Urteil des OLG Karlsruhe vom 28.10.2016

wirksame vertretung, falsches gutachten, psychiatrisches gutachten, wiederaufnahme

OLG Karlsruhe Beschluß vom 28.10.2016, 20 UF 81/15
Wiederaufnahme eines güterrechtlichen Verfahrens: Nichtigkeitsklage bei Vertretung eines
Ehegatten durch einen vom rechtswidrig bestellten Betreuer bevollmächtigten Rechtsanwalt
Leitsätze
Ein Beteiligter, der im Gerichtsverfahren durch einen vom Betreuungsgericht wirksam bestellten Betreuer
vertreten wird, ist "nach Vorschrift der Gesetze" vertreten. Dies gilt auch dann, wenn die Betreuung zu
Unrecht angeordnet wurde und die Betreuungsanordnung im betreuungsgerichtlichen Rechtsmittelverfahren
später aufgehoben oder ihre Rechtswidrigkeit festgestellt wird (§ 62 FamFG). Eine Wiederaufnahme in Form der
Nichtigkeitsklage gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO kann hierauf nicht gestützt werden.
Tenor
1. Der Versäumnisbeschluss des Senats vom 08.07.2016, Az. 20 UF 81/15, wird aufrechterhalten.
2. Der Antragsteller trägt auch die weiteren Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 336.583,84 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Der Antragsteller begehrt die Wiederaufnahme des zwischen ihm und seiner von ihm seit Februar 2007
geschiedenen Ehefrau geführten güterrechtlichen Verfahrens, in dem der Antragsteller durch Urteil des
Familiengerichts Pforzheim vom 17.06.2010 - 5 F 301/06 - rechtskräftig verurteilt worden ist, an seine
geschiedene Ehefrau einen Zugewinnausgleich von 363.583 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
2 In dem durch Klage vom 09.08.2006 eingeleiteten Ausgangsverfahren 5 F 301/06 wurde der Antragsteller
zunächst durch von ihm gewählte und bevollmächtigte Rechtsanwälte vertreten.
3 Durch für sofort wirksam erklärten Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Pforzheim vom
16.04.2009 (1 XVII 60/09) wurde dem Antragsteller ein berufsmäßiger Betreuer mit dem Aufgabenkreis u.
a. der Vertretung in Familiensachen bestellt, ohne Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Gegen diesen
Beschluss legte der Antragsteller Beschwerde ein, die im Mai 2009 dem Landgericht Karlsruhe als
Beschwerdegericht vorgelegt wurde (11 T 228/09).
4 Im Ausgangsverfahren 5 F 301/06 teilten die zuletzt tätig gewesenen Prozessbevollmächtigten am
24.07.2009 bzw. 10.09.2009 mit, dass sie den Antragsteller nicht mehr vertreten könnten bzw. das Mandat
niederlegen würden. Der Betreuer teilte dem Familiengericht sodann am 28.10.2009 mit, dass ein Anwalt
zeitnah bestellt würde. Am 25.11.2009 zeigte Rechtsanwalt S. dem Familiengericht die Vertretung des
Antragstellers an mit dem Hinweis, der Betreuer sei einverstanden. Im Verhandlungstermin vom 27.04.2010
war der Antragsteller ausweislich des Protokolls in Person mit Rechtsanwalt S. erschienen. Mit Urteil vom
27.04.2010 sprach das Familiengericht der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers einen
Zugewinnausgleich in Höhe von 336.583,84 EUR nebst Zinsen zu und wies die darüber hinausgehende
Klage ab. Gegen dieses Urteil legte Rechtsanwalt S. Berufung ein mit dem Hinweis auf ein Zerwürfnis
zwischen ihm und dem Antragsteller, so dass eine Begründung erst durch einen von dem Betreuer zu
wählenden Rechtsanwalt erfolgen werde (20 UF 131/10). Nach Ablauf der verlängerten
Berufungsbegründungsfrist nahm Rechtsanwalt S. mit Schriftsatz vom 13.10.2010 die Berufung zurück.
Nach dem Vortrag des Antragstellers erfolgte dies auf Weisung des Betreuers ohne Absprache mit dem
Antragsteller.
5 Im vormundschaftsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zeigte ebenfalls Rechtsanwalt S. mit Schriftsatz vom
25.11.2009 die Vertretung des Antragstellers an und legte eine von diesem unterzeichnete
Verfahrensvollmacht vor. Noch bevor durch das Landgericht eine Beschwerdeentscheidung ergangen war,
hob das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Pforzheim mit für sofort wirksam erklärtem Beschluss vom
11.10.2011 die Betreuung auf. Zur Begründung wurde in dem Beschluss ausgeführt, die Betreuung sei
wegen Zweckerreichung aufzuheben, nachdem die Gerichtsverfahren, welche den Gegenstand der
Betreuung bildeten, abgeschlossen seien. Das Landgericht Karlsruhe verwarf sodann mit Beschluss vom
23.07.2013 die - gegen die Anordnung der Betreuung eingelegte - Beschwerde vom 16.04.2009 als
unzulässig. Auf die weitere Beschwerde stellte das Oberlandesgericht Karlsruhe durch Beschluss vom
13.08.2013 - 11 Wx 63/13 - fest, dass die Betreuerbestellung vom 16.04.2009 rechtswidrig war, da die der
Betreuerbestellung zu Grunde liegenden Gutachten unzureichend gewesen seien; bei der Erstellung der
Gutachten sei nicht die Möglichkeit eines wahren Kerns der Anschuldigungen des Antragstellers gegen seine
Ehefrau, die selbst die Betreuerbestellung zur Vertretung des Antragstellers im
Zugewinnausgleichsverfahren wegen seiner Prozessunfähigkeit beantragt hatte (1 XVII 60/09 - 49), in
Erwägung gezogen worden.
6 Der Antragsteller hat in erster Instanz beantragt,
7
das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 17.06.2010 - 5 F 301/06 - aufzuheben und
den Antrag der Antragsgegnerin auf Zahlung von Zugewinnausgleich abzuweisen.
8 Die Antragsgegnerin hat beantragt,
9
den Antrag zurückzuweisen.
10 Durch den angegriffenen Beschluss vom 22.4.2015 hat das Familiengericht den Antrag auf Urteilsaufhebung
zurückgewiesen, da der Nichtigkeitsantrag unzulässig sei. Der Antragsteller sei im Ausgangsverfahren
ordnungsgemäß vertreten gewesen; dass sich die Betreuerbestellung später als rechtswidrig herausgestellt
hat, beeinträchtige die Wirksamkeit der inzwischen vorgenommenen Rechtsgeschäfte nicht. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
11 Gegen diesen, ihm am 4.5.2015 zugestellten, Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 1.6.2015,
eingegangen beim Amtsgericht am 2.6.2015, Beschwerde eingelegt; die Beschwerdebegründung ist sodann
beim Oberlandesgericht am Montag, 6.7.2015 eingegangen.
12 Der Antragsteller macht geltend, die Einrichtung einer Betreuung, ohne dass überhaupt die
Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten, stelle für ihn eine schwer wiegende Rechtsverletzung dar. Dies
müsse zur Nichtigkeit führen. Außerdem sei im hiesigen Verfahren abzuwägen und zu prüfen, ob die
Rechtswidrigkeit einer Betreuerbestellung es gebiete, die Rechtsfolgen des §§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
anzunehmen. Es müsse berücksichtigt werden, dass hier sowohl die frühere Ehefrau des Antragstellers als
auch dessen Tochter die Psychiatriesicherung des Antragstellers zielstrebig herbeigeführt hätten und
schließlich ein falsches Gutachten über die Geschäftsfähigkeit des Antragstellers erreicht hätten. Tatsächlich
habe jedoch keinerlei Veranlassung bestanden, dem Antragsteller einen Betreuer zur Seite zu stellen.
13 Der Antragsteller hat zunächst beantragt:
14 Der Beschluss des Amtsgerichts Pforzheim vom 25.3.2015 - Az. 5 F 139/13 - wird mit dem Urteil des
Amtsgerichts Pforzheim vom 17.6.2010 - Az. 5 F3 101/06 GÜ - aufgehoben und der Antrag der
Antragsgegnerin auf Zahlung von Zugewinnausgleich abgewiesen.
15 Die Antragsgegnerin hat zunächst beantragt,
16 die Beschwerde zurückzuweisen.
17 Die Antragstellerin verteidigt den Beschluss des Familiengerichts und macht geltend, der Antragsteller sei im
Ausgangsverfahren ordnungsgemäß vertreten gewesen. Die ursprüngliche Betreuerbestellung sei
ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit rechtswirksam gewesen.
18 Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren Zweifel hinsichtlich der Verfahrensfähigkeit des
Antragstellers geäußert. Der Senat hat daraufhin den Antragsteller persönlich angehört und sodann gemäß
Beweisbeschluss vom 15.1.2016 ein forensisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt. Wegen des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten Professor Dr. D. vom 5.4.2016 sowie das Protokoll über die
Vernehmung des Sachverständigen vom 8.7.2016 Bezug genommen.
19 Nachdem für den Antragsteller im Verhandlungstermin vom 8.7.2016 niemand erschienen war, hat der
Senat die Beschwerde durch Versäumnisbeschluss vom 8.7.2016 zurückgewiesen. Gegen diesen, ihm am
13.7.2016 zugestellten, Versäumnisbeschluss hat der Antragsteller mit am 27.7.2016 eingegangenem
Anwaltsschriftsatz Einspruch eingelegt.
20 Der Antragsteller beantragt,
21 den Versäumnisbeschluss vom 27.07.2016 aufzuheben und sodann den Beschluss des Amtsgerichts
Pforzheim vom 25.03.2015 - Az. 5 F 139/13 - mit dem Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 17.06.2010 -
Az. 5 F 301/06 GÜ - aufzuheben und den Antrag der Antragsgegnerin auf Zahlung von Zugewinnausgleich
abzuweisen.
22 Die Antragsgegnerin beantragt,
23 den Versäumnisbeschluss vom 27.07.2016 aufrechtzuerhalten.
24 Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrensgeschehens, des Vorbringens der Beteiligten und der
Verfahrensgeschichte wird auf die ergangenen Entscheidungen, die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen und Niederschriften verwiesen. Die Akten des Amtsgerichts Pforzheim 5 F 301/06 mit OLG 20 UF
131/10 und AG Pforzheim 1 XII 60/09 mit LG Karlsruhe 11 T 228/09 und OLG Karlsruhe 11 Wx 63/13
waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
25 Das vorliegende Verfahren über den Wiederaufnahmeantrag unterliegt dem durch das FGG-Reformgesetz
geänderten Verfahrensrecht (Art. 111 Abs. 1 Satz 2 FGG-RG).
26 Der gemäß §§ 112 Nr. 2, 117 Abs. 2 FamFG, 539 Abs. 1 ZPO ergangene Versäumnisbeschluss vom 8.7.2016
war aufrecht zu erhalten (§§ 539 Abs. 3, 343 ZPO). Denn die gemäß §§ 58 ff., 112 Nr. 2, 117 Abs. 1 FamFG
zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für die vom Antragsteller
beantragte Wiederaufnahme liegen nicht vor.
27 1) Es mangelt vorliegend allerdings nicht an der allgemeinen Verfahrensvoraussetzung (§§ 112 Nr. 2, 113
Abs. 1 FamFG, 51 ZPO) der Verfahrensfähigkeit des Antragstellers. Die vom Senat durchgeführte
Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Antragsteller verfahrensfähig ist.
28 Verfahrensunfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter
Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand nach seiner Natur nach ein vorübergehender
ist (§§ 113 Abs. 1 FamFG, N51 ZPO, 104 Nr. 2 BGB). Die Feststellungslast hinsichtlich seiner
Verfahrensfähigkeit trägt hier der eine Sachentscheidung begehrende Antragsteller (vergleiche
Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 56 Rn. 9). Allerdings sind nach der Lebenserfahrung Störungen der
Geistestätigkeit Ausnahmeerscheinungen, so dass im Allgemeinen von der Prozess- oder Verfahrensfähigkeit
eines Beteiligten auszugehen und anderes nur dann anzunehmen ist, wenn hinreichende Anhaltspunkte
dafür vorliegen, dass Prozess- oder Verfahrensunfähigkeit vorliegen könnte (BGH FamRZ 2014, 553, Rn. 8).
29 Solche hinreichenden Anhaltspunkte liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor. Der Senat
folgt insoweit den nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Professor Dr.
D.. Nach dessen überzeugenden Darstellungen ist hier eine wahnhafte Störung hinsichtlich der
Vorstellungen des Antragstellers über die Verfehlungen seiner Ehefrau schon deshalb zu verneinen, weil der
Antragsteller an seinen Vorstellungen nicht unkorrigierbar und unverrückbar festhält, vielmehr das
Bestehen einer abweichenden Sachlage nicht per se leugnet und nach einer beweiskräftigen Überprüfung
sucht. Die insoweit allerdings feststellbare überwertige Idee mit erschwerter Kommunikation beeinträchtigt
noch nicht die Fähigkeit des Antragstellers zur freien Willensbildung, vielmehr zeigte er sich in der
Exploration überstiegsfähig, er war in der Lage, seine Vorwürfe zu hinterfragen und sich mit der Möglichkeit
einer bei ihm bestehenden Fehlvorstellung auseinanderzusetzen. Insgesamt verbleiben nach den
Feststellungen des Sachverständigen keine greifbaren Zweifel an der Fähigkeit des Antragstellers zur freien
Willensbestimmung.
30 Die Feststellungen des Sachverständigen Professor Dr. D. überzeugen auch angesichts der Übereinstimmung
im Ergebnis mit der Begutachtung durch Dr. V. vom 25.7.2011 und Dipl. Psych. U. vom 17.6.2009 (beide in
den Akten des Betreuungsverfahrens). Die abweichende Beurteilung in den amtsärztlichen Gutachten vom
26.11.2008 und 10.3.2009 (ebenfalls in den Akten des Betreuungsverfahrens) wird nicht verkannt; der
Senat hält aber insbesondere das Gutachten Professor Dr. D. sowohl wegen der überragenden Sachkunde
des Gutachters, welcher Leiter des Bereichs forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für seelische
Gesundheit in M. ist, als auch angesichts seiner vertieften Auseinandersetzung mit der Problematik
(gegenüber lediglich 3- bzw. 4-seitigen amtsärztlichen Stellungnahmen) für deutlich überlegen.
31 2) Offen bleiben kann, ob der Nichtigkeitsantrag bereits gemäß §§ 112 Nr. 2, 118 FamFG, 579 Abs. 1 Nr. 4,
586 Abs. 3, 589 Abs. 1 S. 1 ZPO unzulässig ist. Insoweit kommt es darauf an, ob der Antragsteller die
Klagefrist (§ 586 Abs. 1, Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO) gewahrt hat. Da im Ausgangsverfahren des Familiengerichts
Pforzheim, Az. 5 F 301/06, das Urteil vom 17.06.2010 und der Beschluss des Senats vom 14.10.2010
(Verlustigkeitserklärung) zu keinem Zeitpunkt dem Beschwerdeführer oder einem von ihm selbst
bevollmächtigten Rechtsanwalt (vgl. Zöller/Greger, § 586 Rn. 22; MünchKomm-ZPO/Braun, 4. Aufl., § 586
Rn. 23) zugestellt wurden, hängt dies davon ab, ob die seinerzeitige Zustellung an den vom Betreuer
wirksam bevollmächtigten Rechtsanwalt S. die Klagefrist in Lauf gesetzt hat. Die Frage bedarf, da der
Nichtigkeitsantrag jedenfalls unbegründet ist (s. u.), hier keiner abschließenden Entscheidung.
32 3) Der Nichtigkeitsantrag des Antragstellers ist jedenfalls nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 579
Abs. 1 Nr. 4 ZPO liegen nicht vor. Der Antragsteller war in dem Ausgangsverfahren 5 F 301/06 „nach
Vorschrift der Gesetze“ vertreten.
33 a) Der Antragsteller war im Ausgangsverfahren wirksam durch Rechtsanwalt S. vertreten, da diesem von
dem wirksam bestellten Betreuer ordnungsgemäße Prozessvollmacht erteilt war.
34 Dem Antragsteller war durch Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Pforzheim vom
16.4.2009 ein rechtlicher Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Vertretung des Betroffenen in Familiensachen
und im Zivilverfahren wegen Mietzinsforderung“ bestellt worden. Da zugleich die sofortige Wirksamkeit
angeordnet war, war der Beschluss gemäß § 69 a Abs. 3 FGG (heute: § 287 Abs. 2 Nr. 2 FamFG) mit der am
16.4.2009 erfolgten Übergabe an die Geschäftsstelle zum Zweck der Bekanntgabe wirksam. Ab diesem
Zeitpunkt bis zur Aufhebung der Betreuung mit Beschluss des Amtsgerichts Pforzheim vom 11.10.2011 war
der wirksam bestellte Betreuer rechtlich in der Lage und befugt, den Antragsteller im familiengerichtlichen
Ausgangsverfahren wirksam zu vertreten (§§ 1902 BGB, 51 Abs. 1 ZPO). Insbesondere war der Betreuer
befugt, Rechtsanwalt S. mit der Vertretung des Antragstellers im Ausgangsverfahren zu beauftragen und
ihm entsprechende Verfahrensvollmacht zu erteilen (AS I 747, 797 des Ausgangsverfahrens). Auf einen
etwaigen Widerspruch des Antragstellers hiergegen wäre es nach § 53 ZPO nicht angekommen.
35 Hieran ändert weder die Aufhebung der Betreuung durch Beschluss des Amtsgerichts -
Vormundschaftsgericht - Pforzheim vom 11.10.2011 noch der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe
vom 13.8.2013 mit der Feststellung, dass die ursprüngliche Betreuerbestellung rechtswidrig war, etwas. Die
Aufhebung der Betreuung durch das Amtsgericht erfolgte lediglich mit Wirkung für die Zukunft (§ 1908 d
Abs. 1 BGB; vgl. MünchKomm-BGB/Schwab, 6. Aufl., § 1908 d BGB Rn. 7). Das Oberlandesgericht Karlsruhe
hat es im Beschluss vom 13.8.2013 zudem ausdrücklich abgelehnt, die Betreuerbestellung rückwirkend
aufzuheben, und zur Begründung auf die gestaltende Wirkung der Betreuerbestellung und das Vertrauen
des Rechtsverkehrs auf die Wirksamkeit der in diesem Zeitraum vorgenommenen Rechtsgeschäfte
hingewiesen. Nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 32 FGG bzw. § 47 FamFG bleiben die von einem
wirksam bestellten Betreuer vorgenommenen Rechtsgeschäfte selbst dann wirksam, wenn der
Bestellungsbeschluss ungerechtfertigt war und später aufgehoben wird. Nichts anderes kann für
Prozesshandlungen des wirksam bestellten Betreuers gelten. Der Ausnahmefall einer von Anfang an
unwirksamen (nichtigen) Betreuerbestellung (vgl. § 32 FGG bzw. § 47 FamFG) war hier nicht gegeben, wie
schon vom OLG Karlsruhe im Beschluss vom 13.08.2013 zutreffend festgestellt.
36 Darauf, ob die Antragsgegnerin - als Prozessgegnerin des Ausgangsverfahrens - hinsichtlich der Gründe für
die Betreuungsanordnung gut- oder bösgläubig war, kommt es nicht an (Zöller/Feskorn, ZPO, 31. Aufl., § 47
FamFG Rn. 1; Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 3. Aufl., § 47 Rn. 9). Insoweit kommen allenfalls
Schadenersatzansprüche des Antragstellers bei kollusivem Zusammenwirken in Betracht (Zöller/Feskorn a.
a. O.), die jedoch nicht im vorliegenden Verfahren geltend zu machen sind.
37 b) Die Vertretung durch den vom Betreuer bevollmächtigten Rechtsanwalt S. war auch nicht deshalb „nicht
nach Vorschrift der Gesetze“, weil diese wirksame Vertretung nach der im betreuungs- bzw.
vormundschaftsgerichtlichen Rechtsmittelverfahren mit Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe
13.8.2013 (11 Wx 63/13) ausdrücklich getroffenen Feststellung ihre Grundlage in einer rechtswidrigen
Betreuungsanordnung hatte.
38 Der Wortlaut des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ließe es allerdings zu, unter die Norm auch die zwar nach dem
Verfahrensrecht wirksame, aber auf rechtswidriger Grundlage beruhende Vertretung zu subsumieren. Einer
solchen Auslegung steht jedoch die gesetzliche Wertung des § 47 FamFG (bzw. für Altfälle wie vorliegend §
32 FGG) entgegen. § 47 FamFG schützt das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf den Bestand wirksam
gewordener gerichtlicher Entscheidungen, kraft derer jemand die Befugnis zum rechtsgeschäftlichen
Handeln für eine andere Person erlangt hat; dem Verkehrsschutz wird durch die Vorschrift Vorrang
eingeräumt (vgl. Keidel/Engelhardt, FamFG, 18. Aufl., § 47 Rn. 1; MünchKomm-FamFG/Ulrici, 2. Aufl., § 47
Rn. 1). Diese Wertung beansprucht auch Geltung im Rahmen der Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
39 Allerdings stellt die gerichtliche Bestellung eines Betreuers für die unter Betreuung gestellte Person einen
gewichtigen Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG - und im Fall
fehlender Rechtmäßigkeit eine gewichtige Grundrechtsverletzung - dar (BVerfG FamRZ 2008, 2260; BVerfG
NJW 2010, 3360). Zugleich wird einer Person, welche von einem zu Unrecht - wenn auch wirksam -
bestellten Betreuer im Gerichtsverfahren vertreten wird, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
genommen. Denn wegen § 53 ZPO ist sie - selbst wenn sie noch prozessfähig sein sollte - daran gehindert,
sich im Gerichtsverfahren wirksam selbst oder durch einen von ihr ausgewählten und bevollmächtigten
Rechtsanwalt zu äußern.
40 Dem steht jedoch das ebenfalls als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips mit Verfassungsrang ausgestattete
Gebot der Rechtssicherheit und namentlich das Interesse der Rechtssuchenden, dass strittige
Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit abschließend geklärt werden (BVerfG NJW 1993, 1635; BVerfG
NJW-RR 2010, 1063), gegenüber. Dem Vertrauensschutz des Rechtsverkehrs und dem Gebot der
Rechtssicherheit würde es widersprechen, wenn die auf einer wirksamen gerichtlichen
Betreuungsanordnung beruhende, deshalb zunächst zweifellos wirksame, Vertretung des Betreuten
nachträglich in ihrer Wirksamkeit kassiert würde. Zwar genießt im umgekehrten Fall des zunächst
unerkannt verfahrensunfähigen Beteiligten das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf die Wirksamkeit von
dessen Verfahrenshandlungen keinen Vertrauensschutz, vielmehr ist in dieser Konstellation unzweifelhaft
die Wiederaufnahme nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO grundsätzlich möglich. Dort beruht jedoch das Vertrauen
des Rechtsverkehrs lediglich auf der tatsächlichen Annahme bestehender Verfahrensfähigkeit, während im
vorliegenden Fall eine wirksame Entscheidung des Betreuungsgerichts Grundlage des Vertrauensschutzes
ist.
41 Die Abwägung dieser gegenläufigen verfassungsrechtlich geschützten Interessen hat sich an der in § 47
FamFG getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung zu orientieren und erfolgt deshalb zu Gunsten des
Schutzes des Rechtsverkehrs in seinem Vertrauen auf den Bestand wirksam gewordener gerichtlicher
Betreuungsanordnungen.
42 Anderes ergibt sich nicht aus § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG und der Entscheidung des BVerfG vom 10.10.2008
(FamRZ 2008, 2260). Sinn und Zweck des die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer
Betreuerbestellung ermöglichenden Vorschrift des § 62 FamFG ist das Rehabilitationsinteresse des zu
Unrecht einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff ausgesetzten Beteiligten (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).
Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es, ein Rechtsschutzinteresse für die Prüfung des Grundrechtseingriffs auf seine
Rechtmäßigkeit auch dann anzunehmen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen
Hoheitsakt erledigt hat (BVerfG FamRZ 2008, 2260). Diesem Rehabilitationsinteresse hat das
Oberlandesgericht Karlsruhe durch den Ausspruch der Rechtswidrigkeit in seinem Beschluss vom 13.08.2013
Rechnung getragen. Weiter gehende Rechtsfolgen, insbesondere die rückwirkende Kassation der auf Grund
der wirksam angeordneten Betreuung für den Betreuten vorgenommenen Rechtshandlungen, folgen weder
aus § 62 FamFG noch aus den zitierten Entscheidungen des BVerfG.
43 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 112 Nr. 2, 113 Abs. 1 FamFG, 97 ZPO. Die Rechtsbeschwerde wird
gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen; die Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO im Hinblick auf Fälle einer
Vertretung durch den vom rechtswidrig, aber wirksam bestellten Betreuer bevollmächtigten Rechtsanwalt
ist - soweit ersichtlich - in der höchstrichterliche Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur nicht
geklärt.