Urteil des OLG Karlsruhe vom 02.01.2017

aussetzung, unterbringung, vollstreckung, widerruf

OLG Karlsruhe Beschluß vom 2.1.2017, 2 Ws 383/16
Leitsätze
1. Alle auf § 68e StGB gestützten Entscheidungen sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.
2. Mit dem Widerruf der Aussetzung einer Unterbringung entfällt die zuvor bestehende Führungsaufsicht.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen wird der Beschluss des Landgerichts
Konstanz vom 18. Oktober 2016 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Untergebrachten hieraus erwachsenen notwendigen
Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
1 Durch Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 19.8.2013, rechtskräftig seit 27.8.2013, war die
Unterbringung von L in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Mit Beschluss des
Landgerichts K vom 3.8.2015, rechtskräftig seit 14.8.2015, wurde die weitere Vollstreckung der Maßregel
zur Bewährung ausgesetzt; die Dauer der damit eintretenden Führungsaufsicht wurde auf drei Jahre
festgesetzt. Nach der Begehung einer neuen rechtwidrigen Tat am 8.3.2016, derentwegen durch Beschluss
des Amtsgerichts S vom 9.3.2016 die einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO angeordnet worden
war, widerrief das Landgericht K mit Beschluss vom 11.5.2016, rechtskräftig seit 1.6.2016, die Aussetzung
zur Bewährung. Nachdem das Landgericht K mit am selben Tag rechtskräftigem Urteil vom 19.9.2016
(erneut) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hatte, stellte die
Strafvollstreckungskammer beim Landgericht K mit dem angefochtenen Beschluss vom 18.10.2016 –
gestützt auf § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB – fest, dass die Führungsaufsicht aufgrund der zeitlich früheren
Verurteilung durch die Vollstreckung der neuen Maßregel erledigt ist. Die Staatsanwaltschaft Waldshut-
Tiengen, der der Beschluss am 2.11.2016 vorgelegt wurde, legte hiergegen Beschwerde ein, mit der sie die
Auffassung vertritt, dass die Erledigung der Führungsaufsicht bereits durch den Bewährungswiderruf
eingetreten ist. Dem hat sich die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe angeschlossen, die deshalb am
12.12.2016 beantragt hat, festzustellen, dass der angefochtene Beschluss gegenstandslos ist.
II.
2 Das als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses.
3 1. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde zu behandeln. Nach § 463 Abs. 3 Satz 1 StPO gilt für nach §
68e StGB zu treffende Entscheidungen § 454 Abs. 1 und 3 StPO, der gegen danach getroffene
Entscheidungen die sofortige Beschwerde eröffnet (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO). Soweit in dem den
Anwendungsbereich bestimmenden § 454 Abs. 1 StPO Entscheidungen über die Erledigung bzw. das Ruhen
der Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 StGB nicht aufgeführt sind, beruht dies darauf, dass die dort
getroffenen Regelungen nach ihrem Wortlaut kraft Gesetzes eintreten und daher nicht einer gerichtlichen
Anordnung bedürfen. Die Regelung in §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 StPO ist aber dahin zu
interpretieren, dass alle auf § 68e StGB gestützten gerichtlichen Entscheidungen nur mit der sofortigen
Beschwerde anfechtbar sind. Die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels ist nach § 300 StPO unschädlich.
4 2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist die Frist des § 311 Abs. 2 StPO gewahrt.
5 3. In der Sache ist der von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung
beizutreten.
6 a. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Auswirkungen des Bewährungswiderrufs auf die mit der
Aussetzung kraft Gesetzes (§ 67d Abs. 2 Satz 3 StGB) eingetretene Führungsaufsicht besteht nicht. § 67g
Abs. 5 StGB bestimmt insoweit nur, dass die Maßregel mit dem Ende der Führungsaufsicht erledigt ist, wenn
die Aussetzung nicht widerrufen wird.
7 b. Trotz des insoweit nicht eindeutigen Wortlauts ist die Regelung des § 68e Abs. 1 StGB beim Widerruf der
Aussetzung einer freiheitsentziehenden Maßregel nicht anwendbar.
8 (1) Vorab ist darauf hinzuweisen, dass § 68e Abs. 1 Satz 1 StGB, der die Erledigung der früheren Maßregel
u.a. mit Beginn des Vollzugs einer (neuen) freiheitsentziehenden Maßregel anordnet, im vorliegenden Fall
schon deshalb nicht einschlägig ist, weil die Vorschrift nach der ausdrücklichen Regelung auf die Fälle der
Führungsaufsicht, die nach Aussetzung einer freiheitsentziehenden Maßregel eingetreten ist, keine
Anwendung findet.
9 (2) Soweit § 68e Abs. 1 Satz 2 StGB anordnet, dass in den übrigen Fällen und damit auch bei der nach § 67d
Abs. 2 Satz 3 StGB eingetretenen Führungsaufsicht diese während des Vollzugs einer freiheitsentziehenden
Maßregel (nur) ruht, hat dies im Fall des Widerrufs der Aussetzung der Maßregel zur Bewährung keine
Bedeutung.
10 § 68e Abs. 1 StGB hat seine aktuelle Ausgestaltung maßgeblich durch das Gesetz zur Reform der
Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom
13.4.2007 (BGBl. I S. 513) erfahren. Nach den Gesetzesmaterialien (Gesetzentwurf der Bundesregierung
BT-Drs. 16/1993 S. 3, 22) sollten mit der Neuregelung Doppelbetreuungen im Rahmen von Führungsaufsicht
und Straf- oder Maßregelvollzug vermieden werden. Jedenfalls dem Gesamtzusammenhang der amtlichen
Begründung des Gesetzentwurfs lässt sich jedoch entnehmen, dass eine Regelung nur für erforderlich
gehalten wurde, soweit eine Maßregel in einem anderen Verfahren angeordnet wurde.
11 Ersichtlich hat es der Gesetzgeber für eine Selbstverständlichkeit erachtet, dass mit dem
Bewährungswiderruf auch die sonst mit der Aussetzungsentscheidung verbundenen Anordnungen
gegenstandslos werden und die Führungsaufsicht erlischt, und deshalb eine gesetzliche Regelung für
überflüssig gehalten.
12 Die mit der Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Maßregel aus dem Urteil des Landgerichts Waldshut-
Tiengen vom 19.8.2013 eingetretene Führungsaufsicht ist danach bereits mit dem Bewährungswiderruf
weggefallen. Im Hinblick darauf, dass die unzutreffende rechtliche Würdigung auch im Tenor des
angefochtenen Beschlusses zum Ausdruck kommt, war dieser aus Klarstellungsgründen aufzuheben.
III.
13 Da die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft weder zugunsten noch zuungunsten des
Untergebrachten eingelegt wurde, die Staatsanwaltschaft mit dem Rechtsmittel vielmehr damit ohne
Rücksicht darauf, welche Wirkungen damit für den Untergebrachten verbunden sind, nur ihre Aufgabe
wahrgenommen hat, eine mit dem Gesetz in Einklang stehende Entscheidung herbeizuführen, waren die
Kosten und notwendigen Auslagen des Untergebrachten der Staatskasse aufzuerlegen (BGHSt 18, 268, 270
f.; Meyer-Goßner/Schmitt. StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 17).