Urteil des OLG Hamm vom 09.11.2010

OLG Hamm (verbrauch, höhe, schätzung, abrechnung, zpo, zahlung, forderung, gas, rechnung, stillstand)

Oberlandesgericht Hamm, I-19 U 67/10
Datum:
09.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-19 U 67/10
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, I-8 O 520/09
Schlagworte:
fehlerhafte Verbrauchserfassung, Schätzung, defekter Gaszähler
Normen:
§§ 11, 18 GasGVV
Leitsätze:
1.
Korrektur der Gasversorgungsrechnung nach § 18 Abs. 1 Satz 1
GasGVV wegen fehlerhafter Verbrauchserfassung durch einen defekten
Gaszähler.
2.
Schätzung des Gasverbrauchs entsprechend § 11 Abs. 3 Satz 1
GasGVV.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18. März 2010 verkündete
Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.988,33 Euro nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
15.705,25 Euro seit dem 10.07.2009 und aus 7.283,08 Euro seit dem
29.09.2009 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen, die weitergehende
Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden zu 12 % der
Klägerin und zu 88 % dem Beklagten auferlegt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
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Nach § 540 Abs.1 Nr.1 ZPO wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf das
angefochtene Urteil verwiesen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes
ergibt.
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Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.
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Sie rügt eine fehlerhafte Berechnung des Gaspreises für den Abrechnungszeitraum vom
28.03.2008 bis zum 28.03.2009. Für die Preisberechnung könne nicht der vom
Landgericht berechnete durchschnittliche Verbrauchspreis zugrunde gelegt werden. Auf
diese Weise blieben die Geltung der Preisstufen und der jahreszeitliche
Verbrauchsunterschied unberücksichtigt. Vielmehr müsse der in der Abrechnung vom
09.06.2009 ermittelte Gaspreis verhältnismäßig herabgesetzt werden. Danach ergebe
sich eine weitere Forderung von 1.881,05 €.
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Ein weiterer Zahlungsanspruch ergebe sich auch für den Verbrauchszeitraum vom
27.03.2007 bis zum 27.03.2008. Auf der Grundlage des § 18 Abs.2 alt.2 GasGVV könne
eine Nachberechnung erfolgen, da der Verbrauch fehlerhaft gemessen worden sei. Es
sei ausgeschlossen, dass der Beklagte in diesem Zeitraum 40 % weniger Gas
verbraucht habe als im Vorjahreszeitraum.
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Sie beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie
22.988,33 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 10.07.2009 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung und Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Erklärungen der Parteien
zu Protokoll verwiesen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat überwiegend Erfolg. Die Klägerin hat gegen den Beklagten
einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von insgesamt 22.988,33 € gem. §§ 453 Abs.1,
433 Abs.2 BGB aus dem zwischen den Parteien bestehenden Energielieferungs- und
Versorgungsvertrag.
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1. Wegen der Forderung aufgrund der Lieferung von Strom in dem Zeitraum vom
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28.03.2008 bis zum 28.03.2009 und von Gas in dem Zeitraum vom 27.03.2007 bis zum
27.03.2008 in Höhe von 13.824,27 € wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Insoweit haben die Parteien die erstinstanzliche Entscheidung nicht angegriffen.
2. Darüber hinaus hat die Klägerin gegen den Beklagten für den Abrechnungszeitraum
vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 einen Anspruch auf Zahlung weiterer 7.283,08 €
aus §§ 453 Abs.1, 433 Abs.2 BGB i.V.m. § 26 EnWG, § 18 Abs.1 S.1 GasGVV. Die für
diesen Zeitraum erteilte Abrechnung vom 14.04.2008 beruht auf einem
Berechnungsfehler. a) Die Abrechnung vom 14.04.2008 konnte gem. § 18 Abs.1 S.1
GasGVV korrigiert werden, da sie auf einer fehlerhaften Verbrauchserfassung durch
eine defekte Verbrauchsuhr beruht (vgl. Hempel/Franke-Hempel, AVBeltV 1997, § 21
Rn.24, 33; Steenbuck in MDR 2010, 357, 360). Die Klägerin hat am 27.04.2009
festgestellt, dass der Zähler der Verbrauchsuhr des Beklagten zum Stillstand gekommen
war. Der Beklagte hatte den Zählerdefekt zunächst bestritten. Nach Vorlage der
Befundprüfung vom 27.04.2009 stellt der Beklagte den Defekt nicht mehr in Abrede.
Ansprüche des Versorgers wegen eines Messfehlers sind gem. § 18 Abs.2 alt.1
GasGVV grundsätzlich auf den der Feststellung vorhergehenden Abrechnungszeitraum
beschränkt, es sei denn die Auswirkung des Fehlers kann über einen größeren
Zeitraum festgestellt werden. Im vorliegenden Fall ist eine Nachberechnung für den
Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 zulässig. Es steht
zweifelsfrei fest, dass der Zählerstillstand bereits in dem vorangegangenen
Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 aufgetreten ist und sich auf
den in diesem Zeitraum ermittelten Gasverbrauch ausgewirkt hat. Zwar ist es möglich,
dass der Zähler unmittelbar vor der Ablesung am 27.03.2009 zum Stillstand geraten ist
und der Defekt die Abrechnung vom 14.04.2008 nicht beeinflusst hat. Der Vergleich des
in diesem Abrechnungszeitraum festgestellten Gasverbrauchs von 21.027 m³ mit den
Verbrauchszahlen für den Vorjahreszeitraum sowie für den Zeitraum ab dem 27.04.2009
steht einer solchen Annahme aber unzweifelhaft entgegen. Die in diesen drei
Zeiträumen abgelesenen Verbrauchszahlen sprechen zwingend für den Eintritt des
Zählerdefekts während des Abrechnungszeitraums vom 27.03.2007 bis zum
27.03.2008. Während des Abrechnungszeitraums vom 06.05.2006 bis zum 26.03.2007
hat der Beklagte in 11 Monaten 29.175 m³ Gas verbraucht, und damit bereits mehr als
der defekte Gaszähler für die nachfolgenden 12 Monate des streitigen
Abrechnungsjahres ermittelt hat. Nach dem Zähleraustausch in der Zeit vom 27.04.2009
bis zum 24.02.2010 ist in 10 Monaten ebenfalls ein deutlich höherer Verbrauch von
32.024 m³ gemessen worden als in dem streitgegenständlichen Zeitraum. Ein Grund,
weshalb der Verbrauch in dem Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum
27.03.2008 deutlich unterhalb des Verbrauchs des kürzeren vorherigen
Abrechnungszeitraums und des Zeitraums ab dem 27.04.2009 liegen sollte, ist nicht
erkennbar. Soweit der Beklagte darauf verweist, die Verbrauchszahlen für das Objekt
seien nach der Übernahme des Objekts aufgrund von Sparmaßnahmen geringer
ausgefallen, mag dies zutreffen. Die nach Übernahme des Objekts eingeleiteten
Energiesparmaßnehmen vermögen aber nur den geringeren Verbrauch für den
Abrechnungszeitraum vom 06.05.2006 bis zum 26.03.2007 erklären. Es gibt aber -
abgesehen von einem Zählerdefekt - keine Erklärung dafür, weshalb der Verbrauch für
das streitgegenständliche Jahr nochmals signifikant hinter dem des Vorjahres und auch
des letzten Jahres zurückgeblieben sein sollte. b) Die Klägerin hat den
nachberechneten Verbrauch von insg. 32.060 m³ ermessensfehlerfrei gem. § 18 Abs.1
S.2 alt.2 GasGVV auf der Grundlage des vorjährigen Verbrauchs im Wege einer
Schätzung unter der angemessenen Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse
ermittelt. Die Klägerin hat den nachberechneten Verbrauch von 32.060 m³ auf der
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Grundlage des Vorjahresverbrauchs von 29.175 m³ ermittelt. Die Art und Weise der
Verbrauchsermittlung ist nicht zu beanstanden. Das Ergebnis der Verbrauchsschätzung
bewegt sich in den Grenzen des korrekt festgestellten Verbrauchs für das Vorjahr. Zwar
haben Schätzungen auf der Grundlage des Verbrauchs des letzten vollen Kalenderjahrs
vor der Feststellung des Fehlers zu erfolgen (Hempel/Franke-Hempel, AVBeltV 2001, §
21 Rn.64). Im vorliegenden Fall ist jedoch ausnahmsweise die Schätzung des
Verbrauchs auf der Grundlage eines geringfügig kürzeren Zeitraums von 11 Monaten
zulässig. Die Verbrauchsschätzung kann nicht auf einen längeren Zeitraum gestützt
werden, da der Beklagte das Objekt erst am 01.05.2006 übernommen hat. Auf den
"fehlenden" Monat April lässt die Klägerin gem. der Anlage K 5 zu dem Schriftsatz vom
15.01.2010 unter Berücksichtigung der Gradtagszahlen ermessensfehlerfrei 9 % des
Gasverbrauchs entfallen. Dies entspricht in etwa dem Verbrauch für den klimatisch
vergleichbaren Monat Oktober und liegt im Mittel zwischen dem maximalen Verbrauch
im Januar und dem geringsten Verbrauch im Juli und August. c) Von dem auf diese
Weise ermittelten Gesamtverbrauch hat die Klägerin mit der Abrechnung vom
14.04.2008 bereits 21.027 m³ abgerechnet. Daher schuldet der Beklagte im Wege der
Nachberechnung die Zahlung des vertraglich vereinbarten Gaspreises für die noch nicht
berechneten 11.033 m³. Nachberechnet hat die Klägerin 121.046 kWh auf der
Grundlage der vom Beklagten prinzipiell akzeptierten Gaspreise. Dabei hat sie einen
Faktor für die Umrechnung des in Kubikmetern gemessenen Gasverbrauchs in
Kilowattstunden von 10,97 zu Grunde gelegt. Soweit der Beklagte die Richtigkeit des
Faktors bestreiten will, ergeben sich aus den vorliegenden Rechnungen, die
Umrechnungsfaktoren von 11,2 und 11,21 ausweisen, keine Anhaltspunkte dafür, dass
der für alle Kunden der Klägerin gleichermaßen geltende Faktor fehlerhaft ermittelt ist.
3. Die Klägerin hat für den Abrechnungszeitraum vom 27.03.2008 bis zum 27.03.2009
einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung weiterer 1.881,05 € aus §§ 453
Abs.1, 433 Abs.2 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden
Energielieferungs- und Versorgungsvertrag. Im Berufungsverfahren streiten die Parteien
lediglich darüber, ob das Landgericht den Zahlungsanspruch der Klägerin der Höhe
nach zutreffend errechnet hat. Die Verbrauchsmenge haben die Parteien mit 33.000 m³
unstreitig gestellt. Dahin stehen kann, ob der Senat an die Schätzung des Preises durch
das erstinstanzliche Gericht gem. § 287 ZPO gebunden ist. § 287 ZPO findet keine
Anwendung, soweit es um die Höhe vertraglicher Ansprüche geht. Im Rahmen eines
bestehenden Gaslieferungsvertrages ist der Gasverbrauch nach einem Zählerdefekt auf
der Grundlage einer Schätzung entsprechend § 11 Abs.3 S.1 GasGVV unter
Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse abzurechnen (Hempel/Franke-Hempel,
AVBeltV 2003, § 24 Rn.3). Die Abrechnung auf der Grundlage der tatsächlichen
Verhältnisse erfolgt unter Berücksichtigung der jeweils gültigen Gaspreise sowie des
unterschiedlichen Jahresverbrauchs und nicht auf der Grundlage eines
Durchschnittspreises. Daher ist der Preis für die Verbrauchsmenge von 33.000 m³ durch
eine verhältnismäßige Herabsetzung der in der Rechnung vom 09.06.2009
dargestellten Preise für einen Verbrauch von 36.737 m³ zu ermitteln. Soweit der
Beklagte rügt, die Klägerin habe die Berechnungsgrundlage für die in Ansatz
gebrachten Gaspreise und Jahresverbräuche nicht dargelegt, ist dies nicht zutreffend.
Die der Berechnung zugrunde liegenden Faktoren, nämlich die Einzelpreise und die
jahreszeitlichen Verbräuche, ergeben sich aus der streitgegenständlichen Rechnung
vom 09.06.2009.
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4. Der Klägerin stehen Verzugszinsen aus §§ 280 Abs.1, 2, 286 Abs. 2 Nr.1 u. 3, 288
Abs.1 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 15.705,25 € seit
18
dem 10.07.2009 sowie aus weiteren 7.283,08 € seit dem 29.09.2009 zu. Wegen des auf
eine Hauptforderung von 13.824,27 € entfallenden Zinsanspruchs wird auf die
erstinstanzliche Entscheidung verwiesen. Darüber hinaus stehen der Klägerin gem. §
286 Abs.2 Nr.3 BGB Verzugszinsen aus 1.881,05 € seit dem 10.07.2009 zu, nachdem
der Beklagte den Ausgleich der geltend gemachten Forderung mit Schreiben vom
10.07.2009 insgesamt verweigert hat. Auf die mit der Nachberechnung geltend
gemachte Forderung von 7.283,08 € schuldet der Beklagte Verzugszinsen seit dem
29.09.2009. Die Klägerin hat dem Beklagten die Nachberechnung vom 09.06.2009
kommentarlos übersandt und erst auf das Schreiben des Beklagten vom 10.07.2009 mit
Schreiben vom 17.09.2009 erläutert, dass sie den Abrechnungszeitraum vom
27.03.2007 bis zum 27.03.2008 nicht doppelt in Rechnung stellt sondern
nachberechnet. Zahlungsverzug gem. § 286 Abs.2 Nr.1 BGB ist daher erst mit Ablauf
der im Schreiben vom 17.09.2009 gesetzten Zahlungsfrist eingetreten.
5. Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf
§§ 92 Abs.1, 97 Abs.1, 708 Nr.10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da
Gründe gem. § 543 Abs.2 ZPO nicht vorliegen.
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