Urteil des OLG Karlsruhe vom 04.08.2016

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 4.8.2016, 2 (4) Ss 356/16; 2 (4) Ss 356/16 - AK 124/16
Leitsätze
1. Bei Diebstahl und Hehlerei handelt es sich bei zeitlich und räumlich getrennten Vorfällen um selbständige
Taten im prozessualen Sinne.
2. Eine Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen (hier: Messer) erfordert Feststellungen zur
Zugriffsmöglichkeit und zur Größe und Beschaffenheit sowie zur inneren Tatseite.
3. Stützt sich eine Verurteilung auf ein Geständnis, müssen die Urteilsgründe dessen inhaltliche Überprüfung
erkennen lassen.
4. Die Übernahme und Verbindung eines Strafbefehlsverfahrens kommt nur in Betracht, wenn gegen den
Strafbefehl Einspruch eingelegt oder bereits Termin zur Hauptverhandlung nach § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO
anberaumt wurde oder die Staatsanwaltschaft zustimmt (obiter dictum).
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Waldshut-Tiengen vom 12. August 2015
mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt wurden.
Soweit der Angeklagte M wegen Hehlerei verurteilt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Sache im Umfang der Aufhebung zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgericht Waldshut-Tiengen zurückverwiesen.
Gründe
I.
1 Das Amtsgericht Waldshut-Tiengen verurteilte am 12.08.2015 den Angeklagten M - unter Freispruch im
Übrigen - wegen Diebstahls mit Waffen, Hehlerei und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und sechs Monaten und den Angeklagten S wegen Diebstahls, Diebstahls mit Waffen und Hehlerei zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten.
2 Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagte am 19.08.2015 Rechtsmittel eingelegt, das sie - nach der am
03.09.2015 bzw. 15.09.2015 erfolgten Zustellung des Urteils - am 24.09.2015 bzw. 29.09.2015 durch
Schriftsätze ihrer Verteidiger jeweils als Revision bezeichnet und mit der Verletzung materiellen Rechts
begründet haben; zudem haben die Verteidiger beider Angeklagter verschiedene Verfahrensrügen erhoben.
3 Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe trägt auf Verwerfung der Revisionen als unbegründet an.
II.
4 Die gemäß § 335 Abs. 1 StPO statthaften und auch im Übrigen zulässigen Sprungrevisionen der
Angeklagten haben auch in der Sache Erfolg.
5 1. Soweit der Angeklagte M wegen Hehlerei verurteilt wurde, fehlt es an den - auch durch das
Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden - Prozessvoraussetzungen der Erhebung einer Klage (§ 151
StPO) sowie eines korrespondierenden Eröffnungsbeschlusses gemäß § 203 StPO (vgl. nur BGH, NStZ 1986,
276). Mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen vom 23.04.2015 wurde dem
Angeklagten M insoweit zur Last gelegt, zwischen dem 02.01.2015 und dem 05.01.2015 aus einem Pkw ein
Navigationsgerät nebst Kabel sowie Bargeld entwendet zu haben. Zur Verurteilung gelangte er, weil er im
Januar 2015 von einem nicht näher bekannten litauischen Staatsangehörigen ein Navigationsgerät nebst
Kabel erworben habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass dieses Navigationsgerät durch eine
rechtswidrige Wegnahme in den Gewahrsam des Litauers gekommen sei. Bei dem zur Anklage gebrachten
Sachverhalt einerseits und dem zur Verurteilung gelangten Sachverhalt andererseits handelt es sich danach
um zeitlich und räumlich deutlich getrennte und auch im Tatbild verschiedene Vorfälle und damit um
selbständige Taten im prozessualen Sinne (vgl. BGH, NStZ 1998, 635 f.; NStZ 1999, 523 f.; OLG Köln,
Beschluss vom 30.10.2015, 1 RVs 204/15; OLG Celle, NJW 1998, 1225 f.). Eine Verurteilung wegen Hehlerei
durfte daher nicht allein aufgrund eines rechtlichen Hinweises nach § 265 StPO erfolgen, sondern hätte der
Erhebung einer Nachtragsanklage sowie eines gerichtlichen Einbeziehungsbeschlusses gemäß § 266 Abs. 1
StPO bedurft. Da es hieran fehlt, war das Verfahren insoweit durch den Senat gemäß § 206a Abs. 1 StPO
einzustellen (vgl. BGH, NStZ 1986, 276; OLG Köln, Beschluss vom 30.10.2015, 1 RVs 204/15).
6 2. Im Übrigen war das amtsgerichtliche Urteil auf die zulässig erhobenen Sachrügen hin aufzuheben, soweit
die Angeklagten verurteilt wurden.
7 a) Soweit beide Angeklagten wegen eines am 25.01.2015 begangenen Diebstahls mit Waffen gemäß § 244
Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt wurden, vermögen die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils dies nicht
hinreichend zu tragen. Soweit das Amtsgericht festgestellt hat, dass beide Angeklagten bei der Tat Messer
„mit sich führten“, hat es der Sache nach lediglich das Tatbestandsmerkmal des „Beisichführens“ gemäß §
244 Abs. 1 Nr. 1 StGB wiederholt. Der Senat vermag auf dieser Grundlage nicht zu prüfen, ob die
Angeklagten bei der Tat die Messer in Griffweite hatten oder sich ihrer jederzeit ohne nennenswerten
Zeitaufwand bedienen konnten, was Voraussetzung für die Verwirklichung des § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB wäre
(vgl. OLG Hamm, NStZ 2007, 473, KG, Urteil vom 17.04.2008, 1 Ss 394/07; BayObLG, NJW 1999, 2535;
siehe auch BGH, NStZ 2004, 111, 112). Zudem fehlt es an jeglichen Ausführungen des Amtsgerichts zur
inneren Tatseite, hinsichtlich derer ein Bewusstsein der Angeklagten, die Messer bei sich zu haben,
festzustellen gewesen wäre, um zu einer Verurteilung zu gelangen (vgl. BGH, NStZ-RR 2003, 12, 13; OLG
Hamm, NStZ 2007, 473, 474; BayObLG, NJW 1999, 2535, 2536; KG, Urteil vom 17.04.2008, 1 Ss 394/07).
Auch wäre es - jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Bemessung der Schuldschwere im Rahmen der
Strafzumessung - erforderlich gewesen, nähere Feststellungen zur Größe und Beschaffenheit der Messer zu
treffen (vgl. BGH, NJW 2008, 2861 ff.; KG, Urteil vom 17.04.2008, 1 Ss 394/07; OLG Köln, Beschluss vom
16.10.2007, 82 Ss 154/07; Beschluss vom 10.01.2012, III-1 RVs 258/11).
8 b) Die Beweiswürdigung durch das Amtsgericht ist ebenfalls rechtsfehlerbehaftet. Auch wenn diese
grundsätzlich Sache der Tatgerichts ist, ist sie durch das Revisionsgericht daraufhin zu überprüfen, ob dem
Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die
Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte
Erfahrungssätze verstößt (vgl. zu diesem Maßstab nur BGH, NStZ 2015, 419; NStZ-RR 2015, 52; Senat,
Beschluss vom 07.04.2016, 2 (6) Ss 110/16).
9 Solche durchgreifenden Lücken weist die Beweiswürdigung vorliegend auf. Die Urteilsgründe teilen lediglich
mit, dass die Feststellungen zu allen zur Verurteilung gelangten Straftaten auf den Einlassungen der
Angeklagten und den Angaben der vernommenen Zeugen beruhten. Welche Zeugen insoweit gehört
wurden und welche Angaben diese gemacht haben, ist dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu
entnehmen. Der Inhalt von Zeugenaussagen wird - hinsichtlich der zur Verurteilung gelangten Taten -
lediglich insoweit wiedergegeben, als bei der Tat vom 25.01.2015 von einer (tateinheitlichen) Verurteilung
des Angeklagten M wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte abgesehen wurde. Unzureichend ist
zudem die bloße pauschale Angabe, die Angeklagten hätten die zur Verurteilung gelangten Taten
gestanden. Insoweit wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, zumindest knapp anzugeben, dass und
aufgrund welcher Umstände (ggf. weiterer Beweismittel) es die Geständnisse der Angeklagten als glaubhaft
angesehen hat (vgl. BGH, NStZ 2014, 170; Ott, in: KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 261 Rn. 28a). Dies gilt
jedenfalls insoweit, als sich das Amtsgericht eine Überzeugung auch von nicht offensichtlich im
Kenntnisbereich der Angeklagten befindlichen Tatsachen gebildet hat, insbesondere dem teilweise centgenau
festgestellten Wert einer großen Zahl entwendeter Gegenstände sowie den genauen Umständen der Vortat,
an die anknüpfend der Angeklagte S wegen Hehlerei verurteilt wurde (vgl. KG, Beschluss vom 25.05.2007,
3 Ws (B) 209/07).
10 c) Danach war das amtsgerichtliche Urteil insgesamt mit seinen Feststellungen aufzuheben, soweit die
Angeklagten verurteilt wurden (§ 353 StPO). Soweit das Verfahren nicht gemäß § 206a Abs. 1 StPO
einzustellen war, war das Verfahren an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Waldshut-Tiengen
zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
11 Diese wird auch zu prüfen haben, ob das vorliegende (Revisions-) Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert
wurde, nachdem die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen nach Zustellung der Revisionsbegründungen am
27.10.2015 die Akten entgegen § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO erst nach Ablauf von mehr als drei Monaten am
30.01.2016 mit einer Revisionsgegenerklärung an das Amtsgericht Waldshut-Tiengen zurückreichte und das
Amtsgericht entgegen § 347 Abs. 2 StPO sogar mehr als vier weitere Monate verstreichen ließ, bevor es am
02.06.2016 die Akten an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Vorlage beim Senat übersandte.
12 3. Die Zulässigkeit und Begründetheit der gleichfalls erhobenen Verfahrensrügen kann der Senat
offenlassen, nachdem die Revisionen bereits mit der Sachrüge Erfolg hatten. Daher bedarf insbesondere die
Frage, wie sich die Unzulänglichkeiten des Hauptverhandlungsprotokolls - bis hin zur Unverständlichkeit in
Teilbereichen - auf dessen Beweiskraft gemäß § 274 StPO auswirken, keiner Beantwortung.
13 4. Im Hinblick auf den gegen den Angeklagten M mit Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Waldshut-
Tiengen vom 28.01.2015 unter dem Aktenzeichen 23 Js 10001/14 erhobenen Vorwurf eines am 22.11.2014
begangenen Einbruchsdiebstahls weist der Senat darauf hin, dass über den offensichtlich diesen Tatvorwurf
betreffenden, in der Hauptverhandlung gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen, „den
Strafbefehl wegen Hehlerei gemäß § 154 StPO einzustellen“ (vgl. As. 593), bisher keine Entscheidung
getroffen wurde. Da sich auch das Urteil des Amtsgerichts Waldshut-Tiengen vom 12.08.2015 zu dieser Tat
nicht verhält, geht der Senat davon aus, dass das Verfahren insoweit weiterhin vor dem Amtsgericht
anhängig ist.
14 Der Senat weist zudem darauf hin, dass die mit Beschluss vom 18.06.2015 ausgesprochene Übernahme
dieses (Strafbefehls-)Verfahrens durch das Schöffengericht und die Verbindung zu dort bereits anhängigen
Verfahren unwirksam gewesen sein dürfte. Eine Verfahrensverbindung durch das Gericht ist nur nach
Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 4 StPO; siehe auch BGH, NStZ 1991, 447; OLG Karlsruhe, MDR 1988,
517) oder mit einer - vorliegend jedoch nicht eingeholten - Zustimmung der bis zu diesem Zeitpunkt noch
dispositionsbefugten Staatsanwaltschaft (BGH, NStZ 1990, 548; Erb, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Auflage
2006, § 4 Rn. 3) möglich. Das Schöffengericht hätte das Verfahren 5 Cs 23 Js 10001/14 nach diesen
Grundsätzen nur nach dem Eingang eines Einspruchs gegen einen erlassenen Strafbefehl oder nach der
Anberaumung einer Hauptverhandlung durch den Strafrichter gemäß § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO übernehmen
können; erst in diesen Fällen hätte das Strafbefehlsverfahren einen Status erreicht gehabt, der dem eines
Anklageverfahrens nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses entspricht (vgl. OLG Zweibrücken, MDR 1987,
164; Maur, in: KK-StPO, 7. Auflage 2013, § 408 Rn. 6, 25; Gössel, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Auflage
2009, § 408 Rn. 14, 37, 43). Insoweit dürfte das Verfahren, in dem - entsprechend dem bereits gestellten
Antrag der Staatsanwaltschaft - eine Sachbehandlung nach § 154 StPO naheliegend erscheint, daher noch
bei der Strafrichterabteilung 5 des Amtsgerichts Waldshut-Tiengen anhängig sein.