Urteil des OLG Karlsruhe vom 16.01.2002

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 16.1.2002, 1 Ss 140/01
Ordnungswidriges Verhalten eines Verladers von Gefahrguttransporten: Anforderungen an die dem Fahrer mitzugebenden Unfallmerkblätter;
Verantwortlichkeit des Verladers für ein von einem Dritten erstelltes Unfallmerkblatt
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tauberbischofsheim vom 21.12.2000 mit den zugrundeliegenden
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Tauberbischofsheim
zurückverwiesen.
Gründe
I.
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Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Tauberbischofsheim vom 21.12.2000 als Verlader wegen "fahrlässigen Verstoßes gegen §§
9 Abs. 2 Nr. 6, 10 Nr. 6 f. GGVS" (richtig: i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter) zu einer Geldbuße von
DM 400.- verurteilt. Er hat gegen das Urteil Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und die Sachrüge erhoben.
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Die Rechtsbeschwerde wurde gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge - vorläufigen - Erfolg.
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1. Die Rechtslage stellt sich nach Auffassung des Senats wie folgt dar:
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Nach § 9 Abs. 4 Nr. 3a der Gefahrengutverordnung Straße (GGVS) vom 22.12.1998 (BGBl. I S. 3993) hat der Fahrzeugführer die nach
Randnummer 10381 der Anlage B zum Europäischen Übereinkommen vom 30. September 1957 über die internationale Beförderung
gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) in der Fassung durch die 14. ADR-Änderungsverordnung vom 29. September 1998 (BGBl. II S.2618)
aufgeführten Begleitpapiere mit sich zu führen. Verstößt er schuldhaft hiergegen, handelt er ordnungswidrig gem. § 10 Nr. 8 c GGVS i.V.m. § 10
Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter vom 29. September 1998 (BGBl. I S.3114).
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§ 9 Abs. 2 Nr. 6 legt dem Verlader (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5 GGVS) die bußgeldbewehrte (§ 10 Nr. 6 f GGVS) Pflicht auf, dafür zu sorgen, dass die in
Anlage B Randnummer 10385 Abs. 1 und 3 S. 2 beschriebenen schriftlichen Weisungen in den Besitz des Fahrzeugführers gelangen.
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Anlage B Randnummer 10385 schreibt den Inhalt der schriftlichen Weisungen für den Fahrzeugführer bei Unfällen oder sonstigen
Zwischenfällen, die sich während der Beförderung ereignen, vor. Hierbei enthält Absatz 1 unter
8
lit. c: die zu treffenden allgemeinen Maßnahmen, wie z.B. die Warnung anderer Verkehrsteilnehmer,
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lit. d: die bei kleineren Leckagen oder Undichtigkeiten zur Verhinderung größerer Schäden zu treffenden zusätzlichen Maßnahmen,
10 lit. e: die gegebenenfalls für spezielle Güter zu treffenden besonderen Maßnahmen,
11 lit. f: die erforderliche Ausrüstung zur Anwendung der allgemeinen und ggf. der zusätzlichen und/oder besonderen Maßnahmen.
12 In Abs. 8 wird der Inhalt der Weisung weiter konkretisiert und ein Muster zur Erstellung vorgeschrieben. Unter dem Punkt "Vom Fahrzeugführer zu
treffende allgemeine Maßnahmen" heißt es u.a.:
13 "- Warnzeichen auf der Straße aufstellen..."
14 Unter dem Punkt "Vom Fahrzeugführer zu treffende zusätzliche und/oder besondere Maßnahmen" heißt es:
15 "Dieser Abschnitt enthält geeignete Anweisungen sowie ein Verzeichnis der erforderlichen Ausrüstung (z.B. Schaufel, Auffangbehälter...), die es
dem Fahrzeugführer erlauben, die gemäß der (den) Klasse(n) der beförderten Güter erforderlichen zusätzlichen und/oder besonderen
Maßnahmen zu treffen."
16 Welche Anweisungen im Einzelfall geeignet und welche Hilfsmittel hierfür erforderlich sind, wird nicht genannt. Einen Hinweis hierfür liefert
jedoch Anlage B Randnummer 10260. Dort wird vorgeschrieben, mit welchen Ausrüstungsgegenständen der Fahrzeughalter das Fahrzeug
auszustatten hat. So werden unter
17 lit. b und a zwei selbststehende Warnzeichen (z.B. reflektierende Kegel etc.) und in
18 lit. c die erforderlichen Ausrüstungen zur Durchführung der in den Sicherheitshinweisen nach Rn. 10385 genannten zusätzlichen und
besonderen Maßnahmen aufgeführt.
19 Allerdings werden die erforderlichen Ausrüstungsgegenstände auch hier nicht konkretisiert im Gegensatz zur Vorgängervorschrift (entsprechend
der 13. ADR-Änderungsverordnung), in der z.B. noch "Kanalisationsabdeckung und geeignete Bindemittel" ausdrücklich genannt wurden.
Jedoch lässt sich lit. b entnehmen, dass jedenfalls bei den vom Fahrzeugführer zu treffenden allgemeinen Maßnahmen als Ausrüstung für die
Maßnahme "Warnzeichen auf der Straße aufstellen" das hierfür erforderliche Warnzeichen aufzuführen ist. Sinn der Änderung der Randnummer
10260 war es, den Beteiligten am Gefahrenguttransport eine flexiblere Regelung an die Hand zu geben. Rn. 10260 a.F. sah die dort
vorgeschriebene Ausrüstung für jede Beförderungseinheit vor, ohne danach zu differenzieren, welches Gefahrengut geladen war. So mussten
z.B. auch dann Kanalabdeckungen und Bindemittel mitgeführt werden, wenn keine flüssigen Stoffe geladen waren. Die genannte Änderung
entbindet jedoch weder den Halter davon, das Fahrzeug mit den im Einzelfall gemäß der Klasse der beförderten Güter erforderlichen Hilfsmitteln
auszustatten, noch den Verlader diese im Unfallmerkblatt aufzuführen. Die wünschenswerte höhere Flexibilität für die am Gefahrenguttransport
Beteiligten erfordert andererseits eine höhere Sorgfalt bei der Erstellung des Unfallmerkblattes. Hinweise dafür, welche Maßnahmen zu treffen
und welche Hilfsmittel nötig sind, gibt die Richtlinie zur Durchführung der Gefahrengutverordnung Straße (GGVS-Durchführungsrichtlinie - RS
002) vom 19.05.1999 (VkBl. S. 419, Anlage zu VkBl. 12/1999 vom 30.06.1999). Hierbei handelt es sich zwar nur um eine verwaltungsinterne
Regelung, die lediglich die Vollzugsbehörden bindet, sie dient aber auch dazu, den Betroffenen die Anwendung und den Umgang mit den
Bestimmungen der GGVS zu erleichtern. Bei der Auslegung der Verordnung kommt ihr daher eine nicht unmaßgebliche Rolle zu. Die
Durchführungsrichtlinie nennt unter Punkt 94.7.5 als geeignete Hilfsmittel Schaufel, Besen, Auffangbehälter (ggf. mit Angabe des
Fassungsraums), Bindemittel (ggf. mit Angabe der Masse) und Kanalisationsabdeckung (ggf. mit Angabe der Größe). Unter Punkt 94.8.1 wird für
die Erstellung der schriftlichen Weisungen eines Einzelunfallmerkblattes das Muster 1 der Anlage 6 empfohlen. Dort werden bei Flüssigkeiten,
unter den zu treffenden allgemeinen Maßnahmen, als Hilfsmittel zwei selbststehende Warnzeichen und, unter den zusätzlichen und/oder
besonderen Maßnahmen, als Hilfsmittel Kanalisationsabdeckung, Schaufel, Besen und Auffangbehälter genannt.
20 Der Senat ist der Auffassung, dass die Richtlinie damit die GGVS zutreffend auslegt. So können bei flüssigen Stoffen kleinere und größere
Mengen Gefahrengut austreten. Hiergegen sind geeignete Maßnahmen vorzusehen. Sollen etwa Tropfmengen aufgefangen werden, so ist
anzugeben, mit welchem Hilfsmittel dies erfolgen soll. Es liegt auf der Hand, dass hier ein geeigneter Auffangbehälter mitzuführen ist. Nichts
anderes gilt etwa für die Maßnahme "Eindringen in Kanalisation, Gruben, Keller möglichst verhindern". Alleine mit einer Schaufel oder einem
Spaten wird hier nicht viel auszurichten sein, wenn, wie etwa in Innenstädten, keine Bindemittel wie Erde oder Sand vorhanden sind. Hier ist das
Mitführen von Kanalisationsabdeckungen und Bindemitteln erforderlich.
21 Unzumutbare Anforderungen an die am Gefahrenguttransport Beteiligten werden damit nicht gestellt, sind dies doch relativ kostengünstig zu
erwerbende Hilfsmittel, die jedoch geeignet sind, den von dem Gefahrengut ausgehenden Umweltgefahren wirksam zu begegnen.
22 2. Eine abschließende Beurteilung der Richtigkeit und Vollständigkeit des mitgeführten Unfallmerkblattes konnte jedoch nicht erfolgen, da die
Urteilsfeststellungen lückenhaft sind. So wäre es zum einen erforderlich gewesen mitzuteilen, welches Gefahrengut transportiert wurde, weil sich
danach die zu treffenden zusätzlichen und/oder besonderen Maßnahmen richten. Weiterhin wäre es nötig gewesen, den Inhalt des mitgeführten
Unfallmerkblattes mitzuteilen, weil nur so dessen Übereinstimmung mit den Vorschriften der GGVS überprüft werden kann. Zudem fehlen im
Urteil des Amtsgerichts jegliche Feststellungen zu inneren Tatseite. Wegen dieser Lücken ist das Urteil auf die Sachrüge hin aufzuheben.
23 3. Bei der neuen Entscheidung wird folgendes zu beachten sein:
24 a. Der Verlader handelt ordnungswidrig, wenn er nicht dafür Sorge trägt, dass Unfallmerkblätter in den Besitz des Fahrers gelangen, die den
Anforderungen der Randnummer 10385 der Anlage B entsprechen. Es genügt nicht, dass dem Fahrer nur irgendwelche Unfallmerkblätter
ausgehändigt werden. § 10 Nr. 6f GGVS verweist auf § 9 Abs. 2 Nr. 6 GGVS. Dort heißt es, der "Verlader hat abweichend von Anlage B
Randnummer 10385 Abs. 1 und 3 dafür Sorge zu tragen, dass die in Anlage B Randnummer 10385 Abs. 1 und 3 Satz 2 beschriebenen
schriftlichen Weisungen in den Besitz des Fahrzeugführers gelangen." Damit erfüllt der Verlader nur dann seine hieraus resultierende Pflicht,
wenn das Unfallmerkblatt den obengenannten inhaltlichen Anforderungen entspricht.
25 b. Grundsätzlich ist der Verlader für die Erstellung des Unfallmerkblattes verantwortlich (Anlage B Randnummer 10385 Abs. 3 S. 1). Es ist jedoch
zulässig und mangels eigener Sachkunde ggf. sogar geboten, sich hierzu fachkundiger Hilfe zu bedienen. Bedient sich der Verlader hierzu eines
Dritten, so handelt er sorgfaltswidrig, wenn er diesen Dritten nicht sorgfältig auswählt oder kontrolliert. Wegen der besonderen Gefahren, die von
der Beförderung gefährlicher Güter ausgehen, sind strenge Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Verantwortlichen bei der Einhaltung der
gesetzlichen Bestimmungen zu stellen (OLG Köln, VRS 77, 78; OLG Hamm, VRS 61, 397). Handelt es sich jedoch bei dem Dritten um eine
Person mit anerkannter Sachkunde, so ist darzulegen, aus welchen Gründen der Betroffene Anlass haben musste, an der Richtigkeit des
Unfallmerkblattes zu zweifeln (etwa frühere Beanstandungen). Der Verlader muss zudem selbst zumindest eine Plausibilitätskontrolle des
Unfallmerkblattes durchführen, um offensichtliche Mängel, Widersprüchlichkeiten oder Ungenauigkeiten zu erkennen.
26 c. Im Urteil wird ggf. auch darzulegen und mit Tatsachen zu belegen sein, ob es sich bei dem Betroffenen um den Verlader oder um eine Person
gem. § 9 OWiG handelt.