Urteil des OLG Karlsruhe vom 19.08.2016

öffentliche gewalt, sicherungsverwahrung, strafvollzug, anstaltsleitung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 19.8.2016, 2 Ws 209/16
Leitsätze
Für die Entscheidung über die Fesselung bei den Ausführungen eines Sicherungsverwahrten ist nicht die
Vollzugsplankonferenz, sondern der Anstaltsleiter zuständig.
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer
- Freiburg vom 25. Mai 2016 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen (§ 121 Abs. 4 StVollzG, § 473
Abs. 1 StPO).
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500.- EUR festgesetzt (§§ 65, 60, 52 GKG).
Gründe
I.
1 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 04.05.2015, mit
dem der in Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt X befindliche Antragsteller die Verpflichtung
der Justizvollzugsanstalt begehrt, über seinen am 23.01.2015 an die Vollzugsplankonferenz gestellten
Antrag auf „ungefesselte Ausführungen in die Innenstadt von X“ durch die Vollzugsplankonferenz zu
entscheiden.
2 Der Antrag vom 04.05.2015 wurde vom Landgericht Freiburg – Strafvollstreckungskammer – mit
angefochtenem Beschluss vom 25.05.2016 als unbegründet zurückgewiesen, nachdem die
Justizvollzugsanstalt Stellung zum Antrag genommen und der Antragsteller hierzu eine Gegenvorstellung
abgegeben hatte. In der von der Antragsgegnerin mit ihrer Stellungnahme vorgelegten Fortschreibung des
Vollzugsplans vom 02.02.2015 wurde der Antragsteller zu seinem oben genannten Antrag an die
Vollzugsplankonferenz darauf hingewiesen, dass generell der Abteilungsleiter der Sicherungsverwahrung im
Benehmen mit dem Anstaltsleiter über diesen Antrag zu gegebener Zeit entscheiden werde. Daher werde
im Rahmen dieser Konferenz keine Entscheidung hinsichtlich dieses Antrages getroffen. Einen
diesbezüglichen Antrag an den Abteilungsleiter hat der Antragsteller nicht gestellt.
3 Der Antragsteller hat gegen diesen – ihm nach seinen Angaben am 02.06.2016 zugestellten – Beschluss am
06.06.2016 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Freiburg Rechtsbeschwerde eingelegt und
diese mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, insbesondere sei obergerichtlich zu
klären, inwieweit die Vollzugsplankonferenz über Anträge auf Ausführung zu entscheiden hat.
II.
A.
4 Die den Erfordernissen des § 118 StVollzG entsprechende Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten
ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen, § 116 Abs.
1 StVollzG. Der Fall gibt Veranlassung, Rechtsfragen, die sich aus den Regelungen der § 7 und § 11 JVollzGB
V betreffend die Zuständigkeit zu Entscheidungen über Anträge auf Ausführungen von
Sicherungsverwahrten ergeben und die durch obergerichtliche Entscheidungen nicht hinreichend geklärt
sind, zu klären.
B.
5 Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
6 1. Die Verfahrensrüge, Art. 19 Absatz 4 GG sei verletzt, weil die Strafvollstreckungskammer dem
Antragsteller sachwidrig den Zugang zu effektivem Rechtsschutz verwehre, ist jedenfalls unbegründet. Die
Garantie des Art 19 Abs. 4 GG besagt, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt
wird, steht ihm der Rechtsweg offen. Dieser Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen oder in unzumutbarer,
aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfGE 10, 268). Solches trägt
der Antragsteller schon selbst nicht vor und ist auch nicht ersichtlich. Die Strafvollstreckungskammer hat
nach hinreichender Aufklärung des Sachverhaltes vielmehr über den gemäß § 109 StVollzG zulässigen
Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung über eine Maßnahme zur Regelung einzelner
Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzugs inhaltlich entschieden. Dass sie in ihrer Entscheidung
der Rechtsansicht des Antragstellers nicht folgt, kann die Verfahrensrüge nicht begründen.
7 2. Die Sachrüge ist zwar zulässig erhoben, deckt im Ergebnis jedoch keinen durchgreifenden Rechtsfehler
der angefochtenen Entscheidung zum Nachteil des Antragstellers auf. Die Vollzugsplankonferenz ist zur
Entscheidung über die besonderen Sicherungsmaßnahmen bei Ausführung nach § 11 Abs. 3 JVollzGB V nicht
zuständig, weshalb der Verpflichtungsantrag von der Strafvollstreckungskammer zutreffend als unbegründet
verworfen wurde.
8 Der Verpflichtungsantrag gegen die im Rahmen der Vollzugsplankonferenz getroffene Entscheidung ist
zulässig, weil die Antragsgegnerin im Rahmen der Vollzugsplankonferenz eine Maßnahme getroffen hat, die
unmittelbare Rechtwirkung für den Untergebrachten entfaltet hat (Bachmann in LNNV, 12. Aufl. 2015,
Abschn. P Rn. 29 m.w.N.), als über seinen „Antrag auf ungefesselte Ausführungen in das Stadtgebiet X“
nicht – wie von ihm beantragt – im Rahmen der Vollzugsplankonferenz entschieden wurde, und der
Antragsteller – nach wie vor – eine Entscheidung gerade durch dieses Gremium begehrt.
9 Der Verpflichtungsantrag ist unbegründet, weil die Vollzugsplankonferenz nach § 7 JVollzGB V zur
Entscheidung über den konkreten Antrag auf „ungefesselte Ausführungen in das Stadtgebiet von X“ nicht
zuständig ist und deshalb über den Antrag zu Recht nicht entschieden, sondern den Antragsteller an den
gemäß § 11 Abs. 3 JVollzGB V i.V.m. Nr. 6.1 VV-JVollzGB V zu § 11 insoweit zuständigen Anstaltsleiter
verwiesen hat.
10 a. Die Freiheitsorientierung der Sicherungsverwahrung sieht vollzugsöffnende Maßnahmen als wichtiges
Instrument vor, das nicht ohne zwingenden Grund versagt werden kann. Gemäß § 11 Abs. 3 JVollzGB V
besteht ein gesetzlicher Mindestanspruch des Untergebrachten auf vier begleitete Ausführungen in einem
Vollzugsjahr, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte für Flucht oder Missbrauch oder die Gefährdung des
Vollzugszieles dem entgegenstehen (BeckOK Strafvollzug Baden-Württemberg/Obergfell-Fuchs/Böhm
JVollzGB V § 11 Rn. 25).
11 Der Untergebrachte kann einen Antrag auf vollzugsöffnende Maßnahmen stellen. Dieser ist schriftlich an die
Anstaltsleitung zu richten. Darüber hinaus kann er im Rahmen der Vollzugsplankonferenz seine
Vorstellungen zur Ausgestaltung der vollzugsöffnenden Maßnahmen einbringen (BeckOK Strafvollzug
Baden-Württemberg/Obergfell-Fuchs/Böhm JVollzGB V § 11 Rn. 27).
12 b. Der Vollzugsplan ist ein zentrales Element des dem Resozialisierungsziel verpflichteten Vollzugs, der das
Vollzugsziel individuell konkretisiert (Nestler in LNNV, a.a.O., Abschn. C Rn. 29 m.w.N.).
13 In § 7 Abs. 1 JVollzGB V sind die Minimalanforderungen an den Inhalt des Vollzugsplanes enthalten, der die
individuellen Behandlungsziele festlegt und die zu ihrer Erreichung geeigneten und erforderlichen
Maßnahmen benennt. Nach § 7 Abs. 2 JVollzGB V ist der Vollzugsplan fortlaufend auf seine Umsetzung hin
zu überprüfen und mit der Entwicklung der Untergebrachten sowie mit weiteren für die Behandlung
bedeutsamen Erkenntnissen in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen
vorzusehen, die sechs Monate nicht übersteigen sollen. In § 7 Abs. 3 JVollzGB V ist u.a. geregelt, dass zur
Vorbereitung der Aufstellung und Fortschreibung des Vollzugsplans Konferenzen mit den an der
Vollzugsgestaltung maßgeblich Beteiligten durchgeführt werden. § 7 Abs. 5 JVollzGB V bestimmt, dass die
Vollzugsplanung mit den Untergebrachten erörtert wird. Ihnen wird Gelegenheit gegeben, eine
Stellungnahme in der Vollzugsplankonferenz abzugeben. Der Vollzugsplan ist ihnen auszuhändigen.
14 Bei den Bestimmungen des Vollzugsplans handelt es sich um selbständige Maßnahmen und deshalb ist die
Frage, ob lockerungsbezogene Lücken oder positive Inhalte des Vollzugsplans (gem. § 7 Abs. 2 Nr. 7
StVollzG) die Rechte des Gefangenen verletzen, von der Rechtsverletzung durch konkrete Entscheidungen
über Vollzugslockerungen (§ 11 StVollzG) zu trennen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.10.2006, 2 Ws
236/06 -, juris).
15 Während der von der Vollzugsplankonferenz aufgestellte Vollzugsplan nach § 7 Abs. 1 Nr. 12 JVollzGB V
Angaben darüber enthalten muss, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt Lockerungen und vollzugsöffnende
Maßnahmen in Betracht kommen, trifft der Anstaltsleiter die Anordnung von Lockerungen bzw.
vollzugsöffnenden Maßnahmen (Laubenthal in LNNV, a.a.O.; Abschn. E Rn. 124). Der Anstaltsleiter hat
damit auch darüber zu entscheiden, ob bei einer Ausführung nach § 11 Abs. 3 JVollzGB V eine Fesselung als
besondere Sicherungsmaßnahme gemäß § 62 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 6 JVollzGB V oder in § 62 Abs. 6
JVollzGB V angeordnet wird (zu den Voraussetzungen der Anordnung der Fesselung eines
Sicherungsverwahrten bei einer Ausführung vgl. Senat, Beschluss vom 12.08.2014, 2 Ws 278/14 -, juris).
16 c. Vorliegend enthält die Fortschreibung des Vollzugsplanes vom 02.02.2015 – wie gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 12
JVollzGB V erforderlich – Angaben über vollzugsöffnende Maßnahmen (insbesondere, dass seit der letzten
Vollzugsplankonferenz am 28.07.2014 insgesamt drei Ausführungen problemlos erfolgten, jeweils mit
Fesselung und in Begleitung von drei AVD-Beamten) und Ausführungen zur möglichen Rechtfertigung einer
Fesselung des Antragstellers bei Ausführungen gemäß § 62 Abs. 6 JVollzGB V.
17 Soweit die Vollzugsplankonferenz es darüber hinaus abgelehnt hat, über den vom Antragsteller an sie
gerichteten Antrag auf „ungefesselte Ausführung in die Innenstadt von X“ zu entscheiden, wurde der – bei
der Vollzugsplankonferenz auf eigenen Wunsch hin nicht anwesende – Antragsteller nicht in seinen Rechten
verletzt, da die Vollzugsplankonferenz für die konkrete Entscheidung über besondere
Sicherungsmaßnahmen bei Ausführungen nicht zuständig ist und ihre Entscheidung damit den oben
dargestellten gesetzlichen Bestimmungen entspricht.
18 Der Gesetzeslage entspricht auch die Verwaltungsvorschrift Nr. 6.1. zu § 11 JVollzGB V, die regelt, dass die
Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter über die nach Lage des Falles erforderlichen besonderen
Sicherungsmaßnahmen bei einer (konkreten) Ausführung entscheidet (BeckOK Strafvollzug Baden-
Württemberg/Obergfell-Fuchs/Böhm JVollzGB V, VV zu § 11 JVollzGB V).
19 Mit Verfügung der Antragsgegnerin vom 28.04.2015 ist – wie erforderlich – über die besonderen
Sicherungsmaßnahmen bei einer vom Antragsteller konkret beantragten Ausführung auch entschieden
worden. Einen Antrag an die Anstaltsleitung auf „ungefesselte Ausführungen in das Stadtgebiet X“ hat der
forensisch erfahrene Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht gestellt, so dass schon aus diesem
Grunde eine weitere Entscheidung der Antragsgegnerin nicht erforderlich war.