Urteil des OLG Hamm vom 24.10.1984

OLG Hamm (bürgschaft, agb, gesetz, konto, bürgschaftsurkunde, schuldner, geschäftsverbindung, höhe, vertragspartner, stand)

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 103/84
Datum:
24.10.1984
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 103/84
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 8 O 520/83
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Januar 1984 verkündete
Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert die Klägerin in Höhe von 12.815,61 DM.
Tatbestand:
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Der Jugoslawe xxx war Kunde der Klägerin, er unterhielt bei ihr ein laufendes Konto
sowie ein Darlehnskonto; letzteres stand im Mai 1980 mit 4.340,-- DM im Soll.
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Am 28.5.1980 beantragte er bei der Klägerin einen Ratenkredit über netto 20.000,-- DM,
brutto 23.970,-- DM, zurückzuzahlen in 24 Monatsraten; in Höhe von 4.340,-- DM sollte
der Neukredit zur Ablösung des Altkredits verwendet werden. Am gleichen Tage
unterschrieb der Beklagte, ein Landsmann des xxx, bei der Klägerin ein
Bürgschaftsformular. Nach dessen Inhalt übernahm er zur Sicherung "aller
gegenwärtigen und künftigen Ansprüche und Forderungen aus der
Geschäftsverbindung, insbesondere aus gewährten oder noch zu gewährenden
Krediten irgendwelcher Art" gegen xxx bis zum Höchstbetrage von 23.970,-- DM die
selbstschuldnerische Bürgschaft; diese sollte "nicht durch eine vorübergehende Tilgung
der Schuld erlöschen und nicht an eine bestimmte Zeit gebunden sein", aus der
Gewährung weiterer Kredite sollten "Einwendungen nicht erwachsen".
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Die Klägerin belastete dann das Darlehnskonto mit insgesamt 23.970,-- DM. Den Betrag
von 15.770,56 DM schrieb sie dem laufenden Konto gut, das damals nicht im Soll stand.
Der Schuldner verfügte alsbald über diesen Betrag.
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Mitte April 1982 stand das Darlehnskonto nur noch mit 1.000,-- DM im Soll, das laufende
Konto wurde im Haben geführt. Nunmehr beantragte der Schuldner bei der Klägerin
einen erneuten Ratenkredit über netto 10.000,-- DM, brutto 11.850,-- DM,
zurückzuzahlen in 22 Monatsraten; in Höhe von 1.000,-- DM sollte der Neukredit zur
Ablösung des Altkredits verwendet werden. Die Klägerin belastete daraufhin das
Darlehnskonto mit 11.850,-- DM, während sie dem laufenden Konto 9.000,-- DM
gutschrieb. Der Schuldner verfügte anschließend alsbald über diesen Betrag. Der
Beklagte erfuhr von dieser Darlehnsgewährung nichts.
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Im Herbst 1982 kehrte der Schuldner wieder in seine Heimat zurück, von jetzt ab ging
sein Lohn nicht mehr auf dem laufenden Konto ein. Nunmehr geriet das laufende Konto
durch weitere Abbuchungen, unter anderem zugunsten des Darlehnskontos, immer
weiter ins Soll. Am 21.4.1983 buchte die Klägerin von dem Darlehnskonto den noch
offenen Rest von 5.400,-- DM auf das laufende Konto um, das auf diese Weise mit
insgesamt 11.194,-- DM in Soll geriet. Ferner belastete sie ein neu eingerichtetes
Abwicklungskonto mit weiteren 1.621,61 DM.
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Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten aus der Bürgschaft auf Zahlung des
Gesamtbetrages von 12.815,61 DM nebst Zinsen in Anspruch. Der Beklagte hat
demgegenüber die Auffassung vertreten, die Bürgschaft erstrecke sich nicht auf das
neue Darlehen; hilfsweise hat er insoweit mit einem Schadensersatzanspruch wegen
schuldhafter Verletzung von Aufklärungs- und Hinweispflichten aufgerechnet. Das
Landgericht hat die Klage zunächst durch Versäumnisurteil abgewiesen; nach
Einspruch der Klägerin hat es das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Die Kammer hat
ausgeführt, die Bürgschaft des Beklagten sei mit der Tilgung des ersten Ratenkredits
erloschen; soweit die Bürgschaft formularmäßig auf weitere Forderungen erstreckt sei,
seien die entsprechenden Klauseln gemäß § 3 AGB-Gesetz nicht Vertragsbestandteil
geworden.
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Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie ist weiterhin der Auffassung, die
vom Beklagten übernommene Bürgschaft erstrecke sich auch auf den zweiten
Ratenkredit.
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Sie beantragt,
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abändernd den Beklagten zu verurteilen, an sie unter Aufhebung des
Versäumnisurteils 12.815,61 DM nebst 14 % Zinsen aus 12.117,39 DM seit dem
28.6.1983 und weiteren 14 % aus 629,22 DM seit dem 14.6.1983 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er behauptet: Der Sachbearbeiter der Klägerin habe ihm erklärt, er solle die Bürgschaft
für das Darlehen über 23.970,-- DM übernehmen; von der Haftung für andere Schulden
sei keine Rede gewesen. Die Bürgschaftsurkunde habe er erstmalig in dem jetzigen
Prozeß erhalten; im übrigen sei er der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die
Schriftsätze der Parteien Bezug genommen, wegen der weiteren Angaben der Parteien
bei ihrer persönlichen Anhörung auf den Berichterstattervermerk vom 24.10.1984.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung hat keinen Erfolg.
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Das Landgericht hat zu Recht angenommen, daß die Bürgschaft des Beklagten mit der
Tilgung des vom Hauptschuldner aufgenommenen ersten Ratenkredits erloschen ist
und daß die in dem Formularvertrag enthaltene Regelung, die Bürgschaft sichere auch
andere gegenwärtige und zukünftige Forderungen gegen den Hauptschuldner aus der
Geschäftsverbindung, gemäß § 3 AGB-Gesetz nicht Vertragsbestandteil geworden ist.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob die unter Beweis gestellte Behauptung des Beklagten
richtig ist, die Parteien hätten entgegen dem Wortlaut der Formularurkunde tatsächlich
übereinstimmend die Übernahme einer auf den ersten Ratenkredit begrenzten
Bürgschaft gewollt. Denn auch wenn eine derartige Individualabrede im Sinne des § 4
AGB-Gesetz tatsächlich nicht getroffen worden ist, hat die Bürgschaft gemäß § 3 AGB-
Gesetz tatsächlich keinen weitergehenden Umfang.
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Auszugehen ist davon, daß es grundsätzlich rechtlich möglich ist, die Bürgschaft für alle
gegenwärtigen und künftigen Ansprüche einer Bank gegen den Hauptschuldner aus der
bankmäßigen Geschäftsverbindung zu übernehmen; insbesondere ist eine derartige
Bürgschaft nicht mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam (BGHZ 25/318; BGH
in NJW 1965/965; in NJW 1979/2040; in NJW 1981/761). Wird eine derart umfassende
Bankbürgschaft aber formularmäßig übernommen, können sich im Einzelfall
Wirksamkeitsbedenken aus § 3 AGB-Gesetz oder aus § 9 AGB-Gesetz ergeben. Unter
welchen Voraussetzungen im Einzelfalle ein Verstoß gegen § 3 AGB-Gesetz oder § 9
AGB-Gesetz vorliegt, ist umstritten. Teilweise wird gefordert, die Bürgschaft müsse bei
Übernahme durch eine Privatperson jedenfalls zeitlich und betraglich beschränkt sein
(z.B. Wolf in Wolf-Horn-Lindacher, AGB-Gesetz, § 9 Rdn. B 12; OLG Düsseldorf in WM
1984/82 = JR 1984/331 mit Anm. Lindacher). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt;
denn die Bürgschaft ist der Höhe nach begrenzt, sie sollte sich auch nur auf
Forderungen aus der Geschäftsverbindung erstrecken. Der Senat ist aber der
Auffassung, daß hier auch die Erstreckung der Bürgschaft auf andere Forderungen als
die aus dem ersten Ratenkreditvertrag gegen § 3 AGB-Gesetz verstößt.
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Nach § 3 AGB-Gesetz werden Bestimmungen in einem Formularvertrag, die nach den
Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so
ungewöhnlich sind, daß der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen
braucht, nicht Vertragsbestandteil. Hier sollte der Beklagte die Bürgschaft nicht für einen
Kontokorrentkredit, sondern für einen Ratenkredit über netto 20.000,-- DM, brutto
23.970,-- DM übernehmen. Darum hatte ihn der Schuldner gebeten, in dieser für die
Klägerin erkennbaren Vorstellung hat der Beklagte das Bürgschaftsformular
unterschrieben. Die Bürgschaftsübernahme erfolgte in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Gewährung dieses Ratenkredits, der Bruttobetrag wurde maschinenschriftlich in
die Bürgschaftsurkunde übernommen. Die Klägerin behauptet selbst nicht, daß dem
Beklagten bei Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde erläutert worden sei, daß er die
Bürgschaft nicht nur für den Ratenkredit, sondern auch für andere Forderungen
übernehmen solle. Der Senat hat keinen Zweifel daran, daß der Beklagte die
Bürgschaftsurkunde in der Vorstellung unterschrieben hat, eine auf den Ratenkredit
beschränkte Bürgschaft zu übernehmen. Es ist glaubhaft, daß der Beklagte die Urkunde
ungelesen unterschrieben hat; er war schon aufgrund seiner sehr begrenzten
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Deutschkenntnisse kaum in der Lage, den Sinn des Formulartextes zu erfassen. Zwar
war die Klägerin nicht verpflichtet, dem Beklagten das Formular in einer Übersetzung
zur Verfügung zu stellen.
Wählen Vertragspartner nämlich die deutsche Sprache als Verhandlungs- und
Vertragssprache, muß der ausländische Vertragspartner grundsätzlich den gesamten
deutschsprachigen Vertragsinhalt einschließlich der zugrundeliegenden allgemeinen
Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen (BGH in BB 1983/1053). Damit ist aber
nicht die Frage beantwortet, ob eine einzelne Vertragsklausel "überraschend" im Sinne
des § 3 AGB-Gesetz ist. Diese Frage ist dann zu bejahen, wenn der Vertragspartner des
Verwenders nach den gesamten Umständen nicht damit zu rechnen braucht, mehr als
die Haftung für die Rückzahlung des Ratenkredits zu übernehmen. So liegt es hier.
Unstreitig wurde das laufende Konto des Hauptschuldners damals nicht im Soll geführt,
die noch bestehende Belastung auf dem Darlehnskonto sollte in den Neukredit
einbezogen werden. Schon deshalb brauchte der Beklagte nicht mit der Möglichkeit zu
rechnen, daß die Bürgschaft auch zur Absicherung anderer gegenwärtiger Forderungen
bestellt werden sollte. Es ging um die Gewährung eines bestimmten Kredits und um
dessen Absicherung. Der Beklagte konnte deshalb darauf vertrauen, daß ihm auch nur
insoweit eine Bürgschaft abverlangt wurde; alles andere war ungewöhnlich. Insoweit
kommt es nicht auf die Bankenpraxis, sondern darauf an, was allgemein bei Bestellung
einer Bürgschaft zur Absicherung eines bestimmten Kredits üblich ist (Lindacher in JR
1984/334). Daß er ein weitergehendes Haftungsrisiko übernehmen sollte, war auch in
der Bürgschaftsurkunde selbst nicht irgendwie drucktechnisch hervorgehoben. Der
Beklagte hat deshalb mit der Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde tatsächlich nur
eine Bürgschaft für den ersten Ratenkredit übernommen; der weitergehende Inhalt der
Bürgschaftsurkunde ist gemäß § 3 AGB-Gesetz nicht Vertragsbestandteil geworden (vgl.
BGH in NJW 1982/1035 für den Fall einer Sicherungsgrundschuld; OLG Stuttgart in BB
1977/415; Ulmer-Brandner-Hensen, 4. Aufl., AGB-Gesetz, § 3 Rdn. 26; Wolf-Horn-
Lindacher, AGB-Gesetz, § 9 Rdn. B 13; a.A. OLG Karlsruhe in WM 1984/1049).
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Den ersten Ratenkredit hat der Hauptschuldner unstreitig voll zurückgezahlt. Mit der
Rückzahlung dieses Kredits ist die Bürgschaft des Beklagten erloschen.
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Die Berufung der Klägerin war deshalb zurückzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 546 Abs. 2, 706 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
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