Urteil des OLG Karlsruhe vom 11.01.2002

OLG Karlsruhe: unterbringung, stationäre behandlung, elterliche sorge, genehmigung, wiederholung, gefahr, anhörung, verwahrlosung, höchstdauer, kreis

OLG Karlsruhe Beschluß vom 11.1.2002, 20 WF 112/01
Vorläufige Unterbringung eines Minderjährigen: Verlängerung über 6 Wochen hinaus; gerichtliche Genehmigung einer medizinischen
Behandlung
Leitsätze
1. Die Verlängerung einer vorläufigen Anordnung nach § 70 FGG über sechs Wochen hinaus muss Ausnahmefällen vorbehalten bleiben, in denen
aus besonderen Gründen nicht vorher über die Unterbringung entschieden werden kann.
2. Die medizinische Behandlung eines Minderjährigen kann gerichtlich nicht genehmigt werden.
Tenor
1. Auf die Beschwerde des H. wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 11. Dezember 2001 - 2 F 491/01 - in Nr. 1 - 3
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 05. Dezember 2001 - 2 F 491/01 - über die Genehmigung der
Unterbringung des Minderjährigen wird verlängert bis zum 10. Februar 2002.
2. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Auslagen Verfahrensbeteiligter sind nicht zu erstatten.
Gründe
1 1. Seit dem Tode der Mutter des Minderjährigen steht die elterliche Sorge für ihn dem Vater zu. Dieser hat die Genehmigung der von einer
Fachärztin für Psychiatrie Anfang Dezember 2001 herbeigeführten Unterbringung des Minderjährigen beantragt. Durch Beschluss vom
05.12.2001 genehmigte das Familiengericht im Wege der einstweiligen Anordnung die Unterbringung bis zum 16.01.2002. Nach Eingang eines
fachärztlichen Gutachtens vom 06.12.2001, einer weiteren fachärztlichen Äußerung vom 10.12.2001 und der die weitere Unterbringung des
Minderjährigen befürwortenden Stellungnahme der Verfahrenspflegerin verlängerte das Familiengericht durch den Beschluss vom 11.12.2001 die
einstweilige Anordnung vom 05.12.2001 bis zum 04.03.2002 und genehmigte die zwangsweise Behandlung des Minderjährigen mit dem
antipsychotischen Medikament Zyprexa. Am 03.01.2002 wurde der Minderjährige durch den ersuchten Richter persönlich angehört. Gegen die
Beschlüsse vom 05. und 11.12.2001 richtet sich die Beschwerde des Minderjährigen, die sich gegen die zwangsweise Unterbringung und die
zwangsweise Medikation wendet. Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
2 2. Die nach §§ 621 a Abs. 1 Satz 1 ZPO, 19 Abs. 1, 70 a FGG zulässige Beschwerde des Minderjährigen ist teilweise begründet.
3 a) Zu Recht hat das Familiengericht die einstweilige Anordnung vom 05.12.2001 über die geschlossene Unterbringung erlassen und diese durch
die einstweilige Anordnung vom 11.12.2001 über die Dauer von sechs Wochen (§ 70 a Abs. 2 Satz 1 FGG) hinaus verlängert. Nach dem
fachärztlichen Gutachten vom 06.12.2001 und der fachärztlichen Äußerung vom 10.12.2001 liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass
die Voraussetzungen für eine endgültige Unterbringung gegeben sind. Denn die Fachärzte der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der
Johannes-Anstalten M. Steinberg und Rudolf haben in dem Gutachten eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie bei dem Minderjährigen
diagnostiziert und eine längerfristige stationäre Behandlung für unumgänglich gehalten, um der Gefahr der Chronifizierung der bei dem
Minderjährigen bestehenden Symptomatik zu begegnen. Mit dem Aufschub der vorläufigen Unterbringung wäre, wie sich auch aus der
Stellungnahme der Verfahrenspflegerin ergibt, die Gefahr einer Verwahrlosung des Minderjährigen verbunden.
4 Die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Minderjährigen im Beschwerdeverfahren (vgl. §§ 70 m, 69 g Abs. 5 Satz 3 FGG) ist hier
ausnahmsweise entbehrlich, weil der Minderjährige erst am 03.01.2002 persönlich familienrichterlich angehört worden ist und weder aus seiner
Beschwerde noch sonst Anhaltspunkte ersichtlich sind, die eine Wiederholung innerhalb so kurzer Zeit nahe legen (vgl. Keidel/Kuntze/Kayser,
FGG, 14. Aufl., § 69 g Rn. 14 f.).
5 b) Die einstweilige Anordnung vom 05.12.2001 ist jedoch nur bis zum 10.02.2002 zu verlängern. § 70 h Abs. 2 Satz 1 FGG legt die Höchstdauer
der einstweiligen Anordnung grundsätzlich auf sechs Wochen fest. Die Verlängerung bis zu einer Gesamtdauer von drei Monaten nach § 70 h
Abs. 2 Satz 2 FGG muss Ausnahmefällen vorbehalten bleiben, in denen aus besonderen Gründen nicht vorher über die endgültige
Unterbringungsmaßnahme entschieden werden kann (vgl. Keidel/Kuntze/Kayser, a.a.O., § 70 h Rn. 12). Auch wenn das Familiengericht vor der
Entscheidung über die endgültige Unterbringungsmaßnahme noch dem zuständigen Jugendamt Gelegenheit zur Äußerung wird geben (vgl. §§
70 d Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, 49 a Abs. 1 Nr. 5 FGG, § 50 Abs. 1 SGB VIII) und den Vater des Minderjährigen und ggf. auch seinen Großvater, bei dem
er bislang gelebt hat, wird persönlich anhören müssen (vgl. § 70 d Abs. 2 FGG), reicht der von dem Senat festgelegte Zeitraum bis zum 10.02.2002
aus, um die für die endgültige Unterbringungsmaßnahme erforderlichen Voraussetzungen abzuklären.
6 c) Soweit das Familiengericht die Genehmigung einer Medikamentenbehandlung des Minderjährigen ausgesprochen hat, ist die Beschwerde
begründet. Die gerichtliche Genehmigung einer Gesundheitsbehandlung Minderjähriger hat keine rechtliche Grundlage. Vormundschaftliche
Genehmigungen im Bereich der Gesundheitssorge sind dem deutschen Vormundschaftsrecht unbekannt (vgl. zum Kreis der
genehmigungsbedürftigen Maßnahmen in persönlichen Angelegenheiten Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1821 Rn. 2). Die
betreuungsrechtliche Vorschrift des § 1904 BGB, deren tatbestandliche Voraussetzungen eines schweren und länger dauernden
gesundheitlichen Schadens oder des Todes auf Grund der Heilbehandlung im vorliegenden Fall nicht gegeben sind, ist im Bereich des
Minderjährigenrechts nicht anwendbar (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2000, 1033). Eine Erweiterung des Kreises der im Minderjährigenrecht
genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäfte im Wege der Analogie ist ausgeschlossen (BGH FamRZ 1983, 371 m.w.N.).
7 Gerichtsgebühren werden nach § 131 Abs. 3 KostO nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten ist nicht billig (§ 13 a Abs. 1 Satz 1
FGG); § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG findet bei einem nur teilweise erfolgreichen Rechtsmittel keine Anwendung (Bumiller/Winkler, FGG, 7. Aufl., § 13 a
Rn. 23 m.w.N.).