Urteil des OLG Hamm vom 03.11.2010

OLG Hamm (vvg, vorläufige deckung, versicherer, anlage, versicherungsnehmer, rücktritt, inhalt, arglistige täuschung, zustandekommen des vertrages, deckung)

Oberlandesgericht Hamm, I-20 U 38/10
Datum:
03.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 38/10
Vorinstanz:
Landgericht Hagen, I-23 O 40/09
Leitsätze:
1.
Bei dem von einem Makler des VN ausgearbeiteten und selbst
beantworteten Fragenkatalog nach Gefahrumständen handelt es sich
nicht um Fragen des Versicherers iSd § 19 Abs. 1 VVg.
Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sich der Versicherer diesen
Fragenkatalog zu eigen gemacht hat. Ob dies vor Beantwortung der
Fragen erfolgen muss oder auch noch nachträglich geschehen kann,
braucht hier nicht entschieden zu werden.
Ein "Zu-eigen-machen" liegt nicht schon dann vor, wenn es bislang
unter Geltung des alten VVG branchenüblich war, dass für diesen
Versicherungsbereich der Makler die Fragen selbst entwirft und für den
VN beantwortet.
2.)
Eine Belehrung nach § 19 Abs. 5 VVG darf nicht in umfangreichen
"Allgemeinen Bedingungen für die Feuerversicherung" enthalten sein,
sondern muss im Zusammenhang mit den Antragsfragen erfolgen.
3.)
Teilt der Mitversicherer dem VN mit, dass einer der Mitversicherer
nunmehr der führende Versicherer ist und bittet um Überlassung des
künftigen Besichtigungsberichts des Führenden, so liegt darin die
Erteilung einer Außenvollmacht mit der Folge, dass sich der
Mitversicherer die Kenntnis des führenden Versicherers von
Gefahrumständen entsprechend § 166 BGB zurechnen lassen muss.
4.)
Der Versicherungsmakler, der den VN so umfassend vertritt, dass der
VN selbst überhaupt nicht, auch nicht bei Unterzeichnung des Vertrages
in Erscheinung tritt, ist kein Dritter iSd § 123 Abs. 2 BGB.
Dies gilt auch dann, wenn der Makler mit dem Versicherer über eine
Rahmenvereinbarung verbunden ist, der Versicherungsvertrag aber im
Wege der Ausschreibung zustande gekommen ist.
5.)
Die von einem Mitversicherer mit dem VN vereinbarten
Risikoausschlüsse entfallen dann, wenn der vom führenden Versicherer
für alle Mitversicherer unterzeichnete Versicherungsschein diese
Risikoausschlüsse nicht mehr enthält.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.12.2009 verkündete Urteil
der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hagen wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung einschließlich der der
Streithelferin entstandenen Kosten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des je-weils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
1
A.
2
Die Parteien streiten über den Bestand eines Versicherungsvertrages und die
Regulierung eines Brandschadens der Klägerin.
3
Die Klägerin stellt in ihrer aus mehreren Gebäuden bestehenden Betriebsstätte in J u.a.
Badarmaturen her. Am 29.01.2009 unterzeichnete die als Maklerin tätige Streithelferin
der Klägerin mit der S J J1 Ltd. (nachfolgend S) als führendem Versicherer eine Sach-
und Betriebsunterbrechungsversicherung. In erster Instanz war es unstreitig, dass die
Beklagte – die bis zum 14.10.2009 als AIG Europe S.A. firmierte – dem Konsortium
neben der B und der I mit einem Anteil von 25 % angehört.
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Durch ein Feuer in dem der Klägerin benachbarten Werk der Fa. X-F-GmbH kam es am
21./22.07.2009 zu einer Explosion, wobei sich das hierbei entstandene Feuer auch auf
Betriebsgebäude der Klägerin ausbreitete und dort einen Schaden – nach Angaben der
Klägerin – von bis zu 80 Mio. EUR veruSchte.
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Mit Schreiben vom 21.08.2009 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom
Versicherungsvertrag; eine Anfechtungserklärung wegen arglistiger Täuschung gab sie
mit Schreiben vom 25.09.2009 ab.
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Die Beklagte verweigerte anders als die weiteren drei Versicherer der Klägerin den
Versicherungsschutz unter Hinweis auf ihre Rücktrittserklärung und die erklärte
Anfechtung.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die Beklagte sei weder zum
Rücktritt vom Versicherungsvertrag noch zu dessen Anfechtung berechtigt gewesen.
8
Die Klägerin und ihre Streithelferin haben beantragt,
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festzustellen, dass der von der Beklagten mit Schreiben vom 21.08.2009 erklärte
Rücktritt von dem mit der Klägerin geschlossenen Versicherungsvertrag
unwirksam sei und zwischen der Klägerin und der Beklagten am 22.07.2009 ein
Versicherungsverhältnis über die Risiken Feuer und Feuerbetriebsunterbrechung
bestanden habe.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat mit näheren Darlegungen ihren Rücktritt und ihre
Anfechtungserklärung für wirksam erachtet. Hilfsweise hat sie sich auf den Standpunkt
gestellt, dass sie entsprechend ihrem mit der Streithelferin abgeschlossenen
Rahmenvertrag generell keine Feuerrisiken von Gebäuden zeichne, bei denen
überwiegend Styropor als Dämmmaterial benutzt worden sei. Dies habe sie auch in
ihrer Prämienofferte zum Ausdruck gebracht, so dass dies auch Vertragsinhalt
geworden sei.
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Für den Fall der Stattgabe der Klage hat sie beantragt,
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festzustellen, dass unter zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits
geschlossenen Versicherungsverträgen nur solche Gebäude feuerversichert
seien, bei denen kein Styropor im Sinne eines Polystyrol-Baustoffes als
Dämmmaterial verbaut worden sei.
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Die Klägerin und ihre Streithelferin haben beantragt,
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die Hilfswiderklage abzuweisen.
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Sie haben sich auf den Standpunkt gestellt, dass ein Risikoausschluss hinsichtlich
Styropors nicht vereinbart worden sei.
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Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf das Urteil des
Landgerichts, dessen Urteil in r+s 2010, 276 veröffentlicht ist, Bezug genommen. Das
Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Hilfswiderklage abgewiesen aus im
Wesentlichen folgenden Gründen:
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Der seitens der Beklagten mit Schreiben vom 21.08.2009 erklärte Rücktritt sei
unwirksam. Zwar habe die Klägerin erhebliche Gefahrumstände nicht angezeigt, weil
sie die Nachbarbebauung, insbesondere den chemischen Betrieb der Fa. X, und die in
ihren Gebäuden verwendeten Dämmstoffe nicht angegeben habe. Allerdings habe die
Beklagte der Klägerin keine Fragen i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG zu den
gefahrerheblichen Umständen gestellt; die in dem von der Streithelferin ausgearbeiteten
Fragebogen enthaltenen Fragen könnten nicht so behandelt werden, als seien sie von
der Beklagten gestellt worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers und dem Wortlaut
des Gesetzes könne ein von einem Dritten ausgearbeiteter, nicht vom Versicherer
stammender Fragebogen nicht einer Fragestellung durch den Versicherer gleichgestellt
werden.
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Auch habe die Beklagte die Klägerin entgegen § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG nicht durch eine
gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigenverpflichtung
hingewiesen. Ein solcher Hinweis in den Musterbedingungen reiche nicht, zumal die
Beklagte nicht vorgetragen habe, dass die Klägerin diese überhaupt zur Kenntnis
erhalten habe.
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Ferner habe die Beklagte den Rücktritt nicht in der Frist des § 21 Abs. 1 VVG ausgeübt.
Zwar habe die Beklagte den Besichtigungsbericht der S innerhalb der Monatsfrist vor
der Rücktrittserklärung vom 21.08.2009 erhalten. Der S als führendem Versicherer seien
die Umstände jedoch bereits im Januar 2009 bekannt gewesen, was sich die Beklagte
nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müsse.
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Der Versicherungsvertrag sei nicht wegen der seitens der Beklagten erklärten
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nichtig. Zwar liege eine objektiv falsche
Angabe vor; die Klägerin habe jedoch ihrer sekundären Darlegungslast genügt, da sie
plausibel dargelegt habe, wie und weshalb es zu den falschen Angaben gekommen sei,
indem sie vorgetragen habe, dass ein Mitarbeiter der Streithelferin irrtümlich einen
Haken per Mausklick an der falschen Stelle gesetzt habe. Deshalb sei es Sache der
Beklagten gewesen, die von ihr behauptete Arglist zu beweisen. Beweisantritte der
Beklagten fehlten jedoch.
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Die Klägerin müsse sich ein eventuelles arglistiges Verhalten eines Mitarbeiters der
Streithelferin nicht nach § 123 Abs. 2 BGB zurechnen lassen, weil die Streithelferin als
Maklerin Dritter gewesen sei.
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Die Hilfswiderklage der Beklagten sei unbegründet. Es seien nicht nur Gebäude
feuerversichert, bei denen kein Styropor im Sinne eines Polystyrol-Baustoffes verbaut
worden sei. Der Inhalt des Versicherungsverhältnisses richte sich nach dem Inhalt des
Versicherungsscheins; dieser enthalte keine Einschränkungen in Bezug auf das
verbaute Dämmmaterial. Die Parteien hätten auch keine von dem Versicherungsschein
abweichende Vereinbarungen getroffen. Die Prämienofferte der Beklagten vom
08.12.2008 gäbe lediglich eine momentane Verhandlungsposition der Beklagten
wieder, die dann später nicht in die endgültige Vertragsregelung überführt worden sei.
25
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
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Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zur Wirksamkeit ihrer Anfechtungserklärung.
Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin das ihr
zurechenbare Fehlverhalten der Streithelferin dadurch plausibel entschuldigt habe, dass
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ein Mitarbeiter irrtümlich einen Haken an der falschen Stelle gesetzt habe. Diese
Erklärung genüge weder für sich noch unter Berücksichtigung des
Sachzusammenhangs als hinreichende Erklärung der falschen Angaben. Denn weder
der weitere Inhalt des übermittelten Fragebogens noch die widersprüchlichen
Einlassungen der Streithelferin dürften unberücksichtigt bleiben. Insbesondere sei zu
berücksichtigen, dass die Streithelferin extremste Schwierigkeiten gehabt habe, das
Risiko in der Kürze der gegebenen Zeit unterzubringen. Die Arglist der Streithelferin sei
der Klägerin zuzurechen, weil sie nicht Dritte im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB sei.
Ferner hält sie an der Wirksamkeit des von ihr erklärten Rücktritts fest. Im Rahmen des §
19 Abs. 1 VVG sei entscheidend, dass der Versicherungsnehmer nicht mehr von sich
aus selbst ausgewählte Informationen erteile, sondern dass er sich darauf verlassen
könne, fremd zusammengestellte Fragen zu beantworten. Deshalb sei in erster Linie der
Inhalt der Fragen entscheidend. Wer den Fragebogen ausgefertigt habe, mache aus der
Sicht des Versicherungsnehmers keinen Unterschied. Es erscheine als eine sinnlose
Förmelei, wenn der Versicherer beim Versicherungsnehmer noch einmal in Textform
nachfragen müsse, ob die von diesem gegenüber dem Versicherungsmakler zu dessen
ausformulierten Fragen erteilten Informationen auch tatsächlich zuträfen. Überdies
hätten sich die Parteien nach § 210 VVG konkludent über eine Abbedingung der
Voraussetzungen des § 19 VVG geeinigt. Die Usancen der Industrieversicherung seien
auch und gerade in Ansehung des neuen VVG beibehalten worden.
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Die Klägerin müsse sich das Wissen der Streithelferin als Versicherungsmaklerin um
die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung zurechnen lassen, so dass eine Belehrung
der Klägerin nach § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG entbehrlich gewesen sei. Überdies habe das
Landgericht nicht berücksichtigt, dass es sich bei den vorliegenden
Vertragsbedingungen um Bedingungen des Maklers gehandelt habe, so dass nicht die
Beklagte Verwender dieser Bedingungen gewesen sei. Eines Hinweises habe es nicht
bedurft, weil der Makler, der in Personalunion die Fragen formuliere und die Antworten
zu geben habe, die Folgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung am Besten
kenne. Im Übrigen gelte auch hier, dass sich die Parteien durch das gewählte
Procedere konkludent über eine Abbedingung der Voraussetzungen des § 19 VVG
geeinigt hätten.
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Der ausgeübte Rücktritt sei auch fristgerecht gewesen. Die Beklagte müsse sich als
Mitversicherer die Kenntnis des führenden Versicherers S nicht zurechnen lassen. Die
Parteien hätten am 17.12.2008 einen eigenständigen Versicherungsvertrag, gerichtet
auf eine vorläufige Deckung, geschlossen, der unabhängig zu betrachten sei von den
Versicherungsverträgen der Klägerin mit anderen Mitversicherern. Die vereinbarte
Führungsklausel finde schon in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung auf das Stadium
der Vertragsanbahnung. Im Übrigen erfolge bei der hier gegebenen Ausgestaltung der
Führungsklausel als Anzeigenklausel gerade keine Wissenszurechnung. Es sei allen
Beteiligten klar gewesen, dass es in diesem Fall gerade nicht auf das Wissen des
Führenden ankommen sollte.
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Die Begründetheit der Hilfswiderklage ergäbe sich daraus, dass aus der
Emailkorrespondenz am 17.12.2008 hervorgegangen sei, dass der Vorbehalt "kein
Styropor als Dämmung" weiterhin gelte. Die Klägerin und ihre Streithelferin hätten den
von ihr, der Beklagten, klar zum Ausdruck gebrachten Willen, die Verwendung von
Styropor als Dämmmaterial nicht zu akzeptieren, als verständige Adressaten dahin
verstehen müssen, dass Gebäude, in denen Styropor verbaut sei, keinen
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Versicherungsschutz genießen sollten, also nicht versicherungsfähig sein sollten. Es sei
bei einer offenen Mitversicherung wie hier den beteiligten Versicherern unbenommen,
mit dem Versicherungsnehmer besondere Vereinbarungen zu treffen, die nicht in dem
von dem führenden Versicherer ausgefertigten Versicherungsschein dokumentiert
würden. Für ihren gegenteiligen Standpunkt könne sich die Klägerin auch nicht auf § 5
VVG berufen. Der von der S veSndte Versicherungsschein habe mit dem Vertrag der
Parteien vom 17.12.2008 nichts zu tun. Die Beklagte habe am 17.12.2008 mit der
Klägerin einen Versicherungsvertrag mit eigenem Inhalt geschlossen; die Zusendung
des Versicherungsscheins an die Beklagte sei nur informationshalber erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
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abändernd
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise
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abändernd auf ihre Widerklage
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festzustellen, dass unter zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits
geschlossenen Versicherungsverträgen nur solche Gebäude feuerversichert
seien, bei denen kein Styropor im Sinne eines Polystyrol-Baustoffes als
Dämmmaterial verbaut worden sei.
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Die Klägerin und ihre Streithelferin beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen mit näheren Darlegungen die angefochtene Entscheidung.
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Die Klägerin vertieft ihren Standpunkt, dass ihre Streithelferin Dritte gemäß § 123 Abs. 2
BGB gewesen sei, denn diese habe die Interessen beider Parteien wahrgenommen.
Jedenfalls seien keine Hinweise dafür gegeben, dass die Streithelferin die Beklagte
habe arglistig täuschen wollen.
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Auch habe die Beklagte kein Recht zum Rücktritt gehabt. Die Voraussetzungen einer
Anzeigepflichtverletzung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG seien nicht erfüllt, weil ein
Fragebogen, der die in § 19 VVG geregelten Rechtsfolgen auslösen soll, aus der
Sphäre des Versicherers stammen müsse. § 19 VVG sei auch nicht abbedungen
worden, weil ein entsprechender Wille der Vertragsparteien nicht deutlich und
unmissverständlich zum Ausdruck gekommen sei. Auch habe die Beklagte die Klägerin
nicht nach § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG belehrt. Überdies sei der Rücktritt nach § 21 Abs. 1
VVG verfristet, weil sich die Beklagte die von der S am 16.01.2009 erlangte Kenntnis
zurechnen lassen müsse.
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Die Klägerin vertieft ihren Standpunkt, dass sich im Wege der Auslegung ergebe, dass
sich die Parteien am 17.12.2008 darauf geeinigt hätten, dass die Beklagte mit einer
Quote von 25 % als nicht-führender Versicherer und ohne Einschränkung hinsichtlich
der Verwendung von Styropor als Dämmmittel die Objekte der Klägerin versichere. In
keinem Fall könne in den Willenserklärungen der Streithelferin die Zustimmung der
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Klägerin gesehen werden, die Versicherung mit einer Einschränkung hinsichtlich
Styropors abschließen zu wollen; hilfsweise sei deshalb von einem verdeckten Dissens
auszugehen. Jedenfalls sei bereits im Dezember 2008 zum Ausdruck gekommen, dass
vorläufige Deckung gewährt werden solle, allerdings ohne die Ausklammerung von
Styropor. Diese vorläufige Deckung sei mit Abschluss des Hauptvertrages abgelöst
worden. Dieser Hauptvertrag sei spätestens mit der Unterzeichnung des
Versicherungsscheins seitens der S und Übersendung des Versicherungsscheins an
die Beklagte abgeschlossen worden. Selbst wenn eine Abweichung des Inhalts des
Versicherungsvertrages von dem des Versicherungsscheins vorläge, sei nach § 5 VVG
der Inhalt des Versicherungsscheins maßgeblich.
Die Streithelferin der Klägerin vertieft ihr Vorbringen, dass der Eingabefehler keine
Schlussfolgerung auf ein arglistiges Verhalten des Handelnden zulasse, so dass die
Klägerin ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen sei, plausibel darzulegen,
wie und weshalb es zur falschen Angabe gekommen sei. Es gäbe auch keine Indizien,
die für ein arglistiges Verhalten der Streithelferin sprächen; die Streithelferin habe keine
Veranlassung gehabt, falsche Angaben zu machen. Sie, die Streithelferin, sei auch
Dritte im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB.
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Die Beklagte sei darlegungs- und beweisbelastet auch hinsichtlich der Kausalität
zwischen Täuschung und dem Entschluss, den Versicherungsvertrag mit dem
vereinbarten Inhalt zu schließen. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte bei
zutreffender Beantwortung der hier in Rede stehenden Frage den Versicherungsvertrag
zu denselben Bedingungen wie tatsächlich geschehen abgeschlossen hätte. Dafür
spreche schon, dass die Mitversicherer das Risiko trotz der örtlichen Gegebenheiten als
Maschinenbaurisiko und nicht als Chemierisiko eingestuft hätten. Ferner habe die
Beklagte den Versicherungsvertrag nach Kenntnis des Besichtigungsberichts der S
nach § 144 BGB bestätigt. Schließlich müsse sich die Beklagte als Mitglied des
Versichererkonsortiums die Kenntnis der S zurechnen lassen.
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Die Unwirksamkeit des Rücktritts folge bereits daraus, dass § 19 Abs. 1 VVG Fragen
des Versicherers voraussetze. Wenn Fragen durch Dritte oder nicht in Textform gestellt
würden, scheide ein Rücktritt aus. Dies folge aus Wortlaut und Sinn der Norm. Im
Übrigen sei es treuwidrig, wenn sich die Beklagte auf den Gesetzeswortlaut berufe,
denn es habe ihr freigestanden, selbst eine Besichtigung vorzunehmen und selbst
Fragen zu stellen. Einen Willen, § 19 VVG abzubedingen habe es nicht gegeben. Auch
habe die Beklagte nicht nach § 19 Abs. 5 VVG auf die Folgen einer
Anzeigepflichtverletzung hingewiesen. Eine solche Belehrung sei erforderlich
unabhängig von einer Belehrungsbedürftigkeit des Versicherungsnehmers. Kenntnisse
der Streithelferin könnten der Klägerin nicht zugerechnet werden. Die
Musterbedingungen stammten nicht von der Beklagten und hätten der Klägerin nicht
vorgelegen. Ferner habe die Klägerin allenfalls leicht fahrlässig gehandelt. Selbst bei
Vorliegen von grober Fahrlässigkeit wäre ein Rücktritt ausgeschlossen, weil der Vertrag
bei Kenntnis der Nachbarbetriebe ebenfalls abgeschlossen worden wäre. Schließlich
sei der Rücktritt nicht fristgerecht gewesen. Die Beklagte müsse sich das Wissen der S
als des führenden Versicherers zurechnen lassen.
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Die Unbegründetheit der Hilfswiderklage folge daraus, dass sich der Inhalt des
Versicherungsvertrages nach dem Versicherungsschein bestimme, was zum einen
daraus, dass der Vertrag am 17.12.2008 noch nicht zu stande gekommen sei, und zum
anderen aus § 5 Abs. 1 VVG folge. Im Übrigen gebe die Prämienofferte vom 08.12.2008
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für den Inhalt des Versicherungsvertrages nichts her, weil die Parteien danach weiter
verhandelt hätten. Schließlich bleibe die Verwendung von Styropor bestritten.
Wegen des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst ihrer Anlagen verwiesen.
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B.
49
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht
der zulässigen Feststellungsklage der Klägerin stattgegeben, da der Rücktritt der
Beklagten vom 21.08.2009 unwirksam (dazu nachfolgend I.) und der Vertrag der
Parteien auch nicht wegen Anfechtung nichtig ist (dazu nachfolgend II). Ebenfalls zu
Recht hat das Landgericht die Hilfswiderklage der Beklagten abgewiesen (dazu
nachfolgend III.).
50
I.
51
Der Rücktritt der Beklagten ist unwirksam.
52
Nach § 19 Abs. 2 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn der
Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG verletzt. Nach § 19
Abs. 1 Satz 1 VVG hat der Versicherungsnehmer die ihm bekannten erheblichen
Gefahrumstände, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer
anzuzeigen.
53
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 21.08.2009 (Anlage K 15 = AK I Bl. 165) den
Rücktritt zum einen darauf gestützt, dass die Frage 6 des Besichtigungsberichts vom
18.11.2008 zu Unrecht mit "nein" beantwortet worden sei, und zum anderen darauf,
dass ihr nicht angezeigt worden sei, dass bei einer Vielzahl von Gebäuden Styropor als
Dämmmaterial verbaut worden sei. Im Prozess hat sich die Beklagte ausschließlich auf
den Gesichtspunkt einer verschwiegenen Nachbarbebauung als Rücktrittsgrund
bezogen. Den Streitpunkt Styropor hat die Beklagte damit zu Recht nicht mehr bei der
Frage des Rücktritts aufgegriffen. Da im umfangreichen Fragenkatalog an keiner Stelle
nach Styropor oder nach der Art des verbauten Dämmmaterials gefragt worden ist,
scheidet insoweit ein Rücktritt nach § 19 Abs. 2 VVG wegen Falschbeantwortung von
Fragen von vornherein aus.
54
1.
55
Zwar scheitert die Wirksamkeit des Rücktritts der Beklagten nicht an einem Fehlen
gefahrerheblicher Umstände. Denn das Vorhandensein von Nachbarbetrieben ist ein
erheblicher Gefahrumstand nach § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG.
56
Für die Übernahme der Gefahr ist jeder Umstand erheblich, der geeignet ist, auf den
Entschluss des Versicherers, einen Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten
Bedingungen abzuschließen, Einfluss auszuüben. Der Streit um die Maßgeblichkeit
eines objektiven (so HK-VVG/Schimikowski § 19 VVG Rz 10) oder eines subjektiven
Maßstabs (so Prölss/Martin/Prölss, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. § 19 Rz 8
m.w.N. zur Rechtsprechung des BGH) bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.
57
Denn die Gefahrerheblichkeit liegt hier auf der Hand. Ein Versicherer hat ein Interesse
58
daran zu erfahren, ob es Nachbarbetriebe gibt, die eine Gefahr für das zu versichernde
Objekt bedeuten könnten. Erfahrungsgemäß ist davon auszugehen, dass die
Nachbarschaft zu einem Chemiebetrieb (Fa. X) für die Risikobewertung im Rahmen
einer Industriefeuerversicherung von Bedeutung ist.
2.
59
Der Rücktritt ist jedoch deshalb unwirksam, weil die Beklagte nicht nach
Gefahrumständen in Textform gefragt hat.
60
Da die Beklagte der Klägerin keine eigenen Fragen gestellt hat, läge ein Stellen von
Fragen i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG nur dann vor, wenn die Fragen in dem von der
Streithelferin erstellten Fragebogen so hätten behandelt werden können, als seien sie
von der Beklagten gestellt worden. Dies ist indes nicht der Fall.
61
Hinsichtlich der Nachbarbetriebe enthält Ziffer 6 des Besichtigungsberichtes vom
18.11.2008 die Frage: "Betriebe/Läger in der Nachbarschaft?"; diese Frage ist durch
Ankreuzen des entsprechenden Kästchens mit "nein" beantwortet worden, was
angesichts des vorhandenen Nachbarbetriebes der Fa. X falsch war.
62
a)
63
Diese Frage der Streithelferin, die diese selbst beantwortet hat, kann jedoch nicht als
Frage der Beklagten an die Klägerin gelten, so dass eine Frage des Versicherers im
Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG zu verneinen ist.
64
Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass nach § 19
Abs. 1 Satz 1 VVG der Umstand, dass der Versicherer nach einem nicht angezeigten
gefahrerheblichen Umstand in Textform gefragt hat, Voraussetzung für das
Rücktrittsrecht ist und dass anders als nach altem Recht (§§ 16 f VVG a.F.) keine
spontane Anzeigepflicht mehr besteht. Allerdings kann aus dieser Neuregelung
entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht der Schluss gezogen werden, dass es
nach dem Willen des Gesetzgebers und dem Wortlaut des Gesetzes prinzipiell
ausgeschlossen sei, einen von einem Dritten ausgearbeiteten, nicht vom Versicherer
stammenden Fragebogen einer Fragestellung durch den Versicherer gleichzusetzen
und dass es deshalb unerheblich sei, ob ein Versicherungsvertrag durch Vermittlung
eines Maklers zustande gekommen ist oder nicht. Der Sinn des Gesetzes geht dahin,
dem Versicherungsnehmer das Risiko einer Fehleinschätzung hinsichtlich der
Gefahrrelevanz abzunehmen (vgl. Looschelders, in Looschelders/Pohlmann, VVG, § 19
VVG Rz 16 und 17). Unter diesem Gesichtspunkt kann es nicht von vornherein
schädlich sein, dass der Versicherer einen nicht von ihm selbst erstellten Fragebogen
verwendet. Es führt nicht allein deshalb zur Unwirksamkeit eines auf § 19 VVG
gestützten Rücktritts, dass der Versicherer das Stellen von Fragen einem Vertreter
überlassen hat. Ebenso wenig liegt allein deshalb eine Unwirksamkeit des Rücktritts
vor, weil der Versicherungsnehmer einem Vertreter die Beantwortung der Fragen
überlassen hat.
65
Allerdings scheidet unter den hier gegebenen Umständen aus, die Fragen der
Streithelferin in ihrem Besichtigungsbericht als seitens der Beklagten gestellte Fragen
zu bewerten.
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Die Streithelferin war mit der Klägerin durch einen Maklervertrag verbunden, der neben
der Vermittlung und Verwaltung von Versicherungsverträgen die Wahrnehmung der
Interessen der Klägerin gegenüber den Versicherern zum Inhalt hatte (jeweils Ziffer 1
des Honorarvertrages Anlage K 20 = Bl. 329 d.A. und des Maklervertrages Anlage K 19
= Bl. 334 d.A.). Die Streithelferin hat im Dezember 2008 die gesamten
Vertragsverhandlungen für die Klägerin geführt; diese ist überhaupt nicht in Erscheinung
getreten. Den Versicherungsschein (Anlage K 10 = Bl. 42 AK I) hat die Streithelferin
anstelle der Klägerin unterschrieben und damit als ihr rechtsgeschäftlicher Vertreter
gehandelt (damit übereinstimmend jeweils Ziffer 2 Absatz 1 und 3 des Honorarvertrages
Anlage K 20 = Bl. 329 und des Maklervertrages Anlage K 19 = Bl. 334 d.A.). Damit stand
die Streithelferin im Lager der Klägerin und war in ihrem Interesse tätig.
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Stellte man die Fragen eines solchen Interessenwalters und rechtsgeschäftlichen
Vertreters des Versicherungsnehmers den Fragen des Versicherers gleich, bedeutete
dies letztlich die Wiedereinführung der spontanen Anzeigepflicht des
Versicherungsnehmers, die gerade nach der Neufassung des VVG keine Bedeutung
mehr haben soll. Denn das mit der spontanen Offenbarungspflicht verbundene, als
unbefriedigend empfundene Risiko der Fehleinschätzung sollte mit der gesetzlichen
Neuregelung dem Versicherungsnehmer abgenommen werden. Es führt zu einer dem
Zweck des Gesetzes widersprechenden Rückkehr der spontanen Offenbarungspflicht,
wenn der Versicherungsnehmer oder sein Vertreter zur Anzeige gefahrerheblicher
Umstände verpflichtet wäre, ohne dass ihm Fragen herrührend von außerhalb seines
eigenen Lagers gestellt worden wären.
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Anders könnte es dann sein, wenn dem Versicherungsnehmer oder seinem
Interessenwalter spätestens im Zeitpunkt der Beantwortung der Fragen zugleich eine
Erklärung des Versicherers vorläge, dass die Fragen als seine gelten sollen. Dies
bedeutet keine bloße Förmelei, sondern ist erforderlich, um dem generellen Anliegen
des Gesetzes entsprechend das Risiko einer Fehleinschätzung der Gefahrerheblichkeit
auf den Versicherer zu verlagern (vgl. Grote/Schneider BB 2007, 2689, 2692;
Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl.,
§ 14 Rz 20 am Ende). Hier geht der Inhalt des von der Streithelferin verwendeten
Fragebogens allein auf diese zurück und beruht nicht auf einer Initiative oder Mitwirkung
der Beklagten; auch ein Zueigenmachen dieses Fragebogens seitens der Beklagten ist
vor Beantwortung nicht erfolgt.
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Der Senat kann offenlassen, ob auch ein nachträgliches Zueigenmachen, etwa in dem
Sinne, dass die Beklagte zum Ausdruck bringt, dass die gestellten und beantworteten
Fragen auch ihre eigenen gewesen seien, so dass der Versicherungsnehmer die
gegebenen Antworten in dem Bewußtsein bestätigt, dass es nicht nur um die Fragen
seines Maklers geht, ausreichen kann. Offenbleiben kann auch, ob eine nachträglich
erfolgte Belehrung über die Rechtsfolgen einer Falschbeantwortung noch ausreichend
ist (vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann a.a.O. § 14 Rz 20). Denn auch ein
solches nachträgliches Zueigenmachen ist hier nicht erfolgt; zu keinem Zeitpunkt hat die
Beklagte kenntlich gemacht, dass es sich (auch) um ihre Fragen handelt.
70
Anders als die Beklagte meint, können die Fragen im Besichtigungsbericht vom
18.11.2008 nicht deshalb als ihre Fragen gewertet werden, weil sie die gleichen Fragen
gestellt hätte. Denn aus der Sicht der Klägerin und des Maklers handelte es sich bei
dem Besichtigungsbericht vom 18.11.2008 um ein Teilstück der Ausschreibung des
Maklers. Dass die Fragen in diesem Besichtigungsbericht eine Relevanz für den
71
Versicherer hatten, bedeutet noch nicht, dass es damit auch seine Fragen waren.
b)
72
Die Beachtung der Erfordernisse des § 19 Abs. 1 VVG ist auch nicht nach
73
§ 210 VVG abbedungen worden. Dazu ist auf die Darlegungen unten unter 3 d zu
verweisen.
74
3.
75
Der Rücktritt der Beklagten ist auch unwirksam, wenn man davon ausgehen würde,
dass die von der Maklerin gestellten Fragen als Fragen der Beklagten im Sinne des §
19 Abs. 1 Satz 1 VVG zu werten sind. Denn das Rücktrittsrecht des § 19 Abs. 2 VVG
setzt nach § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG voraus, dass der Versicherer den
Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer
Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Hier fehlt es an einem solchen Hinweis der
Beklagten.
76
a)
77
Eine Hinweispflicht der Beklagten ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil es sich bei
den Beteiligten um Fachleute des Versicherungsrechts gehandelt hat. Der Wortlaut des
§ 19 Abs. 5 Satz 1 VVG enthält keine Einschränkung hinsichtlich des durch Mitteilung
zu belehrenden Personenkreises; die Belehrung soll vielmehr nach dem Anliegen der
gesetzlichen Neukonzeption gegenüber jedermann erfolgen.
78
Eine bei der Streithelferin vorhandene bloße Gesetzeskenntnis kann eine Mitteilung
nach § 19 Abs. 5 VVG nicht ersetzen. Wenn Gesetzeskenntnis eine Mitteilung
entbehrlich macht, müßte auch eine Gesetzeskenntnis des Versicherungsnehmers
ausreichen. Hierfür bietet das Gesetz jedoch keinen Anhalt. Auch die dem Hinweis
zukommende Warnfunktion (vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Knappmann a.a.O. §
14 Rz 8) wird verfehlt, wenn man bereits bloße Gesetzeskenntnis ausreichen ließe.
79
b)
80
Zutreffend hat das Landgericht entschieden, dass sich die Beklagte für das
Vorhandensein einer Belehrung nicht auf die von ihr zitierten Musterbedingungen
berufen kann.
81
Der Meinung der Beklagten, eine Belehrung im Sinne des § 19 Abs. 5 VVG läge in
Abschnitt B § 1 Ziffer 2 AFB 2008 vor, kann nicht gefolgt werden.
82
aa)
83
Nach Ziffer 6.1.1. der "Allgemeinen Klauseln für die Feuerversicherung des VDMA" (in
Anlage K 10 = Bl. 85 AK I) sind die "Allgemeinen Bedingungen für die
Feuerversicherung (AFB 87 – Fassung Januar 2008)" vereinbart. Die seitens der
Beklagten als Anlage Bl 10 (Bl. 35 ff AK II) auszugsweise hinsichtlich des Abschnitts B §
1 vorgelegten AFB 2008 und FBUB 2008 haben, wie die Blattzahlen unten rechts
ausweisen, insgesamt 35 bzw. insgesamt 28 Seiten.
84
Die Frage, ob der Begriff der "gesonderten Mitteilung" im Sinne des § 19 Abs. 5 VVG
einen Hinweis auf einem Extra-Blatt erfordert (vgl. Funk VersR 2008, 163, 166; Neuhaus
r+s 2008, 45, 52) oder ob es ausreicht, wenn ein solcher Hinweis auf dem
Antragsformular enthalten ist (vgl. Looschelders, in: Looschelders/Pohlmann § 19 VVG
Rz 66; HK-VVG/Schimikowski § 19 VVG Rz 31), kann der Senat hier dahin stehen
lassen. Sicherlich stellen die AFB 2008 und die FBUB 2008 gegenüber dem von der
Streithelferin verwendeten Fragebogen eine "gesonderte" Erklärung dar.
85
Allerdings ist der Zweck der Regelung zu beachten, wonach der Kunde unter Hinweis
auf die möglichen Rechtsfolgen davor gewarnt werden soll, falsche oder unvollständige
Angaben zu machen (HK-VVG/Schimikowski § 19 VVG Rz 31). Deshalb muss der
Hinweis umfassend, unmissverständlich und eindeutig sein (vgl. Bruck/Möller/Rolfs, 9.
Aufl. § 19 VVG Rz 116; OLG Brandenburg NJW-RR 2010, 385). Der Zweck der Norm
kann nur erreicht werden, wenn die Belehrung im Kontext mit den Antragsfragen erfolgt
(HK-VVG/Schimikowski
86
§ 19 VVG Rz 31). Bei fehlendem oder nur losem Zusammenhang kann die Warnfunktion
nicht erfüllt werden, weil der Kunde den Hinweis auf die gestellten Fragen beziehen
soll. Hier fehlt zwischen den AFB 2008 bzw. FBUB 2008 und dem von der Streithelferin
verwendeten Fragebogen jeder inhaltliche und zeitliche Zusammenhang.
87
Hinzu kommt, dass sich der von der Beklagten in Bezug genommene "Hinweis"
innerhalb eines umfassenden Klauselwerkes befindet, im Rahmen dessen die von der
Beklagten benannte Textpassage in keiner Weise hervorgehoben oder besonders
gestaltet ist.
88
bb)
89
Ohnehin zeigen die jeweiligen Regelungen in Abschnitt B § 1 Ziffer 4 (Bl. 39 sowie Bl.
44 AK II), dass die Klauselwerke davon ausgehen, dass sie nicht selbst bereits den
"Rechtsfolgenhinweis" darstellen, sondern dass die gesonderte Mitteilung unabhängig
davon zu ergehen hat.
90
Es heißt dort nämlich: "Die Rechte zur Vertragsänderung (2 a), zum Rücktritt
91
(2 b) und zu Kündigung (2 c) stehen dem Versicherer nur zu, wenn er den
Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen der
Verletzung der Anzeigepflicht hingewiesen hat.".
92
c)
93
Anders als die Beklagte meint, entfällt eine Hinweisnotwendigkeit nicht etwa wegen
"Gepflogenheiten" im Industriegeschäft, aufgrund derer der Anwendungsbereich des §
19 Abs. 5 Satz 1 VVG dahin einzuschränken sei, dass die Notwendigkeit, den von
einem Versicherungsmakler beratenen Versicherungsnehmer oder den
Versicherungsmakler selbst durch eine gesonderte Mitteilung auf die Folgen einer
Anzeigepflichtverletzung hinzuweisen, entfalle.
94
Denn bloße Gepflogenheiten – zudem begründet unter der Geltung des alten VVG – für
sich allein genommen geben keinen Anlass, eine teleologische Reduktion des § 19
95
Abs. 5 Satz 1 VVG zu rechtfertigen, zumal § 210 VVG a.F. ausreichend Spielräume für
eine Handhabung bei Großrisiken bietet. Liegt ein – ggf. auch konkludentes -
Abbedingen bestimmter Erfordernisse vor, so bedarf es keiner teleologischen
Reduktion; ist es zu einem solchen Abbedingen nicht gekommen, darf dies nicht mittels
teleologischer Reduktion unterlaufen werden.
d)
96
Anders als die Beklagte meint, ist § 19 VVG hier weder ganz oder teilweise nach § 210
VVG abbedungen worden. Weder liegt in dem "gewählten Procedere" ein konkludentes
Abbedingen noch kann davon ausgegangen werden, dass es sich hier um "Usancen"
handelt, die auch und gerade in Ansehung des VVG beibehalten worden seien.
97
aa)
98
Zwar sind nach § 210 VVG die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG u.a.
auf Großrisiken nicht anzuwenden. Vorliegend ist auch ein solches Großrisiko im Sinne
des Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EGVVG gegeben, weil unstreitig die Voraussetzungen
jedenfalls der Nr. 3 b) und c) vorliegen (vgl. das Schreiben der Streithelferin vom
02.12.2008 Anlage K 3 = AK I Bl. 7). § 19 VVG ist auch im Bereich der Großrisiken
disponibel, da sich § 210 VVG nicht nur auf die zwingenden, sondern auch auf die
halbzwingenden Vorschriften des VVG bezieht (HK-VVG/Muschner § 210 VVG Rz 9)
und es sich bei der Regelung des § 19 VVG nach § 32 Satz 1 VVG um eine
halbzwingende Regelung handelt (Rüffer/Muschner § 32 VVG Rz 1).
99
bb)
100
Anders als die Beklagte meint ist vorliegend jedoch ein konkludentes – ein
ausdrückliches wird auch von der Beklagten nicht behauptet - Abbedingen nicht
gegeben.
101
Hier gegen spricht schon der Umstand, dass § 19 VVG ein ganzes Bündel von
Regelungen enthält, die sowohl Rechte und Pflichten sowohl des
Versicherungsnehmers als auch des Versicherers zum Gegenstand haben. So hätte ein
vollständiges Abbedingen des § 19 VVG zur Folge, dass den Versicherungsnehmer
keine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG träfe und für den Versicherer weder ein
Rücktritts- noch ein Kündigungsrecht nach § 19 Abs. 2 bzw. Abs. 6 VVG bestünde. Ein
solches pauschales Abbedingen kommt deshalb von vornherein nicht in Betracht. Zu
erwägen könnte allein ein Abbedingen der in
102
§ 19 Abs. 1 Satz 1 VVG enthaltenen Regelung sein, dass sich die Anzeigepflicht des
Versicherungsnehmers gerade auf die vom Versicherer gestellten Fragen bezieht sowie
die in § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG enthaltene Regelung, dass der Versicherer den
Versicherungsnehmer auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hinzuweisen hat.
103
Jedoch liegt in der tatsächlichen Handhabung nicht zugleich die konkludente
Vereinbarung, dass anstelle von Fragen des Versicherers der Fragenkatalog der
Streithelferin treten soll und dass anstelle eines Hinweises an den
Versicherungsnehmer ein solcher an den von ihm beauftragten Makler genügen oder
dass gar kein Hinweis erfolgen soll. Denn aus einer bloßen Handhabung kann allein
nicht auf diesen Willen geschlossen werden; es läge damit eine bloße Willensfiktion vor,
104
die für eine konkludente Vereinbarung nicht ausreichen kann.
Zwar ist davon auszugehen, dass es bei Großrisiken unbenommen bleibt, eine
Vereinbarung zu treffen, dass die Fragen des Interessenwalters des
Versicherungsnehmers als Fragen des Versicherers gelten sollen. Aus der bloßen
Handhabung kann hier allein nicht geschlossen werden, dass die Handhabung als
solche auf einem vertraglichen Konsens der Handelnden beruht. Denn es fehlt jeder
Anhaltspunkt, dass die Beteiligten die Erfordernisse des § 19 Abs. 1 VVG überhaupt in
ihre Erwägungen einbezogen haben und dass sie sich dessen bewußt waren, dass die
offenbar bislang übliche Verwendung allein des Fragebogens eines Maklers nicht mehr
der Neukonzeption des § 19 Abs. 1 VVG genügt. Die Beklagte hat zwar mit Schriftsatz
vom 18.10.2010 (Bl. 422 d.A.) behauptet, dass es sich um Usancen handele, die auch
und gerade in Ansehung des neuen VVG beibehalten worden seien. Der Vortrag der
Beklagten zeigt jedoch nicht im Ansatz auf, dass vorliegend in die Erwägungen
einbezogen worden sein könnte, welche Erfordernisse mit den gesetzlich normierten
Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 VVG verbunden sind und dass eine
Willensübereinstimmung der Beteiligten erzielt worden wäre, diese Erfordernisse
vorliegend abzumildern oder aufzuheben.
105
Entsprechendes gilt hinsichtlich des Mitteilungserfordernisses nach § 19 Abs. 5 VVG.
Auch hierauf bezogen fehlt jeder durchgreifende Anhaltspunkt, dass sich die
Handelnden überhaupt dieses Erfordernisses bewusst waren. Es ist deshalb nicht
erkennbar, dass sie überhaupt den Willen hatten, anstelle des Mitteilungserfordernisses
gegenüber der Klägerin das Wissen der Streithelferin um die gesetzliche Regelung bzw.
das Mitteilungserfordernis ganz entfallen zu lassen.
106
Letztlich führt auch der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat herangezogene Gesichtspunkt, dass bei der Neufassung des § 19 VVG niemand
bedacht habe, dass hierunter auch die Industrieversicherung falle, zu keiner anderen
Bewertung. Denn dieser Umstand könnte es nicht rechtfertigen, die
"Industrieversicherung" als solche von den Erfordernissen des § 19 Abs. 1 und 5 VVG
freizustellen. Denn für den gesetzlich fest umrissenen Teilbereich der Großrisiken hat
der Gesetzgeber in § 210 VVG das geeignete Mittel zur Verfügung gestellt, einem
tatsächlichen Willen der Handelnden nach einer Modifizierung des § 19 VVG Rechnung
zu tragen. Der Standpunkt der Beklagten zielt letztlich darauf ab, den Bereich der
"Industrieversicherung" von dem Anwendungsbereich des § 19 VVG auszunehmen,
wobei allerdings nichts dafür spricht, dass dies dem Zweck des Gesetzes entspräche.
Das Vorhandensein der Regelung des § 210 VVG belegt zudem, dass für eine solche
Einschränkung jede Rechtfertigung fehlt. Der Beklagten kann auch nicht in ihrer im
Senatstermin dargelegten Auffassung gefolgt werden, dass in einer zeitlichen
Übergangsphase nach der Neufassung des VVG die Voraussetzungen des § 210 VVG
derart herabzusetzen seien, dass die bloße Handhabung einem Abbedingen
gleichzusetzen sei. Für eine solche Einschränkung in zeitlicher Hinsicht besteht weder
ein Mittel noch eine Veranlassung.
107
4.
108
In jedem Fall ist der Rücktritt der Beklagten vom 21.08.2009 wegen Nichteinhaltung der
Frist des § 21 Abs. 1 VVG unwirksam.
109
a)
110
Zwar hat die Beklagte eigene Kenntnis von dem Vorhandensein von Nachbarbetrieben
erstmals durch die am 21.07.2009 um 15.24 Uhr erfolgte Email-Übersendung des
Besichtigungsberichts der S erlangt (Anlage K 11 = Bl. 152 AK I). Da die
Rücktrittserklärung der Beklagten vom 21.08.2009 (Anlage K 15 = Bl. 165 AK I)
unbestritten den Empfängern noch am selben Tag zugegangen ist, ist die Monatsfrist
nach § 187 BGB auch dann noch eingehalten, wenn man den Beginn des Fristlaufs auf
den 21.07.2009 legt.
111
b)
112
Die Beklagte muss sich jedoch die seitens der S am 16.01.2009 im Rahmen der
Besichtigung erlangten Kenntnisse zurechnen lassen. Bei einem Beginn des Fristlaufs
am 16.01.2009 war die Monatsfrist des § 21 Abs. 1 VVG längst verstrichen, als die
Beklagte am 21.08.2009 den Rücktritt erklärt hat.
113
aa)
114
Die Beklagte muss sich das Wissen der S als ihrer Wissensvertreterin entsprechend §
166 BGB zurechnen lassen.
115
Die Beklagte hat die S damit beauftragt, innerhalb des zu bildenden Konsortiums die
Aufgabe als Führende zu übernehmen. Dies hat sie dadurch zum Ausdruck gebracht,
dass sie mit Email-Schreiben vom 17.12.2008 (Anlage K 7 = Bl. 14 AK I) der
Streithelferin mitgeteilt hat: "Führende ist die Royal". Hierdurch und durch den Nachsatz
"Bitte überlassen Sie uns im 1. Halbjahr 2009 einen Besichtigungsbericht der
Führenden" hat die Beklagte nach den §§ 133, 157 BGB zugleich eine
Bevollmächtigung der S zum Ausdruck gebracht. Hierin liegt eine Außenvollmacht nach
§ 167 Abs. 1 Fall 2 BGB, wobei Dritter wiederum ein Vertreter war. Auf eine
abschließende Bestimmung des Umfangs dieser Vollmacht kommt es hier nicht an, weil
sich die Vollmacht jedenfalls ausdrücklich auf die Durchführung der Besichtigung
bezieht; auch die Beklagte hat erstinstanzlich die Durchführung einer Besichtigung
allein durch den führenden Versicherer als "üblich" bezeichnet.
116
Damit ist die S hinsichtlich der Besichtigung Wissensvertreterin der Beklagten.
Wissensvertreter ist jeder, der dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als Repräsentant des
Geschäftsherrn bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die
dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und ggf. weiterzugeben (vgl.
Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl., § 166 BGB Rz 6). Dies ist hier
der Fall, weil die S seitens der Beklagten damit betraut war, die Besichtigung in eigener
Verantwortung durchzuführen und die dabei anfallenden Informationen zumindest zur
Kenntnis zu nehmen. Deshalb ist das bei der Besichtigung angefallene Wissen der S
nach § 166 Abs. 1 BGB analog der Beklagten zuzurechnen. Da die S – wie ihr
Besichtigungsbericht zeigt – die Nachbarbetriebe zur Kenntnis genommen hat, ist der
Beklagten dieses Wissen um das Vorhandensein von Nachbarbetrieben zuzurechnen.
117
Bei einer Kenntniserlangung der S am 16.01.2009 muss sich die Beklagte ab dem
16.01.2009 so behandeln lassen als läge bei ihr selbst die Kenntnis der
Nachbarbetriebe vor.
118
Daran ändert entgegen der Auffassung der Beklagten auch der Umstand nichts, dass
119
die Beklagte der Streithelferin mit Email-Schreiben vom 17.12.2008 (Anlage K 7 = Bl. 14
AK I) mitgeteilt hatte: "Bitte überlassen Sie uns im 1. Halbjahr 2009 einen
Besichtigungsbericht der Führenden". Dieses Email-Schreiben ist im Zusammenhang
zu sehen mit dem Fax-Schreiben vom 08.12.2008 (Anlage K 5 = Bl. 12 AK I), in dem die
Beklagte eine eigene Besichtigung im 1. Quartal 2009 angekündigt hatte. Die Aufgabe
einer eigenen Besichtigungsabsicht und gerade der Umstand, dass die Übersendung
des Besichtigungsberichtes der S lediglich im 1. Halbjahr 2009 zu erfolgen brauchte,
bringen zum Ausdruck, dass es der Beklagten nunmehr nicht auf eine eigene
Risikoprüfung vor Vertragsschluss ankam. Wenn es der Beklagten allein darum
gegangen wäre, die eigene Besichtigung durch die der S zu ersetzen und im Übrigen an
einer eigenen Risikoprüfung vor Vertragsschluss festzuhalten, wäre die Bemessung der
Vorlagefrist mit einem halben Jahr nicht verständlich. Zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte
Besichtigung und vorvertragliche Risikoprüfung in eigener Verantwortung durchführen
wollte, sollte dies binnen eines Vierteljahres erfolgen. In dem Email-Schreiben liegt
deshalb keine Beschränkung der Außenvollmacht etwa in dem Sinne, dass sich die
Beklagte die tatsächlichen Erkenntnisse der S erst dann zurechnen lassen wollte, wenn
sie den Besichtigungsbericht erhalten, geprüft und gebilligt hatte. Wenn die Beklagte
dies wirklich gewollt hätte, hätte sie dies für den Erklärungsempfänger deutlicher zum
Ausdruck bringen müssen.
bb)
120
Zudem muss sich die Beklagte das Wissen der S um das Vorhandensein von
Nachbarbetrieben auch kraft der vereinbarten "Kenntnis-Klausel" zurechnen lassen.
121
Nach Ziffer 8.1.1. der "Allgemeinen Klauseln für die Feuerversicherung des VDMA" (Bl.
88 AK I) erkennt der Versicherer an, dass ihm alle Umstände bekannt geworden sind,
die im Zeitpunkt der Antragstellung gegeben und für die Übernahme der Gefahr
erheblich waren, es sei denn (Ziffer 8.1.2.), dass die Umstände arglistig verschwiegen
worden sind. Letzteres ist hier jedoch vorliegend – wie unter II 2 b noch darzulegen ist -
nicht gegeben.
122
Die Vereinbarung dieses Klauselwerkes hat die S als führender Versicherer ausweislich
des Versicherungsscheins (Bl. 42 AK I) "gleichzeitig für die beteiligten Gesellschaften"
getroffen, wobei zu letzteren ausweislich des "Verteilungsplans Stand: 01.01.2009" (Bl.
50, 52, 54, 56, 58, 60 und 62 AK I) auch die Beklagte gehört. Die S hat somit
ausdrücklich auch im Namen der Beklagten gehandelt.
123
Die Beklagte hat – wie oben dargestellt - die S als Führende beauftragt und ihr
Außenvollmacht erteilt. Wie das Fax-Schreiben der Beklagten (Anlage K 5 = Bl. 11 AK
1) und der Rahmenvertrag der Beklagten mit der Streithelferin (Anlage B 7 = Bl. 32 AK
1) zeigen, war die Beklagte auch mit der Einbeziehung des "VSMA Wording"
einverstanden; auch nach dem Willen der Beklagten sollten diese Klauselwerke Inhalt
der mit ihr zu schließenden Versicherungsverträge werden. Damit ist die der S erteilte
Vollmacht nach den §§ 133, 157 BGB dahin auszulegen, dass die S bei Ausfertigung
des Versicherungsscheins berechtigt und bevollmächtigt war, das Klauselwerk der
Streithelferin einzubeziehen. Ohne dass es hier auf die weiteren Umstände des
Vertragsschlusses bzw. auf die Tragweite des § 5 VVG ankäme, war jedenfalls die S als
Führende befugt, eine Einigung über die Einbeziehung dieser Klauselwerke
herbeizuführen, die auch die Beklagte mit einschloss. Damit ist Ziffer 8.1.1. Gegenstand
des Vertragsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten geworden.
124
cc)
125
Diese Wissenszurechnung kann die Beklagte auch nicht mit Erfolg mit der Erwägung in
Zweifel ziehen, dass sich der Besichtigungsbericht der S allein auf den Hauptvertrag
bezogen habe, der mit ihr, der Beklagten, erst später habe zustande kommen sollen –
nach ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung habe die Beklagte beabsichtigt, erst
nach Erhalt des Besichtigungsberichts der S über die Frage einer endgültigen Deckung
zu entscheiden - und mit dem die Beklagte nichts zu tun gehabt habe, weil mit ihr allein
ein Vertrag über eine vorläufige Deckung zustande gekommen sei.
126
(1)
127
Dies ist schon nicht zu vereinbaren mit der eigenen Email der Beklagten vom
17.12.2008 (Anlage K 7 = Bl. 14 AK I), in der es heißt, dass Führende die S sei. Hieraus
folgt ohne weiteres, dass sich die Führung der S gerade auch auf das Verhältnis zur
Beklagten bezog. Der in der Senatsverhandlung geäußerte Standpunkt, dass sich die
Führung der S nur auf die weiteren Mitversicherer (B, I) bzw. auf den Fall eines
Zustandekommens einer Hauptversicherung mit der Beklagten bezogen habe, ist mit
dem klaren, selbst gewählten Wortlaut der Email
erkennbar, dass mit der auf die Überlassung des Besichtigungsberichts der S im ersten
Halbjahr 2009 bezogenen Bitte zum Ausdruck gebracht sein könnte, dass keine
Hauptversicherung mit der Beklagten und kein Konsortium unter Einschluss der
Beklagten vorlag. Weder in der vorgenannten Email noch anderweitig in der gesamten
Korrespondenz hat die Beklagte ihren in der Senatsverhandlung vertretenen
Standpunkt, dass sie Ende 2008/Anfang 2009 allein zur Eingehung einer vorläufigen
Deckung bereit gewesen sei und dass sie erst nach Eingang des Besichtigungsberichts
die Frage der endgültigen Deckung habe prüfen wollen, zum Ausdruck gebracht. Da es
für die Beklagte ein Leichtes gewesen wäre, zum Ausdruck zu bringen, dass sie anders
als die Führende und die weiteren Mitversicherer Ende 2008/Anfang 2009 nicht zum
Abschluss einer Hauptversicherung, sondern allein zur Übernahme einer vorläufigen
Deckung bereit gewesen sei, und diese Klarstellung tatsächlich nicht erfolgt ist, bleibt
bei lebensnaher Betrachtung allein die Schlussfolgerung, dass Ende 2008/Anfang 2009
auch der Wille der Beklagten auf das Zustandekommen einer Hauptversicherung ab
dem 01.01.2009 gerichtet war. Hierfür spricht auch, dass die Beklagte keinen eigenen
Versicherungsschein ausgestellt hat (vgl. § 3 Abs. 1 VVG) und auch sonst keine
schriftliche Fixierung des Vertrages vorgenommen hat.
128
Hinzu kommen folgende weitere Umstände:
129
(2)
130
Es ist nicht nur in der ersten Instanz unstreitig gewesen, dass die Beklagte Mitglied
eines aus vier Mitversicherern bestehenden Konsortiums gewesen ist; das Landgericht
hat eine solche, nicht durch einen Tatbestandsberichtigungsantrag der Beklagten
angegriffene Feststellung getroffen. Auch hat die Beklagte selbst in ihrer
Berufungsbegründungsschrift noch vorgetragen, dass der hier in Rede stehende
Versicherungsvertrag zusammen mit den weiteren seitens der Klägerin mit der S als
führendem Versicherer sowie der I und der B als "weiteren Mitversicherern"
geschlossenen Versicherungsverträgen "Teil einer so genannten offenen
Mitversicherung" gewesen sei.
131
(3)
132
Der Umstand, dass die Beklagte dem im Januar 2009 gebildeten Versicherer-
Konsortium nicht angehören wollte, wäre selbst der Führenden verborgen geblieben.
Denn in dem seitens der Führenden unterzeichneten Versicherungsschein vom
29.01./10.02.2009 ist die Beklagte unter ihrer damaligen Firmierung AIG in die
Verteilungspläne (Bl. 50, 52, 54, 56, 58, 60 und 62 AK I) mit einem Anteil von 25 %
aufgenommen worden, und zwar ausdrücklich bezogen auf das Datum des 01.01.2009.
Die Beklagte, die den Versicherungsschein ebenfalls erhalten hat, hat zu keinem
Zeitpunkt geltend gemacht, mit seinem Inhalt nicht einverstanden zu sein.
133
(4)
134
Hinzukommt, dass die Beklagte das Ende des ersten Halbjahrs 2009 hat verstreichen
lassen, ohne von der Streitverkündeten die Übersendung des Besichtigungsberichts der
S abzufordern; dies hätte jedoch nahegelegen, wenn die Beklagte – wie sie in ihrer
Klageerwiderung vorgetragen hat – es von diesem Besichtigungsbericht hätte abhängig
machen wollen, eine vorläufige Deckung zum endgültigen Vertrag erstarken zu lassen,
von der vorläufigen Deckungszusage Abstand zu nehmen, eine höhere Prämie zu
verlangen oder einen Risikoausschluss zu vereinbaren.
135
(5)
136
Auch das weitere eigene Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der im Juli
2009 zustande gekommenen Erweiterung des Versicherungsschutzes belegt, dass die
Beklagte von einer bereits zustande gekommenen Hauptversicherung ausgegangen ist.
137
Denn mit Email-Schreiben vom 22.07.2009 (Anlage K 14 = Bl. 156 AK I) hat die
Streithelferin die Beklagte um Abschluss der angebotenen EC-BU-Versicherung
gebeten, woraufhin die Beklagte am selben Tag geantwortet hat, dass die Deckung "für
unseren Anteil" bestätigt werde (ebenfalls Anlage K 14 = Bl. 156 AK I; gleichlautend
bereits das Email-Schreiben der Beklagten vom 21.07.2009 Anlage K 11 = Bl. 152 AK I).
138
Zwar handelte es sich bei der sog. Extended Coverage Betriebs-Unter-
brechungsversicherung nicht um eine auf die Feuerversicherung oder die Feuer-
Betriebsunterbrechungs-Versicherung bezogene Erweiterung; entscheidend ist jedoch
in dem hier gegebenen Zusammenhang, dass die Beklagte diese Risikoerweiterung zu
einem Zeitpunkt bewilligt hat, zu dem ihr der Besichtigungsbericht der S noch nicht
vorlag. Die Beklagte hat diese
Besichtigungsberichts abhängig gemacht. Dies lässt die Schlussfolgerung darauf zu,
dass dieser Bericht für ihre Bewilligungsentscheidung im Rahmen der
Risikoausweitung nicht erheblich war. Zudem hat sie auch hierbei nicht etwa zum
Ausdruck gebracht, dass sich ihr Einverständnis zur EC-BU-Versicherung etwa allein
auf eine vorläufige Deckung und nicht auf die Hauptversicherung beziehen solle.
139
Dem entspricht auch der Inhalt des Email-Schreibens der Beklagten vom 21.07.2009
(Anlage K 11 = Bl. 152 AK I). Denn dort weist die Beklagte nicht etwa darauf hin, dass
die Vorlage des Besichtigungsberichtes der S nunmehr erforderlich sei, um die
Entscheidung der Frage vorzubereiten, ob eine Hauptversicherung über bislang nur
vorläufig gedeckte Risiken erfolgen soll. Vielmehr hat die Beklagte in diesem Email-
140
Schreiben ausdrücklich allein "bei Gelegenheit" der Vereinbarung zur EC-BU-
Versicherung darum gebeten, "aktuelle Besichtigungsberichte, gerne auch von der
Führenden", zu erhalten. Im Übrigen bringt die auch verwendete Bezeichnung der S als
der "Führenden" zum Ausdruck, dass sich die Beklagte zu diesem Zeitpunkt in einem
Versichererkonsortium unter deren Führung sah, das allein eine Hauptversicherung zum
Gegenstand haben konnte.
Insgesamt spricht deshalb auch das Verhalten der Beklagten im Juli 2009 im
Zusammenhang mit der EC-BU-Versicherung dafür, dass die Beklagte das
Zustandekommen einer Hauptversicherung nicht vom Vorliegen des
Besichtigungsberichtes der S abhängig machen wollte und dass sie selbst im Juli 2009
von dem Vorliegen eines Hauptversicherungsvertrages mit der Klägerin ausging. Ob für
die Zeit bis zur Ausfertigung des Versicherungsscheins am 29.01./10.02.2009 ein
Vertrag zwischen den Parteien über eine vorläufige Deckung zustandegekommen ist,
der dann durch einen (Haupt-)vertrag gemäß Versicherungsschein abgelöst wurde, oder
ob dem Vertrag gemäß Versicherungsschein eine Rückwirkung auf den 01.01.2010
zukam, ist ohne Bedeutung.
141
5.
142
Damit ergibt sich zusammenfassend:
143
Auf die fehlende Anzeige einer Nachbarbebauung kann die Beklagte den Rücktritt nicht
stützen, weil weder eine diesbezügliche Frage im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG
noch eine Belehrung im Sinne des § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG vorliegt. Der Rücktritt ist
zudem nach § 21 Abs. 1 VVG verfristet.
144
Damit erweist sich der Rücktritt der Beklagten insgesamt als unwirksam.
145
II.
146
Die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 25.09.2009 (Anlage B 1 = AK II 1) hat das
Vertragsverhältnis der Parteien nicht nach den §§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB, 22 VVG
beendet.
147
1.
148
Dies folgt jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht daraus, dass sich die
Klägerin das Verhalten ihrer Streithelferin nicht zurechnen lassen müsste.
149
a)
150
Allerdings hat das Landgericht eine Zurechnung nach § 20 VVG zutreffend verneint,
weil sich die Vorschrift allein auf den Rücktritt nach § 19 VVG bezieht (vgl. HK-
VVG/Schimikowski § 20 VVG Rz 1).
151
b)
152
Eine Zurechnung hat jedoch nach § 123 Abs. 2 BGB zu erfolgen.
153
Nach § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung nur dann
154
anfechtbar, wenn der Anfechtungsgegner die Täuschung kannte oder kennen mußte,
sofern es sich bei dem Täuschenden um einen Dritten handelt.
Zwar hat die Beklagte behauptet, dass die Klägerin gewusst habe, dass ihre
Streithelferin die Frage 6 im Besichtigungsbericht vom 18.11.2008 verneint hatte. Die
darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat für eine Kenntnis der Klägerin weder
erstinstanzlich noch in der Berufungsinstanz Beweis angetreten.
Anfechtbarkeit bei Annahme einer Arglist der Streithelferin nur dann in Betracht, wenn
die Streithelferin nicht Dritte i.S.d. § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB ist.
155
Dritter i.S.v. § 123 Abs. 2 BGB ist nur der am Geschäft Unbeteiligte; Dritte können
deshalb nur diejenigen sein, die unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dem Kreis des
Erklärungsempfängers zuzurechnen sind. Kein Dritter ist, wer auf Seiten des
Erklärungsempfängers steht und maßgeblich am Zustandekommen des Vertrages
mitgewirkt hat. Im Zweifel ist der Täuschende als Nichtdritter anzusehen, denn nach
dem Regel-Ausnahme-Prinzip des § 123 Abs. 1 und 2 BGB ist im Regelfall von der
Anfechtbarkeit bei arglistiger Täuschung auszugehen. (Palandt/Ellenberger § 123 BGB
Rz 13; Staudinger/Singer/von Fincken-stein, Neubearbeitung 2004, § 123 BGB Rz 47)
156
Zwar ist ein Makler in der Regel Dritter (Staudinger/Singer/von Finckenstein, a.a.O. Rz
50); dies gilt jedoch nur dann, wenn der Makler uneingeschränkt für beide Seiten des
Geschäfts tätig ist. Nimmt der Makler jedoch nicht die Interessen beider Parteien wahr,
sondern führt die Verhandlungen nur für eine Partei oder ist aufgrund enger
Beziehungen als deren Vertrauensperson anzusehen oder übernimmt Aufgaben, die
typischerweise einer Partei obliegen, so ist der Makler kein Dritter (BGH NJW 1996,
451; BGH NJW 2001, 358; Staudinger/
157
Singer/von Finckenstein a.a.O.)
158
Hier ist die Streithelferin mit der Klägerin durch einen Maklervertrag verbunden, der
unstreitig neben der Vermittlung und Verwaltung von Versicherungsverträgen die
Wahrnehmung der Interessen der Klägerin gegenüber den Versicherern zum Inhalt hat.
Die Klägerin hat der Streithelferin die gesamte Verhandlungsführung gegenüber den
Feuerversicherern übertragen; bei den Verhandlungen im Dezember 2008 ist die
Klägerin überhaupt nicht in Erscheinung getreten; den Versicherungsschein hat die
Streithelferin anstelle der Klägerin (und der Mitversicherungsnehmerin) unterzeichnet.
Die Streithelferin hat Fragen nach Gefahrumständen beantwortet, die typischerweise
vom Versicherungsnehmer zu beantworten sind. Damit stand die Streithelferin bei
wertender Betrachtung im "Lager" der Klägerin (das entspricht dem Selbstverständnis
der Streithelferin, die gemäß dem vorgetragenen Inhalt ihres Internetauftritts
Versicherungsnehmer damit anspricht, dass ihre Unabhängigkeit "vor allem Ihnen
zugute" komme). Der Umstand, dass die Streithelferin mit der Beklagten durch einen
Rahmenvertrag verbunden war und zu ihr eine ständige Geschäftsbeziehung bestand,
rechtfertigt entgegen der Auffassung des Landgerichts keine andere Beurteilung, weil
die Streithelferin hier im Wege der Ausschreibung und nicht auf der Grundlage des
Rahmenvertrages tätig geworden ist. Schließlich kann auch im Hinblick auf die in Ziffer
10.2 der "Allgemeinen Klauseln für die Feuerversicherung des VDMA" nichts anderes
gelten. Zwar gelten danach alle Anzeigen und Erklärungen des Versicherungsnehmers
dem Versicherer als zugegangen, wenn sie der Streithelferin zugegangen sind;
angesichts des rechtsgeschäftlichen Handelns der Streithelferin für die Klägerin kommt
dieser sog. Maklerklausel kein prägendes Gewicht in dem hier gegebenen
159
Zusammenhang zu.
Damit ist die Streithelferin – über die aus dem Maklervertrag folgende
Sachwalterstellung hinaus - bei Vertragsschluss als rechtsgeschäftliche Stellvertreterin
der Klägerin und nicht als neutraler Mittelsmann aufgetreten. Damit ist sie kein Dritter im
Sinne des § 123 Abs. 2 BGB.
160
2.
161
Allerdings kann nicht festgestellt werden, dass die Streithelferin arglistig gehandelt hat.
162
Die arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen
wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder
Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Voraussetzung ist deshalb zunächst, dass
vorsätzliches Handeln vorliegt, d.h. dass bewusst und willentlich auf die Entscheidung
des Versicherers eingewirkt wird. Darüber hinaus gibt es keinen Erfahrungssatz, dass
eine bewusst unrichtige Angabe immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des
Versicherers einzuwirken. Arglist setzt deshalb zusätzlich voraus, dass dem
Täuschenden bewußt ist, dass der Versicherer möglicherweise (bedingter VoStz
genügt) den Antrag gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde, wenn
er die Wahrheit sage (zum Ganzen BGH VersR 2007, 785, 786; BGH VersR 2008, 809).
163
Die Beweislast für alle objektiven und subjektiven Umstände, die die Anfechtung nach §
123 BGB rechtfertigen, trägt der Versicherer (Looschelders, in: Looschleders/Pohlmann
§ 22 VVG Rz 30; Bruck/Möller/Rolfs § 22 Rz 41), hier also die Beklagte. Dazu gehört
nicht nur die Kenntnis der Umstände, sondern auch die Arglist.
164
Allerdings war die Angabe im "Besichtigungsbericht zur Feuer- und
Feuerbetriebsunterbrechungs-Versicherung" vom 18.11.2008 (Anlage B 5 = AK II Bl. 9
sowie Anlage K 1 = AK I Bl. 2) zum Punkt 6, wo nach Betrieben/Läger in der
Nachbarschaft gefragt wurde, falsch. Denn die durch Ankreuzen des Feldes "nein"
gegebene Information war falsch, weil sich in Nachbarschaft zu dem in einem
Industriegebiet gelegenen Betriebsgrundstück der Klägerin in J die Betriebsstätte des
Chemiebetriebes der Fa. X befindet.
165
a)
166
Die Klägerin hat ihre sekundäre Darlegungslast erfüllt, weil sie plausibel dargelegt hat,
wie es zur Falschangabe gekommen ist, ohne dass Arglist vorgelegen hätte.
167
Im Hinblick darauf, dass der Versicherer außerhalb des Geschehensablaufs steht, trifft
den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast. Der Versicherungsnehmer
muss substantiiert und plausibel darlegen, wie und weshalb es zu der Nicht- oder
Falschmitteilung gekommen ist (BGH VersR 2008, 809; BGH VersR 2008, 242). Gelingt
dem Versicherungsnehmer nicht, dies plausibel darzulegen, ist von Arglist auszugehen
(Langheid/Wandt/Müller-Franck § 22 VVG Rz 25). Legt der Versicherungsnehmer die
Gründe plausibel dar, hat der Versicherer diese Gründe sodann zu widerlegen (vgl.
Looschelders, in Looschelders/Pohlmann § 22 VVG Rz 31).
168
Die Klägerin hat tatsächliche Umstände substantiiert und plausibel dargelegt, aus
denen folgt, dass die Falschangabe nicht nur nicht arglistig, sondern auch ohne
169
TäuschungsvoStz gemacht worden ist.
Nach dem Vortrag der Klägerin hatte diese selbst keine Kenntnis davon, dass die Frage
6 mit "nein" beantwortet wurde. Denn die Streithelferin hat danach den
Besichtigungsbericht vom 18.11.2008 der Klägerin nicht zur Verfügung gestellt und nur
der Beklagten übergeben.
170
Des weiteren war es nach dem Vortrag der Klägerin so, dass der für die Streithelferin
tätige Zeuge G2 beim Übertragen seiner vor Ort gemachten Notizen in dem im
Computer gespeicherten Fragebogen irrtümlich einen Haken per Mausklick an die
falsche Stelle gesetzt habe. Denn er habe das Kästchen "ja" markieren wollen und aus
Versehen das Kästchen "nein" angeklickt.
171
Diese Darlegung ist für sich genommen plausibel und substantiiert. Ein Eingabe- bzw.
Schreibfehler stellt für sich ein bloßes Versehen dar, das VoStz und Arglist
gleichermaßen ausschließt. Etwas anders folgt auch nicht aus der von der Beklagten in
Bezug genommenen Entscheidung OLG Saarbrücken VersR 2005, 929, welches
lediglich aus fallbezogenen Gründen eine plausible Darlegung der Gründe für ein
unrichtiges Ankreuzen im Antragsformular verneint hat. Der Umstand, dass die
unrichtige Angabe beim Korrekturlesen nicht aufgefallen ist, ist entgegen der
erstinstanzlichen Auffassung der Beklagten kein Hinweis auf das Vorliegen einer
bloßen Schutzbehauptung, weil der Besichtigungsbericht vom 18.11.2008 nicht frei von
Schreibfehlern ist, die allesamt unkorrigiert geblieben sind.
172
b)
173
Die Beklagte beruft sich zur Widerlegung des Vortrags zum Zustandekommen der
Falschangabe im Besichtigungsbericht nicht auf Zeugen.
174
Sie hat zur Überzeugung des Senats auch nicht durch Indizien bewiesen, dass die
Falschangabe vorsätzlich und arglistig erfolgt ist.
175
aa)
176
Zwar weist die Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass zur Ziffer 6 des
Besichtigungsberichts im Falle einer bejahenden Antwort weitere erläuternde Angaben
zu machen waren, und zwar unter Ziffer 1, die jedoch dort nicht vorhanden sind.
177
Grundsätzlich kann das Fehlen solcher erläuternder Angaben darauf hindeuten, dass
das Markieren des "Nein"-Feldes nicht versehentlich, sondern absichtlich erfolgte.
178
Allerdings verliert dieser Gesichtspunkt entscheidend an Gewicht, wenn man in den
Blick nimmt, dass auch bei der unmittelbar vorangehenden Frage zur Ziffer 5 betreffend
das Vorhandensein von "feuergefährlichen und explosionsgefährlichen Stoffen (ohne
Brennstoffe)" zwar das Kästchen "ja" markiert ist und gleichwohl auch dort die an sich
für diesen Fall zu machenden Angaben zu Ziffer 1 fehlen, wo allein die Rede davon ist,
dass die Ladestationen demnächst in eine LKW-Schleuse und damit entfernt "von
brennbaren Materialien" umgesetzt werden würden; zu den "feuergefährlichen und
explosionsgefährlichen Stoffen" findet sich keine Erläuterung.
179
Inhaltlich fällt ins Gewicht, dass mittels des "ja" zu Frage 5 das Vorhandensein von
180
feuergefährlichen und explosionsgefährlichen Stoffen auf dem Versicherungsgrundstück
angegeben wurde, also Umstände von besonderer Gefahrrelevanz. Es untermauert den
Vortrag der Klägerin, die Verneinung der Frage 6 zum Vorhandensein von
Nachbarbetrieben sei allein irrtümlich erfolgt, wenn zugleich die Frage nach dem
Vorhandensein von feuergefährlichen und explosionsgefährlichen Stoffen bejaht wird.
bb)
181
Entgegen der Meinung der Beklagten kann der Umstand, dass die Streithelferin anderen
Mitversicherern, nicht jedoch der Beklagten, einen Lageplan (Anlage K 2 AK I)
übergeben hat, nicht allein mit dem Vorhandensein von VoStz und Arglist erklärt
werden. Denn es kommt hier ohne weiteres in Betracht, dass das
Nichtzurverfügungstellen eines solchen Lageplanes, welches die benachbarten
Industriebetriebe ausweist, auf anderen Gründen beruht. So hat die Klägerin
substantiiert dargelegt, dass dies hier der Fall ist. Denn die Streithelferin, deren Vortrag
sich die Klägerin insoweit zu Eigen gemacht hat, hat die Nichtübergabe eines
Lageplans an die Beklagte damit erklärt, dass ihre Mitarbeiterin G1 als damalige
Urlaubsvertreterin des für die Ausschreibung zuständigen Mitarbeiters X1 den beiden
von ihr gefertigten Email-Schreiben vom 03.12.2008 – u.a. an die Beklagte - lediglich
vier Pdf-Dateien beigefügt habe, während der Mitarbeiter X1 nach Urlaubsrückkehr den
fünf von ihm erstellten Email-Schreiben vom 08.12.2008 17 Pdf-Dateien beigefügt habe,
u.a. solche mit dem Lageplan. Beide Mitarbeiter hätten nicht gewusst, dass der
Mitarbeiter G2 irrtümlich die Frage 6 des Besichtigungsberichts verneint gehabt habe.
Trifft der für sich genommen plausible Vortrag von Klägerin und Streithelferin zu, beruht
die Nichtübergabe eines Lageplans an die Beklagte auf anderen Gründen als auf VoStz
und Arglist. Die Beklagte hat diesen Vortrag der Klägerin nicht widerlegt oder
entsprechenden Beweis dazu angeboten. Deshalb kann vorliegend daraus, dass die
Streithelferin den anderen Mitversicherern, nicht jedoch der Beklagten, einen Lageplan
übergeben habe, nicht auf ein Handeln mit VoStz und Arglist geschlossen werden.
182
Demgegenüber ist entgegen der Meinung der Klägerin und der Streithelferin der
Umstand, dass die Beklagte mit Schreiben vom 08.12.2008 (Anlage K 5 Seite 3 = Bl. 12
AK I) eine eigene Besichtigung ankündigte, für die Frage eines vorsätzlichen und
arglistigen Handelns ohne Bedeutung. Denn diese Ankündigung folgte der Verneinung
der Frage 6 im Besichtigungsbogen zeitlich nach. Dass die Streithelferin mit einer
Besichtigung durch die Beklagte rechnen musste, hat diese nur pauschal behauptet.
183
cc)
184
Ein durchgreifender Anhaltspunkt für ein vorsätzliches und arglistiges Verhalten der
Streithelferin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer ansonsten drohenden
Versicherungslücke.
185
Zwar weist die Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass die bisherige
Deckung bei dem von der B geführten Versicherungskonsortium nur bis zum 31.12.2008
bestand. Zu Gunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass die Klägerin der
Streithelferin das Mandat erst am 05.11.2008 erteilt hat, so dass das Risiko binnen einer
Zeit von weniger als zwei Monaten (einschließlich Weihnachten) abzudecken war.
Gleichwohl kann aus dem Umstand, dass die Streithelferin erst am 02.12.2008
Ausschreibungsunterlagen der Beklagten übermittelt hat, nicht indiziell darauf
geschlossen werden, dass sich die Streithelferin zur Beschleunigung der Abwicklung
186
gesagt habe, dass die wahrheitsgemäße Beantwortung "zu unnötigen Komplikationen"
führe.
Denn dieser Gesichtspunkt einer zeitlichen Drucksituation verliert dadurch an Gewicht,
dass die Mitversicherer S und I bereit gewesen sind, sich an der offenen
Mitversicherung mit höheren Quoten zu beteiligen. So hat die S mit Email-Schreiben
vom 11.12.2008 (Bl. 301 d.A.) eine Erhöhung der Beteiligungsquote von 35 % auf 45 %
in Aussicht gestellt; auch die I hat mit Email-Schreiben vom 27.11.2008 (Bl. 302 d.A.)
mitgeteilt, "gerne eine höhere Quote als bisher zu zeichnen, sofern sich die Möglichkeit
hierzu ergibt". Weiter verliert der Gesichtspunkt einer auf der Streithelferin lastenden
Drucksituation dadurch an Gewicht, dass die Streithelferin selbst es war, die die
Beklagte mit Email-Schreiben vom 17.12.2008 (Anlage K 7 = Bl. 14 AK I) – also
unmittelbar vor dem Jahresende - darum bat, ihre Beteiligung auf 25 % herabzusetzen,
nachdem die Beklagte mit Email-Schreiben vom 08.12.2008 (Anlage K 5 = Bl. 13 AK I)
noch mitgeteilt hatte, eine Führungsquote von 30 % anzustreben.
187
(dd)
188
Anders als die Beklagte erstinstanzlich gemeint hat, kann aus dem Vortrag der Klägerin,
dass sie den Besichtigungsbericht vom 18.11.2008 der Streithelferin nicht
unterschrieben und seine Richtigkeit nicht gegenüber der Beklagten bestätigt habe,
nicht der Schluss darauf gezogen werden, dass die Klägerin sich nicht darum
gekümmert habe, ob die Streithelferin als ihre Maklerin die Beklagte richtig informiert
habe. Denn nach dem Inhalt des zwischen ihr und der Streithelferin bestehenden
Maklervertrages oblag gerade der Streithelferin die Vermittlung von
Versicherungsverträgen und die Interessenwahrnehmung gegenüber den Versicherern,
so dass es zumindest ebenso naheliegt, dass sich in dem Verhalten der Klägerin
lediglich ausdrückt, dass die Klägerin die Anbahnung des Versicherungsvertrages der
damit von ihr beauftragten Streithelferin als Maklerin überlassen hat.
189
ee)
190
Ebenfalls anders als die Beklagte erstinstanzlich gemeint hat ist der Umstand, dass die
Streithelferin in ihrem Besichtigungsbericht vom 18.11.2008 nicht erwähnt hat, dass ihr
Mitarbeiter N in der Zeit vom 16.05.2008 bis zum 18.11.2008 insgesamt viermal das
Betriebsgelände aufgesucht hat, kein Indiz für ein vorsätzliches und arglistiges
Verhalten der Streithelferin. Denn es ist unbestritten, dass die Streithelferin von dem
Vorhandensein von Nachbarbetrieben am 18.11.2008 Kenntnis hatte; ob sie diese
Kenntnis am 18.11.2008 oder schon vorher erworben hat, ist für den Inhalt des
Besichtigungsberichts und seinen bestimmungsgemäßen Empfänger ohne jede
Bedeutung. Das Weglassen von irrelevanten Details ist kein Indiz für VoStz oder Arglist.
191
ff)
192
Zwar hat die Beklagte zutreffend erstinstanzlich argumentiert, dass eine
Täuschungsabsicht indiziert sein kann, wenn eine belanglose Erkrankung bei
gleichzeitigem Verschweigen einer gravierenden Erkrankung angegeben wird.
Allerdings ist eine vergleichbare Schlussfolgerung vorliegend weder zwingend noch
naheliegend. Denn grundsätzlich kann die "Anzeige von Lappalien" bei Nichtangabe
von gefahrerheblichen Umständen auch auf weiteren Umständen beruhen, so dass
dieser Gesichtspunkt allein in der Zusammenschau mit weiteren Umständen ein
193
indizielles Gewicht haben könnte. Darüber hinaus ist es nicht so, dass sich die
Streithelferin auf die Erwähnung von belanglosen Umständen beschränkt hätte. Denn
zu Ziffer 5 des Besichtigungsberichts vom 18.11.2008 hat die Streithelferin die Frage
nach dem Vorhandensein von "feuergefährlichen und explosionsgefährdeten Stoffen
bejaht. Ein Anhaltspunkt für eine subtile Täuschung durch Erwähnung belangloser
Umstände ist damit nicht gegeben.
gg)
194
Auch unter dem Gesichtspunkt des Auswechselns der Erklärungsversuche seitens der
Geschäftsführung der Streithelferin ergibt sich kein Indiz für ein vorsätzliches und
arglistiges Verhalten der Streithelferin.
195
Zwar ist unstreitig, dass der Geschäftsführer der Streithelferin E am 13.08.2009
gegenüber Mitarbeitern der Beklagten telefonisch erklärt hat "Je nachdem, wo man
steht, sieht man die benachbarten Betriebsgebäude nicht". Ebenso ist unstreitig, dass
der Geschäftsführer E mehrfach erklärt hat, dass der Zeuge G2 das Feld "ja" mit einem
Häkchen versehen habe, welches jedoch beim Ausdrucken in das Antwortfeld "nein"
verrutscht sei.
196
Nach dem Vortrag der Streithelferin (Bl. 286) hat E seine Aussage vom 13.08.2009 nicht
auf die Angabe im Besichtigungsbericht bezogen, den er noch nicht gekannt habe,
sondern auf die von ihm bei einer eigenen Besichtigung nach dem Schadensfall
festgestellten Weitläufigkeit des Betriebsgeländes der Klägerin. Seine weitere Angabe
beruhe darauf, dass der Zeuge G2 zunächst nicht habe sagen können, ob ein
Computerfehler oder ein versehentliches Anklicken vorgelegen habe. Erst später sei ein
Computerfehler ausgeschlossen worden, so dass nur ein irrtümlich falsches Anklicken
als Erklärung bleibe.
197
Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten allein, dass der
Geschäftsführer der Streithelferin zunächst nach – zudem widersprüchlichen -
Ausflüchten gegriffen hat. Auch wenn man mit der Beklagten davon ausgeht, dass in
diesen "Ausweichmanövern" ein "absurdes Versteckspiel" der Streithelferin liege, ergibt
sich für die Frage eines vorsätzlichen und arglistigen Verschweigens der Existenz von
benachbarten Betrieben nur wenig. Denn ein verantwortungsabwehrendes Verhalten,
selbst mit "absurden" Argumenten, lässt für sich genommen allein auf eine von Anfang
an bestehende Bereitschaft schließen, für Folgen eines bestimmten Verhaltens nicht
einstehen zu wollen. Ein Schluss auf ein vorsätzliches und arglistiges Vorverhalten
kann dagegen nur im Zusammenspiel mit anderen Gesichtspunkten gezogen werden.
198
hh)
199
Gleiches gilt für den seitens der Beklagten herangezogenen Gesichtspunkt der
verspäteten Übersendung des Besichtigungsberichts der S. Zwar ist davon
auszugehen, dass zwischen Erhalt und Weiterleitung des Besichtigungsberichts ein
nicht unbeträchtlicher Zeitraum verstrichen ist.
200
Denn die Beklagte hatte mit Email vom 17.12.2008 (Anlage K 7 = AK I Bl. 14)
gegenüber der Streithelferin die Deckung bestätigt und um Überlassung eines
Besichtigungsberichts der Führenden im 1. Halbjahr 2009 gebeten; mit Email-Schreiben
vom 21.07.2009 hat die Beklagte die Streithelferin "noch einmal" um Übersendung
201
"aktueller Besichtigungsberichte, gerne auch von der Führenden" (Anlage K 11 = AK I
Bl. 152) gebeten.
Der Besichtigungsbericht der S vom 16.01.2009 (Anlage K 9 = AK I Bl. 17 ff mit dem dort
Seite 16 = Bl. 32 enthaltenen Hinweis auf "besondere Nachbarschaftsgefahren") war
der Streithelferin bereits Ende Januar/Anfang Februar 2009 zugegangen, während die
Streithelferin die Besichtigungsberichte der S betreffend beide Standorte erst per Email-
Schreiben vom 21.07.2009 (Anlage K 11 = Bl. 152 AK I) an die Beklagte übeSndte.
202
Zwar kommt es grundsätzlich in Betracht, dass das Unterbleiben einer zeitnahen
Übersendung des Besichtigungsberichts ein gewisses Indiz für ein vorsätzliches und
arglistiges Verschweigen der Nachbarbetriebe darstellen und nicht etwa auf einem
bloßen Vergessen oder Versehen beruhen könnte. Diese Möglichkeit eines
absichtsvollen Zurückhaltens relativiert sich jedoch vorliegend deshalb, weil die
Streithelferin am 21.07.2009 das Email-Schreiben der Beklagten von 14.45 Uhr
umgehend mit Email-Schreiben von 15.24 Uhr beantwortete und dabei die
Besichtigungsberichte vorlegte.
203
ii)
204
Soweit die Beklagte erstinstanzlich die Auffassung vertreten hat, dass der Umstand,
dass die Streithelferin mit ihr, der Beklagten, über einen "Rahmenvertrag" (Anlage B 7 =
AK II Bl. 32) verbunden war, die arglistige Täuschung begünstigt habe, weil die
Beklagte keinen Anlass gehabt habe, an den Angaben der Streithelferin aufgrund der
seit längerem andauernden Geschäftsbeziehungen zu zweifeln, so relativiert sich auch
dies durch die zumindest ebenso naheliegende Erwägung, dass gerade eine ständige
Geschäftsbeziehung durch eine arglistige Täuschung eine massive Schädigung würde
hinnehmen müssen.
205
jj)
206
Aus dem Verhalten der Klägerin und der Streithelferin im Zusammenhang mit der
anteiligen Prämienrückerstattung kann nicht auf ein Eingeständnis der Klägerin
hinsichtlich einer vorsätzlichen und arglistigen Falschangabe geschlussfolgert werden.
Zwar hat die Streithelferin mit Email-Schreiben vom 01.10.2009 (Anlage BB 4 = Bl. 437
d.A.) die Beklagte gebeten, die Überweisung auf ihr dort näher bezeichnetes Girokonto
vorzunehmen, nachdem die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 25.09.2009 (Anlage B 1
= AK II 1) die Klägerin um Bekanntgabe einer Kontoverbindung zum Zwecke einer
anteiligen Prämienrückerstattung nach erklärtem Rücktritt gebeten hatte. Dem
Gesamtzusammenhang nach spricht jedoch die Mitteilung einer Kontoverbindung für die
anteilige Prämienrückerstattung seitens der Streithelferin, anders als die Beklagte
erstinstanzlich gemeint hat, keine "Bände" für VoStz und Arglist. Denn die Klägerin hatte
bereits mit Schreiben vom 25.08.2009 (Anlage K 16 = Bl. 167 AK I) den Rücktritt der
Beklagten zurückgewiesen und Zahlung einer Abschlagszahlung von 3.750.000 EUR
verlangt. Damit war auch aus der Sicht der Beklagten klargestellt, dass die Klägerin
gerade nicht von dem Vorliegen einer vorsätzlichen Falschangabe ausging, so dass
weder grundsätzlich noch aus der Sicht der Beklagten aus der Mitteilung der
Kontoverbindung auf ein Eingeständnis eines vorsätzlichen Handelns geschlossen
werden kann. Überdies hatte die Klägerin bereits am 24.09.2009 die hiesige Klage
erhoben.
207
kk)
208
Auch bei einer Gesamtschau aller Indizien und sonstiger Gesichtspunkte hat die
Beklagte den ihr obliegenden Beweis eines arglistigen Handelns der Streithelferin nicht
geführt. Im Gegenteil ergibt eine Gesamtschau der Fallumstände, dass ein arglistiges
Handeln der Streithelferin ausgeschlossen ist.
209
Hierfür spricht schon der Umstand, dass es bereits nach den Arbeitsabläufen bei der
Streithelferin unplausibel ist, dass der Mitarbeiter der Streithelferin G2 absichtsvoll das
Vorhandensein einer Nachbarbebauung verschwiegen haben könnte. Wie sich in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, ist der Mitarbeiter G2 als
(einfacher) Sachbearbeiter bei der Streithelferin tätig; seine Tätigkeit beschränkt sich im
hier gegebenen Zusammenhang in der Aufnahme von Informationen; in den
Vertragsschluss selbst ist er nicht einbezogen. Dass er selbst aus eigenem Antrieb
arglistig getäuscht haben sollte, ist mehr als unwahrscheinlich, weil er selbst dafür
keinerlei Motiv hatte. Dass sich die maßgeblichen Entscheidungsträger der Streithelferin
bei einer solchen von der Beklagten behaupteten arglistigen Täuschung einer
Hilfsperson bedient hätten, ist genauso unwahrscheinlich. Bei einem solchen Vorhaben
der arglistigen Täuschung hätten sich die maßgebenden Personen keine Mitwisser
verschafft, sondern den Fragenkatalog selbst ausgefüllt.
210
Dass er auf Geheiß oder im Einverständnis mit am Vertragsschluss befassten Personen
bei der Streithelferin gehandelt haben könnte, behauptet die Beklagte selbst nicht; dafür
fehlt auch jeglicher Anhaltspunkt. Dies spricht für ein versehentliches Handeln des
Mitarbeiters G2.
211
Maßgeblich kommt folgendes noch hinzu:
212
Das Vorhandensein von Betrieben in der Nachbarschaft eines zu versichernden
Industriebetriebs ist ein denkbar ungeeigneter Gegenstand einer Täuschung. Das
evidente Vorhandensein von Nachbarbetrieben lässt sich mit keinerlei Mittel
verschleiern; die Entdeckung kann nur eine Frage der Zeit und die Nichtentdeckung
reiner Zufall sein. Spätestens bei Eintritt des Versicherungsfalls muss mit einem
Entdecken und folglich einem Entfallen von Deckung gerechnet werden. Deshalb ist
eine solche Täuschung wirtschaftlich sinnlos.
213
Vorliegend kommt hinzu, dass die S als Führende eine Betriebsbesichtigung
durchgeführt hat; es lag auch auf der Hand, dass der führende Versicherer – wer immer
dies auch sein würde – eine Betriebsbesichtigung vornehmen würde. Einem einzelnen
Mitversicherer gleichwohl das Vorhandensein von benachbarten Betrieben zu
verschweigen, ist in doppelter Weise ohne jeden Sinn: Denn zu der oben angeführten
generellen Sinnlosigkeit tritt hinzu, dass der führende Versicherer über alle relevante
Unterlagen und Kenntnisse verfügt, so dass jedermann mit einer Weitergabe,
spätestens im Versicherungsfall, rechnen muss.
214
Auch wenn man mit dem Vortrag der Beklagten auf Seiten der Streithelferin einen
erheblichen Zeitdruck unterstellt, liegt eine Täuschung über das Vorhandensein von
Nachbarbetrieben gänzlich fern, zumal zu Ziffer 5 des Besichtigungsberichtes vom
18.11.2008 das Vorhandensein von feuergefährlichen und explosionsgefährlichen
Stoffen auf dem eigenen Betriebsgrundstück bejaht wurde. Es ist deshalb nicht im
Ansatz einsichtig oder nur nachvollziehbar, dass Zeitdruck zu einer arglistigen
215
Täuschung über das Vorhandensein von Nachbarbetrieben geführt haben könnte.
Überdies zeigt der Umstand, dass die Streithelferin, wie es unbestritten geblieben ist,
fünf Versicherern im Rahmen der Ausschreibung Lagepläne übeSndt hat. Dieser
Umstand belegt, dass es der Streithelferin nicht daran gelegen war, das Vorhandensein
von Nachbarbetrieben generell zu verheimlichen, so dass Arglist überhaupt nur dann in
Betracht kommen könnte, wenn ein Grund dafür ersichtlich wäre, gerade gegenüber der
Beklagten die Nachbarbetriebe zu verschweigen, zumal die Versicherer aus dem Vor-
Konsortium aus dem Vorhandensein von Nachbarbetrieben keine für die Klägerin
nachteiligen Folgen gezogen haben. Ein durchgreifender Grund hierfür ist jedoch nicht
im Ansatz ersichtlich, da die Beklagte jedenfalls nicht der einzig in Betracht kommende
Versicherer gewesen ist.
216
Insgesamt gesehen spricht nichts dafür, dass es der Streithelferin – wie die Beklagte es
sieht – darum gegangen sein könnte, die Beklagte zunächst zu "ködern" und in einen
Vertrag "hinein zu locken" in der Hoffnung, dass die Beklagte an dem Vertrag festhalten
würde, wenn ihr das Vorhandensein von Nachbarbetrieben gewahr werden würde.
217
Die Beklagte hat nach alledem nicht im Wege des Indizienbeweises den Nachweis von
VoStz und Arglist geführt.
218
3.
219
Der Versicherungsvertrag der Parteien ist deshalb nicht aufgrund der
Anfechtungserklärung der Beklagten nichtig.
220
III.
221
Die für eingetretenen Fall, dass der Senat ein Durchgreifen der ausgesprochenen
Gestaltungsrechte nicht annimmt, erhobene Hilfswiderklage ist zulässig, jedoch nicht
begründet. Denn es sind auch solche Gebäude feuerversichert, bei denen Styropor im
Sinne eines Polystyrol-Baustoffes als Dämmmaterial verbaut wurde.
222
1.
223
Allerdings ist im Dezember 2008 ein Versicherungsvertrag mit dem Inhalt, dass nur
solche Gebäude feuerversichert sind, bei denen kein Styropor im Sinne eines
Polystyrol-Baustoffes als Dämmmaterial verbaut wurde, zustande gekommen.
224
a)
225
Ausgangspunkt ist das Schreiben der Streithelferin vom 02.12.2008 (Anlage K 3 = Bl.
AK I), mit dem die Streithelferin die Ausschreibung der Verträge vorgenommen hat. Dies
ist als eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots zu werten (invitatio ad
offerendum).
226
Hierauf hat die Beklagte mit Fax-Schreiben vom 08.12.2008 (Anlage K 5 = Bl. 10 AK I)
geantwortet und dieses als "Prämienofferte" bezeichnet (ebenso dort Seite 3: "das
Angebot"). Die im Faxschreiben der Beklagten an die Streithelferin vom 08.12.2008
(Anlage K 5 = Bl. 12 AK I) zum Ausdruck gekommene Einschränkung dahin, dass das
Angebot nur aufrecht erhalten werden könne, sofern an den Standorten kein Styropor
227
als Dämmung verbaut worden sei, bezieht sich wortlautgemäß nicht auf die zu
gewährende Deckung, sondern auf das unterbreitete Angebot. Dem Wortlaut nach ist
damit eine Bedingung für die Aufrechterhaltung des Angebots zum Ausdruck gebracht
worden. Allerdings zeigt die Ausübung von Gestaltungsrechten durch die Beklagte,
dass sie grundsätzlich von einem wirksamen Versicherungsvertrag ausgeht. Deshalb ist
davon auszugehen, dass die Beklagte auch durch ihr Schreiben vom 08.12.2008 auf die
Vereinbarung eines entsprechenden Risikoausschlusses abzielte, wie er sich aus dem
Rahmenvertrag der Streithelferin mit der Beklagten ergibt. Die Streithelferin konnte die
vorgenannte Einschränkung auch nicht etwa als Bedingung für die Gültigkeit des
Angebots verstehen; sie hat es tatsächlich auch nicht in diesem Sinn verstanden.
Es kann offenbleiben, ob dieses Fax-Schreiben der Beklagten vom 08.12.2008 ein
Angebot (wie die Klägerin meint) oder nur eine invitatio ad offerendum darstellt (wie die
Beklagte meint). Denn wenn das Schreiben der Beklagten vom 08.12.2008 ein Angebot
beinhaltet hätte, wäre dies durch die Email-Schreiben der Streithelferin vom 17.12.2008
10.59 Uhr und 11.00 Uhr (Anlage K 6 = Bl. 13 AK I) nach § 150 Abs. 2 BGB abgelehnt
worden, wobei die Streithelferin mittels dieser Email-Schreiben ein neues Angebot
unterbreitet hätte. Wenn man dagegen das Schreiben der Beklagten vom 08.12.2008
lediglich als invitatio ad offerendum ansieht, läge in den Email-Schreiben der
Streithelferin vom 17.12.2008 das erste Vertragsangebot i.S.d § 145 BGB.
228
Dieses Angebot der Streithelferin hat die Beklagte sodann mit Email-Schreiben vom
17.12.2008 11.41 Uhr (Anlage K 7 = Bl. 14 AK I) angenommen, indem sie die "Deckung
wie beschrieben" bestätigt hat. Entgegen dem Standpunkt der Streithelferin liegt in
diesem Email-Schreiben nicht etwa deshalb ein neues Angebot nach § 150 Abs. 2 BGB,
weil die Beklagte nunmehr bestimmt hat, dass Führende nicht sie, sondern die S sein
sollte. Denn nach dem insoweit nach § 67 ZPO maßgeblichen Vortrag der Klägerin war
es so, dass "inzwischen" also vor Fertigung des Email-Schreibens vom 17.12.2008 -
vereinbart worden ist, dass die Rolle der Führenden von der S übernommen werden
sollte.
229
Das Zustandekommen des Vertrages am 17.12.2008 entspricht dem
übereinstimmenden Vortrag der Parteien (vgl. Vortrag der Klägerin Bl. 115 d.A. sowie
Vortrag der Beklagten Bl. 64 d.A.). Der abweichende Vortrag der Streithelferin (Bl. 297
d.A.) hat nach § 67 ZPO zurückzustehen.
230
b)
231
Sieht man in dem Fax-Schreiben der Beklagten vom 08.12.2008 ein Angebot der
Beklagten – so der Standpunkt der Klägerin - , liegt in dem Email-Schreiben der
Streithelferin vom 17.12.2008 11.59 Uhr (Anlage K 6 = Bl. 13 AK I) die Ablehnung mit
einem modifizierten Angebot. Inhaltlich nimmt dieses Email-Schreiben der Streithelferin
vom 17.12.2008 ausdrücklich Bezug auf das "Angebot" der Beklagten, wobei es sich
dem Zusammenhang nach nur um das Fax-Schreiben der Beklagten vom 08.12.2008
handeln kann. Dies hat zur Folge, dass das Angebot der Streithelferin inhaltlich das
"Angebot" der Beklagten aufnimmt und es hinsichtlich der in den beiden Email-
Schreiben der Streithelferin vom 17.12.2008 genannten Punkten modifiziert. Diese
Modifizierungen betreffen jedoch nicht die Frage der Dämmung; deshalb ist das Email-
Schreiben der Streithelferin vom 17.12.2008 dahin auszulegen, dass im Übrigen –
soweit nicht modifiziert – der Inhalt des Fax-Schreibens der Beklagten vom 08.12.2008
gilt, also auch der Risikoausschluss.
232
Sieht man dagegen erst im Email-Schreiben der Streithelferin vom 17.12.2008 das erste
rechtsgeschäftliche Vertragsangebot – so der Standpunkt der Beklagten - , dann hatte
es durch Bezugnahme auf das "Angebot" der Beklagten (das kann nur deren
Faxschreiben vom 08.12.2008 sein) dieses sowie die Gesichtspunkte aus dem Email-
Schreiben vom 17.12.2008 zum Inhalt. Auch dann ergibt sich, dass das Angebot der
Streithelferin die Vereinbarung einer Risikoausschlussklausel zu Styropor zum
Gegenstand hatte.
233
Der Wille der Beklagten, im Übrigen zu den Bedingungen ihres Fax-Schreibens vom
08.12.2010 zu kontrahieren, zeigt ihr Email-Schreiben vom 17.12.2010 11.41 Uhr
(Anlage K 7 = Bl. 14 AK I), wonach die "sonstigen Eckdaten" aus dem vorbezeichneten
Schreiben Gültigkeit haben sollen. Zu den Eckdaten gehören nicht nur auf das
Zahlenwerk bezogene, sondern sämtliche Regelungspunkte. Im Übrigen ist auch kein
Gesichtspunkt ersichtlich, der die Annahme rechtfertigen könnte, die Beklagte habe ihre
Haltung gegenüber der Verwendung von Styropor als Dämmmaterial nur deshalb
inhaltlich verändert, nur weil Führende nunmehr die S sein sollte.
234
Damit ergibt sich, dass die Parteien im Dezember 2008 eine Einigung getroffen haben,
die die Geltung der Risikoausschlussklausel zum Inhalt hat.
235
2.
236
Jedoch ist der im Dezember 2008 vereinbarte Risikoausschluss, wonach nur solche
Gebäude feuerversichert sind, bei denen kein Styropor im Sinne eines Polystyrol-
Baustoffes als Dämmmaterial verbaut wurde, wieder durch den entgegenstehenden
Inhalt des Versicherungsscheins, der eine entsprechende Risikoausschlussklausel
nicht vorsieht, entfallen.
237
a)
238
Nach § 5 Abs. 1 VVG gilt dann, wenn der Inhalt des Versicherungsscheins von dem
Antrag des Versicherungsnehmers oder den getroffenen Vereinbarungen abweicht, die
Abweichung als genehmigt, wenn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 VVG erfüllt sind
und der Versicherungsnehmer nicht befristet widerspricht.
239
Hier enthält der Versicherungsschein vom 29.01./10.02.2009 (Anlage K 10 = Bl. 42 AK I)
keine Risikoausschlussklausel hinsichtlich Styropor als verwendetem Dämmmaterial.
Dies ist gegenüber einer im Dezember 2008 getroffenen Vereinbarung mit
Risikoausschlussklausel eine für die Klägerin als Versicherungsnehmerin günstige
Abweichung.
240
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt für den
Versicherungsnehmer begünstigende Abweichungen allein § 5 Abs. 1 VVG und nicht §
5 Abs. 2 VVG (für das alte Recht siehe BGH VersR 1989, 395 m.w.N.; weitere
Nachweise bei Prölss/Martin § 5 VVG Rz 7). Denn § 5 Abs. 2 VVG ist eine
Schutzvorschrift zugunsten des Versicherungsnehmers, so dass sich seine Anwendung
auf für den Versicherungsnehmer ungünstige Abweichungen beschränkt. Nach der
Neufassung des VVG kann nichts anderes gelten (so etwa auch HK-
VVG/Brömmelmeyer § 5 VVG Rz 9). Maßgebend ist unverändert, dass kein Grund
ersichtlich ist, dass der Versicherer aus der Verletzung einer Schutzvorschrift zugunsten
241
des Versicherungsnehmers Vorteile herleiten können sollte.
Die in der Literatur zur Neufassung des § 5 VVG vertretenen Auffassungen führen
vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Denn soweit Prölss/Martin (§ 5 VVG Rz 7) bei
Vorliegen den Versicherungsnehmer begünstigenden Abweichungen auch die
Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 VVG verneint, ergibt sich im Ergebnis nichts anderes,
weil in der Zusendung des Versicherungsscheins ein neues Angebot liegt, das der
Versicherungsnehmer jedenfalls durch Prämienzahlung annimmt; für die Vergangenheit
soll nach dieser Auffassung eine Rückwärtsversicherung vorliegen. Das gleiche
Ergebnis ergibt sich bei Zugrundelegung der Auffassung von C.Schneider (in:
Looschelders/Pohlmann § 5 VVG Rz 16), der sowohl Abs. 1 als auch Abs. 2 für
anwendbar erachtet; denn auch er geht (a.a.O. Rz 17) von einem neuen Angebot mit
stillschweigendem Einverständnis kombiniert mit einer Rückwärtsversicherung aus.
Soweit Langheid/Wand/Armbrüster (§ 5 VVG Rz 29) ebenfalls sowohl Abs. 1 als auch
Abs. 2 für anwendbar erachtet, soll nach dieser Auffassung mittels § 242 BGB eine
Korrektur stattfinden, wonach dem Versicherer nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich
auf das Fehlen eines Hinweises nach Abs. 2 zu berufen.
242
b)
243
Entgegen der Auffassung der Beklagten findet § 5 VVG hier nicht deshalb keine
Anwendung, weil es um die Abweichung eines Versicherungsscheins eines anderen
Versicherers von der Vereinbarung der Parteien gehe und sie, die Beklagte, mit diesem
Versicherungsschein – wie sie in der mündlichen Verhandlung vertreten hat – nichts zu
tun habe.
244
aa)
245
Für ihre Auffassung kann die Beklagte das von ihr erstinstanzlich herangezogene Urteil
des OLG Celle r+s 1975, 238 nicht mit Erfolg in Bezug nehmen. Soweit die Beklagte an
diese Entscheidung anknüpfend meint, dass § 5 VVG voraussetze, dass die
Versicherung zunächst bei einem einzigen Versicherer beantragt sei, der die
Beteiligung anderer Versicherer erst in der Police offenlege, so liegt unter der
vorgenannten Voraussetzung ein Anwendungsfall des § 5 VVG vor, ohne dass damit
allerdings der einzige Anwendungsfall des § 5 VVG beschreiben wäre.
246
bb)
247
Der Versicherungsschein vom 29.01./10.02.2009 (Anlage K 10 = Bl. 42 AK I) betrifft das
Versicherungsverhältnis der Parteien, denn die Beklagte ist Mitglied in dem
Versichererkonsortium, dessen Vertragsbeziehung durch diesen Versicherungsschein
geregelt ist. Es ist nicht etwa so, wie die Beklagte meint, dass sie außerhalb dieses
Konsortiums steht und der Versicherungsschein deshalb für ihre Vertragsbeziehung zur
Klägerin ohne Bedeutung ist.
248
Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
249
Wie unter I 4 b aa dargelegt hat die Beklagte die S beauftragt, innerhalb des zu
bildenden Konsortiums die Aufgabe als Führende zu übernehmen und ihr Vollmacht
erteilt. Auch hier kann der Senat die abschließende Bestimmung des Umfangs der
Vollmacht offenlassen, weil jedenfalls nach der VerkehSuffassung – dies stellt die
250
Beklagte auch nicht in Abrede – auch die Erstellung des Versicherungsscheins zum
Aufgabenkreis des Führenden gehört (vgl. auch Schaloske r+s 2010, 279, 280:
"allgemeine Führungsaufgabe" sowie Schaloske VersR 2007, 606, 607: "nahezu
ausnahmslos"). Dies ist im Übrigen auch dadurch belegt, dass die Beklagte, ebenso wie
die weiteren Mitversicherer, davon abgesehen hat, einen eigenen Versicherungsschein
auszustellen.
Wie der Versicherungsschein vom 29.01./10.02.2009 (Anlage K 10 = Bl. 42 AK I) zeigt,
hat die S durch die Formulierung "gleichzeitig für die mitbeteiligten Gesellschaften"
ausdrücklich auch im Namen der Beklagten – dies zeigen die Verteilungspläne Bl. 56,
58, 60 und 62 AK I - gehandelt (vgl. für eine parallele Gestaltung OLG Hamburg VersR
1984, 980).
251
Zwar treffen Ziffer 10.5 der "Allgemeinen Klauseln für die Feuerversicherung des
VDMA" (Bl. 98 AK I) sowie Ziffer 9.5 der "Allgemeinen Klauseln für die Feuer-
Betriebsunterbrechungs-Versicherung des VDMA" (Bl. 140 AK I) Regelungen für den
Fall, "soweit die vertraglichen Grundlagen für die beteiligten Versicherer die gleichen
sind", so dass das Regelungswerk auch abweichende Einzelregelungen mit
Mitversicherern grundsätzlich zulässt. Dies kann jedoch nicht zur grundsätzlichen
Unanwendbarkeit des § 5 Abs. 1 VVG führen. Zwar ist § 5 Abs. 1 bis 3 VVG nach § 18
VVG lediglich halbzwingend, so dass eine Abdingbarkeit nach § 210 VVG grundsätzlich
möglich ist. Für eine solche, auch konkludent, ist jedoch ein Anhaltspunkt nicht
ersichtlich.
252
Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Beklagten, dass die
Risikoausschlussklausel als "getroffene Sondervereinbarung" unberührt bleibe. Denn
es liegt gerade im Wesen des § 5 VVG, dass der Inhalt des Versicherungsscheins
vorangegangenen Sondervereinbarungen vorgeht.
253
Es ist auch nicht erkennbar, dass bei Ausstellung des Versicherungsscheins ein
Vorbehalt hinsichtlich individueller Abreden mit Mitversicherern gemacht werden sollte –
die Ziffern 10.5 und 9.5 befassen sich mit den prozessualen Gesichtspunkten der
Führungsklauseln und nicht etwa damit, dass vorliegend tatsächlich Vereinbarungen mit
einzelnen Mitversicherern geschlossen worden wären - und nur irrtümlich unterblieben
wären. Denn für einen Irrtum der Handelnden über dasjenige, was in den
Versicherungsschein aufzunehmen war, ist nichts ersichtlich. Es ist auch nicht
erkennbar, dass die Klägerin oder die Streithelferin erkannt hätten, dass wirklich etwas
anderes gewollt gewesen wäre (vgl. dazu Prölss/Martin § 5 VVG Rz 9).
254
Dabei ist es ohne Bedeutung, dass der Versicherungsschein, wie die Beklagte vorträgt,
von der Streithelferin erstellt und der S zur Unterschrift zugeleitet worden sein soll.
Entscheidend ist, dass es sich um den Versicherungsschein des führenden
Versicherers handelt. Im Übrigen war auch im Rahmenvertrag, den die Beklagte mit der
Streithelferin abgeschlossen hatte (Anlage B 7 = Bl. 32 AK II) vorgesehen, dass die
Dokumente durch die Streithelferin ausgefertigt werden.
255
Ferner kann der Beklagten nicht darin gefolgt werden, dass § 5 VVG hier deshalb keine
Anwendung fände, weil ein Versicherungsvertrag bereits am 17.12.2008 geschlossen
worden sei. Denn in den Anwendungsbereich des § 5 VVG gehört auch der Fall, dass
der Versicherungsschein von getroffenen Vereinbarungen abweicht, worunter auch fällt,
dass der Vertrag zu einem früheren Zeitpunkt auf andere Weise als durch den
256
Versicherungsschein zustande gekommen ist (Prölss/Martin § 5 VVG Rz 6).
Wie bereits oben unter I 4 b cc im Einzelnen dargelegt, kann die Beklagte nicht mit
Erfolg geltend machen, dass sich der mit ihr am 17.12.2008 zustandegekommene
Versicherungsvertrag allein auf eine vorläufige Deckung bezogen habe, dass sich der
Versicherungsvertrag des Konsortiums auf eine endgültige Deckung bezogen habe und
dass sie selbst die Entscheidung über eine endgültige Deckung bis zur Vorlage des
Besichtigungsbericht der S habe hinausschieben wollen.
257
3.
258
Damit erweist sich die Hilfswiderklage der Beklagten als unbegründet.
259
IV.
260
Da sich die Entscheidung des Senats nicht auf solchen Tatsachenstoff stützt, der
erstmals in den Schriftsätzen der Streithelferin vom 28.10.2010 (Bl. 438 ff d.A.) und der
Klägerin vom 02.11.2010 (Bl. 461 ff d.A.) enthalten ist, bestand keine Veranlassung, der
Beklagten eine Gelegenheit zur Erwiderung einzuräumen.
261
V.
262
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.
263
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Die
für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.
264