Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (unterkunft und verpflegung, ehemann, selbstbehalt, unterhaltspflicht, kind, einkommen, leistungsfähigkeit, erfüllung, arbeitskraft, versorgung)

Oberlandesgericht Hamm, 1 WF 354/79
Datum:
19.09.1979
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 WF 354/79
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 34 F 590/79
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.
Gründe:
1
Die gem. § 127 ZPO zulässige Beschwerde bleibt erfolglos. Das Amtsgericht hat der
Antragstellerin das Armenrecht für die Unterhaltsabänderungsklage zu Recht
verweigert. Diese verspricht im Sinne des § 114 ZPO keine Aussicht auf Erfolg.
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Die Antragstellerin hält sich nicht länger für verpflichtet, die Unterhaltsrente von
monatlich 130,- DM an den Antragsgegner ihr fünf Jahre altes Kind aus ihrer
geschiedenen Ehe, zu entrichten. Zur Begründung führt sie an, sie sei inzwischen
wiederverheiratet und habe in der neuen Ehe die Rolle des haushaltsführenden Teils
übernommen. Dieser Umstand führt, wie das Amtsgericht zu Recht feststellt, nicht zum
Erlöschen der Unterhaltspflicht der Antragstellerin.
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Die Antragstellerin ist ihrem minderjährigen Kind nach § 1601, § 1610 Abs. 3 BGB
mindestens in Höhe des Regelbedarfs eines nichtehelichen Kindes unterhaltspflichtig.
Die Grenze ihrer Verpflichtung liegt nach § 1603 BGB in ihrer Leistungsfähigkeit, die
jedoch gem. § 1603 II BGB gegenüber dem minderjährigen Kind erhöht ist. Die
Antragstellerin ist danach gehalten, zur Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht ihre Arbeitskraft
bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit auszunutzen.
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Dieser Verpflichtung kann sich die Antragstellerin nicht durch die Wahl der Rolle des
haushaltsführenden Ehegatten in ihrer neuen Ehe entziehen. Diese in § 1356 BGB
eingeräumte Möglichkeit darf nur innerhalb der Grenzen der geltenden Gesetze
ausgeübt werden. Dazu rechnet auch § 1603 Abs. 2 BGB, der der Antragstellerin
uneingeschränkt den Einsatz ihrer Arbeitskraft zur Deckung des Lebensunterhalts ihres
minderjährigen Kindes gebietet. Weitergehende Rechte ergeben sich deshalb auch
nicht aus Art. 2 GG. Im übrigen entfällt die Zulässigkeit der von der Klägerin getroffenen
Wahl auch deshalb, weil sowohl ihr als auch ihren neuen Ehemann das Vorhandensein
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des unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindes bei der Eheschließung bekannt war.
Die neue Ehe ist deshalb von vornherein mit der "Unterhaltshypothek" der Klägerin
belastet. Diese schränkte die Wahlmöglichkeit der Klägerin bei der Rollenverteilung in
der neuen Ehe ein. Sie durfte daher ... ihre Berufstätigkeit nicht einfach einstellen und
sich ausschließlich der Versorgung des neuen Ehemanns widmen Tut sie dies
gleichwohl, muß sie sich so behandeln lassen, als würde sie ihrer Arbeitspflicht
nachkommen und Einkommen erzielen (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 78, 724; KG FamRZ
78, 726; OLG Hamm vom 12.4.1978 - 5 UF 30/78 -).
Etwas anderes mag allerdings dann gelten, wenn aus der neuen Ehe ein Kinder
hervorgegangen ist, das ein Anrecht auf Betreuung und Versorgung durch die
Antragstellerin hat.
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Soweit die Antragstellerin darauf hinweist, bei Annahme einer Halbtagsarbeit verbliebe
ihr bei Unterhaltsleistung an den Antragsgegner nicht der Selbstbehalt, kann sie dieses
Argument ebenfalls nicht von ihrer Unterhaltspflicht befreien. Bis zu ihrer freiwilligen
Kündigung des Arbeitsverhältnisses hat sie Ganztags gearbeitet und monatlich netto
940,- DM verdient. Grundsätzlich ist sie gem. §§ 1601, 1603 Abs. 2 BGB verpflichtet, so
viel zu verdienen, daß ihr die Unterhaltsleistung möglich ist. Gegebenenfalls muß sie
deshalb auch Ganztags arbeiten, wenn sie Wert auf einen für sie verbleibenden Betrag
von 650,- DM liegt.
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Abgesehen davon gilt aber folgendes:
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Das fiktive Einkommen der Antragstellerin ist in der Tat nicht uneingeschränkt als
Unterhalt an den Antragsgegner auszukehren. Der Antragstellerin muß innerhalb der
Grenzen der obigen Ausführungen der notwendige Selbstbehalt von 650,- DM
verbleiben. Ihr steht jedoch außer dem fiktiven Arbeitseinkommen noch ein
Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann zu. Dieser vermindert sich zwar wegen ...
ihres eigenen - fiktiven - Einkommens, welches auf denselben anzurechnen ist. Bei der
unter Anwendung der Düsseldorfer Tabelle bzw. der Hammer Leitlinien
vorzunehmenden Berechnung verbleibt der Antragstellerin jedoch bei Erfüllung der
Unterhaltspflicht von nur 130,- DM voraussichtlich der Selbstbehalt. Davon kann
jedenfalls innerhalb der summarischen Prüfung des Armenrechtsverfahrens
ausgegangen werden.
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Bedenken bestehen gegen die hier vertretene Ansicht nicht deshalb, weil die Klägerin
möglicherweise nicht verpflichtet ist, aus ihrem Unterhaltsanspruch gegen ihren
Ehemann Leistungen an den Antragsgegner zu erbringen. Dies folgt schon daraus, daß
ihr während des Zusammenlebens mit ihrem Ehemann gem. § 1360a II BGB ein
Geldanspruch, aus dem Unterhalt geleistet werden könnte, nicht zusteht (zu dieser
Frage vgl. OLG Hamm Beschluß vom 20.10.1977 - 3 WF 269/77 - a.A. OLG Düsseldorf
Urteil vom 09.01.1978 - 2 UF 315/77 -). Gleichwohl mindert sich dieBedürftigkeit der
Klägerin um eben diesen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann. Der volle
Selbstbehalt von 650,- DM brauch ihr daher, wenn der Ehemann für Unterkunft und
Verpflegung aufkommt, nicht zu verbleiben. Selbst aus dem fiktiven Einkommen einer
Halbtagsarbeit kann daher die Klägerin den Unterhaltsanspruch des Beklagten im
Ergebnis befriedigen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 118 a IV BGB analog.
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