Urteil des OLG Karlsruhe vom 21.12.2016

mitgliedstaat, erlass, haftbefehl, freilassung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 21.12.2016, 1 AK 119/16
Leitsätze
1. Der Senat neigt zur Ansicht, dass auch eine Auslieferung eines Verfolgten zur Strafverfolgung aufgrund eines
Europäischen Haftbefehls lediglich zum Zwecke seiner Vernehmung als Beschuldigter rechtlich möglich ist.
2. Die Inhaftierung einer Person darf jedoch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Dies
ist jedoch der Fall, wenn die Auslieferung des Verfolgten lediglich zum Zwecke seiner Vernehmung begehrt wird,
seine ladungsfähige Anschrift bekannt ist und keine hinreichend gesicherten Anhaltspunkte bestehen, dass
dieser einer solchen Ladung nicht Folge leisten würde.
Die Entscheidung wurde deutlich anonymisiert.
Tenor
Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls wird
zurückgewiesen.
Der vorläufige Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 14. Dezember 2016 wird aufgehoben.
Die sofortige Freilassung des Verfolgten wird angeordnet.
Gründe
1 Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 20.12.2016 auf Erlass eines
Auslieferungshaftbefehls konnte nicht entsprochen werden, da die Inhaftierung des Verfolgten gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.
I.
2 Gegen den sich nach erfolgter Ausschreibung seit 14.12.2016 in vorläufiger Auslieferungshaft aufgrund
vorläufigen Auslieferungshaftbefehls des Senats von diesem Tage befindlichen Verfolgten besteht ein
Europäischer Haftbefehl der Staatsanwaltschaft D./Land Y (Mitgliedstaat der Europäischen Union), welchem
zu entnehmen ist, dass gegen diesen ein nationaler Haftbefehl der Abteilung für Ermittlung und
Strafverfolgung in D./Land Y (Mitgliedstaat der Europäischen Union) von diesem Tage besteht. Die dem
Verfolgten mit einer Höchststrafe von zwölf Jahren zur Last gelegten Taten werden im Europäischen
Haftbefehl der Staatsanwaltschaft D./(Mitgliedstaat der Europäischen Union) wie folgt umschrieben:
3 Wird ausgeführt:
4 Danach liegen die formellen Voraussetzungen zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nach §§ 83a Abs. 1
Nr. 5, 15 IRG vor. Auch die materiellen Anforderungen sind gegeben, insbesondere ist nach vorläufiger
Bewertung das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit nach §§ 81 Nr. 4, 3 IRG nicht zu prüfen, da die
Justizbehörden des ersuchenden Staates die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten als Katalogtaten nach
Art. 2 Abs. 2 RbEuHB bezeichnet haben, so dass die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten grundsätzlich
auslieferungsfähig sind (§ 81 Nr. 1 IRG).
5 Gleichwohl liegen die Voraussetzungen zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nicht vor. Zwar besteht -
wie der Senat im Beschluss vom 20.12.2016 ausgeführt hat - weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr nach
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG, da die Bundesrepublik Deutschland im Falle einer Freilassung des Verfolgten nach seiner
zu erwartenden Rückkehr nach X. (Nichtmitgliedstaat der Europäischen Union) dem Auslieferungssuchen der
Justizbehörden des Landes Y (Mitgliedstaat der Europäischen Union) keine Folge mehr leisten könnte und
auch nicht gesichert ist, dass sich der Verfolgte dem dortigen Ermittlungsverfahren freiwillig stellen wird.
6 Dem dem Senat heute, am 21.12.2016, übermittelten Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft
D./Land Y (Mitgliedstaat der Europäischen Union) vom 23.11.2016 ist jedoch unter Punkt b) 1. nunmehr zu
entnehmen, dass die Auslieferung des Verfolgten nicht zum Zwecke des Vollzugs einer national angeordneten
Untersuchungshaft, sondern lediglich zur Durchführung einer Beschuldigtenvernehmung begehrt wird. Zwar
neigt der Senat zur Ansicht, dass auch insoweit die Auslieferung eines Verfolgten aufgrund eines
Europäischen Haftbefehls rechtlich möglich sein kann, jedoch darf die Inhaftierung einer Person nicht gegen
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Dies ist jedoch der Fall, wenn - wie vorliegend - die
Auslieferung des Verfolgten lediglich zum Zwecke seiner Vernehmung begehrt wird, seine ladungsfähige
Anschrift bekannt ist und keine hinreichend gesicherten Anhaltspunkte bestehen, dass der Verfolgte einer
solchen Ladung nicht Folge leisten würde (vgl. hierzu Böhm in: Grützner/Pötz/Kress, Internationaler
Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, § 15 Rn. 11; vgl. hierzu auch OLG Stuttgart NJW 2010, 1617).
Hiervon ist jedoch vorliegend auszugehen, da der in der in X. (Nichtmitgliedstaat der Europäischen Union)
wohnhafte Verfolgte über seine Rechtsbeistände mehrfach auch gegenüber den Justizbehörden des Landes Y
(Mitgliedstaat der Europäischen Union) seine Bereitschaft zu einer Einvernahme auch in im Land Y
(Mitgliedstaat der Europäischen Union) bekundet hat. Dass dem Verfolgten eine solche Einvernahme
angeboten bzw. er zu einer solchen geladen wurde, ist jedoch weder dem Europäischen Haftbefehl noch den
sonstigen dem Senat vorliegenden Unterlagen zu entnehmen.
III.
7 Da somit ein milderes Mittel als der Vollzug der Auslieferungshaft besteht, war der Erlass eines
Auslieferungshaftbefehls abzulehnen. Dies bedingt die Aufhebung des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls
vom 14.12.2016 und die Anordnung der sofortigen Freilassung des Verfolgten.