Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2016

bausparvertrag, auszahlung, empfang, verzinsung

OLG Karlsruhe Urteil vom 8.11.2016, 17 U 185/15
Kündigung eines Bausparvertrages
Leitsätze
1. Die (durch den Sparer nicht angenommene) Zuteilung des Bauspardarlehens steht nicht dem vollständigen
Empfang des Darlehens nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gleich.
2. Die Bausparkasse kann sich während der noch laufenden Ansparphase des Bausparvertrages auch nach der
durch den Sparer nicht angenommenen Zuteilung des Bauspardarlehens nicht auf ein Kündigungsrecht analog §
489 Abs. 1 Nr. 2 BGB berufen. Auch eine Anpassung des Vertrages im Hinblick auf das geänderte Zinsniveau
kommt gem. § 490 Abs. 3, § 313 Abs. 3 S. 2 BGB nicht in Betracht.
3. Für den Streitwert der Klage auf Feststellung, dass der Bausparvertrag fortbesteht, ist allein das Interesse
des Klägers maßgebend, unter Inanspruchnahme der vereinbarten Verzinsung die Ansparphase fortzuführen,
was nach dem Rechtsgedanken des § 9 Satz 1 ZPO mit dem 3 ½ -fachen der einjährigen Zinserwartung zu
bewerten ist, abzüglich eines Abzugs von 20 % für die Feststellungsklage.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2015, Az. 7 O 126/15,
wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsrechtszugs zu tragen.
3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 680,88 festgesetzt. In Abänderung der Festsetzung
durch das Landgericht vom 23.10.2015 wird der Streitwert für den ersten Rechtszug ebenfalls auf EUR 680,88
festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Kläger verlangen die Feststellung des Fortbestehens ihres von der Beklagten gekündigten
Bausparvertrags (Anlage K 1), den die Parteien am 16.04.1991 über eine Bausparsumme von 23.000 DM
(11.759,71 EUR) im Tarif T 1 auf der Grundlage der als Anlage B 3 vorgelegten Allgemeinen Bedingungen
der Beklagten für Bausparverträge (ABB) abgeschlossen haben. Die Mindestansparung beträgt 40 % der
Bausparsumme (=4.703,89 EUR) bei einem monatlichen Regelsparbeitrag von 95,91 DM (= 49,04 EUR).
2 Die dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für Bausparverträge (im
Folgenden ABB) enthalten auszugsweise folgende Bestimmungen:
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§ 1 Vertragszweck
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Zweck des Bausparvertrages ist die Erlangung eines unkündbaren, in der Regel zweistellig zu sichernden
Tilgungsdarlehens (Bauspardarlehen) aufgrund planmäßiger Sparleistungen nach Maßgabe dieser
Allgemeinen Bedingungen ….
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§ 5 Sparzahlungen
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(1) Der monatliche Bausparbeitrag beträgt 4,17 vom Tausend der Bausparsumme (Regelsparbeitrag). Er ist
bis zur ersten Auszahlung aus der zugeteilten Bausparsumme am Ersten jedes Monats kostenfrei an die
Bausparkasse zu entrichten.
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(2) Sonderzahlungen sind grundsätzlich zulässig. Die Bausparkasse kann deren Annahme von ihrer
Zustimmung abhängig machen.
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(3) Ist der Bausparer unter Anrechnung von Sonderzahlungen mit mehr als 12 Regelsparbeiträgen
rückständig und hat er der schriftlichen Aufforderung der Bausparkasse, nicht geleistete Bausparverträge zu
entrichten, länger als zwei Monate nach Zugang der Aufforderung nicht entsprochen, so kann die
Bausparkasse den Bausparvertrag kündigen. Im Fall der Kündigung gilt § 9 Abs. 2 entsprechend.
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(4) Ist der Bausparvertrag zugeteilt, so tritt an die Stelle des Rechts der Bausparkasse, den Vertrag zu
kündigen, das Recht, das dem Bausparer bereitgestellte (§ 13) oder bereitzustellende (§ 14)
Bauspardarlehen um die rückständigen Bausparbeiträge zu kürzen.
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§ 6 Verzinsung des Bausparguthabens
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(1) Das Bausparguthaben wird mit 2,5 vom Hundert jährlich verzinst.
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(2) Die Verzinsung beginnt für Sparzahlungen mit dem Tag nach Zahlungseingang. Sie endet mit Ablauf des
Tages vor der 1. Auszahlung des Sparguthabens, spätestens jedoch mit Ablauf des Monats, in dem die
Bausparsumme bereitgestellt wird…
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(3) Die Zinsen werden dem Bausparguthaben jeweils am Ende des Kalenderjahres gutgeschrieben. …
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(4) Die Zinsen werden nicht gesondert ausgezahlt.
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§ 10 Zuteilung
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(1) Die Sparzahlungen, die gutgeschriebenen Zinsen, die Tilgungszahlungen und die von der Bausparkasse
zur beschleunigten Zuteilung etwa aufgenommenen Mittel fließen in die für alle Vertragsarten gemeinsame
Zuteilungsmasse.
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§ 11 Voraussetzungen und Reihenfolge der Zuteilung
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(1) Die Bausparsumme eines Vertrages wird zugeteilt, wenn an dem jeweiligen Zuteilungstermin
zugehörigen Bewertungsstichtag
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a) das Bausparguthaben des Vertrages mindestens 40 vom Hundert der Bausparsumme
(Mindestsparguthaben) betragen hat
und wenn
b) die Bewertungszahl - auf drei Stellen nach dem Komma auf- bzw. abgerundet - mindestens 14,400
(Mindestbewertungszahl) beträgt. …
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§ 12 Zuteilungsnachricht
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(1) Die Zuteilung wird dem Bausparer unverzüglich schriftlich mitgeteilt mit der Aufforderung, binnen 4
Wochen ab Datum der Zuteilung zu erklären, ob er die Zuteilung annimmt.
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(2) Der Bausparer kann die Annahme der Zuteilung widerrufen, solange die Auszahlung der Bausparsumme
noch nicht begonnen hat.
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§ 14 Vertragsfortsetzung
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(1) Nimmt der Bausparer die Zuteilung nicht an oder gibt er die Annahmeerklärung nicht fristgemäß ab oder
wird die Annahme der Zuteilung widerrufen, so wird der Vertrag fortgesetzt.
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(2) Setzt der Bausparer seinen Vertrag fort, kann er seine Rechte aus der Zuteilung je-derzeit wieder
geltend machen. …
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§ 32 Bedingungsänderungen
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(2) Ohne Einverständnis des Bausparers, aber mit Zustimmung des Bundesaufsichtsamtes für das
Kreditwesen können die Bestimmungen der §§ 5 bis 11, 14, 20 und 33(2) mit Wirkung für bestehende
Verträge geändert werden. Sonstige Änderungen bedürfen des Einverständnisses des Bausparers…
28 Unstreitig ist die Bausparsumme aus dem Bausparvertrag der Kläger gemäß § 11 Abs. 1 lit.a) ABB seit dem
15.04.2002 zuteilungsreif. Die Kläger erhielten Zuteilungsnachricht, haben diese jedoch nicht angenommen,
sondern den Vertrag fortgesetzt. Die vereinbarte Bausparsumme ist bislang nicht angespart worden.
29 Mit Schreiben vom 16.02.2015 erklärte die Beklagte die Kündigung des Bausparvertrags zum 20.08.2015
unter Berufung auf § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB (Anlage K 2).
30 Die Kläger sind der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB lägen
nicht vor, da ein vollständiger Empfang des Darlehens auf Seiten der Beklagten nicht etwa schon mit
Zuteilungsreife der Bausparsumme gegeben sei, sondern erst dann, wenn der Bausparer die vereinbarte
Bausparsumme vollständig angespart habe. Durch die Kündigung würde der Bausparer in seinem
vertraglichen Recht auf Erhalt eines Bauspardarlehens unzulässig beschnitten. Nach den von der Beklagten
selbst vorgegebenen Vertragsbedingungen sei der Bausparer schließlich berechtigt, den Bausparvertrag auch
nach Zuteilungsreife fortzusetzen. Ein Kündigungsrecht für die vorliegende Fallkonstellation habe die
Beklagte in ihren ABB gerade nicht vorgesehen.
31 Demgegenüber ist die Beklagte der Auffassung, sie sei nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Kündigung des
Bausparvertrags berechtigt gewesen. Ab Zuteilungsreife liege ein vollständiger Empfang des Darlehens auf
Seiten der Beklagten in ihrer Rolle als Darlehensnehmerin im Sinne dieser Vorschrift vor. Das
Kündigungsrecht aus § 489 BGB könne den Bausparkassen auch deshalb nicht abgeschnitten werden, weil
aufgrund des Kollektivcharakters des Bausparens die Gesamtinteressen der Bauspargemeinschaft zu
berücksichtigen seien.
32 Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Anträge wird auf die in
dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
33 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Ein Kündigungsrecht der Beklagten ergebe sich weder aus den
dem Vertrag zu Grunde liegenden ABB - die gemäß § 1 Abs. 1 einen Rückgriff auf das dispositive gesetzliche
Kündigungsrecht nach § 488 Abs. 3 BGB vor Vollansparung der Bausparsumme ausschlössen - noch aus der
unabdingbaren Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB noch aus § 314 BGB. Der Anwendungsbereich von §
489 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei nicht eröffnet, da die Bausparkasse vor der Zuteilung des Bauspardarlehens nicht
nur Darlehensnehmerin, sondern zugleich Darlehensgeberin bezüglich des von ihr künftig zur Verfügung zu
stellenden Bauspardarlehens sei, also eine vertragsimmanente „Doppelrolle“ innehabe. Eine analoge
Anwendung dieser Vorschrift sei nicht gerechtfertigt. Denn die Ausdehnung des Anwendungsbereichs von §
489 BGB zugunsten der Bausparkassen würde einen Eingriff in die vertragliche Risikoverteilung bedeuten,
da nach den Bedingungen des Bausparvertrags jede Partei das Risiko einer ihr ungünstigen Zinsentwicklung
trage. Der von der Beklagten angesprochene Schutz der Kollektivinteressen sei bereits dadurch
gewährleistet, dass die vorgelegten ABB unter bestimmten Voraussetzungen eine Änderung der
Bedingungen - z.B. die Senkung der Verzinsung des Bausparguthabens - auch für bestehende Verträge
zulassen (§ 32 ABB). Dass die BaFin einer entsprechenden Bedingungsänderung gemäß § 9 BSpkG bisher
nicht zugestimmt hat, lasse darauf schließen, dass eine Gefährdung der Belange des Bausparerkollektivs
derzeit nicht vorliege.
34 Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
35 Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens ihren Klagabweisungsantrag weiterverfolgt.
36 Die Kläger beantragen Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigen das Urteil des Landgerichts unter
Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
37 Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der im
Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
38 Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung
beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
39 Die dem Vertrag zugrunde liegenden ABB stützen die Kündigungsbefugnis der Beklagten nicht. Auch ein
gesetzliches Kündigungsrecht steht ihr nicht zu. Auf das Vertragsverhältnis findet gemäß Art. 229 § 5 Satz 2
EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom
26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) seit dem 1. Januar 2003 Anwendung. Die maßgebenden Vorschriften
rechtfertigen nicht die von der Beklagten erklärte Kündigung.
40 Ein Grund für die von der Beklagten erklärte Kündigung kann weder dem § 488 Abs. 3 BGB (a) noch der
Regelung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB entnommen werden (b); auch aus §§ 490 Abs. 3, 314, 313 Abs. 3 S. 2
BGB ergibt sich ein Kündigungsrecht nicht (c).
41 a) Auf das ordentliche Kündigungsrecht gemäß § 488 Abs. 3 BGB kann sich die Beklagte nicht berufen, weil
die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
42 Zwar kann nach der herrschenden Meinung zu § 488 Abs. 3 BGB ein Bausparvertrag gekündigt werden,
wenn er bis zur Bausparsumme vollständig angespart ist. Denn während der Ansparphase ist der
Bausparvertrag ein Darlehensvertrag i. S. d. § 488 BGB, bei dem der Bausparer Darlehensgeber und die
Bausparkasse Darlehensnehmerin ist. Nach § 1 Abs. 1 ABB ist im Einklang mit dem in § 1 BausparKG
besonders definierten Zweck der Erlangung eines Bauspardarlehens eine Besparung des Bausparvertrages
über die Bausparsumme hinaus ist nicht zulässig. Mit vollständiger Ansparung des Vertrages bis zur
Bausparsumme kann dieser Zweck nicht mehr erreicht werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016 - 9 U
171/15 Rn. 33 mit Hinweis auf OLG Köln, Beschluss vom 23.03.2015 - 13 U 104/14, juris; erneut OLG
Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016 - 9 U 230/15 Rn. 40; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.10.2013 - 19 U
106/13, juris; Staudinger/Mülbert, BGB 2015, § 488 548).
43 Im Streitfall ist die Bausparsumme nach den Feststellungen des Landgerichts jedoch noch nicht vollständig
angespart, lediglich Zuteilungsreife ist seit geraumer Zeit eingetreten. Eine sogenannte Vollbesparung liegt
damit nicht vor.
44 b) Einen Kündigungsgrund liefert entgegen der Auffassung der Berufung auch nicht die Vorschrift des § 489
Abs. 1 Nr. 2 BGB, auf welche die Beklagte die Kündigung primär stützt.
45 Dabei braucht die Streitfrage, ob die Bestimmung von ihrem Sinn und Zweck her auf Sparverträge
überhaupt Anwendung findet, bei denen Einlagen an sogenannte „professionelle Darlehensnehmer“
geleistet werden, nicht beantwortet zu werden (zum Meinungsstand OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016
- 9 U 171/15 Rn. 40 m.w.N.; OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016 - 9 U 230/15 Rn. 68 ff.). Denn es fehlt
jedenfalls an der Voraussetzung des „vollständigen Empfangs“ des vom Bausparer an die Bausparkasse
gegebenen Darlehens, dem der erstmalige Eintritt der Zuteilungsreife des Bauspardarlehens nicht
gleichgestellt werden kann (aa). Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Betracht (bb).
46 aa) Nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann der Darlehensnehmer einen Darlehensvertrag mit gebundenem
Sollzinssatz nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang des Darlehens unter Einhaltung
einer Kündigungsfrist von sechs Monaten ganz oder teilweise kündigen.
47 Das im Rahmen der Ansparphase eines Bausparvertrages vom Bausparer (Darlehensgeber) gewährte und
von der Bausparkasse in Anspruch genommene Darlehen weist die Besonderheit auf, dass für die
Rückerstattung der Spareinlagen eine Zeit nicht bestimmt und auch der Zeitpunkt für den vollständigen
Darlehensempfang nicht festgelegt ist. Solange die Valutierungsphase andauert, ist das Darlehen vollständig
erst mit der letzten vertragsgemäßen Teilzahlung des Darlehensgebers empfangen (näher OLG Stuttgart,
Urteil vom 30.03.2016 - 9 U 171/15 Rn. 43 und OLG Bamberg, Urteil vom 10.08.2016 - 8 U 24/16 Rn. 60 f.;
a.A. OLG Hamm, Urteil vom 22.06.2016 - 31 U 271/15 Rn. 32, OLG Köln, Urteil vom 11.01.2016 - 13 U
151/15 Rn. 7 und OLG Celle, Urteil vom 14.09.2016 - 3 U 230/15 Rn. 68; ).
48 Dieser Zeitpunkt ist entgegen der Rechtsauffassung der Berufung im Streitfall nicht erreicht. Das Stadium
der Zuteilungsreife ist hierfür ohne Bedeutung (Beck-Online-Großkommentar/Weber, Stand 01.02.2016,
BGB, § 489 Rn. 49.1). Vielmehr kann der Bausparer nach dem hier maßgebenden § 12 Abs. 2 ABB sogar
eine eventuell angenommene Zuteilung widerrufen, solange die Auszahlung der Bausparsumme noch nicht
begonnen hat. Dann wird ebenso wie in dem Fall, dass der Bausparer die Zuteilung nicht fristgemäß
angenommen hat, nach § 14 Abs. 1 ABB „der Vertrag fortgesetzt“, d.h. er wird in das Sparstadium
zurückversetzt, wobei dem Bausparer die aus der Zuteilung eingeräumten Rechte prinzipiell
aufrechterhalten werden (§ 14 Abs. 2 ABB). Nach Sinn und Zweck des Bausparvertrages ist lediglich eine
Besparung über die Bausparsumme hinaus unzulässig. Wenn das Bausparguthaben die Bausparsumme
erreicht, unterliegt der Bausparvertrag der ordentlichen Kündigung durch die Bausparkasse.
49 Aus der Vereinbarung des Mindestsparguthabens für die Zuteilung (hier i.H.v. 40 % der Bausparsumme) folgt
daher nicht eine Begrenzung des Nettodarlehensbetrags in der Ansparphase. Da der Bausparer unabhängig
von dem Erreichen der Zuteilungsreife zur Fortführung der Teilvalutierung im Rahmen des Ansparmodus
berechtigt ist, tritt nach dem Vertragsmechanismus eine immanente Limitierung des Darlehens erst durch
die Bausparsumme selbst ein. Damit tragen die ABB der Beklagten auch den Interessen der
Zweckgemeinschaft der Bausparer Rechnung, weil der stetige Zufluss von Spareinlagen die Zuteilungsmasse
vergrößert. Schon mit Rücksicht hierauf verbietet sich, das Tatbestandsmerkmal des „vollständigen
Empfangs“ gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB allein aus der Sicht der Beklagten auszulegen (OLG Stuttgart,
Urteil vom 30.03.2016 - 9 U 171/15 Rn. 52).
50 bb) Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu Gunsten der Beklagten
kommt nicht in Betracht (so zutreffend OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016 - 9 U 171/15 Rn. 53 ff.; gegen
OLG Celle, Beschluss vom 3. Februar 2016 - 3 U 192/15; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. Januar 2016 - 5 O
38/15; OLG Köln, Beschluss vom 11. Januar 2016 - 13 U 151/15; OLG Hamm, Beschluss vom 30.12.2015 -
31 U 191/15).
51 Eine planwidrige Gesetzeslücke in Bezug auf die von den gewöhnlichen Darlehensverträgen abweichenden
Bausparverträge liegt nicht vor. Abgesehen von der Gesetzgebungsgeschichte (dazu ausführlich OLG
Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016 - 9 U 171/15 Rn. 55 - 57), fehlt es auch wegen der Besonderheiten bei
Bausparverträgen an einem vergleichbaren Sachverhalt, der eine analoge Anwendung dieser Vorschrift mit
Eintritt der bloßen Zuteilungsreife des Bausparvertrages rechtfertigen würde.
52 Anders als in gewöhnlichen Darlehensrechtsbeziehungen erschöpft sich das Bauspargeschäft nicht in der
Erlangung des Anspruchs auf Zuteilung eines zinsgünstigen (Bauspar-) Darlehens. Eine solche
Betrachtungsweise greift zu kurz, weil sie die bausparvertragstypischen Ansparleistungen im Kontext mit
den Sparleistungen des Kollektivs außer Acht lässt. Vielmehr handelt es sich hier um ein geschlossenes
System der Bausparzweckgemeinschaft, bei der das einzelne Mitglied zunächst auf einen marktüblichen
Anlagezins verzichtet, um später nach Zuteilung der Bausparsumme von einem günstigen -
marktunabhängigen - Darlehenszins zu profitieren (Senat, Urteil vom 16.06.2015 - 17 U 5/14, WM 2015,
2039, Rn. 47). Dieser Vertragszweck kann nur erreicht werden, wenn dem Bausparkollektiv kontinuierlich
neue Mittel zugeführt werden und die Bausparer zugleich auf einen marktgerechten Einlagezins verzichten.
53 Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die mit den Besonderheiten des Verfahrens verbundene
Ungewissheit der Zuteilung eines Bausparvertrages und die Beschränkung des Darlehens auf den
wohnungswirtschaftlichen Zweck dazu führen können, dass die Inanspruchnahme des Darlehens zu einem
bestimmten Zeitpunkt den Interessen des Bausparers zuwiderlaufen kann, weil sich der Verwendungszweck
(noch) nicht oder nicht (mehr) realisieren lässt oder bereits auf eine spätere Zeit verschoben wurde (oder
verschoben werden musste).
54 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass eine übermäßig lange Zinsbindung der Bausparkasse von mehr als
zehn Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Zuteilungsreife, regelmäßig nur aufgrund einer Einstellung
der Zahlung der Regelsparbeiträge durch den Bausparer entsteht. Das muss die Bausparkasse freilich nicht
hinnehmen. Sie hat demgegenüber einen Anspruch auf Weiterzahlung der Einlagen bis zur Höhe der
Bausparsumme. Ist diese erreicht, besteht, wie ausgeführt, in jedem Fall ein Kündigungsrecht der Beklagten
gemäß § 488 Abs. 3 BGB (vgl. auch § 15 Abs. 4 b der Muster-ABB). Leistet der Bausparer den
Regelsparbeitrag nicht (mehr), so kann die Beklagte ebenfalls ordentlich kündigen, § 5 Abs. 3 ABB. Damit
verschafft der Eintritt der Zuteilungsreife dem Bausparer nicht etwa einen Vorteil dahingehend, dass er die
Beklagte unangemessen lange an den vertraglichen Guthabenszins binden kann. Die Dauer der
Ansparphase wird nämlich keineswegs in das „uneingeschränkte Belieben des Bausparers“ (so OLG Köln,
Urteil vom 11.01.2016 - 13 U 151/15 Rn. 11) gestellt: Gemäß § 5 Abs. 1 ABB ist der Bausparer bis zur
ersten Auszahlung aus der zugeteilten Bausparsumme - mithin auch im Fall der Vertragsfortsetzung nach
Zuteilungsreife der Bausparsumme - verpflichtet, fortlaufend den vertraglich vereinbarten monatlichen
Bausparbeitrag an die Bausparkasse zu entrichten. Kommt der Bausparer dieser vertraglichen Verpflichtung
nach, so tritt zwangsläufig zu einem bestimmten Zeitpunkt Vollbesparung ein und ein Kündigungsrecht der
Bausparkasse gemäß § 488 Abs. 3 BGB besteht. Kommt der Bausparer seiner vertraglichen Zahlungspflicht
nicht nach, so besteht für die Bausparkasse ein Kündigungsrecht gemäß § 5 Abs. 3 ABB. Nach alledem ist
eine analoge Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht gerechtfertigt.
55 c) Der Beklagten steht auch kein außerordentliches Recht zur Kündigung gemäß § 490 Abs. 3, §§ 314, 313
Abs. 3 BGB zu.
56 aa) Zu Recht beruft sich die Beklagte nicht auf ein Kündigungsrecht aus § 490 Abs. 3, § 314 Abs. 1 BGB.
Nach § 314 BGB ist eine Kündigung aus wichtigem Grundzulässig, wenn dem kündigenden Teil unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die
Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer
Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Nichtabnahme des Bauspardarlehens stellt indes kein
vertragswidriges Verhalten des Bausparers dar. Hinsichtlich der Nichtzahlung der Regelsparbeiträge steht
der Beklagten vielmehr ein spezielleres Kündigungsrecht aus § 5 Abs. 3 ABB zu, dessen Voraussetzungen im
Streitfall jedoch nicht vorliegen.
57 bb) Auch aus § 490 Abs. 3, § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB ergibt sich ein Recht der Beklagten zur Kündigung
nicht. Nach diesen Bestimmungen kann eine Vertragsanpassung verlangt werden, wenn sich die Umstände,
die Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert haben, die
Parteien deshalb den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten und das Festhalten am
unveränderten Vertrag nicht zumutbar ist.
58 Die Geschäftsgrundlage eines Vertrages wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss bestehenden
gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht
beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt
gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (statt aller BGH,
Urteil vom 28.03.2006 - XI ZR 425/04, BGHZ 167, 25 Rn. 24). Diese Vorstellungen müssen sich als falsch
herausgestellt haben. Die Parteien müssten, wenn sie dies vorausgesehen hätten, den Vertrag anders
geschlossen haben. Eine Anpassung des Vertrages kann zudem nur gefordert werden, soweit einem Teil
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen
Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (BGHZ 167, 25
Rn. 30 m.w.N.). Bei der Auflösung eines Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB
handelt es sich um eine von vornherein auf besondere Ausnahmefälle beschränkte rechtliche Möglichkeit, die
zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweisbar
erscheinen muss (OLG Stuttgart, 30.03.2016 - 9 U 171/15 Rn. 78). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
59 Selbst wenn die Kläger ihre Absicht zur Inanspruchnahme des Bauspardarlehens endgültig aufgegeben
hätten, wäre die Geschäftsgrundlage nicht entfallen. Nach seinem Sinn und Zweck dient der Bausparvertrag
zwar der Erlangung von Mitteln zur wohnwirtschaftlichen Verwendung, vgl. § 1 BauSparkG und § 1 ABB des
streitigen Bausparvertrages. Dennoch kann der Wegfall dieser Grundlage für den Abschluss des
Bausparvertrages nicht allein daraus abgeleitet werden, dass der Kläger seit über zehn Jahre das
Bauspardarlehen nicht abgerufen hat. Das kann angesichts der Notwendigkeit der wohnwirtschaftlichen
Verwendung des Bauspardarlehens viele persönliche oder wirtschaftliche Gründe haben. Unabhängig von
den hierfür maßgebenden Gründen im Einzelfall sehen die Vertragsbedingungen der ABB der Beklagten die
Fortsetzung des Vertragsverhältnisses vor, die damit eine verbindliche Risikoverteilung treffen.
60 Mit Rücksicht auf diese Vertragsordnung kann vom Wegfall der Geschäftsgrundlage selbst dann keine Rede
sein, wenn das Gleichgewicht zwischen Bauspareinlagen und Bauspardarlehen mit der Folge dauerhaft
gestört wäre, dass die Beklagte ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen könnte. Die Beklagte hat über den
gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus insoweit das vertragsspezifische Risiko übernommen, was ein
weiteres Festhalten am Vertrag nicht als unzumutbar erscheinen lässt. Eine solche vertragliche
Risikoübernahme schließt die Rechte aus § 313 BGB regelmäßig aus (BGH, Urteil vom 21.02.2014 - V ZR
176/12, NJW 2014, 2177). Eine Abweichung hiervon ist hier nicht geboten. Es hätte der Beklagten oblegen,
von der bestehenden Möglichkeit Gebrauch zu machen, das Risiko der Zinsentwicklung durch eine geeignete
Vertragsgestaltung anders zu gewichten oder ihre vereinbarten Rechte auszuüben. Zu diesen vertraglich
vereinbarten Rechten gehört im Übrigen - worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat - auch die
Möglichkeit, gemäß § 32 ABB i. V. m. § 9 BSpkG die Genehmigung der Bundesaufsichtsbehörde zu einer
Absenkung des Zinssatzes zu erwirken und somit über einen vertraglich vorgesehenen Mechanismus eine
Vertragsanpassung zu erreichen.
III.
61 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
62 Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. In der
obergerichtlichen Rechtsprechung besteht, wie ausgeführt, keine einheitliche Meinung zur Frage, ob § 489
Abs. 1 Nr. 2 BGB die Kündigung eines Bausparvertrages durch die Bausparkasse 10 Jahre nach Eintritt von
Zuteilungsreife rechtfertigt.
63 Gemäß § 63 Abs. 2 GKG war der Streitwert des Berufungsverfahrens festzusetzen. Bei der Klage auf
Feststellung des Fortbestehens eines Bausparvertrages kommt es der Klagepartei hinsichtlich des
Bausparguthabens nicht auf den Rückerhalt oder die eigene Nichtzahlung eines Kapitalbetrages in Höhe des
Guthabens an, sondern auf den fortgesetzten Erhalt des vereinbarten Entgelts für die Kapitalüberlassung.
Maßstab für die Festsetzung des Streitwerts ist folglich das objektive wirtschaftliche Interesse des Klägers an
der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses der Parteien. Maß und Richtung des wirtschaftlichen Interesses
des Klägers orientieren sich dabei grundsätzlich an den in der Klageschrift dargelegten objektiven
Erwartungen des Klägers, wenn sich hierfür hinreichend objektive Anhaltspunkte ergeben (BGH NJW 2006,
3060, juris Rn. 8). Zu bewerten ist vorliegend daher das Interesse der Kläger, den Bausparvertrag weiterhin
in der Ansparphase zu belassen und unter Inanspruchnahme der vereinbarten Guthabenverzinsung
fortführen zu können. Das erklärte wirtschaftliche Interesse der Kläger besteht hier darin, sich auch für die
Zukunft die - gegenüber dem aktuellen Markt höheren - vertraglich vereinbarten Guthabenzinsen auf das
Bausparguthaben zu sichern (Senat, Beschluss vom 16.02.2016 - 17 W 3/16, juris; OLG Stuttgart, Beschluss
vom 19.06.2015 - 9 W 25/15; OLG Koblenz, Beschluss vom 20.08.2015 - 8 W 536/15). Im Rahmen der
Feststellungsklage ist zudem der Rechtsgedanke des § 9 S. 1 ZPO zu berücksichtigen, wonach sich das
wirtschaftliche Interesse der Klagepartei aus dem dreieinhalbfachen Wert der einjährigen Zinserwartung
berechnet (BGH NVwZ-RR 2008, 741; Münch-Komm/Wöstmann, ZPO, 4. Aufl., § 9 Rn. 2).
64 Bei einem Bausparguthaben zum Zeitpunkt der Klageeinreichung von 9.726,79 EUR ist bei einem Zinssatz
von 2,5 % von einem jährlichen Zinsertrag von 243,17 EUR auszugehen. Der dreieinhalbfache Betrag
beläuft sich auf 851,09 EUR, der Wert des Feststellungsbegehrens damit - abzüglich 20 % - auf 680,88 EUR.
65 Entgegen der Rechtsprechung des OLG Stuttgart (Urteil vom 30.03.2016 - 9 U 171/15, Rn. 85) sieht der
Senat davon ab, zusätzlich den bestehenden Anspruch des Klägers auf Inanspruchnahme eines
Bauspardarlehens zu berücksichtigen. Nach den maßgeblichen, in der Klageschrift dokumentierten und
objektiv nachvollziehbaren Umständen des konkreten Falls erschöpft sich das wirtschaftliche Interesse der
Kläger am Fortbestand des Bausparvertrages im Streitfall nämlich in der Guthabenverzinsung. Das
Bauspardarlehen wollen sie dagegen gerade nicht in Anspruch nehmen. Eine schematische Einbeziehung des
theoretisch bestehenden Anspruchs auf Ausreichung eines Bauspardarlehens gegen den erklärten Willen der
Anspruchsberechtigten ist daher nicht vorzunehmen, zumal sich das wirtschaftliche Interesse des
Bausparers am Fortbestand seines Bausparvertrages nicht für den gleichen Zeitraum sowohl auf die
Guthabenverzinsung als auch auf die Ausreichung der Bauspardarlehens richten kann, beides in insoweit
sich vielmehr in einem Alternativverhältnis befindet.
66 Die Abänderung des erstinstanzlichen Streitwerts erfolgt gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG.