Urteil des OLG Karlsruhe vom 25.03.2003

OLG Karlsruhe: dolmetscher, verfügung, verfahrenskosten, auflage, berufsausübung, verweigerung, ernennung, freiheit, sanktion, entschuldigung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 25.3.2003, 1 Ws 381/02
Ausbleiben des Dolmetschers in der Hauptverhandlung: Ausschluss der Verhängung eines Ordnungsgeldes
Leitsätze
Gegen einen trotz ordnungsgemäßer Ladung zu einem Termin in einer Strafsache nicht erschienenen Dolmetscher kann ein Ordnungsgeld nicht
verhängt werden.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Dolmetschers S. wird der Ordnungsgeldbeschluss des Landgerichts X vom 23. Oktober 2002 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Dolmetscher insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
1
Der Beschwerdeführer - ein in X ansässiger Dolmetscher für die persische Sprache - wurde durch Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer
des Landgerichts X vom 24.09.2002 zur Hauptverhandlung auf den 21.10.2002 als Dolmetscher geladen, wobei ihm die Ladung am 27.09.2002
durch persönliche Übergabe zugestellt wurde. Nachdem der Beschwerdeführer zu diesem Termin nicht erschienen war, verhängte die
Strafkammer gegen ihn mit Beschluss vom 23. Oktober 2002 ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 EUR. Gegen diese ihm am 29.10.2002
zugestellte Entscheidung wendet sich der Dolmetscher mit dem Rechtsmittel der Beschwerde. Er trägt vor, eine Ladung zum Verhandlungstermin
nicht erhalten zu haben. Mit Vermerk vom 21.11.2002 hat der Vorsitzende der Strafkammer der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem
Senat zur Entscheidung vorgelegt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses angetragen.
II.
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Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.
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Die Frage, ob einem Dolmetscher die für den Sachverständigen in § 77 StPO normierten Ungehorsamsfolgen im Falle eines unentschuldigten
Ausbleibens auferlegt werden können, ist obergerichtlich bislang wenig geklärt. Die Rechtsfrage ist entscheidungserheblich, da vorliegend
aufgrund der erfolgten persönliche Übergabe von einer wirksamen Ladung des Dolmetscher auszugehen ist und - unabhängig von der Frage
der Anwendbarkeit des § 51 Abs. 2 Satz 3 StPO - erhebliche Entschuldigungsgründe (KG, Beschluss vom 19.02.1998, 4 Ws 25-26/98) nicht
vorgebracht wurden.
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Die unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Koblenz (VRS 47, 353 f.) vertretene Ansicht der Strafkammer, die für den
Sachverständigen bestimmten Ungehorsamsfolgen des § 77 StPO könnten auf den ausgebliebenen Dolmetscher entsprechend angewandt
werden, teilt der Senat nicht.
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1. Unter einem Dolmetscher versteht man einen Sprachkundigen, dessen Aufgabe es ist, den Prozessverkehr zwischen dem Gericht und den
nicht der deutschen Sprache mächtigen Beteiligten zu vermitteln (BGHSt 1, 4 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, § 185 GVG, Rn. 1). Zieht ihn
das Gericht heran, um mangels eigener Sachkunde den Sinn einer außerhalb des Prozessverkehrs angefallenen fremdsprachigen Äußerung zu
ermitteln, so hat er die Funktion eines Sachverständigen (BGH a.a.O.), ansonsten ist seine Stellung derjenigen eines Sachverständigen nur
ähnlich (BGHSt 4, 154 f. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 7). Beide sind aufgrund ihrer Fachkenntnisse Gehilfen des Gerichts. Während der
Sachverständige jedoch eine eigene Beurteilung abgibt, wird der Dolmetscher vorwiegend als bloßer Sprachmittler tätig.
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Dieser unterschiedlichen Aufgabenstellung hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er beide in den einzelnen
Verfahrensordnungen rechtlich nicht gleichstellt, sondern für den Dolmetscher in den §§ 185 ff. GVG eigenständige und verfahrensübergreifende
Regelungen geschaffen hat. Dass die für den Sachverständigen geltenden Bestimmungen der § 72 ff. StPO darüber hinaus auch beim
Dolmetscher entsprechende Anwendung finden sollen, lässt sich den Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes aber nicht entnehmen
(vgl. LR-Wickern, StPO, 25. Auflage, Dezember 2002, § 191 GVG Rn. 2 unter Darstellung der Rechtsprechung des Reichsgerichts), vielmehr
findet dort nur ein ausdrücklicher Verweis auf die Regelungen über die Ausschließung und Ablehnung des Sachverständigen statt (§ 191 GVG,
§§ 74, 22 ff. StPO; vgl. für die Kostenerstattung auch § 17 ZSEG). Hingegen sieht schon § 189 GVG für den Dolmetscher eine eigene Eidesformel
vor, welche sich von derjenigen des Sachverständigen (§ 79 StPO) unterscheidet. Inwieweit die für den Sachverständigen geltenden Vorschriften
der Strafprozessordnung auf den Dolmetscher entsprechend angewandt werden können (vgl. BGHSt 4, 154), lässt sich daher nur im Hinblick auf
die Vergleichbarkeit der einzelnen Regelungsgehalte beurteilen (vgl. etwa zur fehlenden Verpflichtung des Dolmetschers zur Beantwortung von
Fragen zu seiner Person: LR-Wickern, a.a.O., § 191 GVG Rn. 2).
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2. An einer solchen, eine analoge Anwendung rechtfertigenden Rechtsähnlichkeit fehlt es aber bei den Ungehorsamsfolgen des § 77 StPO, denn
diese beruhen maßgeblich auf der Erwägung, dass der Sachverständige aufgrund seiner öffentlich rechtlichen Bestellung oder seiner
Berufsausübung zur Erstellung seines Gutachtens aufgrund einer staatsbürgerlichen Pflicht verpflichtet ist (§ 75 StPO; KK-Senge, StPO, 4.
Auflage 1999, § 75 Rn. 1).
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Danach wird gegen den Sachverständigen neben der Auflegung von Verfahrenskosten ein Ordnungsgeld festgesetzt, wenn er trotz
ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung (§§ 77, 72, 51 StPO) bei Gericht nicht erscheint oder sich trotz bestehender Pflicht
weigert, ein Gutachten zu erstatten. Hat der Sachverständige aber ein Recht zur Verweigerung des Gutachtens (§ 76 StPO), so ist er anders als
ein etwa zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge auch zum Erscheinen nicht verpflichtet (Meyer-Goßner, a.a.O., § 77 Rn. 2, § 51 Rn. 12). Nichts
anderes kann gelten, wenn der Sachverständige - etwa wegen fehlender öffentlicher Bestellung - der Ernennung überhaupt keine Folge leisten
muss (KK-Senge, a.a.O., § 76 Rn. 1).
10 Im Gegensatz zum Sachverständigen ist der Dolmetscher aber grundsätzlich nicht zur Übernahme des Amtes verpflichtet. Während sich eine
solche Pflicht für den Sachverständigen ausdrücklich aus § 75 StPO ergibt, wird eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung, welche
eine erhebliche Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung darstellt, auf Dolmetscher allgemein abgelehnt (vgl. Senat, Beschluss vom
10.02.2003, 1 Ws 121/02 a.E.; LR-Wickern, a.a.O., Rn. 2 m.w.N.; Wittschier NJW 1985, 2873 f. m.w.N.).
11 Bereits hieraus folgt, dass dem Dolmetscher keine Ungehorsamsfolgen nach § 77 StPO auferlegt werden können. Ist er nämlich von Rechts
wegen nicht zur Übernahme eines Auftrages verpflichtet, so muss er auch nicht in einer Hauptverhandlung erscheinen. Eine unabhängig von der
Verpflichtung zur Übernahme eines Auftrages bestehende Pflicht, einer Ladung Folge zu leisten, sieht das Gesetz nicht vor. Etwas anderes mag
indes dann gelten, wenn sich der Dolmetscher zur Durchführung der Übersetzung ausdrücklich bereit erklärt hat (§ 75 Abs. 2 StPO), was
vorliegend aber nicht der Fall war.
12 3. Auch handelt es sich beim Ordnungsgeld nach § 77 StPO um eine strafähnliche Sanktion, so dass einer entsprechenden Anwendung das
Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegenstünde (so LG Nürnberg-Fürth MDR 1978, 508 f; LG Hildesheim NdsRPfl 1990, 232; AG
Tiergarten StV 1987, 13; vgl. auch BVerfGE 20, 323 ff, 331).
13 4. Es kann vorliegend dahin stehen, ob dem trotz ordnungsgemäßer Ladung ausgebliebenen Dolmetscher zumindest in entsprechender
Anwendung des § 77 StPO die Verfahrenskosten auferlegt werden könnten (bejahend: AG Tiergarten StV 1987, 13; LG Hildesheim NdsRPfl
1990, 232; verneinend im Ergebnis: LG Hamburg StV 1985, 500; offengelassen Wittschier NJW 1985, 2873 f.) oder auch dies wegen der
mangelnden Verpflichtung zur Übernahme der Übersetzung (vgl. oben unter II. Nr. 2) rechtlich nicht möglich wäre, denn die Strafkammer hat im
angefochtenen Beschluss über die Tragung der durch das Ausbleiben des Beschwerdeführers verursachten Kosten nicht entschieden (Meyer-
Goßner, a.a.O., § 51 Rn. 14). Dass sich das Rechtsmittel des Beschwerdeführers auch auf diese für ihn an sich günstige Entscheidung der
Strafkammer erstrecken sollte, vermag der Senat dem Beschwerdeschreiben jedoch nicht zu entnehmen.
III.
14 Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.