Urteil des OLG Karlsruhe vom 09.12.2016

zwangsbehandlung, verweigerung, schizophrenie, psychiatrie

OLG Karlsruhe Beschluß vom 9.12.2016, 2 Ws 364/16
Leitsätze
Abwägung von erwartbarem Nutzen und möglichen Belastungen bei der Zustimmung zur Zwangsbehandlung
eines wegen chronifizierter paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie einstweilig Unterbrachten durch die
Medikation mittels Olanzapin (oral) und Haloperidol (intramuskulär).
Tenor
1. Auf die Beschwerde des vorläufig Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts -
Strafvollstreckungskammer - Konstanz vom 14. November 2016 hinsichtlich der „hilfsweise“ angeordneten
Behandlung mit Haloperidol - orale Einnahme - und mit Xeplion aufgehoben sowie im Übrigen wie folgt neu
gefasst:
Der Behandlung von X mit Olanzapin - 20 mg einmal täglich oral -, im Fall der Verweigerung der
Einnahme mit Haloperidol - 3 mg zweimal täglich intramuskulär - wird bis zum 26. Dezember 2016
zugestimmt.
2. Der vorläufig Untergebrachte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
1 X ist seit dem 25.05.2016 im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) A untergebracht; Grundlage hierfür ist der
Unterbringungsbefehl des Landgerichts K vom 24.05.2016. Wegen der dem Unterbringungsbefehl
zugrundeliegenden rechtswidrigen Taten - unter anderem eine Körperverletzung und eine versuchte sowie
eine vollendete gefährliche Körperverletzung - ordnete das Landgericht K - 4. Große Strafkammer - mit
Urteil vom 14.09.2016 (4 KLs 30 Js 7112/16) die Unterbringung von X in einem psychiatrischen
Krankenhaus an; dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14.11.2016 stimmte das Landgericht - Strafvollstreckungskammer -
Konstanz einer vom ZfP A am 05.10.2016 beantragten zwangsweisen Medikation des Untergebrachten in
Form der Zustimmung zu einer Behandlung mit „Olanzapin (20 mg täglich oral), hilfsweise mit Haloperidol (2
x 3 mg täglich intramuskulär oder oral) oder mit Xeplion (intramuskulär mit 150 mg als Einmaldosis mit
Verabreichung von 100 mg nach einer Woche)“ bis zum 26.12.2016 zu. Der Beschluss, versehen mit einer
Belehrung über das Rechtsmittel der (einfachen) Beschwerde, wurde dem vorläufig Untergebrachten, seiner
Verfahrenspflegerin und seinem gesetzlich bestellten Betreuer formlos übersandt.
3 Mit Schreiben vom 17.11.2016 legte der vorläufig Untergebrachte Beschwerde ein; die
Strafvollstreckungskammer hat ihr mit Beschluss vom 06.12.2016 nicht abgeholfen.
II.
4 Im Rahmen der derzeit noch vollzogenen einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO ist das statthafte,
vorliegend zulässig eingelegte Rechtsmittel gegen die Erteilung der Zustimmung zur Zwangsbehandlung
nach §§ 20 Abs. 1, Abs. 3 bis 5, 38 Abs. 1, 32 PsychKHG die (einfache) Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO
(vgl. Senatsbeschluss vom 05.04.2016 - 2 Ws 90/16 -, juris Rn. 4 ff. mwN).
5 Das - durch den vorläufig Untergebrachten jedenfalls nicht mit inhaltlich ersichtlichem Bezug zur
angegriffenen Zwangsbehandlung begründete - Rechtsmittel hat jedoch lediglich in geringem - tenoriertem -
Umfang Erfolg, soweit die Strafvollstreckungskammer einer medikamentösen Zwangsbehandlung auch mit
Haloperidol oral und mit Xeplion zugestimmt hat; die Zustimmung geht nämlich diesbezüglich über den vom
ZfP am 05.10.2016 gestellten Antrag hinaus. Im Übrigen war der Tenor aus Gründen der Rechtsklarheit neu
zu fassen, da es einer eindeutig formulierten Bedingung für die Vergabe der nur für den Fall der
Verweigerung oraler Einnahme von Olanzapin beantragten intramuskulären Medikation mit Haloperidol
bedarf.
6 Dabei sind zu den zutreffenden Ausführungen der Strafvollstreckungskammer, denen sich der Senat
anschließt, allerdings folgende Ergänzungen veranlasst:
7 1. Eine gerichtliche Zustimmung zur Zwangsbehandlung kann nur erteilt werden, wenn - unabhängig von
der Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen - zuvor von ärztlicher Seite auf der Grundlage angemessener
Aufklärung versucht worden ist, die Zustimmung des Betroffenen zur vorgeschlagenen Behandlung
einzuholen; dies ergibt sich - wobei dahinstehen kann, ob dazu auf § 20 Abs. 4 S. 2 PsychKHG abgestellt
werden kann, der wegen seiner systematischen Stellung auf die Durchführung der Behandlung selbst
ausgerichtet ist - jedenfalls aus dem die Zwangsbehandlung beherrschenden ultima-ratio-Gedanken und dem
durch den Richtervorbehalt in § 20 Abs. 5 S. 1 PsychKHG abgesicherten Erfordernis, dass gerichtlicher
Rechtsschutz ex- ante gewährleistet sein muss. Außerdem muss die Zwangsbehandlung jedenfalls bei
planmäßiger Behandlung dem Betroffenen rechtzeitig vorher angekündigt worden sein (Senatsbeschluss
vom 05.04.2016 - 2 Ws 90/16 -, juris Rn. 25 mwN).
8 Diese Voraussetzungen sind vorliegend - entsprechend der im Rahmen der Antragstellung am 05.10.2016
erfolgten Darstellung der behandelnden Klinikärzte des ZfP - gegeben; diese haben für den Senat
nachvollziehbar dargelegt, dass es - wie bereits bei früheren Klinikaufenthalten des vorläufig
Untergebrachten oft der Fall - trotz nach wie vor stattfindender Versuche, diesen von dem Sinn und Zweck
der Notwendigkeit regelmäßiger Medikation zu überzeugen, nicht gelungen sei, eine Behandlungseinsicht
bei ihm zu erreichen.
9 2. Nach § 20 Abs. 3 S. 4 PsychKHG dürfen die aufgrund der Zwangsmedikation entstehenden Belastungen
nicht außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen der Behandlung stehen, wobei eine Beurteilung der
möglichen Nebenwirkungen unter Angabe deren Wahrscheinlichkeit und Schwere sowie der Art und
Auswirkungen der Maßnahmen, mit denen Nebenwirkungen begegnet werden kann, erfolgen muss. Die
Darlegungsanforderungen werden dabei durch das Gewicht möglicher Nebenwirkungen bestimmt, das sich
aus dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts, der Schwere der Auswirkungen und den Chancen der
Vermeidung bzw. Behandlung durch begleitende Maßnahmen ergibt. Dabei geht es in erster Linie darum
auszuschließen, dass ein nicht zu vernachlässigendes Risiko irreversibler Gesundheitsschäden besteht
(BVerfGE 128, 282, juris Rn. 61); im Übrigen wird im Vordergrund stehen, ob erheblichen Nebenwirkungen
mit anderen Maßnahmen effektiv begegnet werden kann, wobei die damit verbundenen Belastungen
ebenfalls festzustellen und zu bewerten sind. Zudem ist das Gewicht möglicher Nebenwirkungen in Bezug
zu dem voraussichtlichen Nutzen der vorgeschlagenen Behandlung zu setzen; schließlich muss der Nutzen
der Behandlung mögliche Schäden der Nichtbehandlung deutlich feststellbar überwiegen (§ 20 Abs. 3 S. 5
PsychKHG). Um die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Behandlung überprüfen zu
können, bedarf es dabei einer ärztlichen, durch ein Gutachten nach § 321 FamFG überprüften Beurteilung,
aus dem sich die Indikation und die voraussichtlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Behandlung sowie
deren voraussichtliche Dauer (dazu unten 3.) ergeben (BVerfGE aaO, juris Rn. 64 f.; zum Ganzen
Senatsbeschluss vom 05.04.2016 - 2 Ws 90/16 -, juris Rn. 26 mwN).
10 Diesbezüglich liegt der Entscheidung das nachvollziehbare und eingehende, nach telefonischer Rückfrage
des Senats vom 05.12.2016 ergänzte Gutachten des Sachverständigen Dr. med. T., Facharzt für Psychiatrie
und Neurologie, K, vom 25. Oktober 2016 zugrunde, dem sich der Senat - wie bereits die
Strafvollstreckungskammer - nach eigener Überprüfung angeschlossen hat.
11 a. Hervorzuheben ist im Hinblick auf die sachverständig dargelegten - unterschiedlichen - Nebenwirkungen
der gegebenenfalls zwangsweise zu verabreichenden Medikamente zunächst, dass es sich bei den seitens
des vorläufig Untergebrachten im Rahmen des Explorationsgesprächs am 25.10.2016 gegenüber dem
Sachverständigen als Auswirkungen der Medikamente geschilderten „seelischen Qualen“ auch nach dessen
Beurteilung nicht um Nebenwirkungen des verabreichten Medikaments Olanzapin handelt. Dies gilt ebenso
für das von X gegenüber den behandelnden Ärzten angemerkte Empfinden der Medikamente als „seelische
Zwangsjacke“. Derartige Schilderungen sind in Einklang mit der Einschätzung des Sachverständigen typisch
für das Erleben von Patienten mit schwerer chronischer Schizophrenie. Eine Akathisie, eine von X zudem
geschilderte quälende motorische Unruhe, die tatsächlich als Nebenwirkung vor allem der Neuroleptika der
sogenannten ersten Generation - wie Haloperidol - auftreten kann, hat der Sachverständige
differenzialdiagnostisch zwar in Betracht gezogen; die ausführliche Befragung von X habe aber ergeben,
dass es sich nicht um diese extrapyramidal-motorische Symptomatik handele, sondern um das Kernsyndrom
der bei ihm vorliegenden Erkrankung.
12 b. Hinsichtlich des derzeitigen Mittels der Wahl - Olanzapin, ein Neuroleptikum der sogenannten zweiten
Generation -, das der vorläufig Untergebrachte jedenfalls seit dem 05.10.2016 - damit zum Zeitpunkt des
Explorationsgesprächs bereits seit knapp drei Wochen - eingenommen hatte, bestünden kaum motorische
Nebenwirkungen. Die gravierendste im klinischen Alltag zu beobachtende Nebenwirkung stelle eine
drastische Gewichtszunahme dar; dies sei jedoch beim Untergebrachten nicht feststellbar gewesen. Andere
Nebenwirkungen wie Sedierung, Potenzstörungen oder Veränderung der Überleitungszeit im EKG seien
entweder hinzunehmen - weil bei allen Neuroleptika auftretend - oder durch entsprechende Kontrollen zu
überwachen. Insgesamt toleriere X das Medikament gut.
13 Auch in Anbetracht der seitens der Strafvollstreckungskammer auf Grundlage der Beurteilung des
Sachverständigen dargestellten bereits erreichten Behandlungserfolge - Verlegung von X auf eine
therapeutische Station, dort insgesamt keine Wahrnehmung mehr als aggressiv oder gefährlich, wobei
allerdings die Verbesserung eher auf eine Dämpfung der Wahndynamik und der auch weiterhin bestehen
Affektstörungen zurückzuführen sei - stehen die derzeit erkennbaren Belastungen jedenfalls nicht außer
Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen der Behandlung. Dieser besteht zwar entsprechend der Beurteilung
des Sachverständigen nicht in der Aussicht auf eine Heilung der bereits seit dem Jahr 1991 manifesten,
mittlerweile chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit systematisiertem Wahn;
jedenfalls ist aber - aus Sicht des Senats ausreichend - eine (weitere) Milderung der noch immer schwer
ausgeprägten paranoiden Symptomatik zu erwarten.
14 Angesichts der seitens des Sachverständigen dargestellten Folgen einer Nichtbehandlung der Erkrankung
von X - Feindseligkeit, Obdachlosigkeit, Verlust aller sozialen Bindungen, Fremdaggressivität, Gefahr
körperlicher Auseinandersetzungen und erneuter Zwangsbehandlung, weitere Chronifizierung der
Erkrankung mit Verschlechterung aller psychischen Funktionen - überwiegt der Nutzen einer weiteren
Milderung der bestehenden Symptomatik deutlich mögliche Schäden der Nichtbehandlung. Dies zumal nach
sachverständiger Beurteilung eine schwere Verlaufsform der Erkrankung vorliegt, die wohl auch durch
häufige Behandlungsabbrüche und eine sehr sprunghaften Lebensweise mitbedingt sei, und ein plötzliches
Absetzen der Medikation nach den bisherigen Erfahrungen mit X - zahllose Rückfälle mit nachfolgender
Hospitalisierung - zu einem raschen Wiederauftreten der Erkrankung und damit der Notwendigkeit einer
hochdosierten Behandlung mit stärker nebenwirkungsbehafteten Neuroleptika führen würde. Angesichts des
vom Sachverständigen Dr. T. in Bezug genommenen, aktenkundigen Vorgutachtens von Herrn Dr. B.,
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in R., vom 11.08.2016, in dem die Krankheitsgeschichte von X
ausführlich dargestellt ist, ist diese Prognose für den Senat auch unmittelbar nachvollziehbar, nachdem der
vorläufig Untergebrachte - neben aus Gründen der Eigengefährdung notwendig gewesenen
Klinikaufenthalten - mit steigender Frequenz jeweils wegen akuter Fremdgefährdung im April 1999, im
September 2010, im März und Mai 2014 sowie im Juni, Juli, September und Dezember 2015 wegen seiner
Erkrankung bereits stationär hatte untergebracht werden müssen.
15 c. Vor diesem Hintergrund ist auch - lediglich für den Fall der Verweigerung einer oralen Einnahme des
Medikaments Olanzapin - die zwangsweise intramuskuläre Gabe des Medikaments Haloperidol noch im
Sinne des § 20 Abs. 3 S. 4 PsychKHG verhältnismäßig, auch wenn die Verabreichung dieses Neuroleptikums
der sogenannten ersten Generation nach der Beurteilung des Sachverständigen bei dem vorläufig
Untergebrachten bereits sogenannte Spätdyskinesien - in Form eines blitzartigen Herausstreckens der
Zunge - hervorgerufen haben dürfte. Derartige Spätdyskinesien träten dabei nach sachverständiger
Einschätzung im Verlauf eines längeren Behandlungsprozesses typischerweise nach Gabe von Haloperidol -
aber auch anderer Neuroleptika - auf und seien schwer zu behandeln. Zunächst ist jedoch eine
medikamentöse Alternative mit gleich starker antipsychotischer Wirkung (§ 20 Abs. 3 S. 3 PsychKHG) nach
Mitteilung des Sachverständigen derzeit nicht vorhanden; Haloperidol stelle immer noch den medizinisch-
psychiatrischen „Goldstandard“ dar, da für eine theoretisch mögliche intramuskuläre Verabreichung des
Medikaments Olanzapin als Depotpräparat in der Praxis wegen beobachteter Unverträglichkeiten hohe
Anforderungen bestünden, die im Fall von X nicht erfüllt seien. Andere Medikamente wie beispielsweise
Neurocil wirkten im Akutfall lediglich dämpfend; eine antipsychotische Wirkung hätten diese nicht. Nach
Absetzen des Medikaments sei darüber hinaus allerdings klinisch in manchen Fällen eine rückläufige
Symptomatik beobachtet worden. Bei einer nicht dauerhaften Verabreichung des Medikaments Haloperidol
im einzelnen Akutfall einer Verweigerung oraler Einnahme des Medikaments Olanzapin sei schließlich eine
Verschlechterung einer bereits bestehenden derartigen Symptoms nicht zu erwarten.
16 Auch eingedenk dessen stellt eine Nichtbehandlung vor dem Hintergrund des Erkrankungsstadiums von X
keine Alternative im Verhältnis zur Gabe von Haloperidol dar (§ 20 Abs. 3 S. 5 PsychKHG). Dies insbesondere
vor dem Hintergrund, dass nach der Beurteilung des Sachverständigen unter anderem Hochdosierung und
hohe Medikamentenspiegelspitzen - wie sie bei einer Akutbehandlung aufträten - zu dem Störungsbild der
Spätdyskinesien beitrügen; eine derartige Behandlung gerade mit hochdosierten Neuroleptika wäre aber
nach Absetzen einer Medikation und zu erwartendem raschem Wiederauftreten der Erkrankung nach
derzeitiger Prognose unausweichlich, sodass X in diesem Fall mit noch stärkeren Nebenwirkungen belastet
würde.
17 3. In Ergänzung zu seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige im Hinblick auf die
voraussichtliche Dauer der Erforderlichkeit der beantragten Zustimmung zur Zwangsmedikation (§ 321 Abs.
1 S. 3 FamFG) angesichts der vorhandenen chronifizierten Schizophrenie mit produktiven Symptomen für
den Senat nachvollziehbar mitgeteilt, dass die Nichtbehandlung der bei X vorliegenden Erkrankung mit
Neuroleptika als ärztlicher Kunstfehler zu betrachten wäre. Weitere Therapieformen wie beispielsweise eine
Psychotherapie seien wirkungslos. X sei schwerst erkrankt. Erforderlich sei daher eine medikamentöse
Dauerbehandlung, weshalb eine gegebenenfalls zwangsweisen Vergabe jedenfalls bis zum 26.12.2016
beizubehalten sei; auf lange Sicht solle mit der Medikation eine Krankheitseinsicht und damit eine Einsicht in
die Behandlungsbedürftigkeit erreicht werden.
III.
18 Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO, nachdem das Rechtsmittel nur zu einem ganz
unwesentlichen Teilerfolg geführt hat.