Urteil des OLG Karlsruhe vom 14.11.2016

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 14.11.2016, 2 Ws 318/16
Maßregelvollzug: Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen durch einen
anstaltsexternen Sachverständigen
Leitsätze
Wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in verschiedenen
Maßregelvollzugseinrichtungen vollstreckt, handelt es sich bei einem in der früheren Einrichtung tätigen
Sachverständigen auch nach der (Rück-)Verlegung des Untergebrachten nicht um einen anstaltsexternen
Sachverständigen im Sinne des § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO (idF vom 16.07.2007).
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom
11.8.2016 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Befassung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das
Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.
Gründe
1 Durch Urteil des Landgerichts S vom 26.1.2011, rechtskräftig seit 15.4.2011, und erneut durch Urteil des
Landgerichts R vom 25.11.2014, rechtskräftig seit 3.12.2014, wurde die Unterbringung von A in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Maßregel wurde - nach vorausgegangener einstweiliger
Unterbringung - zunächst im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) X und seit dem 21.8.2013 im Psychiatrischen
Zentrum Y (PZY) - vollzogen.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 11.8.2016 ordnete das Landgericht Heidelberg erneut die Fortdauer
der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Gegen diesen seiner Verteidigerin am
27.9.2016 zugestellten Beschluss legte der Untergebrachte am 28.9.2016 sofortige Beschwerde ein.
3 Das gemäß §§ 454 Abs. 3 Satz 1, 463 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige
Rechtsmittel hat auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg, weil das Verfahren vor dem Landgericht Heidelberg
mit einem durchgreifenden Verfahrensmangel behaftet ist.
4 1. Entgegen der mehrfach vom Untergebrachten aufgestellten Behauptung hat das Landgericht Heidelberg
allerdings seinen Befangenheitsantrag gegen das mit der mündlichen Anhörung des Untergebrachten
beauftragt gewesene Kammermitglied Vorsitzende Richterin am Landgericht K nicht übergangen. Vielmehr
wurde das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 5.8.2016 zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde nach
Aktenlage sowohl dem Untergebrachten selbst als auch seiner Verteidigerin bekanntgemacht.
5 Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Landgericht Anträgen des Untergebrachten auf Erhebung von
Beweisen nicht nachgekommen ist. Zwar darf die Strafvollstreckungskammer im Hinblick auf den auch im
Vollstreckungsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatz bestrittenes Vorbringen eines
Verfahrensbeteiligten nicht ungeprüft übernehmen und muss erhebliches Vorbringen des Untergebrachten
schon im Hinblick auf dessen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren
und bei seiner Entscheidung berücksichtigen (Senat, Beschlüsse vom 20.10.2016 - 2 Ws 319/16 - und vom
22.6.2016 - 2 Ws 177/16, jew. juris). Der Umfang der dadurch mitbestimmten gerichtlichen
Aufklärungspflicht richtet sich indes nach den Umständen des Einzelfalls. Insoweit ist zunächst festzuhalten,
dass sich das Vorbringen des Untergebrachten weitgehend in pauschalen Anwürfen gegen die ärztlichen
Behandler im Maßregelvollzug richtet, die ohne tatsächliche Konkretisierung einer Aufklärung nicht
zugänglich sind. Soweit der Untergebrachte die Anhörung pflegerischen Personals zu der Behauptung, mit
diesen keine Probleme zu haben, beantragt hat, ergibt sich dies auch aus der gutachterlichen
Stellungnahme des PZY vom 30.6.2016, so dass es insoweit einer Beweiserhebung nicht bedurfte. Soweit
der Untergebrachte die Darstellung in der genannten gutachterlichen Stellungnahme bestreitet, er habe
dem Oberarzt mehrfach durch das Fenster oder vom Hof aus hasserfüllt vulgäre Beleidigungen zugerufen,
hat der Oberarzt bereits mit der Unterzeichnung der gutachterlichen Stellungnahme die Richtigkeit der
Darstellung aus seiner Sicht bestätigt, so dass durch seine Anhörung keine weiteren Erkenntnisse zu
erwarten waren.
6 2. Zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt dagegen, dass die Vorschrift des § 463 Abs. 4 Satz 1
und 2 StPO in der gemäß § 13 EGStPO maßgeblichen Fassung vom 16.7.2007 nicht beachtet wurde.
7 Danach soll im Rahmen der Überprüfung nach § 67e StGB nach fünf Jahren vollzogener Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines anstaltsexternen Sachverständigen eingeholt
werden, der weder im Rahmen des Vollzugs mit der Behandlung des Untergebrachten befasst war noch in
dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich der Untergebrachte befindet.
8 Vorliegend befindet sich der Untergebrachte seit der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts S vom
26.1.2011 und damit seit mehr als fünf Jahren im Maßregelvollzug. Eine Begutachtung durch einen den
Vorgaben des § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO entsprechenden Sachverständigen ist in diesem Zeitraum nicht
erfolgt. Soweit Überprüfungen nach § 67e StGB stattfanden, wurden jeweils nur gutachterliche
Stellungnahmen der jeweiligen Maßregelvollzugseinrichtung eingeholt. Im Verfahren vor dem Landgericht
Ravensburg wurde das psychiatrische Gutachten von Dr. Dr. F - Oberarzt im PZY, in dem sich der
Untergebrachte seinerzeit befand - erstattet.
9 Aus der Begründung des später verabschiedeten Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Sicherung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.7.2007
(BGBl. I S. 1327), durch das die Vorschrift des § 463 Abs. 4 StPO eingefügt wurde, ergibt sich zwar, dass
damit Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 70, 297, 308; Kammerbeschluss vom
14.1.2005 - 2 BvR 983/04, EuGRZ 2005, 181; vgl. in neuerer Zeit auch NStZ 2013, 116; NStZ-RR 2014,
222) aufgegriffen wurde, die es unter dem Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung für angezeigt hielt, von
Zeit zu Zeit anstaltsfremde Sachverständige hinzuzuziehen, wenn sich die untergebrachte Person seit
langer Zeit in ein und demselben Krankenhaus befindet (BT-Drs. 16/1110 S. 12). Die dann gegebene Gefahr
von Routinebeurteilungen besteht zwar nicht in gleichem Maße, wenn der Untergebrachte - wie vorliegend -
in verschiedenen Maßregeleinrichtungen untergebracht war und die Voraussetzungen der Unterbringung
nochmals in einem Erkenntnisverfahren geprüft wurden. Der Gesetzgeber hat sich indes dafür entschieden,
ungeachtet der näheren Umstände der Unterbringung nach fünf Jahren regelmäßig eine Begutachtung durch
einen anstaltsexternen Sachverständigen vorzuschreiben. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird
dabei hervorgehoben, dass „erst die Hinzuziehung einer oder eines bisher nicht mit ihr [der untergebrachten
Person] befassten Sachverständigen die nötige kritische Distanz zu den bisherigen Gutachten schaffen und
damit die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessern kann“ (Bt-Drs. 16/1110 S. 19). Nach
dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung vermag die gutachterliche Beurteilung des Untergebrachten
durch Angehörige zweier verschiedener Krankenhäuser innerhalb von fünf Jahren seit dem Beginn der
Unterbringung ein Abgehen von der Vorgabe des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO nicht zu rechtfertigen.
10 Im Hinblick auf die nach der Einholung des Gutachtens eines anstaltsexternen Sachverständigen gesetzlich
vorgeschriebenen mündlichen Anhörungen (§§ 454 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3, 463 Abs. 3 Satz 3 StPO) ist
die Sache deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses entgegen § 309 Abs. 2 StPO an das
Landgericht zurückzuverweisen (Senat, Die Justiz 2011, 10; NStZ-RR 2016, 355).
11 Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass - ungeachtet der oben skizzierten Reichweite
der gerichtlichen Aufklärungspflicht - der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, sich in den Gründen der
Fortdauerentscheidung mit erheblichem Vorbringen des Untergebrachten auseinanderzusetzen. Werden die
Darstellung der Maßregeleinrichtung zum Verlauf der Unterbringung von ihm bestritten oder die ärztlichen
Bewertungen in Frage gestellt und will das Gericht gleichwohl der gutachterlichen Stellungnahme der
Anstalt folgen, ist dies daher - in einem von den Umständen des Einzelfalls bedingten Umfang - zu
begründen. Außerdem sind die maßgeblich durch verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geprägten
Anforderungen an die Darstellung und Begründung der Gefahrenprognose (BVerfGE 70, 297; FamRZ 2010,
532; NStZ-RR 2013, 72 ; RuP 2014, 50; StV 2014, 148) zu beachten, denen der angefochtene Beschluss
nicht vollständig genügt.