Urteil des OLG Hamm vom 09.12.2010

OLG Hamm (zpo, gutachten, anhörung, antrag, essen, stellungnahme, bezug, vorinstanz, datum, rechtsbehelf)

Oberlandesgericht Hamm, I-6 U 131/10
Datum:
02.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-6 U 131/10
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 5 O 60/10
Schlagworte:
Rechtsbehelf, Antrag auf Anhörung des Sachverständigen
Normen:
BGB §§ 839a, 839 Abs. 3, ZPO §§ 411, 402, 397
Leitsätze:
Zu den Rechtsmitteln i.S.v. § 839a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB gehören
nicht nur die gegen die gerichtliche Entscheidung statthaften
Rechtsbehelfe, sondern auch alle in der jeweiligen Instanz gegebenen
Behelfe, die sich unmittelbar gegen ein für fehlerhaft gehaltenes
Gutachten selbst richten und die bestimmt und geeignet sind, eine auf
dieses Gutachten gestützte instanzbeendende Entscheidung zu
verhindern. Hierzu zählt auch ein Antrag auf mündliche Anhörung des
Sachverständigen vor Gericht nach § 411 Abs. 4 ZPO.
Tenor:
1.)
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am
07.07.2010 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts
Essen durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2.)
Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.11.2010.
G r ü n d e :
1
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des
Berufungsgerichts nach mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Die Berufung hat
aus den nachfolgend dargelegten Umständen keine Aussicht auf Erfolg.
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I.
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1.
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Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche wegen falscher Begutachtung als
gerichtlich bestellte Sachverständige geltend.
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Die Klägerin hatte in einem Vorprozess Schadensersatzansprüche gegen eine
Krankenhaus-GmbH sowie gegen behandelnde Ärzte wegen einer angeblichen
Fehlbehandlung erhoben (LG Bielefeld 4 O 32/06). In diesem Prozess war der Beklagte
zu 1) vom Gericht zum Sachverständigen bestellt worden. Bei der Erstattung des
Gutachtens bediente er sich der Unterstützung des Beklagten zu 2).
Befangenheitsgesuche gegen die Beklagten wurden im Vorprozess zurückgewiesen. In
ihrem Gutachten kamen sie zu dem Ergebnis, dass die erste Operation indiziert
gewesen und fachgerecht durchgeführt worden sei. Auch die zweite Operation sei
indiziert gewesen. Das Landgericht hat die Klage im Vorprozess abgewiesen. Wegen
der Einzelheiten wird auf das Urteil des LG Bielefeld vom 20.02.2007 (Bl. 165 BA)
verwiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht
Hamm mit Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO am 03.09.2007 zurückgewiesen. Wegen
der Einzelheiten wird auf Bl. 223 BA verwiesen.
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Nunmehr verlangt die Klägerin von den Beklagten Schadensersatz aus § 839a BGB
wegen grob fahrlässiger Falschbegutachtung. Das Landgericht hat die Klage nach
Einholung eines urologischen Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. T
abgewiesen. Von der ursprünglich beabsichtigten Einholung eines gynäkologischen
Gutachtens hat es abgesehen. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil
verwiesen.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter, hilfsweise
beantragt sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das
Landgericht. Sie behauptet, eine Beweisaufnahme habe in vorliegendem Verfahren
nicht stattgefunden. Im Übrigen führt sie noch einmal die schon erstinstanzlich
vorgebrachten Argumente aus, aus denen sie eine grob fahrlässige Falschbegutachtung
durch die Beklagten im Vorprozess herleiten will. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Berufungsbegründung verwiesen.
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II.
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Nach Ansicht des Senats hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Auf der
Grundlage des nach § 529 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Sachverhalts ist ein
Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten weder aus § 839a BGB
noch aus sonstigen Rechtsgründen erkennbar. Neue Feststellungen sind nicht geboten.
Konkrete Anhaltspunkte an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen sind weder dargetan noch ersichtlich.
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1.
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Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus § 839a BGB besteht nicht. Die
Anspruchsvoraussetzung einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen falschen
Gutachtenerstattung, auf der das Urteil beruht, liegt nicht vor.
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Soweit bemängelt wird, dass der Beklagte zu 1) in seinem Gutachten von einer
ordnungsgemäßen Aufklärung der Klägerin, welche diese verstanden habe, ausgeht,
beruht das Urteil nicht hierauf. Das Landgericht hat sich durch die Vernehmung von
Zeugen von einer ordnungsgemäßen Aufklärung der Klägerin überzeugt (Urteil LG
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Bielefeld vom 20.02.2007 S. 11, Bl. 175 BA).
Soweit bemängelt wird, der Beklagte zu 1) habe zu der Frage, "ob auch ein Eingriff unter
Erhalt eines Ovarestes möglich gewesen wäre" keine Stellung genommen, so ist
anzumerken, dass der Beweisbeschluss des Landgerichts Bielefeld vom 05.05.2006
(Bl. 27 ff. BA) danach gar nicht ausdrücklich fragt. Im Übrigen hat der Sachverständige
auch darauf hingewiesen (S. 29 des Gutachtens), dass hinsichtlich der Entfernung des
Ovars die genaue Indikationsstellung durch einen gynäkologischen Gutachter beurteilt
werden solle. Damit hat er nicht gegen seine Pflichten verstoßen, sondern gerade seine
Verpflichtungen aus § 407a Abs. 1 ZPO erfüllt. Der Sachverständige hat danach zu
prüfen, ob der Auftrag in sei Fachgebiet fällt, ob er ohne Hinzuziehung eines weiteren
Sachverständigen erledigt werden kann und das Gericht ggf. entsprechend zu
unterrichten.
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Hinsichtlich der Alternative der Einsetzung eines TVT-Bandes hat der Beklagte zu 1) in
seinem Gutachten ausgeführt, dass dies wegen der zusätzlichen Blasensenkung nicht
geeignet gewesen sei, die Beschwerden der Klägerin zu beheben. Das ist von dem
Sachverständigen im vorliegenden Verfahren, Prof. Dr. T, bestätigt worden (Bl. 184).
Gleichfalls verweist er darauf, dass das Alternativverfahren nicht als weniger
schwerwiegend bezeichnet werden könne.
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Wie der Sachverständige im vorliegenden Verfahren ebenfalls überzeugend festgestellt
hat, war die Erstoperation medizinisch indiziert, so dass dem Beklagten zu 1) auch
diesbezüglich keine Vorwürfe gemacht werden können.
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Ob die weitgehende Übertragung von Handlungen im Rahmen der Begutachtung auf
den Beklagten zu 2) gegen § 407a Abs. 2 ZPO verstößt, kann dahinstehen, da diese
jedenfalls nicht dazu geführt hat, dass das Gutachten grob fahrlässig falsch wäre, so
dass die Voraussetzungen des § 839a BGB dadurch nicht erfüllt werden.
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2.
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Hinsichtlich des Beklagten zu 2) fehlt es darüber hinaus auch an der
Anspruchsvoraussetzung seiner Eigenschaft als "vom Gericht ernannter
Sachverständiger".
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Der Senat teilt die Ansicht des Landgerichts, dass gegen den Beklagten zu 2) schon
deswegen kein Anspruch aus § 839a BGB bestehen kann, weil er im Vorprozess vor
dem Landgericht Bielefeld kein "vom Gericht ernannter Sachverständiger" war. Nach
dem Beweisbeschluss vom 05.05.2006 war allein der Beklagte zu 1) zum
Sachverständigen bestimmt worden. Eine Erweiterung des Kreises der bestellten
Sachverständigen hat später nicht stattgefunden. Der Beklagte zu 2) ist vom Beklagten
zu 1) – ob zulässigerweise oder nicht, kann dahinstehen – zur Unterstützung bei der
Gutachtenerstattung herangezogen, nicht aber vom Gericht. In der bloßen Verwendung
des von beiden Beklagten gezeichneten Gutachtens seitens des Landgerichts kann
keine konkludente Bestellung des Beklagten zu 2) zum Sachverständigen gesehen
werden. Dies folgt schon daraus, dass die Bestellung vor der Gutachtenerstattung
erfolgen muss, nicht danach, da ansonsten z.B. die Regelungen der §§ 407, 407a ZPO
leerliefen.
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3.
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Schließlich ist auch eine Ersatzpflicht der Beklagten nach §§ 839a Abs. 2, 839 Abs. 3
BGB ausgeschlossen.
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Die Klägerin hat es unterlassen, einen etwaigen Schaden durch Rechtsmittel im Sinne
dieser Vorschriften abzuwenden. Zu den Rechtsmitteln gehören nicht nur die gegen die
gerichtliche Entscheidung statthaften Rechtsbehelfe, sondern auch alle in der jeweiligen
Instanz gegebenen Behelfe, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten selbst
richten und die bestimmt und geeignet sind, eine auf das Gutachten gestützte
instanzbeendende Entscheidung zu verhindern. Hierzu zählt auch ein Antrag auf
mündliche Anhörung des Sachverständigen vor Gericht nach § 411 Abs. 4 ZPO. Das
Gericht ist auf Antrag einer Partei unabhängig von § 411Abs. 3 ZPO gem. §§ 402, 397
Abs. 1 ZPO zur Vorladung des Sachverständigen verpflichtet. Die mündliche Befragung
und Erläuterung wäre ein taugliches Mittel gewesen, entweder die Mängel des
Gutachtens in befriedigender Weise zu beheben oder diese Mängel so deutlich
hervortreten zu lassen, dass dem Gericht die Überzeugung von der Unbrauchbarkeit
des Gutachtens vermittelt wurde (vgl. BGH DS 2007, 306 f.; BGH NJW-RR 2006, 1454;
MünchKomm-BGB- Wagner 5. Aufl. Rdn. 31). Das ist hier nicht geschehen, worauf sich
auch die Beklagten im vorliegenden Verfahren zu Recht berufen haben. Das schriftliche
Gutachten der Beklagten aus dem Verfahren LG Bielefeld 4 O 32/06 ist dem damaligen
Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25.09.2006 zugegangen (Bl. 100 d. BA).
Innerhalb der vom Gericht verlängerten Stellungnahmefrist nahm die jetzige und
damalige Klägerin zu dem Gutachten Stellung. Darin wird kritisiert, dass die Beklagten
von einer hinreichenden Aufklärung der Klägerin ausgegangen seien, dass das
alternative TVT-Verfahren nicht nur weniger invasiv anmute, sondern weniger invasiv
sei und die von den Beklagten angeführte Gefahr wegen des "blinden" Vorgehens, nicht
rechtfertige, einfach von diesem Verfahren abzurücken. Die zweite Operation sei nicht
indiziert gewesen, so dass es unerheblich sei, ob das Bauchdeckenhämatom als Folge
auch bei ihrer ordnungsgemäßen Durchführung aufgetreten wäre. Beweis wurde jeweils
angetreten durch Einholung eines "Obergutachtens" bzw. hinsichtlich der
Aufklärungsfrage durch Vernehmung einer Zeugin. Weder aus diesem Schriftsatz noch
sonst bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils ist ein Antrag nach § 411 Abs. 4 ZPO
erkennbar. Der Beweisantritt durch Einholung eines "Obergutachtens" ersetzt dies nicht.
Ein weiteres Gutachten kann nach § 412 ZPO eingeholt werden, wenn das Gericht das
Gutachten für ungenügend erachtet oder wenn ein Sachverständiger nach Erstattung
des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. Letzteres lag nicht vor. Das Gericht des
Vorprozesses hat das Gutachten nicht für ungenügend erachtet, was sich eben an der
Nichteinholung eines weiteren Gutachtens zeigt. Um dem Gericht ggf. den Eindruck des
(behaupteten) Ungenügens des eingeholten Gutachtens zu vermitteln, wäre ein Antrag
nach § 411 Abs. 4 ZPO der angemessene Weg gewesen, der aber hier gerade nicht
beschritten wurde.
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III.
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Die Einräumung einer befristeten Gelegenheit zur Stellungnahme unter Fristsetzung
beruht auf § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO.
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