Urteil des OLG Hamm vom 02.11.2010

OLG Hamm (gesetzliche grundlage, bezug, anordnung, verhandlung, gesetz, daten, sicherung, antrag, beschwerde, durchsuchung)

Oberlandesgericht Hamm, I-4 W 119/10
Datum:
02.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-4 W 119/10
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, I-8 O 393/10
Normen:
UrhG § 101 Abs. 1, 10
Tenor:
wird die Beschwerde der Antragstellerin vom 07.10.2010 gegen den
Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom
03.09.2010 zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000,- € festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Das Landgericht hat
ihren Antrag, der auf die Speicherung von IP-Adressen und Verbindungszeitpunkten
(Verkehrsdaten) gerichtet ist, die der Beteiligten in Bezug auf Aufnahmen der Künstler
"The Disco Boys" mit Bezug auf eine künftige Verletzungshandlung mitgeteilt werden,
zu Recht zurückgewiesen.
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Abgesehen davon, dass schon die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nötige
Dringlichkeit nach §§ 101 IX UrhG, 49 FamFG insofern zweifelhaft ist, als nicht glaubhaft
gemacht ist, ob und inwieweit kurzfristig wieder entsprechende Verletzungen der
streitgegenständlichen Rechte zu besorgen sind, besteht für das Antragsbegehren der
Antragstellerin in der Sache keine gesetzliche Grundlage. Die Antragstellerin greift im
Kern die Löschungspraxis der Beteiligten an. Gefordert ist bereits im Vorfeld einer
gerichtlichen Auskunfts- und Sicherungsanordnung nach §§ 101 II, IX UrhG eine
Speicherung der fraglichen Verkehrsdaten zur Vorbereitung und zur Ausfüllung einer
solchen Anordnung. Voraussetzung für die begehrte richterliche Anordnung ist
allerdings die Feststellung einer offensichtlichen Rechtsverletzung des Urheberrechts in
einem gewerblichen Ausmaß, wie sie auch bereits der Anordnung des Landgerichts
vom 21.07.2010 zugrunde gelegen hat. Eine solche Verletzung kann in Bezug auf
künftige Verstöße keineswegs in vorwegnehmender Weise schon als gegeben bejaht
werden. Die Antragstellerin begehrt vorliegend nicht eine Sicherung der Verkehrsdaten
nach bereits festgestellten Verstößen auf der Grundlage entsprechend ermittelter IP-
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nach bereits festgestellten Verstößen auf der Grundlage entsprechend ermittelter IP-
Adressen (wie dies etwa auch in der Senatsentscheidung vom 18.05.2010, Az. 4 W
40/10, der Fall war), sondern – wenn auch wegen vorheriger Verstöße gewissermaßen
anlassbezogen - bereits zuvor im Hinblick auf erst zukünftige und erwartete
Rechtsverletzungen in Bezug auf bestimmte Tonaufnahmen, um so Löschungen
prophylaktisch zu verhindern. Eine solche Art von Vorratsspeicherung ist vom Gesetz,
auch vor dem Hintergrund, dass die Verkehrsdaten nach §§ 96 II, 97 III TKG
grundsätzlich zu löschen sind, nicht vorgesehen, und kann vom Gericht unter weiterer
Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses und des Datenschutzrechts auch nicht
begründet werden. Es besteht nach der gesetzlichen Regelung kein Anspruch auf
Speicherung von Verkehrsdaten quasi "auf Zuruf". Das Gesetz regelt einen
Auskunftsanspruch, nicht jedoch einen Anspruch auf eine den Anspruch erst
ermöglichende Sicherung (OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.11.2009, Az. 11 W 41/09;
Beschl. v. 17.11.2009, Az. 11 W 54/09 = GRUR-RR 2010, 91; s.a. Maaßen, MMR 2009,
511, 515). Ein anderes rechtfertigt auch nicht die Erwägung, dass das Verfahren gemäß
§ 101 IX UrhG bei kurzzeitiger Löschung sinnentleert würde; denn es obliegt insoweit
zunächst dem Gesetzgeber, gegebenenfalls solche erweiterten Eingriffe und die
Speichernotwendigkeiten und –modalitäten näher zu regeln. Ein Löschungsverbot in
Bezug auf die in Rede stehenden Verkehrsdaten zu dem Zweck, auf dieser Grundlage
dann erst ein Gestattungsverfahren nach § 101 IX UrhG durchzuführen, ist im Gesetz mit
den betreffenden grundrechtsrelevanten Einschränkungen nicht vorgesehen. Ebenso
wenig berechtigt und verpflichtet ein zwischen den Parteien bestehendes gesetzliches
Schuldverhältnis aus § 101 II UrhG eine Sicherungsverpflichtung in Bezug auf erst
zukünftige Rechtsverletzungen, schon deshalb, weil ein mutmaßlicher Rechtsverletzer
noch nicht konkretisiert ist und eine Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen insofern noch
nicht möglich ist. Dies verhält sich im Kern wiederum auch anders als in dem vom OLG
Hamburg entschiedenen Fall (Urt. v. 17. 02.2010, Az. 5 U 60/09), in dem der Provider
bereits auf den konkreten Verbindungsvorgang hingewiesen, ein mutmaßlicher
Rechtsverletzer konkretisiert und vorbeugend das weitere Vorhalten der Daten begehrt
war. Das Dilemma, in dem der Rechteinhaber stecken mag, weil die fraglichen Daten
bereits gelöscht werden, bevor die richterliche Anordnung greifen kann, so dass der
Auskunftsanspruch ins Leere zu gehen droht, kann von Seiten des Gerichts nicht unter
Zurückstellung der Vorgaben des Gesetzes und des Bundesverfassungsgerichts (NJW
2008, 822 – Online-Durchsuchung; MMR 2008, 303 – Vorratsdatenspeicherung; MMR
2009, 29; NJW 2010, 833) im Sinne der Antragstellerin aufgelöst werden (s. krit. auch
Wimmers, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl, 2010, § 101 Rn. 112 a).
Eine mündliche Verhandlung vor dem Senat war nicht geboten. An den Antrag zu Ziff. 4
gemäß Beschwerdeschrift vom 07.10.2010, nicht ohne mündliche Verhandlung zu
entscheiden, ist der Senat nicht gebunden. Die Antragstellerin hat ihr Antragsbegehren
im Detail vorgetragen. Sie begehrt gerade auch eine vorläufige Eilentscheidung, die
eine mündliche Verhandlung nicht erfordert. Ein sachlicher Grund für die Notwendigkeit
einer weitaus späteren mündlichen Verhandlung ist im Übrigen auch nicht vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
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