Urteil des OLG Hamm vom 25.11.2010

OLG Hamm (entstehung der forderung, entstehung des anspruchs, abtretung, schuldner, gläubiger, forderung, vormerkung, entstehung, zeitpunkt, bedingung)

Oberlandesgericht Hamm, I-27 U 191/09
Datum:
25.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-27 U 191/09
Vorinstanz:
Landgericht Siegen, 5 O 205/09
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 14.10.2009 verkündete
Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwen¬den, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
1
I.
2
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zahlung von 27.003,35€, die dieser aus
der Zwangsversteigerung des im Grundbuch von Z1 Bl. #### eingetragenen
Grundstücks aufgrund materieller Verzichtserklärung der Gläubigerin des Rechts Abt. III
Nr. 3a, der Volksbank E eG, erhalten hat. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts
wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
3
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Der Klägerin stehe der anteilige
Versteigerungserlös zu, da ihr die Rückgewähransprüche vor Insolvenzeröffnung
abgetreten worden seien. Die damit erlangte Rechtsposition der Klägerin sei als
hinreichend gesichert anzusehen. Anfechtungstatbestände lägen nicht vor. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
4
Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Die Klage sei nicht begründet, da
die Abtretung der Rückgewähransprüche zugunsten der Klägerin nicht zu einer
insolvenzbeständigen Rechtsposition geführt habe. Zudem unterliege die Abtretung des
5
Rückgewähranspruchs der Insolvenzanfechtung.
Der Beklagte beantragt,
6
unter Abänderung des am 14.10.2009 verkündeten Urteils des Landgerichts
Siegen die Klage abzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt,
8
die Berufung zurückzuweisen.
9
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie weist insbesondere darauf hin,
durch die Kündigung der Volksbank E eG vom 06.02.2006 sowie durch die
Abtretungsanzeige vom 16.05.2006 und deren Beachtung durch die Volksbank E eG
eine endgültig gesicherte Rechtsposition erlangt zu haben.
10
II.
11
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht der geltend
gemachte Anspruch weder aus § 106 Abs. 1 S. 1 InsO, §§ 1179 a Abs. 1 S. 3, 1192 Abs.
1 BGB noch aus §§ 170 Abs. 1 S. 2, 51 Nr. 1 InsO zu.
12
1. § 106 Abs. 1 S. 1 InsO, §§ 1179 a Abs. 1 S. 3, 1192 Abs. 1 BGB
13
Nach § 106 Abs. 1 S. 1 InsO kann ein Gläubiger Befriedigung aus der Insolvenzmasse
verlangen, wenn und soweit zu seinen Gunsten durch eine Vormerkung der Anspruch
auf Aufhebung eines Rechts gesichert ist. §§ 1179 a Abs. 1 S. 3, 1192 Abs. 1 BGB
bestimmen, dass der Anspruch auf Löschung vorrangiger Grundpfandrechte zugunsten
des Gläubigers einer Grundschuld nach § 1179 a Abs. 1 S. 1 BGB in gleicher Weise
gesichert ist, als wenn eine Vormerkung eingetragen wäre. Auf dieser Grundlage kann
die Klägerin den Klageanspruch nicht herleiten, da zu ihren Gunsten bis zur
Insolvenzeröffnung keine Vormerkung entstanden war. Das beruht auf folgenden
Erwägungen:
14
§ 1179 a Abs. 1 S. 3 BGB ist eine Rechtsgrundverweisung und nicht eine bloße
Rechtsfolgenverweisung zu §§ 883 ff. BGB. Deshalb hätten die Voraussetzungen des §
883 Abs. 1 BGB gegeben sein müssen.
15
§ 883 Abs. 1 S. 1 BGB setzt einen Anspruch auf Aufhebung eines Grundstücksrechtes
voraus. Ein entsprechender Löschungsanspruch ergibt sich nach § 1179 Abs. 1 S. 1
BGB, wenn sich Eigentum und Grundschuld in einer Person vereinen. Diese
Voraussetzung ist gemäß §§ 1192 Abs. 1, 1168 Abs. 1, 2 BGB erst nach der
Insolvenzeröffnung eingetreten, da die Volksbank durch Erklärung vom 21.10.2008 auf
die zu ihren Gunsten eingetragene Grundschuld verzichtete. In diesem Zeitpunkt konnte
die Klägerin aber keine Rechte an der Insolvenzmasse mehr erwerben (§ 91 InsO).
16
§ 883 Abs. 1 S. 2 1. Fall BGB findet Anwendung, wenn eine Vormerkung zukünftige
Ansprüche absichert. Das setzt voraus, dass der zukünftige Anspruch eine feste, seine
Gestaltung bestimmende Grundlage hat. Das ist zu verneinen, wenn der Schuldner
selbst oder im Zusammenwirken mit Dritten darüber bestimmt, ob der Anspruch entsteht.
Im Rahmen von §§ 1192 Abs. 1, 1179 a BGB bestimmt der Schuldner zusammen mit
17
dem vorrangig gesicherten Grundschuldgläubiger darüber, ob der Löschungsanspruch –
mittelbar - entsteht, indem die durch die Sicherungsabrede gesicherte Forderung erlischt
und nicht durch andere Forderungen ersetzt wird. Der Löschungsanspruch hat deshalb
keine sichere Grundlage und ist nicht vormerkungsfähig.
Die Kündigung des Kreditengagements durch die Volksbank am 06.02.2006 ändert
nichts daran, dass zugunsten der Klägerin keine sichere Grundlage geschaffen wurde.
Die Volksbank und der Schuldner hätten nach Belieben die Sicherungsabrede
erweitern können. Dass ggf. die Volksbank von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch
gemacht hätte, verschafft der Klägerin keine Rechtsposition, die vormerkungsfähig ist.
18
Schließlich verschafft die Abtretungsanzeige und deren Vormerkung durch die
Volksbank der Klägerin ebenfalls keine sichere Rechtsposition, da die
Abtretungsanzeige die Volksbank nicht daran hinderte, die Sicherungsabrede zu
modifizieren. So weist die Volksbank im Schreiben vom 24.05.2006 ausdrücklich darauf
hin, dass die Grundschuld auch der Absicherung zukünftiger Ansprüche dient.
19
2. §§ 170 Abs. 1 S. 2, 51 Nr. 1 InsO
20
Nach § 170 Abs. 1 S. 2 InsO ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, aus der Verwertung
eines Gegenstandes, an dem ein Absonderungsrecht besteht, den absonder-
ungsberechtigten Gläubiger zu befriedigen. Gemäß § 51 Nr. 1 InsO sind die Gläubiger
absonderungsberechtigt, denen der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs ein
Recht übertragen hat. Ein solches Absonderungsrecht zugunsten der Klägerin ist durch
die Abtretung des Löschungsanspruches des Schuldners nicht begründet worden. Die
Abtretung schuf zugunsten der Klägerin keine sichere und damit insolvenzbeständige
Grundlage. Eine solche entstand erst nach Insolvenzeröffnung. Dem Erwerb eines
Absonderungsrechtes zu diesem Zeitpunkt steht aber § 91 InsO entgegen. Das beruht
auf folgenden Erwägungen:
21
a)
22
Der sich aus der Sicherungsabrede zur Grundschuldbestellung ergebende Anspruch
auf Rückgewähr der Grundschuld durch Abtretung, Verzicht oder Löschung ist ein
aufschiebend bedingter schuldrechtlicher Anspruch in Form einer Wahlschuld (§ 262
BGB). Bedingung ist der Wegfall des Sicherungszwecks. Als aufschiebend bedingter
Anspruch entsteht die Forderung nicht zukünftig, sondern ist bereits existent, wenn auch
noch nicht endgültig, sondern in Abhängigkeit von einer rechtsgeschäftlich vereinbarten
Voraussetzung. Während des Schwebezustands ist der Forderungsinhaber deshalb in
der Regel über § 161 BGB geschützt, und zwar grundsätzlich ebenfalls in einem
insolvenzrechtlichen Sinn. Das ergibt sich aus § 161 Abs. 1 S. 2 BGB, der dem
Insolvenzverwalter Verfügungen untersagt, die den Eintritt der Bedingung vereiteln.
23
b)
24
Daraus folgt, anders als bei künftigen Forderungen, dass die Insolvenzeröffnung dem
endgültigen Erwerb einer aufschiebend bedingten Forderung nicht entgegensteht. Die
Bedingung darf nach Insolvenzeröffnung eintreten. Die Anfechtbarkeit der
Sicherheitenstellung richtet sich nicht nach dem Zeitpunkt des Bedingungseintritts,
sondern nach dem der Abtretung. Anfechtungstatbestände sind bezogen auf den
08.01.2004 als Zeitpunkt der Abtretung nicht erkennbar. Selbst wenn die Abtretung als
25
inkongruent bewertet würde, reicht das allein für § 133 Abs. 1 InsO nicht.
c)
26
Diese Erwägungen finden in der vorliegenden Fallgestaltung jedoch keine Anwendung,
obwohl der BGH (NJW 1977, 247) die allgemein für bedingte Ansprüche geltenden
Grundsätze auf die Abtretung eines Grundschuld-Rückgewährsanspruchs angewandt
hat. Denn das setzt – im Gegensatz zur genannten Entscheidung des BGH - voraus,
dass zugunsten des Gläubigers eine sichere Rechtsposition geschaffen wird, die dem
Schutz des § 161 BGB unterfällt. An einer entsprechend sicheren und damit
insolvenzbeständigen Rechtsposition fehlt es, wenn nach der übereinstimmenden
Vorstellung von Schuldner und Gläubiger die endgültige Entstehung des Anspruchs von
einem beliebigen Verhalten des Schuldners und eines Dritten abhängig ist. Im Fall der
Abtretung des Grundschuld-Rückgewähranspruchs hat der Gläubiger keinen Einfluss
darauf, ob der Schuldner im Zusammenwirken mit den vorrangigen
Grundpfandrechtsgläubigern die Sicherungsabrede verändert oder ergänzt. Das ist dem
Gläubiger bewusst. § 161 BGB bietet keinen Schutz. Entfällt der Schutz des § 161 BGB,
besteht keine Rechtfertigung, die durch Abtretung erlangte Rechtsposition im
Insolvenzverfahren zu bevorzugen (s. BGH NJW 2006, 2408 Rz. 20).
27
d)
28
Damit ist in dieser besonderen Konstellation ein bedingter Anspruch wie ein zukünftiger
Anspruch zu behandeln. Das ist gerechtfertigt, weil der bedingte Grundschuld-
Rückgewähranspruch keine andere Qualität hat, als der zukünftige Löschungsanspruch
aus § 1179 a Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Ansprüche unterscheiden sich allein dadurch,
dass die Bedingung auf einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung und die zukünftige
Entstehung auf dem Gesetz beruht. Der formaljuristische Unterschied bietet keine
Grundlage für die im Insolvenzrecht mit einem bedingten Anspruch verbundenen
materiellen Konsequenzen.
29
e)
30
Diese Annahme steht nicht in Widerspruch zu § 161 BGB. Diese Vorschrift kann durch
Rechtsgeschäft abbedungen werden. Wer eine aufschiebend bedingte Forderung
erwirbt, die in ihrer endgültigen Entstehung vom Verhalten des Schuldners und eines
Dritten abhängig ist, weiß um seine ungesicherte Rechtsposition und verzichtet damit
(konkludent) auf ein Verhalten des Schuldners, das die endgültige Entstehung der
Forderung fördert. Dementsprechend kann in der Insolvenz des Schuldners nicht ein
Mehr verlangt werden.
31
f)
32
Es besteht kein Widerspruch zu § 883 Abs. 1 S. 2 2. Fall BGB. Denn bedingte
Ansprüchen sind ebenfalls nur dann vormerkungsfähig, wenn bereits eine feste, die
Gestaltung des Anspruchs bestimmende Grundlage vorhanden ist (BGH NJW 2002,
2461 Rz. 10).
33
g)
34
Es besteht kein Widerspruch zu § 140 Abs. 1 InsO. Für die Bestimmung des
35
Zeitpunktes, in dem eine Rechtshandlung vorgenommen wurde, ist darauf abzustellen,
wann der Anfechtungsgegner eine gesicherte Rechtsposition erlangt. Das ist der Fall,
wenn die Rechtsposition nicht mehr entziehbar ist und ihr Eintritt nicht von der freien
Entscheidung des Schuldners oder eines Dritten abhängt (BGH NJW-RR 2009, 340 Rz.
12).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
36
Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
37
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls nach § 546 Abs. 2 ZPO
die Revision zugelassen. Der Senat weicht in Übereinstimmung mit OLG Celle ZIP
2010, 1407 von der Entscheidung des BGH in NJW 1977, 247 ab.
38