Urteil des OLG Hamm vom 15.11.2010

OLG Hamm (schule, deutschland, aufenthalt im ausland, wohl des kindes, griechenland, eltern, lebensmittelpunkt, ausland, bundesrepublik deutschland, sommer)

Oberlandesgericht Hamm, 8 WF 240/10
Datum:
15.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 WF 240/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Steinfurt, 29 F 365/10
Tenor:
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den am 03.09.2010
verkündeten Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Steinfurt
wird zurückgewiesen.
Dem Kindesvater wird im Wege der einstweiligen Anordnung das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder D T1, geboren am
18.08.1999, sowie M T1, geboren am 06.03.2001, übertragen.
Die vom Amtsgericht in dem am 03.09.2010 verkündeten Beschluss
getroffenen Anordnungen betreffend das Ausreiseverbot der beiden
vorgenannten Kinder (Abs. 3 des Tenors der Entscheidung) werden
aufgehoben.
Diese einstweilige Anordnung tritt bei Wirksamwerden einer
anderweitigen Regelung außer Kraft.
Es verbleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht
erstattet.
G r ü n d e:
1
I.
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Die Beteiligten zu 1) und 2) lebten von 1999 bis November 2003 in einer nichtehelichen
Lebensgemeinschaft in N zusammen, aus der die am 18.08.1999 geborene D und der
am 06.03.2001 geborene M hervorgingen. Für beide Kinder haben die Beteiligten zu 1)
und 2) gemeinsame Sorgeerklärungen gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben.
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Die Beteiligten trennten sich im November 2003 und die Kinder blieben bei der
Kindesmutter. Es fanden wöchentliche Besuchskontakte an den Wochenenden beim
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Kindesvater statt, der im Jahr 2008 nach T-C verzog.
Die Kindesmutter war in Deutschland bis zum 15.11.2010 als Rechtsanwältin
zugelassen und arbeitete seit Januar 2010 "juristisch, mediatorisch und
vertragsverhandelnd" in "verschiedenen ausländischen Unternehmen", u.a. für die
Firma F mit Hauptsitz in J. Ab Juli 2010 unterbrach sie diese Tätigkeit, weil sie zunächst
erkrankte und sich ab September 2010 wieder in Deutschland aufhielt.
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Die Kindesmutter hat seit Anfang 2008 einen Lebensgefährten, K X, der von Beruf
Ingenieur ist und verschiedene Unternehmen im Bereich regenerative Energien betreibt.
Aus der Beziehung ging die im Juni 2009 geborene F1 K hervor.
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Der Kindesvater ist gelernter Diplom-Betriebswirt und Inhaber einer Firma, die
verschiedene Wohnimmobilien besitzt und Wohnungen verwaltet. Darüber hinaus ist er
hälftiger Anteilseigner der A. & A. L GmbH + D.KG. Für die Firmen ist er ungefähr eine
Stunde pro Tag tätig. Der Kindesvater lebt in unmittelbarer Nähe zu seinen Eltern in
einem eigenen Haus.
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Zwischen den Beteiligten zu 1) und 2) war bereits in 2009 ein Sorgerechtsverfahren
beim Amtsgericht N anhängig (39 F 73/09), das der Kindesvater eingeleitet hatte, weil er
befürchtete, dass die Kindesmutter mit den Kindern nach N auswandern wolle. Dieses
Verfahren erklärten der Beteiligte zu 2) am 31.08.2009 und die Beteiligte zu 1) am
02.11.2009 für erledigt.
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Die Kindeseltern trafen im Dezember 2009 gemeinsam die Entscheidung, die Kinder ab
Januar 2010 aus den Schulen abzumelden. Zur Begründung gaben sie an, die
Kindesmutter werde aufgrund einer neuen beruflichen Situation ihren Lebensmittelpunkt
mit den Kindern ins Ausland verlegen. Der genaue weitere Inhalt der Vereinbarung ist
zwischen den Beteiligten streitig.
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Die Kindesmutter begab sich mit den Kindern und ihrem Lebensgefährten im Januar
2010 auf eine mehrmonatige Reise, die sie zunächst den Rhein entlang, über die
Schweiz, nach Mailand, Pisa, Rom, Pompeji und schließlich bis nach Sizilien führte.
Dort wechselte die Familie auf ein Segelboot, mit dem sie durch das Mittelmeer fuhr.
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D besuchte den Kindesvater vom 04.06.2010 bis 29.07.2010, M besuchte den
Kindesvater vom 22.07.2010 bis 28.08.2010.
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Im Juli 2010 gab es mehrfach Email-Kontakt zwischen den Kindeseltern. Der
Kindesvater meldete die Kinder auf Schulen in C an. Dem widersprach die Kindesmutter
gegenüber dem Kindesvater und gegenüber den Schulen ausdrücklich. Am 28.07.2010
übersandte die Kindesmutter dem Kindesvater einen "Bildungsentwurf" ab Sommer
2010, in dem sie für beide Kinder "unter Berücksichtigung der jeweiligen Lehrpläne"
zum Sommer 2011 den "Bildungsstand Ende 5. Klasse" erreichen wollte und zwar
"mittels Internetschule und/oder eigens angeschafften Lehrmaterialien, Einschaltung
von Privatlehrkörpern, Fremdsprachenschulen".
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Am 19.08.2010 leitete der Kindesvater das vorliegende einstweilige
Anordnungsverfahren ein, in dem er Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
auf sich begehrt und ein vorläufiges Verbot an die Kindesmutter, den Lebensmittelpunkt
der Kinder in eine andere Stadt bzw. in ein anderes Land zu verlegen sowie
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Aushändigung der Ausweispapiere für die Kinder an sich.
Zur Begründung führte der Kindesvater aus, dass er sich mit der Segelreise nur unter
der Voraussetzung, dass die Kinder ab dem Schuljahr 2010/2011 eine Schulausbildung
erhalten und die Reise deshalb im Sommer 2010 beendet werde, einverstanden erklärt
habe. Die Kinder hätten ihm während ihrer Zeit bei ihm von Plänen für eine
mehrmonatige Karibikreise berichtet. Im Bildungsentwurf der Kindesmutter komme
schulische Bildung überhaupt nicht vor. Er bestreite, dass die Kindesmutter oder
sonstige von ihr dazu bestimmte Personen die pädagogischen, geschweige denn
fachlichen Qualifikationen hätten, eine schulische Bildung im erforderlichen Maß zu
vermitteln. Er sehe vor diesem Hintergrund das Kindeswohl als erheblich gefährdet an.
Ihm sei daran gelegen, den Kindern den Lebensmittelpunkt in N zu erhalten,
insbesondere dass diese wieder zur Schule gehen. Der dauerhafte Aufenthalt in N und
der Schulbesuch in N seien zwischen den Beteiligten damals vereinbart worden. Ein
Abweichen der Kindesmutter von dieser Vereinbarung könne nicht hingenommen
werden. Die einstweilige Anordnung sei erforderlich, um sicherzustellen, dass bis zu
einer endgültigen Regelung die Kinder in einer gewohnten und von beiden Elternteilen
gewählten Umgebung verblieben und insbesondere ihr Schulbesuch sichergestellt
werde.
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Die Kindesmutter beantragte am 02.09.2010 ihrerseits die Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich und Herausgabe des im Besitz des
Kindesvaters befindlichen Reisepasses von M.
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Zur Begründung führt die Kindesmutter aus, die Kinder lebten seit der Trennung bei ihr.
Es habe seit 2007 Probleme sowohl in der Schule als auch wegen der
Umgangskontakte gegeben. Die Kinder seien nicht in der Lage gewesen, die Schule
regelmäßig zu besuchen. Montags bis mittwochs seien sie vom Wochenende
übermüdet gewesen, mehrmals in der Woche hätten sie wegen verschiedener
Krankheitssymptome von der Schule abgeholt werden müssen. Die Leistungen seien
abgefallen und eine innere Blockadehaltung eingetreten. D habe Untergewicht gehabt
und die Aufnahme von Nahrung verweigert. Mit einer tiefgreifenden
Regenerationsphase habe das körperliche und seelische Gleichgewicht wieder
hergestellt und die Kinder wieder froh und bildungsfähig gemacht werden sollen. Im
Dezember 2009 sei vereinbart worden, dass die Kindesmutter ihren Lebensmittelpunkt
mitsamt der neuen Familie ins Ausland verlege, sie berufliche Herausforderungen im
Ausland wahrnehme, die Standorte mit einem Segelschiff bereist werden, die Kinder
eine alternative Bildung erfahren und nach Ablauf eines halben Jahres eine
Zwischenbewertung erfolge. Es erfolge weiterhin die mit der D1 School abgesprochene
Beschulung. Die Kindesmutter und ihr Lebensgefährte hätten ihr Leben im Hinblick auf
die Absprache zwischen den Kindeseltern abgestimmt und ihr berufliches Standbein ins
Ausland verlegt. Es stelle sich die Frage, wie der Kindesvater der Aufgabe vor Ort mit
den Kindern gewachsen sei. Er habe über zwanzig Jahre lang täglich Marihuana
konsumiert und sich nach eigenen Angaben in den letzten Monaten aus Frust immer
wieder Alkoholexzessen unterzogen. Von Januar bis Juni 2010 habe er sich um die
Kinder gar nicht gekümmert. Die Kinder wollten nicht zum Vater und auch nicht in T in
die Schule. Ab Oktober 2010 wolle sich die Kindesmutter mit ihrem Lebensgefährten
und den Kindern dauerhaft auf der griechischen Insel Symi niederlassen. Die
Kindesmutter arbeite für einen weltweit tätigen Spezialisten für erneuerbare Energien,
müsse einmal monatlich nach Istanbul und betreue Kunden in der südwestlichen Türkei,
arbeite ansonsten vom Home Office. Ihr Lebensgefährte sei beratend bei der Regierung
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in Ankara tätig, müsse dort einmal im Monat hin und arbeite ansonsten auch von zu
Hause aus. Die Kinder wollten weiter mittels der D1 School beschult werden. Von der
D1 School würden Lehrpläne und Lehrmaterialien zur Verfügung gestellt. Es fänden
Leistungskontrollen statt. Parallel solle eine private bilinguale Schule den Ausbau der
Fremdsprachen Englisch und Griechisch stärken. Eine Reise in die Karibik könne sich
die Familie weder leisten noch sei diese aktuell geplant. Eine Veränderung des
Lebensmittelpunktes der Kinder von der Kindesmutter weg würde zu massiven
seelischen Beeinträchtigungen, wenn nicht gar einer Traumatisierung führen. Eine
konkrete Planung habe der Kindesvater auch nicht.
Das Amtsgericht hat die Beteiligten zu 1), 2) und 3) sowie M am 03.09.2010 persönlich
angehört.
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D konnte nicht angehört werden, da sie in Griechenland beim Lebensgefährten der
Kindesmutter war. An sich war für D wegen des amtsgerichtlichen Termins ein Flug
nach Deutschland gebucht worden, D weigerte sich jedoch, zu fliegen und drohte an, in
C3 beim Umsteigen wegzulaufen. Sie äußerte Selbstmordgedanken.
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Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 03.09.2010 die gegenläufigen Anträge beider
Eltern zum Aufenthaltsbestimmungsrecht zurückgewiesen, der Antragsgegnerin
auferlegt, dafür Sorge zu tagen, dass sich D binnen einer Woche wieder innerhalb der
Grenzen der Bundesrepublik Deutschland aufhält und beiden Kindeseltern untersagt, D
und M außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. Die
weitergehenden Anträge der Beteiligten wurden zurückgewiesen. Der Beschluss wurde
zunächst bis zum Ablauf von sechs Monaten befristet, wobei sich das Amtsgericht eine
Verlängerung vorbehalten hat.
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Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass im summarischen Verfahren der
einstweiligen Anordnung nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt werden konnte, wo
die Kinder künftig ihren Aufenthalt haben werden. Der Kindeswille habe nicht
hinreichend geklärt werden können. D habe weder durch das Jugendamt noch durch
das Amtsgericht befragt werden können, weil sie sich im Ausland aufgehalten habe. Es
müsse hinterfragt werden, ob der von M geäußerte und über D berichtete Kindeswille
unbeeinflusst zustande gekommen sei und ob ggf. nicht Kindeswohlaspekte dafür
sprechen, den Kindeswillen ausnahmsweise unbeachtet zu lassen. Es müsse im
Hauptsacheverfahren geklärt werden, zu wem die Kinder eine bessere emotionale
Bindung aufgebaut hätten. Dann müsse hinterfragt werden, ob derjenige, zu dem die
Kinder die bessere emotionale Bindung aufweisen, auch die wohlverstandenen
Kindesinteressen wahren könne. Als weniger einschneidende Maßnahme als die
vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei daher ein
Rückführungsgebot für D und ein Ausreiseverbot für beide Kinder auszusprechen.
Diese gem. § 1666 BGB getroffenen Maßnahmen seien zwingend notwendig, um die
Durchführung des angekündigten Hauptsacheverfahrens zur Klärung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts zu gewährleisten. Durch die nachhaltige Weigerung der
Kindesmutter, die Kinder wieder in Deutschland einschulen zu lassen, sei das geistige
und seelische Wohl der Kinder nachhaltig gefährdet. Die Kinder erhielten momentan
keine ausreichende schulische Bildung. Ob durch die D1-Schule eine hinreichende
Wissensvermittlung gewährleistet sei, könne dahinstehen, da durch den gemeinsamen
Schulbesuch Kinder auch in das Gemeinschaftsleben hineinwachsen sollten. Es sei
notwendig, dass Kinder auch anderen Einflüssen als denen des Elternhauses
ausgesetzt seien. Wie das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 31.05.2006, 2
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BvR 1693/04) ausgeführt habe, könnten soziale Kompetenzen im Umgang auch mit
Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung
einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung effektiver eingeübt werden, wenn
Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen
nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen
Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind. Es könne auch dahinstehen, ob die
Kinder derzeit der nordrhein-westfälischen Schulpflicht gem. § 34 SchulG NW
unterliegen, denn unabhängig vom Bestehen einer Schulpflicht gehöre es auch zu einer
umfassenden Wahrnehmung der Elternverantwortung, den Kindern eine ausreichende
schulische Bildung zu vermitteln und eine Teilnahme am Gemeinschaftsleben zu
ermöglichen. Gerade dies könne zurzeit jedoch nicht hinreichend festgestellt werden. Es
sei zwar durchaus lobenswert, dass die Kindesmutter sehr viel Wert auf die
Persönlichkeitsentwicklung der Kinder lege. Dies möge auch zu einer Verbesserung
des Sozialverhaltens geführt haben. Nichtsdestotrotz reiche eine Persönlichkeitsbildung
ohne Vermittlung ausreichender schulischer Kenntnisse nicht aus, um der
Elternverantwortung gerecht zu werden. Die von der Kindesmutter aufgeworfene
Schulproblematik der Kinder könne nicht nachvollzogen werden. Die Äußerungen von
M im Rahmen der Kindesanhörung ließen nicht den Eindruck eines bestehenden
Schultraumas zu. Der Kindesvater habe glaubhaft bekundet, dass die Probleme von D
nicht nur schulisch bedingt gewesen seien, sondern insbesondere auch durch die
familiäre Situation verursacht worden. Es könne auch bei D zunächst nicht davon
ausgegangen werden, dass ein Schulbesuch ihrer Weiterentwicklung abträglich sei. Es
sei das mildere Mittel, ein Ausreisverbot auszusprechen und das
Aufenthaltsbestimmungsrecht zunächst bei beiden Eltern zu belassen. Da es dem
Kindesvater vorrangig darum gehe, dass die Kinder ihren Lebensmittelpunkt wieder in
Deutschland hätten und langsam eine schulischer Wiedereingliederung stattfinden
könne, habe das Gericht mit der Abweisung der gegenläufigen Anträge auch der
Kindesmutter zunächst Gelegenheit geben wollen, ihren Aufenthalt wieder hier zu
begründen und insofern sich selbst um die Kinder zu kümmern. Bei gemeinsamem
Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern bestehe auch keine Verpflichtung, einen
Reisepass des Kindes herauszugeben.
Gegen die Entscheidung wendet sich die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde vom
16.09.2010. Sie rügt, dass das Amtsgericht keinen Verfahrensbeistand bestellt habe.
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Es habe sich nicht um eine Urlaubsreise der Antragsgegnerin mit den Kindern
gehandelt, sondern um die Begründung eines neuen Lebensmittelpunktes mit der
Prämisse, neue berufliche Chancen im Ausland wahrzunehmen. Die Idee, den
dauerhaften Lebensmittelpunkt im Ausland, in Griechenland, zu begründen, sei mit dem
Kindesvater besprochen worden und nicht alleine eine Idee der Kindesmutter gewesen.
Es sei nicht ausdrücklich vereinbart worden, dass die Kindesmutter mit den Kindern
spätestens im Sommer 2010 nach Deutschland zurückkehre. Der Text der von beiden
Eltern unterzeichneten Schulabmeldung dokumentiere, dass es sich nicht um eine
vorübergehende Auslandsreise, sondern um eine langfristige Verlegung des
Lebensmittelpunktes gehandelt habe. Eine Befristung wäre sonst sicherlich in den Text
aufgenommen worden. Lediglich der Aufenthalt auf dem Schiff und die Beschulung über
die D1-Schule habe vorübergehend sein sollen. Über die Schulsituation (und über
nichts anderes) hätten die Kindeseltern im Sommer 2010 erneut diskutieren wollen.
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Die D1-Schule sei keine Internet-Schule, sondern eine Fernschule. Der vorherige Plan,
die weitere Beschulung durch die D1-Schule ergänzt durch eine Privatschule
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durchzuführen, werde nicht weiter verfolgt. Die Kinder sollen auf einer staatlich
anerkannten Schule in Griechenland (Symi) angemeldet werden. Zur Vorbereitung und
zur Begleitung nähmen die Kindesmutter und die Kinder Sprachunterricht, um dem
Unterricht folgen zu können.
D sei nicht reisefähig gewesen und habe deswegen nicht angehört werden können.
Dies habe das Amtsgericht im Termin auch akzeptiert. Das Amtsgericht habe die
Situation der Kinder nicht ausreichend gewürdigt. D und M hätten enthusiastisch ihren
Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt und seien nun seit vielen Monaten in
Griechenland angekommen. Auf der Insel seien bereits die ersten Kontakte geknüpft
worden. Die neue Familie werde auseinander gerissen. Die Kinder lebten seit sieben
Jahren mit der Mutter zusammen. Es gebe eine gewachsene Beziehung zum
Lebensgefährten der Kindesmutter und auch zur Schwester F1 K. Die Doppelhaushälfte
in N sei ab November bzw. Dezember 2010 neu vermietet, so dass die Kindesmutter
dort nicht bleiben könne. Sofern die Kindesmutter – entsprechend der amtsgerichtlichen
Entscheidung - in Deutschland bleiben müsse, müssten ihre Kinder zwischendurch
fremdbetreut werden, wenn sie ihren Arbeitsverpflichtungen nachkommen müsse.
Derzeit habe sie diese jedoch zurückgestellt. Die Einschätzung des Amtsgerichts, der
Kindeswille sei nicht hinreichend geklärt, könne nicht nachvollzogen werden. Das
Gericht überspanne die Anforderungen an eine persönliche Anhörung. Es entspreche
dem Beweis des ersten Anscheins, dass die Kinder weiterhin in Griechenland bei ihrer
Mutter leben wollen.
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Es gebe keine Anzeichen dafür, dass die Kindesmutter die Durchführung eines
Hauptsacheverfahrens dadurch verhindere, dass sie die Kinder nicht nach Deutschland
reisen lasse, sondern in Griechenland verstecke. Die Mutter werde selbstverständlich für
ein Hauptsacheverfahren und eine eventuelle familienpsychologische Begutachtung
nach Deutschland reisen.
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Das Amtsgericht begründe die zwangsweise Einschulung in Deutschland lediglich
durch Bezugnahme auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. Das
Amtsgericht habe jedoch nicht geprüft, ob die nach Einschätzung des
Bundesverfassungsgerichts wichtigen sozialen Kompetenzen wie Toleranz,
Durchsetzungsvermögen oder Selbstbehauptung auch ersatzweise durch andere
Umstände erworben werden können als durch den Besuch einer Schule in
Deutschland. Die gemeinsame Entscheidung beider Eltern, dass die Kinder von Januar
bis Juli 2010 im Rahmen der D1-Schule beschult werden und ihren Lebensmittelpunkt
im Ausland, später Griechenland, gefunden haben, werde nicht berücksichtigt. Die
Kinder hätten während der Zeit der griechischen Schulpflicht unterlegen. Die dortigen
Behörden hätten eine Beschulung auf privater Basis, die im inselreichen Griechenland
stark verbreitet sei, geduldet. Die Kinder unterlägen derzeit (nach der amtsgerichtlichen
Entscheidung) der deutschen Schulpflicht, da sie im Moment hier lebten. Die
Kindesmutter habe bereits Kontakt zur zuständigen Schulbehörde aufgenommen. Es
werde demnächst ein Gespräch über die schrittweise Eingliederung der Kinder in den
deutschen Schulbetrieb stattfinden. Dabei spiele natürlich auch eine wichtige Rolle, wie
lange die Kinder noch in Deutschland leben würden. Ziel sei es, mit den Kindern
sodann zurück zu ihrem Lebensmittelpunkt nach Griechenland zu reisen. Dort sei eine
Lebens- und Wirkungsstätte auf der Insel Symi gegründet worden. Zudem würden die
Kinder dort an einer staatlichen Schule angemeldet.
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Die Begründung des Amtsgerichts, die Kinder müssten nach Deutschland gebracht
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werden, damit sie hier eine Schule besuchten, sei nicht ausreichend. Selbst der
Kindesvater habe gesagt, dass eine sofortige Beschulung der Kinder in Deutschland
nicht möglich sei. Es müsse über eine langsame Wiedereingliederung nachgedacht
werden. Vorbereitungen darauf, dass die Kinder zu ihm kommen, habe der Kindesvater
nicht getroffen. Dieser habe kein Wort dazu gesagt, wie er sodann mit den Kindern
umgehen werde. Er habe den Kindern vielmehr mitgeteilt, dass sie, wenn sie bei ihm
wohnen würden, gar nicht zur Schule gehen müssten. Dazu habe das Amtsgericht keine
Ausführungen gemacht.
Die Einschätzung des Amtsgerichts, das Ausreiseverbot sei das mildere Mittel, sei nicht
nachvollziehbar. Die berufliche Perspektive der Kindesmutter sei unterbrochen, die
finanzielle Situation völlig unklar, die Beschulung sei völlig unklar. Das mildeste Mittel
wäre gewesen, wenn die Kindesmutter verpflichtet worden wäre, die Kinder in
Griechenland innerhalb eines bestimmten Zeitraums in einer staatlichen Schule
anzumelden und dieses nachzuweisen, und die Mutter zu verpflichten, an einem
Hauptsacheverfahren teilzunehmen.
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Die Unterlagen für die Anmeldung der Kinder in der staatlichen Grundschule in Symi
seien eingereicht worden, was die Schule zum Zwecke der Genehmigung des
Schulwechsels auch am 07.10.2010 bescheinigt habe. Bei der Anmeldung der Kinder
sei der Lebensgefährte der Kindesmutter mit dem Kindesvater verwechselt worden.
Fremdsprachige Kinder seien in der Schule auf Symi keine Ausnahme. Es gebe vor Ort
vielfältige Förderungs- und Unterstützungsmöglichkeiten. Die Kinder könnten am
Unterricht einer niedrigeren Klasse teilnehmen, zusätzliche Stunden erhalten oder mit
anderen nicht-griechisch-sprachigen Kindern in einem speziellen Kurs in der
griechischen Sprache unterrichtet werden (wenn sich mindestens 9 Schüler finden). Es
gebe auch möglicherweise Deutschlehrer an privaten Sprachschulen. Es stehe auch
eine Schulberaterin zur Verfügung.
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Die deutsche Schulbehörde warte die laufenden Verfahren ab. Die bestehende
Schulpflicht werde absprachegemäß momentan nicht durchgesetzt.
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Die Kindesmutter habe ab 01.10.2010 ein Haus auf Symi angemietet. Der
Lebensgefährte der Kindesmutter lebe dort bereits mit der Tochter F1 K. Sowohl die
Kindesmutter als auch ihr Lebensgefährte könnten überwiegend auf Symi arbeiten. Die
Kindesmutter müsse bei ihrer beruflichen Tätigkeit für die F, mit der sie bereits seit drei
Jahren zusammenarbeite, nur einmal im Monat nach Istanbul reisen und einige wenige
Termine im Monat bei Großkunden vor Ort wahrnehmen. Ihr Lebensgefährte müsse
ebenfalls nur einmal im Monat nach Ankara reisen.
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Die verbindliche Schulanmeldung, das feste Anmieten eines Hauses sowie die
beruflichen Bindungen verdeutlichten das ernsthafte Bestreben und den Wunsch der
neuen Familie, ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt und festen Wohnort dauerhaft in
Griechenland zu begründen.
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Es bestehe keine dem Kindeswohl entsprechende Umgangsregelung mit dem
Kindesvater. Bei Aufenthalten beim Kindesvater gingen die Kinder regelmäßig erst
gegen Mitternacht ins Bett und schliefen dann bis mittags. Ein Termin für D beim
Psychologen sei vergessen worden. Der Kindesvater diskutiere die Inhalte der
Schriftsätze mit den Kindern.
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Die Kinder seien schwer irritiert, fänden keine Ruhe mehr. Am regulären Schulstart in
Griechenland hätten die Kinder nicht teilnehmen können. Auch das Lernprogramm der
D1-Schule, bei der die Kinder seit Dezember 2009 angemeldet seien und einen eng mit
der Schule abgestimmten Lehrplan absolvierten, könne derzeit nicht effektiv
durchgeführt werden. In der Zeit beim Kindesvater hätten die Kinder keinerlei
schulisches Lernprogramm durchlaufen.
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Als die Kinder in den Herbstferien beim Kindesvater gewesen seien, seien sie nachts
aufgewacht und hätten den Vater gesucht. Auf dem Computer des Vaters seien mehrere
Sexfilme aufgerufen gewesen, die sich die Kinder auch angeguckt hätten. Beide Kinder
hätten sich geekelt und teilweise geschämt. D habe zunächst jeglichen Kontakt zum
Kindesvater eingestellt. Sie sei lediglich zwei Wochen vor dem Gerichtstermin wieder
zum Vater gefahren, weil sie gemeint habe, dass sie diesen, bevor sie nach Symi gehe,
dann gar nicht mehr sehen werde.
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Beide Kinder äußerten sehr deutlich, dass sie bei der Mutter und ihrer neuen Familie in
Griechenland leben wollten. Die neue Familie sei seit drei Jahren zusammen. Seit dem
27.06.2008 sei die Kindesmutter mit ihrem neuen Lebenspartner verlobt, eine Hochzeit
solle voraussichtlich im nächsten Jahr stattfinden. D und M seien in der Familie voll
integriert und liebten ihre kleine Schwester F1 K. Zum Lebensgefährten der
Kindesmutter hätten sie ein inniges und gefestigtes Verhältnis.
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Die Kindesmutter wolle dafür sorgen, dass der Kontakt der Kinder zum Vater intensiv
fortgeführt werde.
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Die Kindesmutter beantragt,
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den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Steinfurt vom 03.09.2010
abzuändern und ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für D und M zu übertragen.
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Der Kindesvater beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Der Kindesvater führt im Beschwerdeverfahren aus, dass er seit dem 03.09.2010
regelmäßig Umgangskontakte mit den Kindern habe. Wegen einer kontinuierlichen und
beständigen Umgangsregelung würden Gespräche mit dem Jugendamt N geführt.
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Bis zur Einleitung dieses Verfahrens sei von einem dauerhaften Verbleib der
Kindesmutter mit den Kindern in Griechenland zu keinem Zeitpunkt die Rede gewesen.
Deshalb habe er auch nie sein Einverständnis hierzu erklärt. Die Kinder lebten auch
nicht seit Januar 2010 in Griechenland. Das "Kapitel Griechenland" sei ad hoc
anlässlich dieses Verfahrens erfunden worden, um dem Gericht den Eindruck zu
vermitteln, dass die Kinder eben nicht weiterhin auf hoher See unterrichtet werden und
einen festen Lebensmittelpunkt bekommen sollen. Zu den konkreten Wohn- und
Lebensverhältnissen und Schulverhältnissen in Griechenland habe die Kindesmutter
keine schlüssige Antwort geben können. Der Kindesvater sei auch nie in irgendwelche
beruflichen Pläne der Kindesmutter involviert worden. Die beruflichen Pläne der
Kindesmutter seien erstmalig im Termin am 03.09.2010 erwähnt worden.
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Eine Vereinbarung, dass der Kindesvater mit einer Umsiedlung der Kindesmutter und
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der Kinder ins Ausland einverstanden sei, habe es nicht gegeben. Es sei lediglich
vereinbart gewesen, dass der Aufenthalt im Ausland, der Segeltörn, auf eine gewisse
Zeit beschränkt sein sollte und die Kinder im August 2010 mit der Kindesmutter wieder
hier in Deutschland sein wollten. Im Sommer 2010 sollte nicht erneut über die
Schulsituation gesprochen werden, sondern die Kinder sollten ab Sommer 2010, ab
Schulbeginn, wieder in Deutschland sein und hier die Schule besuchen.
Der Geschäftsführer der Firma, für die die Kindesmutter möglicherweise arbeite, sei ein
sog. Duz-Freund des Lebensgefährten der Kindesmutter. Es werde bestritten, dass die
Kindesmutter tatsächlich ihren Wohnsitz auf Symi nehmen werde.
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Die D1-Schule besitze nicht die Voraussetzungen einer deutschen bzw. in Deutschland
anerkannten Schule. Von einer ordnungsgemäßen Schulausbildung könne nicht
gesprochen werden. Der Kindesvater habe einer "Schulausbildung" an der D1-Schule
nicht zugestimmt, zumindest nicht über den Zeitpunkt der damalig zwischen den
Beteiligten vereinbarten Schiffstour, die aber lediglich bis August 2010 andauern sollte
hinaus. Für den darüber hinausgehenden Zeitraum habe der Kindesvater immer wieder
deutlich gemacht, dass dann für eine ordnungsgemäße und in Deutschland/NRW
anerkannte Schulausbildung Sorge getragen werden müsse. Zwischenzeitlich habe die
Kindesmutter von einer Beschulung durch die D1-Schule ja auch wieder Abstand
genommen. Es werde bestritten, dass die Kinder in Griechenland zu einer ordentlichen
Schule gehen. Der Vortrag der Kindesmutter, dass die Kinder nun Sprachunterricht
erhalten sollen, zeige, wie plötzlich der Entschluss "Griechenland" durch die
Kindesmutter gefällt worden sei. Wenn der Umzug nach Griechenland wirklich
langfristig vorher geplant worden wäre, hätte die Kindesmutter sicherlich schon sehr viel
eher entsprechende Vorkehrungen – z.B. Sprachunterricht – in Angriff genommen. Die
Kindesmutter habe den Vorschlag des Kindesvaters, sich mit ihm gemeinsam um eine
Eingliederung von D und M in den allgemeinen Schulbetrieb in T zu kümmern,
abgelehnt. Die Kindesmutter habe darauf verwiesen, dass die Kinder, wenn schon, in N
zur Schule gehen sollten. Über anstehende Gespräche mit der Bezirksregierung in N
habe die Kindesmutter den Kindesvater bislang nicht informiert. Der Kindesvater habe
sich bereits in der Vergangenheit um Schulplätze für die Kinder gekümmert.
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Das Amtsgericht habe zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beteiligten die
Verpflichtung hätten, für einen der Begabung der Kinder entsprechenden Schulbesuch
zu sorgen. Auf den Kindeswillen komme es insofern nicht an. Es könne nicht vom Willen
der Kinder abhängig gemacht werden, welcher Schulbesuch favorisiert werde und
welcher nicht.
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Das Hauptsacheverfahren sei inzwischen durch den Kindesvater am 16.09.2010
eingeleitet worden und beim Amtsgericht N (39 F 180/10) anhängig.
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Das Jugendamt N erstattete am 05.11.2010 einen schriftlichen Bericht. Nach
Einschätzung des Jugendamtes sind beide Eltern sehr engagiert, das Sorgerecht zum
Wohle der Kinder auszuüben, und machten sich Sorgen um deren Wohlergehen.
Schule sei nicht nur wichtig, um den Kindern Bildungschancen zu geben und die
Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. In der Schule knüpften die Kinder soziale
Kontakte, bildeten soziale Kompetenz im Umgang mit Gleichaltrigen und
Autoritätspersonen aus. Der Schulbesuch sollte gesichert sein. Beide Eltern hätten in
ihrem Umfeld Möglichkeiten, den Schulbesuch zu sichern (Kindesmutter auf Symi,
Kindesvater in seinem Umfeld). Die Segelreise könne als einmalige Auszeit der Kinder
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genutzt werden. Es sei jedoch fraglich, ob eine auf Dauer durchgeführte derartige
Segelreise dem Kindeswohl zuträglich sei. Die Schulschwierigkeiten der Kinder seien
nicht im Rahmen des Schulsystems überwunden worden, sondern durch "Flucht in den
Urlaub". Es sei fraglich, inwieweit D eine Schulangst ausgeprägt habe, die ihr bei der
Wiedereingliederung ins Schulsystem Schwierigkeiten bereiten könnte. Beide Kinder
hätten die letzten Monate als "Dauerferien" genossen, hätten tatsächlich keine
Vorstellung von einer erneuten Beschulung auf Symi und erhofften sich, dass dort alles
schöner und leichter sein werde. Eine schrittweise Wiedereingliederung in die Schule
wäre ratsam, die ggf. psychologisch begleitet werde.
Es gebe keine Anzeichen, dass die Kindeseltern nicht gleichermaßen in der Lage seien,
das Aufenthaltsbestimmungsrecht auszuüben. Die Kinder hätten sich "glaubhaft" für
einen Lebensmittelpunkt bei der Mutter und auf Symi ausgesprochen, wobei eine
Beeinflussung nicht ausgeschlossen werden könne. Tatsächlich hätten sie die letzten
sieben Jahre bei der Mutter gelebt. Auch der Kindesvater sei der Meinung, dass die
Kinder an sich bei der Kindesmutter gut betreut seien.
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Wenn entschieden werde, dass die Kinder ausreisen dürften, sollten konkrete
Bedingungen festgelegt werden: Nachweis über gewöhnlichen Aufenthalt an einem Ort,
Besuch der Schule vor Ort, regelmäßiger Umgang zum Kindesvater, Unterrichtung des
Kindesvaters über Bildung der Kinder.
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Der Verfahrensbeistand erstattete am 08.11.2010 seinen Bericht und führte folgendes
aus:
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Beide Kinder wollten zusammen mit ihrer Mutter, ihrer Schwester F1-K und dem
Lebensgefährten der Kindesmutter auf Symi leben. M wolle jedoch noch lieber weiter
segeln, als auf Symi zu leben.
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D habe sich nicht vorstellen können, auch in Deutschland wieder zur Schule zu gehen.
Wenn Mama und der Rest der Familie in N leben würden, würde sie auch hier wohl in
die Schule gehen.
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M habe sich einen Schulbesuch in Deutschland auch nicht vorstellen können, weil es
hier in Deutschland zu kalt sei.
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Es sei festzuhalten, dass die Kinder seit ihrer Abreise bis heute nicht mehr beschult
worden seien, wenn man einmal davon absehe, dass beide Kinder auf der Segelreise
gerechnet hätten. Bislang sei nur ersichtlich, dass die erste Rate für die D1-Schule
eingegangen sei. Eine Schulbescheinigung liege nicht vor, wohl weil die letzte Rate
nicht gezahlt worden sei. Die D1-Schule sei in Deutschland nicht anerkannt. Die von der
Kindesmutter vorgetragene Beschulung der Kinder durch die D1-Schule sei
offensichtlich nicht erfolgt.
56
Dass sich die Familie auf Symi niederlassen wolle, werde erstmals im Schriftsatz vom
02.09.2010 erwähnt.
57
Wie es die Eltern erreicht hätten, der Schulpflicht nach §§ 34, 35 SchulG NW zu
entgehen, obwohl beide Kinder offensichtlich keinen festen Aufenthalt im Ausland
gehabt hätten, sei unklar. Ebenso unklar sei, ob tatsächlich eine Ansiedlung auf Symi
beabsichtigt ist. Es sei derzeit auch nicht belegt, dass beide Kinder in Symi an der
58
dortigen Schule angemeldet seien.
Beide Kinder müssten kurzfristig beschult werden, sie hätten einen Anspruch auf einen
ordnungsgemäßen Schulbesuch und die damit einhergehende Bildung.
59
Der Wunsch der Kinder, in Symi leben zu wollen, sei zwar beachtlich, könne jedoch
letztendlich schon aufgrund der ungewissen Perspektive des Schulbesuchs in Symi
nicht erfüllt werde. Es sei davon auszugehen, dass die Kinder auch in Symi dem
Schulunterricht schlecht folgen können, da sie jetzt gerade erst griechisch lernten, und
auch dort ihre Frustration erleben würden. D habe diese Frustration bereits im Schuljahr
2009/2010 auf dem Gymnasium erlebt. Gerade diese Frustration sollte D erspart
bleiben, jedenfalls dann, wenn die Frustration auf vorhandenen Sprachbarrieren beruhe.
60
Es liege an der Kindesmutter zu entscheiden, ob sie zukünftig mit ihrer Familie in
Deutschland leben wolle oder nicht. Sollte sich die Kindesmutter hierfür nicht
entscheiden, müsse das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen
werden, um den Schulbesuch sicherzustellen.
61
Die Kinder hätten eine starke emotionale Bindung an die Kindesmutter. Diese
emotionale Nähe überwiege jedoch nicht die Verpflichtung der Eltern, beide Kinder im
Rahmen des Förderungsprinzips in der Schule zu fördern. Es gebe andere Wege als die
sog. "Auszeit", um die Frustration der Kinder in der Schule zu beheben, wobei eine
solche bei M bisher von keinem Elternteil erwähnt worden sei.
62
Zum Vater scheine auch eine Bindung zu bestehen, die auch weiter ausbaubar sei.
63
Die Kinder hätten so gut wie keine Kontakte zu Gleichaltrigen. Kontakte mit Kindern in
den angelaufenen Häfen stellten keine gefestigten sozialen Kontakte dar.
64
Ein Verbleib in Deutschland sei den Kindern schwer zu vermitteln, weil beide sich
schon gedanklich und inhaltlich auf einen Aufenthalt in Symi eingestellt hätten.
65
Der Verfahrensbeistand beantragt,
66
die Beschwerde der Kindesmutter zurückzuweisen und dem Kindesvater das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für D und M zu übertragen.
67
Der Senat hat die Kindeseltern, das Jugendamt, den Verfahrensbeistand sowie die
Kinder D und M angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf das
Sitzungsprotokoll sowie die Berichterstattervermerke vom 15.11.2010 verwiesen.
68
II.
69
Die Beschwerde der Kindesmutter ist gem. §§ 57 S. 2 Nr. 1, 58 ff. FamFG zulässig, in
der Sache jedoch nicht begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts war dennoch im
Hinblick darauf, dass die Kindeseltern sich derzeit über den Lebensmittelpunkt der
Kinder nicht einigen können, eine Entscheidung diesbezüglich jedoch kurzfristig zu
treffen ist, von Amts wegen gem. §§ 1671 Abs. 3, 1666 Abs. 1 BGB abzuändern. Im
übrigen verfolgt der Kindesvater, dies ist im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am
15.11.2010 deutlich geworden, im Beschwerdeverfahren seinen ursprünglich gestellten
Antrag (Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB
70
auf ihn) weiter, auch wenn er selbst keine Beschwerde gegen den Beschluss des
Amtsgerichts eingelegt hat. Auch bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren nur
möglichen summarischen Prüfung hätte das Amtsgericht nicht beide Anträge auf
Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zurückweisen dürfen, weil eine
Einigung zwischen den Kindeseltern über den Lebensmittelpunkt der Kinder nicht
vorliegt, beide Eltern den Lebensmittelpunkt der Kinder bei sich bestimmen möchten
(die Kindesmutter auf der griechischen Insel Symi und der Kindesvater in T) und
insofern eine gemeinsame Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts als Teil der
gemeinsamen elterlichen Sorge nicht möglich ist. Es bestand und besteht hinsichtlich
der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ein dringendes Bedürfnis für ein
sofortiges Tätigwerden im Sinne des § 49 Abs. 1 FamFG, welches auch nicht durch die
durch das Amtsgericht gem. § 1666 BGB getroffenen Maßnahmen (Einreisegebot für D,
Ausreiseverbot für beide Kinder) beseitigt worden ist.
Es kann dahinstehen, ob die Kindeseltern – wie die Kindesmutter behauptet – sich im
Dezember 2009/Januar 2010 einig waren, dass die Kindesmutter mit den Kindern ihren
Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt (wobei nach Auffassung des Senats
diesbezüglich schon erhebliche Zweifel bestehen). Denn jedenfalls seit Juli 2010 steht
aufgrund des unstreitigen Email-Verkehrs zwischen den Kindeseltern fest, dass kein
Einvernehmen zwischen den Kindeseltern (mehr) besteht, auch wenn im Juli und
August 2010 von konkreten Plänen der Kindesmutter, sich auf Symi niederzulassen,
noch nicht die Rede war, sondern dies erstmals am 02.09.2010 in der
Antragserwiderung im vorliegenden Verfahren erwähnt wird.
71
1.
72
Im Hinblick auf die nunmehr im weiteren Verlauf des Verfahrens konkreter geplante
Auswanderung der Kindesmutter nach Symi ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (FamRZ 2010, S. 1060 ff.), der sich der Senat anschließt, Maßstab
der Entscheidung über die beantragte Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
nach § 1671 BGB das Kindeswohl. Bei einer beabsichtigten Auswanderung in ein
fernes Land ist umstritten, welches Gewicht den einzelnen Aspekten des Kindeswohls
beizumessen ist und welche Bedeutung den Elternrechten beider Eltern sowie der
allgemeinen Handlungsfreiheit des auswanderungswilligen Elternteils für die
Entscheidung zukommt. Die einzelnen Kriterien stehen letztlich nicht wie
Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall
mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am
besten entspricht. Zudem sind die durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten
Elternrechte beider Elternteile zu berücksichtigen. Die allgemeine Handlungsfreiheit des
auswanderungswilligen Elternteils gem. Art. 2 Abs. 1 GG ist hingegen zunächst nur
mittelbar betroffen, indem er dadurch in seiner Freiheit beeinträchtigt wird, auswandern
zu können und gleichzeitig im bisherigen Umfang sein Elternrecht wahrzunehmen. Für
die Entscheidung sind demnach nicht die allgemeine Handlungsfreiheit des
auswanderungswilligen Elternteils und das Elternrecht des im Inland verbleibenden
Elternteils gegeneinander abzuwägen, sondern die beiderseitigen Elternrechte.
Allerdings ist die allgemeine Handlungsfreiheit des auswanderungswilligen Elternteils
gleichwohl bedeutsam, indem sie die tatsächliche Ausgangslage für die Abwägung
bestimmt. Denn für die Beurteilung des Kindeswohls und die Abwägung der
beiderseitigen Elternrechte ist nicht davon auszugehen, dass der hauptsächlich
betreuende Elternteil mit dem Kind im Inland verbleibt, selbst wenn diese Möglichkeit
mit dem Kindeswohl am besten zu vereinbaren wäre. Tatsächlicher Ausgangspunkt
73
muss vielmehr sein, dass der Elternteil seinen Auswanderungswunsch in die Tat
umsetzt. Die Motive für seinen Auswanderungsentschluss stehen jedenfalls
grundsätzlich nicht zur Überprüfung des Familiengerichts. Es kommt auch nicht darauf
an, ob der Elternteil triftige Gründe anführen kann. Dementsprechend stehen dem
Familiengericht auch keine Möglichkeiten zur Verfügung, die allgemeine
Handlungsfreiheit des Elternteils einzuschränken, auch kann dem Elternteil seine
Ausreise nicht in zulässiger Weise untersagt werden. Die Befugnisse des
Familiengerichts beschränken sich vielmehr auf das Kind, und die Beurteilung hat sich
darauf zu konzentrieren, wie sich die Auswanderung auf das Kindeswohl auswirkt.
Wenn mit der Auswanderung für das Kind schädliche Folgen verbunden sind, ist die
Erziehungseignung des betreuenden Elternteils in Zweifel zu ziehen und es kann sogar
ein Entzug des Sorgerechts angebracht sein. Bei einem ersichtlich unvernünftigen
Vorhaben, das mit nicht vertretbaren Risiken für das Kind verbunden ist, ergeben sich
schließlich jedenfalls für die Kontinuität und die Qualität der Bindung zum
Obhutselternteil nachteilige Folgen, die gegen dessen Erziehungseignung sprechen
und bei bestehender Erziehungseignung des anderen Elternteils regelmäßig den
Ausschlag dafür geben können, diesem das Sorgerecht zu übertragen.
Einer Auswanderung steht ferner nicht ohne Weiteres die gesetzliche Regelung in §
1626 Abs. 3 S. 1 BGB entgegen, dass zum Wohl des Kindes in der Regel der Umgang
mit beiden Elternteilen gehört. Auch wenn durch die Auswanderung der Umgang
zwischen dem Kind und dem anderem Elternteil wesentlich erschwert wird, ergibt sich
daraus allein weder eine generelle noch eine vermutete Kindeswohlschädlichkeit.
74
Die Entscheidung des Familiengerichts ist nicht durch tatsächliche oder rechtliche
Vermutungen eingeengt, die im Zweifelsfall den Ausschlag für oder gegen eine
Auswanderung mit dem Kind geben können. Vielmehr ist die Entscheidung stets
aufgrund einer umfassenden Abwägung der im Einzelfall berührten
Kindeswohlgesichtspunkte zu treffen. Die Abwägung der für das Kind mit einer
bestimmten Sorgerechtslage oder –regelung verbundenen Vor- und Nachteile hat auf
der Grundlage der beiden genannten tatsächlichen Alternativen zu erfolgen. Zu fragen
ist demnach, ob die Auswanderung mit dem Elternteil oder der Verbleib des Kindes
beim weiter im Inland ansässigen Elternteil die für das Kindeswohl bessere Lösung ist.
75
Darüber hinaus ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen, dass es sich
vorliegend um ein einstweiliges Anordnungsverfahren handelt, in dem nur eine
summarische Prüfung der materiellen Rechtslage erfolgen kann (vgl. Keidel-Giers,
FamFG, 16. Aufl., § 49 Rz. 10, Musielak/Borth, FamFG, § 49 Rz. 5). Grundsätzlich
besteht für das Verfahren der einstweiligen Anordnung das Verbot der Vorwegnahme
der Hauptsache (vgl. Keidel-Giers, FamFG, 16. Aufl., § 49 Rz. 15; Musielak/Borth,
FamFG, § 49 Rz. 2).
76
2.
77
Vorliegend ist nach Auffassung des Senats bei summarischer Prüfung im einstweiligen
Anordnungsverfahren - bis zu einer Entscheidung in dem bereits anhängigen
Hauptsacheverfahren - der Verbleib von D und M beim weiter im Inland ansässigen
Kindesvater die für das Kindeswohl bessere Lösung gegenüber der Auswanderung mit
der Kindesmutter nach Griechenland/Symi.
78
Maßgebliche Kriterien im Rahmen der Kindeswohlentscheidung sind die
79
Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung
und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens (vgl. BGH, FamRZ 2010, S.
1060 (1062)).
a)
80
Das Kindeswohl von D und M ist bei beiden Eltern nach Einschätzung des
Jugendamtes gleichermaßen nicht gefährdet. Beide Eltern haben die Kinder gut im
Blick, sind sich der Bedürfnisse von Kindern im Allgemeinen und auch ihrer Kinder im
Speziellen bewusst. Beide Eltern sind sehr engagiert, das Sorgerecht zum Wohl ihrer
Kinder auszuüben und machen sich gleichermaßen Sorgen um deren Wohlergehen.
81
b)
82
Besondere Berücksichtigung verlangen die gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes an
Eltern, Geschwister und andere Bezugspersonen. (Palandt-Diederichsen, BGB, 69.
Aufl., § 1671 Rz. 29).
83
Nach den Stellungnahmen des Jugendamtes und des Verfahrensbeistands, aber auch
nach dem eigenen Eindruck des Senats, ist davon auszugehen, dass D und M eine
enge Bindung an die Mutter und insbesondere auch aneinander haben. Der
Lebensgefährte der Mutter ist 2008 in das Leben der Kinder getreten. Zur
gefühlsmäßigen Bindung an diesen sind bislang keine fachlichen Einschätzungen
durch das Jugendamt erfolgt. Das Halbgeschwisterkind, F1 K, wurde im Juni 2009
geboren. Der Bezug zu F1 K ist nach Einschätzung des Jugendamtes ebenfalls sehr
eng. Auch zum Kindesvater besteht eine enge Bindung. Daran ändert auch der
Umstand nichts, dass die Kinder zu ihm in der ersten Jahreshälfte während der Reise
mit der Kindesmutter bis zu ihren jeweiligen Ferienaufenthalten im Sommer 2010 wenig
bis gar keinen Kontakt hatten. Wie wichtig ihnen der Kontakt zum Kindesvater ist, ist
insbesondere im Rahmen der Anhörung durch den Senat deutlich geworden.
Vorbehalte, etwa wegen der vom Vater nachts während der Anwesenheit der Kinder in
seinem Haus angeschauten Sexfilme, haben beide Kinder nicht geäußert, sondern
deutlich gemacht, dass sie alle Ferien (darunter auch die dreimonatigen Sommerferien)
beim Kindesvater verbringen wollten und ggf. auch die Schule ausfallen lassen würden,
um den Vater über Weihnachten in Deutschland besuchen zu können.
84
Der Senat verkennt nicht, dass die Kinder sich seit der Trennung der Kindeseltern im
November 2003 bis Ende 2009 regelmäßig in der Woche bei der Kindesmutter
aufgehalten haben, die auch während der (Segel)Reise von Januar bis Sommer 2010
hauptverantwortlich für die Kinder war, bis D am 04.06. und M am 22.07. für mehrere
Wochen zum Vater flogen. Insofern ist, davon geht auch der Senat aus, die
Kindesmutter bislang – abgesehen von den bis Ende 2009 wöchentlich stattfindenden
Wochenendumgangskontakten und Ferienaufenthalten beim Kindesvater – der
überwiegend betreuende Elternteil gewesen.
85
Es ist jedoch für das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht primär entscheidend, welcher
Elternteil das Kind vor der Trennung überwiegend betreut hat. Entscheidend ist
vielmehr, ob sich die Lebensverhältnisse des Kindes derart gefestigt haben, dass sie
ohne triftige Gründe nicht durch einen Wechsel des Aufenthalts verändert werden
sollten, (OLG Brandenburg, FamRZ 2003, S. 1949).
86
Erziehung bedeutet Aufbauen von Verhaltenskonstanten. Deshalb sind für die
Entwicklung des Kindes die Lösungen von besonderer Bedeutung, welche die
Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Erziehung am wenigsten stören. (Palandt-
Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1671 Rz. 28) Das Gericht hat dabei die zukünftige
Entwicklung zu berücksichtigen, darf seine Entscheidung nicht auf vorübergehende
Verhältnisse stützen. (BayObLG, FamRZ 1962, S. 165)
87
Von einer Verfestigung der Lebensverhältnisse der Kinder bei der Kindesmutter auf
Symi kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Denn bislang haben sich die Kinder
nur einmal kurz auf der Insel aufgehalten, kennen weder das angemietete Haus noch
die örtliche Schule.
88
Was den Alltag – außerhalb von Wochenendumgangs- und Ferienkontakten – betrifft, ist
jedoch auch beim Kindesvater nicht von verfestigten Lebensverhältnissen auszugehen.
Allerdings sind mit einem Wechsel des Lebensmittelpunkts zum Kindesvater weniger
Veränderungen für die Kinder verbunden, als bei einer Auswanderung mit der
Kindesmutter nach Griechenland, da die Kinder das deutsche Schulsystem (wenn auch
nicht die konkreten Schulen) kennen und Deutsch als Muttersprache beherrschen.
89
c)
90
D und M haben sich durchgehend sowohl gegenüber dem Jugendamt, dem
Verfahrensbeistand als auch dem Senat für einen Umzug mit der Kindesmutter nach
Symi ausgesprochen. Eine andere Alternative als Symi ist für die Kinder nicht
vorstellbar. Dies hat sich sowohl in dem Gespräch der Kinder mit dem
Verfahrensbeistand als auch in der Anhörung durch den Senat gezeigt. Der Senat
schließt sich jedoch der Auffassung des Verfahrensbeistands an, dass die Kinder unter
psychischem Druck stehen. Auch das Jugendamt geht davon aus, dass die Kinder
beeinflusst sind. Nach Einschätzung des Jugendamtes haben die Kinder ferner,
jedenfalls was die Beschulung auf Symi betrifft, tatsächlich keine belastbare
spezifizierte Vorstellung und erhoffen sich pauschal, jedoch ohne realen Hintergrund,
dass dort alles schöner und leichter sein wird.
91
Es ist allgemein anerkannt, dass der Kindeswille an Bedeutung verliert, wenn er auf
massiver Beeinflussung durch einen Elternteil, auf einem von dem Kind nicht selbst zu
lösenden Loyalitätskonflikt beruht oder wenn er von unrealistischen Vorstellungen der
Übertragbarkeit von Sonntagsbedingungen auf den Alltag getragen ist (vgl. Palandt-
Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1671 Rz. 30 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund kann dem
geäußerten Kindeswillen im vorliegenden summarischen einstweiligen
Anordnungsverfahren, in dem die Einholung eines familienpsychologischen
Sachverständigengutachtens ausscheidet, durch das zu klären wäre, inwieweit der
geäußerte Wille dem wirklichen Kindeswillen entspricht, welche Rolle eine
möglicherweise stattfindende Beeinflussung, vorhandene Loyalitätskonflikte und die
während der Reise mit der Kindesmutter von Januar 2010 bis zum Sommer 2010 ohne
Zweifel vorhandenen Sonntagsbedingungen bzw. Dauerferien (vgl. Jugendamtsbericht)
spielen, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen.
92
d)
93
Die Fähigkeit, die Kinder ausreichend geistig und seelisch zu fördern, ist nach
Auffassung des Senats bei beiden Eltern, was die übereinstimmende Herausnahme der
94
Kinder aus der Schule zum Zwecke einer "Auszeit" betrifft, als eingeschränkt
anzusehen.
Um etwas anderes als eine Auszeit (mit zwischen den Eltern streitigem Endzeitpunkt)
hat es sich bis Sommer 2010 nach Auffassung des Senats nicht gehandelt, auch wenn
die Kindesmutter im vorliegenden Verfahren Gegenteiliges vorträgt. Weder im
Phasenmodell der Kindesmutter noch im Zwischenbericht der Kindesmutter vom
29.03.2010 ist eine reguläre Beschulung der Kinder vorgesehen. Aus dem
Zwischenbericht der Kindesmutter und den Emails aus Juni und Juli 2010 geht hervor,
dass die schulische Bildung in dieser Zeit völlig nachrangig war. Auch als D sich für
acht Wochen beim Kindesvater aufgehalten hat, war von schulischen Aufgaben, die der
Kindesvater mit ihr erledigen sollte, in der mütterlichen Übergabe-Email nicht die Rede,
ebenfalls nicht in der Email vom 21.07.2010, die die Kindesmutter einen Tag vor M Flug
nach Deutschland geschrieben hat.
95
Dass eine Beschulung nach dem Konzept der D-Schule bis zum Sommer bzw. bis zum
Senatstermin stattgefunden hat, ist äußerst fraglich. Wenn – wie die Kindesmutter
behauptet - tatsächlich eine solche Beschulung der Kinder vorgenommen worden wäre,
hätte es nahe gelegen, dass die Kindesmutter die ausgearbeiteten Lehrpläne und
Lehrmaterialien und etwaige Prüfungsergebnisse oder zumindest eine
Schulbescheinigung vorlegt. Trotz der Auflage in der Terminsverfügung, zur aktuellen
schulischen Situation in Deutschland, einer möglichen Beschulung in Griechenland und
zur Wohnsituation ab November vorzutragen und den Vortrag durch Vorlage geeigneter
Unterlagen zu belegen, hat die Kindesmutter außer dem erstinstanzlich überreichten
Schreiben der D1-Schule vom 30.08.2010, dass die erste Rate der D1-Schulgebühren
eingegangen und die Anmeldung damit vollzogen ist, eine Schulbescheinigung jedoch
erst nach Eingang der letzten Rate ausgestellt werden kann, keine weiteren Unterlagen
eingereicht.
96
Dass die Kindesmutter eine Freundin gebeten hat, ihr Ende April deutsche Schulbücher
(für Mathematik und Deutsch) und Arbeitshefte für die 3. und 5. Klasse mitzubringen (vgl.
die eidesstattliche Versicherung B P), ändert daran nichts. Aus den gesamten Berichten
der Kindesmutter geht hervor, dass diese keinen Druck auf die Kinder, was lernen
betrifft, ausüben wollte und die Unlust und das Abblocken von D und auch von M
akzeptiert hat.
97
So führt die Kindesmutter im Zwischenbericht vom 29.03.2010 aus: "bis vor wenigen
Tagen würde ich sagen war die Lernbereitschaft bei beiden gleich null. Zwar gab es ein
Interesse dafür, wo wir sind, und bezüglich rudimentärer Zusammenhänge, aber sobald
ein Gefühl aufkam von " das könnte jetzt ja wie Schule sein" sind sie ausgestiegen. D
mehr als M. Sie wollten wirklich gar nichts mehr davon hören. Kurmel zum Schreiben zu
bewegen, ist schwer; D eine Matheaufgabe zu stellen, ist nahezu unmöglich."
98
Nach Auffassung des Senats war es auf Seiten der Kindesmutter auch bis Anfang
September 2010 nicht verbindlich beabsichtigt, sich irgendwo im Ausland konkret
niederzulassen. Erstmals in der Antragserwiderung vom 02.09.2010 wurden die Pläne,
dauerhaft auf Symi zu wohnen, geäußert.
99
Dies wurde vom Kindesvater jedenfalls bis zum Sommer 2010 auch so akzeptiert.
100
Soweit die Kindesmutter auf die Erklärung der Kindeseltern in der Abmeldung
101
gegenüber der Schule abstellt, wonach die Kindesmutter ihren Lebensmittelpunkt
aufgrund einer neuen beruflichen Situation ins Ausland verlegt, führt dies insbesondere
unter Berücksichtigung der erstellten Konzepte, des Zwischenberichts vom 29.03.2010
und der verschiedenen Emails zwischen den Kindeseltern aus dem Sommer 2010 zu
keiner anderen Bewertung. Denn wenn die Kindeseltern in der Abmeldung gegenüber
den Schulen offen gelegt hätten, dass sie den Kindern eine urlaubsgeprägte Auszeit
von der Schule gönnen wollten, ohne dass tatsächlich ein Umzug ins Ausland erfolgt,
wären die Kinder weiterhin gem. §§ 34, 35 SchulG schulpflichtig gewesen, da sie dann
weiterhin ihren Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen gehabt hätten.
So gut die Kindeseltern es mit der Auszeit für ihre beiden Kinder gemeint haben mögen,
stellt diese Entscheidung nach Auffassung des Senats einen eklatanten Verstoß gegen
das Recht der Kinder auf schulische Bildung und die Pflichten aus § 41 Abs. 1 S. 2
SchulG dar.
102
Eine solche Urlaubs-Auszeit ist keine adäquate Lösung für größere (bei D) oder auch
kleinere (bei M) Schulprobleme, zumal eine solche Ausschulung den Kindern, gerade
was den notwendigen Wiedereinstieg betrifft, nach Einschätzung des Senats ein neues,
noch viel gravierenderes Problem bereitet und damit von vorneherein nicht mit dem
wohlverstandenen Kindeswohl zu vereinbaren ist.
103
e)
104
Was die geistige und seelische Förderung der Kinder betrifft, bestehen nach Auffassung
des Senats auch bezüglich der aktuellen Pläne der Kindesmutter erhebliche Bedenken.
Es ist nach dem Bericht des Jugendamtes und des Verfahrensbeistands, aber auch
nach dem eigenen Vortrag der Kindesmutter davon auszugehen, dass sich bei beiden
Kindern zumindest eine erhebliche Abneigung gegen einen geregelten Schulbesuch,
wenn nicht bei D sogar eine ausgeprägte Schulangst, aufgebaut hat (D hat sogar den
Besuch der Sprachschule auf Malta nach zwei Tagen abgebrochen). Es dürfte schon in
einer deutschsprachigen Schule zu erheblichen Problemen bei der
Wiedereingliederung kommen. Die Kinder jetzt auch noch in eine fremdsprachige
Schule (griechisch-englisch) zu schicken, in der die Kinder neben den ausgeprägten
Wiedereingliederungsproblemen auch noch nicht unerhebliche kulturelle und
sprachliche Probleme haben werden (unabhängig davon, wie viel Englisch sie seit
Anfang des Jahres gesprochen und wie viel Griechisch sie seit September gelernt
haben) ist – jedenfalls bei einer im einstweiligen Anordnungsverfahren nur möglichen
überschlägigen Einschätzung – nicht zu verantworten.
105
Zudem hat die Kindesmutter den Umstand, dass die Kinder seit Januar 2010 keine
Schule mehr besucht haben, bei der Anmeldung der Kinder in der Schule auf Symi auch
nicht thematisiert, was sie im Rahmen ihrer Anhörung durch den Senat selbst bestätigt
hat und sich auch aus der Schulbescheinigung ergibt, die ausdrücklich "zum Zwecke
der Genehmigung des Schulwechsels der obigen Schüler von der Schule in
Deutschland, wo sie die Schule besuchen, ausgestellt" worden ist. Entgegen der
Auffassung der Kindesmutter handelt es sich bei der seit Januar 2010 fehlenden
regulären Beschulung der Kinder auch nicht bloß um "Formalitäten". Auch eine etwaige,
nach Ansicht des Senats jedoch zweifelhafte Beschulung nach dem Konzept der D1-
Schule ändert daran nichts. Darüber hinaus hätte die Kindesmutter jedenfalls D
Schulprobleme in Deutschland mit der griechischen Schule eingehend und ausführlich
thematisieren müssen. Dies ist nach den im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden
106
Unterlagen offenbar nicht erfolgt. Denn auch das Telefonprotokoll vom 27.10.2010,
welches der Griechischlehrer mit der Schuldirektorin geführt hat, bezog sich primär und
allgemein auf grundsätzliche Fördermöglichkeiten für fremdsprachige Schüler. Selbst
wenn die Kinder tatsächlich jetzt sehr motiviert wären, auf Symi in die Schule zu gehen,
wovon der Senat keineswegs überzeugt ist (M will nämlich viel lieber weiter segeln)
kann eine solche vermeintliche kindliche temporäre Euphorie, der keine belastbare
Kenntnis der Verhältnisse der Schule in Symie zugrunde liegt, nicht über alle
vorhandenen Probleme hinwegtäuschen.
Dass die Kindesmutter auch seit der erstinstanzlichen Entscheidung vom 03.09.2010
bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Maßnahmen zur
Wiedereingliederung der Kinder in eine deutsche Schule in die Wege geleitet hat, was
das Amtsgericht mit der Entscheidung ausweislich der Entscheidungsgründe jedoch
erreichen wollte, sondern mit den Kindern lediglich einen Griechisch-Sprachkurs
besucht, stellt die Förderkompetenz der Kindesmutter weiter nachdrücklich in Frage.
Denn die Kinder halten sich jetzt jedenfalls seit Anfang September 2010 in NRW auf
und unterfallen ohne jeden berechtigten Zweifel der Schulpflicht nach §§ 34, 35 SchulG.
Wie der Senat im einstweiligen Anordnungsverfahren und das Amtsgericht N im
Hauptsacheverfahren entscheiden werden, konnte die Kindesmutter bei ihren von ihr
dargestellten Gesprächen mit der Schulbehörde nicht vorhersehen.
107
Was die geistige und seelische Förderung der Kinder betrifft, bestehen nach Auffassung
des Senats bezüglich der aktuellen Pläne des Kindesvaters keine durchgreifenden
Bedenken. Selbstverständlich sind die Schulen in T und O den Kindern bislang auch
nicht bekannt, weil sie bis Ende 2009 in N zur Schule gegangen sind. Darüber hinaus
werden auch in T und O Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in das
Schulsystem auftreten. Nach Einschätzung des Jugendamtes, der sich der Senat
anschließt, ist eine Wiedereingliederung von D und M im deutschen Schulsystem
jedoch eher möglich und zudem auch nicht mit zusätzlichen Sprach- und
Schriftproblemen behaftet und erfolgt in einem kulturellen Umfeld, das den Kindern von
Geburt an bekannt ist und nicht erst seit wenigen Wochen, die zudem
Dauerferiencharakter hatten wie das in Symi der Fall ist.
108
f)
109
Im Hinblick auf die vom Bundesgerichtshof für erforderlich erachtete Prüfung, in
welchem Umfang durch die Auswanderung Umstellungen für das Kind in seiner
Lebenssituation verbunden sind und ob die hiermit einhergehende Anforderungen von
dem Kind ohne bleibende Defizite zu bewältigen sind (FamRZ 2010, S. 1060 (1063)),
hält es der Senat im vorliegenden summarischen einstweiligen Anordnungsverfahren
gerade wegen der problematischen Schulsituation beider Kinder (insbesondere jedoch
D) für zwingend geboten, durch die von der Kindesmutter beabsichtigte Übersiedlung
der Kinder nach Symi nicht Tatsachen festschreiben zu lassen, die im anhängigen
Hauptsacheverfahren nach weiterer Sachverhaltsaufklärung und ggf. Einholung eines
fundierten familienpsychologischen Sachverständigengutachtens nicht oder allenfalls
schwerlich umkehrbar sein könnten.
110
Von daher war dem Kindesvater vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für D und M
zu übertragen.
111
3.
112
Nachdem eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht zugunsten des
Kindesvaters zu treffen war, waren die Anordnungen des Amtsgerichts gem. § 1666
BGB betreffend das Ausreiseverbot aufzuheben, da diese Maßnahme nun nicht mehr
erforderlich ist, um die Durchführung des Hauptsacheverfahrens zu gewährleisten.
113
4.
114
Die verfahrensrechtlichen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 56 Abs. 1, 81 Abs. 1 S.
1 und 2 FamFG.
115