Urteil des OLG Karlsruhe vom 11.08.2016

zulässigkeit der auslieferung, rechtliches gehör, kriminelle organisation, vollstreckung der strafe

OLG Karlsruhe Beschluß vom 11.8.2016, 1 AK 28/16
Auslieferungshaft zur Strafverfolgung in Frankreich: Vorliegen eines "Mischfalls" bei
Tathandlungen im In- und Ausland
Leitsätze
1. Die Prüfung der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 IRG hat nicht nur anhand des Inhalts des
Auslieferungsversuchens zu erfolgen, sondern deren Bestimmung ist aufgrund einer vollständigen
Berücksichtigung und Abwägung aller bekannten Umstände unter Einbeziehung vorhandener
Ermittlungsergebnisse nebst dem Sachvortrag des Verfolgten vorzunehmen.
2. Hat der deutsche Staatsangehörige neben gewichtigen eigenen Tathandlungen im Ausland auch solche im
Inland in nicht unwesentlichem Umfang begangen, ist im Zweifel von einem "Mischfall" nach § 80 Abs.2 Satz 1
Nr. 3 IRG und Satz 3 IRG auszugehen und eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen.
Dabei sind insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer
effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter
Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und
zueinander ins Verhältnis zu setzen.
Tenor
1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Frankreich zur Strafverfolgung aufgrund des Europäischen Haftbefehls
der Staatsanwaltschaft U. vom 01. April 2016 wird mit der Maßgabe für zulässig erklärt, dass die französischen
Justizbehörden vor Überstellung eine ausdrückliche Zu-sicherung abgeben, den Verfolgten im Falle einer
rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder einer sonstigen Sanktion auf seinen Wunsch zur
Strafvollstreckung wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurück zu überstellen.
2. Es wird festgestellt, dass die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft vom 10. Juni 2016, keine
Bewilligungshindernisse geltend machen zu wollen, rechtsfehlerfrei getroffen ist.
3. Die Auslieferungshaft hat fortzudauern (§ 26 IRG).
Gründe
I.
1 Der Verfolgte - ein deutscher Staatsangehöriger - befindet sich seit 06.04.2016 in Auslieferungshaft
aufgrund des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 11.04.2016. Grundlage desselben ist ein
Europäischer Haftbefehl der Staatsanwaltschaft U. vom 01.04.2016, aus welchem sich ergibt, dass gegen
den Verfolgten ein Haftbefehl der Untersuchungsrichterin beim Gericht in U. vom 01.04.2016 besteht, in
welchem gegen den Verfolgten nebst rechtlicher Würdigung folgende mit einer Höchststrafe von zehn
Jahren strafbewehrten Vorwürfe erhoben werden:
2 Wird ausgeführt
3 Der Verfolgte hat einer vereinfachten Auslieferung ohne - sachliche Einwendungen gegen die Zulässigkeit
der Auslieferung zu erheben - bei seinen richterlichen Anhörungen am 06.04.2016 und 15.04.2016 vor dem
Amtsgericht I. nicht zugestimmt, weshalb die Generalstaatsanwaltschaft am 10.06.2016 beantragt hat,
seine Auslieferung nach Frankreich im nachgesuchten Umfang für zulässig zu erklären. Zugleich hat sie
entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend zu machen. Hierzu
wurde dem Rechtsbeistand des Verfolgten rechtliches Gehör gewährt, welcher sich nicht näher geäußert
hat.
4 Mit Beschluss vom 04.07.2016, auf welchen wegen der Einzelheiten ausdrücklich verwiesen wird, hat der
Senat eine weitere Aufklärung des Sachverhalts für notwendig angesehen und die französischen
Justizbehörden um Ergänzung ihres Auslieferungsersuchens im Hinblick auf folgende Fragen gebeten:
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a. Es wird - soweit möglich - um nähere Darstellung der Strukturen der kriminellen Vereinigung gebeten,
welcher der Verfolgte angehörte. Welche Stellung hatte dieser innerhalb der Organisation?
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b. Soweit dem Verfolgten unter Ziffer 2-4 des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft U. vom
01.04.2016 vorgeworfen wird, zwischen dem 1.1.2014 und 20.12.2015 in U. Geldwäsche aus
Betäubungsmittel-Handel (Nr. 2), Ankauf, Transport, Besitz, Angebot oder Verkauf von Betäubungsmitteln
(Nr.3) sowie Einfuhr von Betäubungsmitteln (Nr. 4) betrieben zu haben, wird - soweit möglich - um nähere
Darstellung der Taten im Hinblick auf konkrete Tatzeiten und Tatumstände gebeten. Insbesondere bedarf es
einer näheren Beschreibung der Taten, soweit sich aus den vorgelegten Auslieferungsunterlagen ergibt, der
Verfolgte habe in insgesamt 40 Fällen Gelder in Frankreich oder Deutschland für die kriminelle Organisation
eingetrieben. Maßgeblich kommt es dabei bei jeder Einzeltat auch darauf an, ob der Verfolgte dabei selbst in
Deutschland oder Frankreich gehandelt hat und an welchen Orten seine Mittäter gehandelt haben.
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c. Auch wird um Klarstellung gebeten, ob das Eintreiben von Geldern alleinige Aufgabe des Verfolgten
innerhalb der Organisation war oder er sich auch anderweitig am Rauschgifthandel in Person beteiligt hat.
Wurden die Geldeintreibungen vom Verfolgten aus Deutschland organisiert oder waren dafür andere
Personen verantwortlich?
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d. Gegen welche weitere Personen richtet sich das in Frankreich geführte Ermittlungsverfahren und wie ist
dessen Stand?
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e. Es wird um klarstellende Ergänzung des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft U. vom
01.04.2016 gebeten, ob die Bezeichnung einer Tat als Katalogtat nach Art. 2 Abs. 2 RbEuHb erfolgt ist bzw.
erfolgen soll.
10 Hierauf ist am 18.07.2016 folgende mehrseitige ergänzende Erklärung des Untersuchungsrichters des
Gerichts in U. vom 15.07.2016 eingegangen:
11 Wird ausgeführt:
12 Der Verfolgte hat über seinen Rechtsbeistand rechtliches Gehör erhalten und sich zuletzt mit Schriftsatz
vom 04.08.2016 geäußert. Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Auslieferung wurden nicht erhoben.
II.
13 Nach Inkrafttreten des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 20.07.2006 (BGBL.2006 I, 1721) am
2.8.2006 richtet sich der Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach
dem neu eingeführten Achten Teil des IRG, wobei die übrigen Bestimmungen des IRG Anwendung finden,
soweit dieser Teil keine abschließende Regelung enthält (78 IRG).
14 Die Auslieferung des Verfolgten nach Frankreich aufgrund des Europäischen Haftbefehls der
Staatsanwaltschaft U. vom 01.04.2016 ist zulässig, da die Auslieferungsvoraussetzungen vorliegen und
Auslieferungshindernisse nicht bestehen. Insoweit nimmt der Senat zunächst Bezug auf seinen
Auslieferungshaftbefehl vom 11.04.2016, dessen Gründe fortgelten.
15 1. Der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft U. vom 01.04.2016 genügt in Verbindung der
Erklärung des Untersuchungsrichters des Gerichts in U. vom 15.07.2016 nunmehr auch für das
Zulässigkeitsverfahren den formellen Anforderungen des § 83a Abs.1 IRG.
16 a. Nach § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG muss ein Europäischer Haftbefehl eine Beschreibung der Umstände enthalten,
unter welchen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung
der gesuchten Person. Hierzu ist es notwendig, dass die Haftanordnung eine ausreichende Konkretisierung
des Tatvorwurfs enthält, welche einen zureichenden Rückschluss auf das dem Verfolgten vorgeworfene
Geschehen ermöglicht (Senat StV 2007, 650; 2005, 232). Auch wenn der ersuchende Staat ein Verhalten
als Katalogtat nach Art. 2 Abs. 2 RbEuHb i.V.m. § 81 Nr. 4 IRG bezeichnet, muss die Ausschreibung eine
Schlüssigkeitsprüfung dahingehend ermöglichen, ob die Sachdarstellung einen nachvollziehbaren
Rückschluss hierauf zulässt (Senat StV 2007, 139; dass. Beschluss vom 13.07.2011, 1 AK 24/11). Dabei ist
zu beachten, dass gerade bei Serienstraftaten sowie - wie vorliegend - bei Dauer- oder
Organisationsdelikten an die Sachdarstellung in einem Europäischen Haftbefehl keine übermäßigen und
deutschen Bewertungen entsprechenden Anforderungen gestellt werden dürfen (Senat StV 2008, 429 und
Beschluss vom 22.01.2013, 1 AK 76/12). Insoweit kann die gebotene Konkretisierung der Sachdarstellung
im Zulässigkeitsverfahren erfolgen und vor allem dann geboten sein, wenn hierzu aufgrund konkreter und
rechtlich erheblicher Einwendungen des Verfolgten Anlass besteht (vgl. hierzu auch Senat StV 2005, 402;
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.01.2008, 1 Ausl 28/07). Besondere Anforderungen an die
Konkretisierung eines Europäischen Haftbefehls bestehen zudem dann, wenn es sich um einen deutschen
Staatsangehörigen handelt, denn aus der Ausschreibung müssen sich auch die besonderen
Zulässigkeitserfordernisse des § 80 IRG mit zureichender Sicherheit entnehmen lassen (Senat StraFo 2009,
389), auch wenn - wie noch auszuführen - deren Bestimmung dem Oberlandesgericht aufgrund einer
vollständigen Berücksichtigung und Abwägung aller bekannten Umstände unter Einbeziehung vorhandener
Ermittlungsergebnisse nebst dem Sachvortrag des Verfolgten zu erfolgen hat.
17 b. Insoweit sind die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten nunmehr nicht nur nach Tatzeit und Tatort –
soweit als möglich – konkretisiert und die Einbindung des Verfolgten als der hauptsächliche elsässische
Geldeintreiber der international tätigen Betäubungsmittelhändlerorganisation hinreichend beschrieben,
sondern aus den Auslieferungsunterlagen ergibt sich auch, dass dieser neben weiteren
grenzüberschreitenden Aktivitäten (Organisation von Geldübergaben, fernmündliche Gespräche mit
Tatbeteiligten etc.) in insgesamt 43 Fällen Dogengelder von französischen Straftätern eingesammelt hat,
davon in 29 Fällen auf französischen und zumindest in fünf Fällen, nämlich am 27.01.2016, 01.02.2016,
04.02.2016, 18.03.2016 und am 23.03.2016 auf deutschem Staatsgebiet in Kehl.
18 2. Da die französischen Justizbehörden nunmehr in der Erklärung des Untersuchungsrichters des Gerichts in
U. vom 15.07.2016 die dem Verfolgten zur Last liegenden Taten nachvollziehbar als Katalogtaten nach Art.
2 Abs.2 RbEuHB (illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen) bezeichnet haben, ist das Vorliegen
der beiderseitigen Strafbarkeit unbeschadet dessen ersichtlichen Vorliegens zumindest nach § 29 ff. BtMG
i.V.m. § 53 StGB nicht zu prüfen (§ 81 Nr.4 IRG i.V.m. § 80 Abs.2 Satz1 Nr.3 IRG). Soweit im Europäischen
Haftbefehl der Staatsanwaltschaft U. vom 01.04.2016 noch weitere aus Sicht der französischen
Justizbehörden verwirkten Delikte, wie etwa der Geldwäsche aus BTM-Handel oder der Mitgliedschaft in
einer kriminellen Vereinigung, aufgeführt sind, handelt es sich um die gleichen prozessualen Taten, so dass
auch insoweit das Merkmal der beiderseitigen Strafbarkeit nach § 3 IRG erfüllt ist
(Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012, § 3 Rn. 3).
19 3. Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 IRG liegen vor, wobei der Senat die Prüfung
derselben nicht nur anhand des Inhalts des Auslieferungsversuchens vorgenommen, sondern deren
Bestimmung aufgrund einer vollständigen Berücksichtigung und Abwägung aller bekannten Umstände unter
Einbeziehung vorhandener Ermittlungsergebnisse nebst dem Sachvortrag des Verfolgten zu erfolgen hat
und hier auch - soweit möglich - erfolgt ist.
20 a. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke
der Strafverfolgung nur dann zulässig, wenn die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden
Mitgliedstaat aufweist. Ein solcher ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Tathandlung vollständig oder
in wesentlichen Teilen auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen
Teilen dort eingetreten ist; ein maßgeblicher Auslandsbezug ist auch bei Straftaten mit typisch
grenzüberschreitendem Charakter anzunehmen, wenn sie eine besondere Schwere aufweisen (§ 80 Abs. 1
Satz 2 IRG). Hingegen ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
IRG nicht zulässig, wenn sie einen maßgeblichen Bezug zum Inland aufweist. Ein solcher liegt in der Regel
vor, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen im Geltungsbereich dieses Gesetzes
begangen wurde und der Erfolg zumindest dort in wesentlichen Teilen eingetreten ist (§ 80 Abs. 2 Satz 2
IRG). Kann weder ein maßgeblicher Inlandsbezug noch ein maßgeblicher Auslandsbezug festgestellt werden,
ist die Auslieferung eines Deutschen nur bei Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit und dann zulässig,
wenn bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten
in seine Nichtauslieferung nicht überwiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IRG).
21 b. Da der Verfolgte die ihm zur Last liegenden Taten sowohl in Frankreich als auch in nicht unerheblichem
Umfang in Deutschland begangen hat, geht der Senat unter Zugrundelegung der aktuellen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu Beschlüsse vom 15.06.2016 - 2 BvR 468/16 - sowie vom
15.01.2016 - 2 BvR 1860/15 -) davon aus, das sich vorliegend trotz des deutlichen Übergewichts der in
Frankreich begangene Tatanteile und des naheliegenden grenzüberschreitenden Charakters der durch die
Organisation verwirkten Delikte (vgl. hierzu Senat Beschluss vom 13.07.2011, 1 AK 24/11; abgedruckt bei
juris) weder ein maßgeblicher Auslandsbezug noch ein maßgeblicher Inlandsbezug sicher festgestellt werden
kann, so dass von einem „Mischfall“ nach § 80 Abs.2 Satz 1 Nr. 3 IRG und Satz 3 IRG (vgl. hierzu
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., § 80 Nr.22) auszugehen und eine Abwägung der
widerstreitenden Interessen vorzunehmen ist . Dabei sind insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und
die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich
geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen
Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen (BVerfG a.a.O).
22 c. Im Rahmen dieser vom Senat durchzuführenden Abwägung ist vorliegend nicht nur zu sehen, dass der
Verfolgte selbst vorwiegend in Frankreich tätig war, dort eigenständig ca. drei Millionen Euro Drogengelder
eingetrieben hat, sondern auch die kriminelle Organisation und die hierfür tätigen weiteren Mittäter, deren
Tatbeiträge der Verfolgte sich zurechnen lassen muss (Senat NJW 2007, 2567), ebenfalls weitgehend in
Frankreich tätig waren, sich dort bereits 23 Mitbeschuldigte in Untersuchungshaft befinden und die
französischen Justizbehörden jedenfalls teilweise eine gemeinsame Anklageerhebung und Aburteilung
anstreben. Da sich danach mithin auch alle maßgeblichen Beweismittel in Frankreich befinden, liegt es auf
der Hand, dass allein dort das Verfahren sachgerecht geführt werden kann. Dabei hat der Senat - auch
wenn dies nicht entscheidungserheblich ist - bedacht, dass sich der Verfolgte weder im Ermittlungsverfahren
der Staatsanwaltschaft R./Deutschland noch im vorliegenden Verfahren zu den Tatvorwürfen geäußert und
insoweit von seinem Recht zum Schweigen Gebrauch gemacht hat, so dass vorliegend bei einer Verhandlung
in Deutschland bei einem nicht geständigen Täter erhebliche Beweisschwierigkeiten zu erwarten wären
(vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 13.05.2013, 1 AK 63/12, abgedruckt bei juris).
23 d. Gewichtige grundrechtlich geschützte Interessen des Verfolgten als deutscher Staatangehöriger, welche
eine andere Beurteilung rechtfertigen und einer Überstellung nach Frankreich zur Strafverfolgung
entgegenstehen könnten, vermag der Senat auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O.) nicht zu erkennen. Der Verfolgte kann sich vorliegend nicht auf
ein Vertrauen berufen, wegen der ihm im Europäischen Haftbefehl zu Last liegenden Taten allenfalls in
Deutschland verfolgt werden zu können, zumal er auch seine Tatbeiträge überwiegend in Frankreich
ausgeführt hat, die Drogen fast ausschließlich dort von dem Rauschgifthändlerring vertrieben worden sind
und somit der „Erfolg“ seiner und aller ihm zurechenbaren Tatbeiträge jedenfalls weitgehend in Frankreich
eingetreten ist. Bei dieser Sachlage tritt der Umstand, dass der Verfolgte in Deutschland über einen festen
Wohnsitz verfügt und von seiner ebenfalls deutschen Ehefrau und seinen beiden noch minderjährigen
Kindern bei einer Überstellung nach Frankreich in größeren Umfang räumlich getrennt werden würde, in den
Hintergrund, zumal insoweit zu bemerken ist, dass diese ohnehin durch Besuchskontakte abzumildernde
Beschwer nur während des Ermittlungsverfahrens besteht und es dem Verfolgten aufgrund des
Rücküberstellungsvorbehalts im Falle eines Schuldspruchs dann frei steht, die Strafe in der Deutschland zu
verbüßen.
24 Bei dieser Sachlage überwiegen die Gesichtspunkte des Gewichts des Tatvorwurfs, der praktischen
Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung und die mit der Schaffung eines
Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele, hier verbunden mit der Möglichkeit der gemeinsamen
Verhandlung und Aburteilung von Mitttätern, die verbleibenden Belange des Verfolgten mehr als deutlich.
Dass die verfassungsrechtlichen Rechte des Verfolgten bei einer Verhandlung vor einem Gericht in
Frankreich nicht gewahrt würden, vermag der Senat nicht zu erkennen.
25 4. Soweit entgegen § 80 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 IRG noch keine Erklärung der französischen Justizbehörden
vorliegt, der Verfolgte würde im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung auf seinen Wunsch zur Vollstreckung der Strafe in die
Bundesrepublik Deutschland zurück überstellt werden, steht dies einer Zulässigkeitserklärung nicht
entgegen. Insoweit hat es der Senat vorliegend als ausreichend angesehen, die Auslieferung mit der
Maßgabe für zulässig zu erklären, dass die französischen Justizbehörden vor Überstellung des Verfolgten
eine ausdrückliche Zusicherung abgeben, diesen im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe oder einer sonstigen Sanktion auf seinen Wunsch zur Strafvollstreckung wieder in die
Bundesrepublik Deutschland zurück zu überstellen (vgl. hierzu Senat StV 2005, 32; OLG Stuttgart,
Beschluss vom 26.10.2006, 3 Ausl. 52/06).
26 5. Auch Auslieferungshindernisse liegen nicht vor. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Verfolgte in
Frankreich ein faires Verfahren erhalten und zur Wahrung seiner Rechte ihm auch ein Verteidiger
beigeordnet werden wird. Dem Verfolgten droht in Frankreich im Falle eines Schuldspruchs bei einer
Höchststrafe von zehn Jahren in Anbetracht der besonderen Schwere der ihm vorgeworfenen Delikte auch
keine unerträglich harte Strafe, zumal § 29a Abs.1 Nr.2 BtMG als Verbrechen einen Strafrahmen von einem
Jahr bis zu 15 Jahren vorsieht. Der Umstand, dass der Verfolgte - zumindest zeitweise - von seiner in der
Bundesrepublik Deutschland lebenden Ehefrau getrennt werden würde, rechtfertigt nicht die Annahme des
Vorliegens eines Auslieferungshindernisses nach § 73 Satz 1 IRG, denn Art. 6 Abs. 1 GG schützt nicht davor,
dass ein Ausländer infolge der Verletzung von Strafnormen außerhalb des Bundesgebiets zur Verantwortung
gezogen wird (BVerfG NStZ-RR 2004, 179). Ein Ausnahmefall, in welchem die Schutzwirkung des Art. 6 GG
dennoch überwiegen würde, liegt nicht vor.
III.
27 Die vom Senat nach § 79 Abs.2 Satz 3 IRG auch bei deutschen Staatsangehörigen zu überprüfende
Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft vom 10.06.2016, keine Bewilligungshindernisse geltend
machen zu wollen, ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei getroffen. Zwar ist die Generalstaatsanwaltschaft davon
ausgegangen, dass eine Tat mit maßgeblichem Auslandsbezug nach § 80 Abs.1 Nr.2 IRG vorliege, ihre
Erwägungen zur Verneinung eines sodann allein nach § 83 b Abs.1 Nr.1 IRG eröffneten
Bewilligungshindernisses decken sich jedoch mit der Beurteilung des Senats im Rahmen der obigen unter II 3
b dargestellten Abwägung, so dass sich hieraus ein Rechtsfehler nicht ergibt. Insbesondere kann der Senat
ausschließen, dass die Bewilligungsbehörde bei einer zutreffenden rechtlichen Einordnung zu einer
Versagung der Bewilligung auch unter Berücksichtigung eines verbleibenden Restermessens gelangt wäre
bzw. hätte gelangen können (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 13.05.2013, 1 AK 63/12, abgedruckt bei
juris).
IV.
28 Die Auslieferungshaft hat fortzudauern. Es besteht auch weiterhin die erhebliche, anderweitig nicht
abwendbare Gefahr, dass der Verfolgte ohne eine solche Anordnung versuchen würde, sich dem
Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung zu entziehen.