Urteil des OLG Köln vom 27.08.1991

OLG Köln (stpo, verteidiger, strafkammer, verteidigung, arzt, zweck, erkrankung, entschuldigung, ablehnung, beschränkung)

Oberlandesgericht Köln, Ss 399/91
Datum:
27.08.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 399/91
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere (große) Strafkammer des
Landgerichts Aachen zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen
(§§ 369, 370 AO, § 53 StGB) zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 40,-
DM verurteilt. Die Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten wegen dessen
Ausbleiben im Hauptverhandlungstermin gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen.
Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen
Rechts beanstandet.
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Schon die ordnungsgemäß erhobene Rüge einer unzulässigen Beschränkung der
Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) greift durch.
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Aus dem durch das Sitzungsprotokoll bestätigten Revisionsvorbringen ergibt sich, daß
der im Termin anwesende Verteidiger des nicht erschienenen Angeklagten dort einen
"Vertagungsantrag" gestellt hat, der in der Berufungshauptverhandlung nicht
beschieden worden ist.
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Diese Unterlassung, die einer Beschränkung der Verteidigung durch Gerichtsbeschluß
gleichsteht (vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, 39. Aufl., § 338 Nr. 60 m.w.N.), erweist sich
als rechtsfehlerhaft.
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Über einen - nicht bloß hilfsweise gestellten - Aussetzungsantrag (§ 228 Abs. 1 Satz 1
StPO) hat das Gericht grundsätzlich noch vor der Urteilsverkündung zu befinden, damit
die Beteiligten Gelegenheit haben, andere Anträge zu stellen (vgl. RGSt. 23, 136, 137;
EK-Treier, StPO, 2. Aufl., § 228 Rn. 7). Zwar kann von der Regel, über einen
Aussetzungsantrag vorweg zu entscheiden, abgewichen werden, wenn die Präge der
genügenden Entschuldigung sowohl für das Schicksal der Berufung als auch für
dasjenige des Vertagungsantrags in gleicher Weise ausschlaggebend und nicht
ersichtlich ist, welche neuen Gründe die Verteidigung nach einer Ablehnung ihres
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ersichtlich ist, welche neuen Gründe die Verteidigung nach einer Ablehnung ihres
Aussetzungswunsches hätte vorbringen sollen (vgl. OLG Stuttgart GA 1962, 92). In
solchen Fällen, kann die Berufung ohne besondere Entscheidung über das
Aussetzungsgesuch sofort nach § 329 StPO verworfen werden (vgl. OLG Saarbrücken
NJV 1975, 1613, 1615; Kleinknecht/Meyer a.a.O. § 329 Rn. 5). Handelt es sich jedoch -
wie hier - um ein durch Strafbefehl eingeleitetes Verfahren und ist der Verteidiger - wie
hier der des Angeklagten - mit einer besonderen Vertretungsvollmacht gemäß § 411
Abs. 2 StPO ausgestattet, so ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß über
Aussetzungsanträge vorab zu entscheiden sei, schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil
die Verteidigung bei einer Ablehnung der Aussetzung in der Hauptverhandlung
erkennbar nicht am Ende ihrer Möglichkeiten ist, sondern unter Hinweis auf die
Vertretungsvollmacht nach § 411 Abs. 2 StPO eine Verhandlung in Abwesenheit des
Angeklagten beantragen und damit eine Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO
verhindern kann (vgl. Kleinknecht/Meyer a.a.O. § 329 Rn. 15). Die Auffassung der
Strafkammer, der Verteidiger habe den Angeklagten nicht vertreten, sondern nur einen
Aussetzungsantrag stellen wollen, findet in den Feststellungen keine hinreichende
Stütze.
Allerdings ist richtig, daß der Verteidiger ermächtigt und bereit sein muß, den
Angeklagten zu vertreten. Daran fehlt es, wenn er allein zu dem Zweck erscheint, um
einen auf Verhandlungen Unfähigkeit gestützten Aussetzungsantrag, der schon früher
gestellt war, zu wiederholen (vgl. KG JR 1985, 343). Im vorliegenden Fall gibt es indes
keine genügenden Anhaltspunkte für einen mangelnden Vertretungswillen des
Verteidigers des Angeklagten. Während das KG (a.a.O.) seine gegenteilige Annahme
darauf gründen konnte, daß sich der in jenem Berufungsverfahren tätige Verteidiger
nach Anbringung des Aussetzungsantrags sofort entfernt hatte, war der Verteidiger des
Angeklagten ausweislich des Protokolls bis zum Schluß der
Berufungshauptverhandlung anwesend und damit auch, in der Lage, nach einer
Ablehnung des Aussetzungsgesuchs weitergehende Anträge zu stellen. Insoweit muß
dem Revisionsvorbringen bei verständiger Würdigung die bestimmte Behauptung
entnommen werden, daß der Verteidiger den Antrag auf Verhandlung in Abwesenheit
des Angeklagten (§ 411 Abs. 2 StPO) gestellt hätte, wenn das Aussetzungsgesuch - wie
erforderlich - vorher abgelehnt worden wäre. Da sich ein solches Vorgehen des
Verteidigers, das den Erlaß eines Verwerfungsurteils nach § 329 StPO verhindert hätte,
nicht ausschließen läßt ist eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung auf der das
Urteil auch beruhen kann erwiesen.
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Abgesehen davon ist das Ausbleiben des Angeklagten entgegen der Ansicht der
Strafkammer genügend entschuldigt. Er hat ein ärztliches Attest vom 26. Februar 1991
vorgelegt. Danach war er wegen einer Erkrankung "verhandlungsunfähig und nicht in
der Lage, den Gerichtstermin am 27. Februar 1991 wahrzunehmen". Soweit der Arzt in
einem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden der Strafkammer die im Attest enthaltene
Aussage eingeschränkt und bemerkt hat, er sei vom Angeklagten über den Zweck des
Attests getäuscht worden, dieser sei doch reise- und verhandlungsfähig, ist das nicht
geeignet, die genügende Entschuldigung des Angeklagten in Frage zu stellen. Es ist
schon nicht nachvollziehbar, inwiefern der Arzt über den Zweck des Attests getäuscht
worden sein soll, denn dort ist ausdrücklich vermerkt, daß der Angeklagte
"verhandlungsunfähig" und nicht in der Lage sei, den "Gerichtstermin am 27. Februar
1991" wahrzunehmen. Der Arzt wußte somit entgegen Deiner Darstellung genau, daß
die Bescheinigung dazu bestimmt war, das Fernbleiben des Angeklagten von einem
Gerichtstermin zu entschuldigen. Selbst wenn die Erkrankung des Angeklagten, die der
Arzt auch in dem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden der Strafkammer bestätigt hat,
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nach erneuter medizinischer Beurteilung nicht so gravierend war, daß der Angeklagte
die Berufungshauptverhandlung hätte versäumen dürfen, ist er jedenfalls deshalb
entschuldigt, weil er auf die entschuldigende Wirkung des Attestes vertraut hat (vgl. OLG
Düsseldorf NJW 1985, 2207, 2208; Kleinknecht/Meyer a.a.O. § 329 Rn. 26). Da nicht
ersichtlich ist, daß er jenes Attest - etwa durch Vorspiegeln falscher Symptome -
erschlichen hat, muß davon ausgegangen werden, daß der Angeklagte ohne
Verschulden angenommen hat, der Inhalt des von ihm eingereichten Attests reiche aus,
um ihn genügend zu entschuldigen, zumal es keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß der
Arzt ihm über die Folgen seiner Erkrankung etwas anderes mitgeteilt hat als im Attest
vermerkt ist. Eine andere Beurteilung könnte nur dann in Betracht kommen, wenn das
Gericht dem Angeklagten noch rechtzeitig mitgeteilt hätte, das übermittelte Attest reiche
wegen der jetzt vorliegenden abweichenden ärztlichen Bewertung des
Krankheitszustands nicht zu seiner Entschuldigung aus. Eine solche Nachricht hat den
Angeklagten jedoch nicht erreicht.