom Reiseveranstalter
verlangten. Dies liefe praktisch auf eine gesetzliche Zwangsversicherung per
Richterrecht hinaus, obschon der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 147 b GewO
einerseits und des § 651 l BGB andererseits vorgegeben hat, welche Rechtsfolgen
Verstöße des Reiseveranstalters gegen §§ 651 a bis 651 k BGB haben sollen und wie
sie zu ahnden sind. Zum anderen wäre die Regelung des § 651 l BGB ohne praktische
Bedeutung. Sie liefe nämlich weitestgehend leer, weil inkongruente Fälligkeits- und
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Zahlungsbedingungen in den Vertragsverhältnissen zwischen Reiseveranstalter und
Versicherer auf der einen und Reiseveranstalter und Reisendem auf der anderen Seite
dann, wenn die Auffassung des Klägers richtig wäre, stets über die Inhaltskontrolle nach
§ 9 Abs. 1 AGBG solange angeglichen werden müssten, bis sie einander
deckungsgleich gegenüberstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit sowie über die Festsetzung der Beschwer folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711,
108, 546 Abs. 2 ZPO.
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Mit Rücksicht darauf, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 12.11.1999
übereinstimmend vorgetragen haben, die mit der Klage angegriffenen Klauseln seien in
Reiseversicherungsverträgen der vorliegenden Art weitverbreitet und üblich, hat der
Senat gemäß § 546 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Revision zugelassen, um dem Kläger
Gelegenheit zu geben, die Zulässigkeit der mit der Klage angegriffenen Fälligkeits- und
Zahlungsklauseln höchstrichterlich überprüfen zu lassen.
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