Urteil des OLG Hamm vom 03.12.2010

OLG Hamm (versicherungsfall, grobe fahrlässigkeit, versicherer, ausland, vvg, anzeige, sohn, einsichtsfähigkeit, höhe, zpo)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 16/10
Datum:
03.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 16/10
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 9 O 27/09
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 17.12.2009 verkündete Urteil
der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von
110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe (§ 540 ZPO):
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A.
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Die Klägerin ist seit 2005 Versicherungsnehmerin bei dem beklagten
Haftpflichtversicherer. Sie begehrt Deckungsschutz für einen Schadensfall vom
27.03.2008, bei dem ihr mitversicherter, damals 13jähriger Sohn X eine Benzinlache
anzündete, die sich nach dem Sturz eines Rollerfahrers gebildet hatte, worauf jener von
den Flammen erfasst wurde und Verbrennungen dritten Grades erlitt. Mit Schreiben vom
25.05.2008 zeigte die Klägerin der Beklagten den Versicherungsfall an.
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Mit der Klage hat die Klägerin beantragt,
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1. festzustellen, dass die zugunsten der Klägerin bei der Beklagten bestehende
Privathaftpflichtversicherung ################## nicht durch Kündigung der
Beklagten vom 08.07.2008 erloschen ist;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Deckungsschutz aus
dem Haftpflichtversicherungsvertrag ################## aus dem
Haftpflichtschadensfall vom 27.03.2008 zu gewähren;
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3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von Rechtsanwaltskosten in Höhe von
1.761,08 € freizustellen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Klägerin eine
Obliegenheitsverletzung begangen habe, indem sie ihren Sohn nach dem Schadensfall
ins Ausland verbracht und dadurch Feststellungen zum Vorsatz und zur
Einsichtsfähigkeit des Sohnes vereitelt habe. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen
Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
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Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre Begehren aus den Klageanträgen zu 2.) und
3.) weiter, während die Beklagte das landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des
Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Feststellungen sind dahin zu
ergänzen, dass es auch vorher schon einen Versicherungsfall gegeben hatte, nachdem
X bei einer Tankstelle ein Schild eingetreten hatte. Diesen Versicherungsfall hatte die
Klägerin sofort beim Versicherer gemeldet und dann auch Ersatz erhalten.
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B.
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Ergebnis unbegründet.
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Für den Schadensfall gelten die vereinbarten "Allgemeinen Versicherungsbedingungen
für die Haftpflichtversicherung (AHB 2001)" der Beklagten sowie das
Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden
Fassung (Art. 1 Abs. 2 EGVVG).
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Der Klägerin steht ein Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung nicht zu.
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I.
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Zwar liegt nicht die vom Landgericht angenommene Obliegenheitsverletzung darin,
dass die Klägerin ihren Sohn X nach dem Schadensfall einer anderweitigen Erziehung
im Ausland zuführte und ihn der polizeilichen Ermittlungstätigkeit entzog. Denn im
Strafverfahren ist niemand verpflichtet, sich selbst oder einen nahen Angehörigen zu
belasten und an der Aufklärung der von ihm begangenen Straftaten mitzuwirken. Das
gilt auch dann, wenn eine konkrete Bestrafung schon wegen Strafunmündigkeit nicht in
Betracht käme.
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Die fehlende Mitwirkung im Strafverfahren hat auch keine Auswirkung auf das
Versicherungsverhältnis. Deshalb durfte die Beklagte sich nicht, wie das Landgericht
meint, auf die fehlende Kooperation der Klägerin im Ermittlungsverfahren zurückziehen
und von eigenen Rückfragen bei der Klägerin wegen "erkennbarer Aussichtslosigkeit"
absehen, sondern musste eigene Nachfragen stellen. Eine Obliegenheitsverletzung
nach § 5 Ziff. 3 AHB, auf die das Landgericht seine Entscheidung stützt, hätte daher nur
angenommen werden können, wenn die Klägerin eine Aufforderung der Beklagten, den
Aufenthalt des Sohnes mitzuteilen, nicht befolgt hätte. Eine solche Aufforderung seitens
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des Versicherers gab es jedoch nicht.
Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung eine gesonderte Belehrung des
Versicherungsnehmers darüber verlangt, dass vorsätzlich falsche oder unvollständige
Angaben auch dann zum Verlust des Versicherungsschutzes führen können, wenn dem
Versicherer hieraus kein Nachteil erwächst (s. Prölls/Martin § 5 AHB Rdn. 4). Auch
hieran fehlt es.
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3.
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Allerdings liegt eine Obliegenheitsverletzung nach § 5 Ziff. 1 AHB / § 153 Abs. 1 VVG
a.F. darin, dass die Klägerin den Versicherungsfall nicht unverzüglich, spätestens
innerhalb einer Woche, bei der Beklagten anzeigte. Die Klägerin erfuhr spätestens am
02.04.2008 durch die Polizei von dem Vorfall, telefonisch sogar bereits am 31.03.2008.
Spätestens eine Woche darauf hätte sie den Versicherungsfall bei der Beklagten
anzeigen müssen. Tatsächlich zeigte sie den Versicherungsfall erst annähernd drei
Monate später mit Schreiben vom 25.06.2008 an.
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a)
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Vorsätzliches Handeln der Klägerin wird nach § 153 Abs. 1 Satz 2, § 6 Abs. 3 VVG a.F.
vermutet. Die Vorsatzvermutung ist nicht dadurch widerlegt, dass die Klägerin im
Senatstermin angab, sie habe nicht gewusst, dass sie den Versicherungsfall sofort beim
Versicherer habe melden müssen. Denn aus einem vorangegangenen
Versicherungsfall, bei dem X ein Schild eingetreten hatte, waren ihr die Abläufe
bekannt.
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Das Unterlassen der Anzeige war relevant. Die Interessen des Versicherers wurden
durch die verspätete Anzeige ernsthaft gefährdet, denn es konnten über einen langen
Zeitraum keine Erhebungen angestellt werden.
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b)
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Selbst wenn man die Vorsatzvermutung als mit der Unwissenheit der Klägerin widerlegt
ansähe, beruhte die Obliegenheitsverletzung wenigstens auf grober Fahrlässigkeit der
Klägerin. Denn diese hätte sich nach dem Schadensfall über ihre
versicherungsrechtlichen Obliegenheiten anhand der Versicherungsbedingungen oder
durch Nachfragen beim Versicherer informieren müssen. Das Unterlassen jeglicher
Bemühungen, sich über die einzuleitenden Schritte zu orientieren, stellt einen
besonders schweren Sorgfaltsverstoß und somit grobe Fahrlässigkeit dar.
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Die verspätete Anzeige hatte auch Einfluss auf die Feststellung der dem Versicherer
obliegenden Leistung (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VVG a.F.), da es dem Versicherer dadurch
genommen wurde, Untersuchungen zur deliktischen Einsichtsfähigkeit des Kindes
anzustellen. Weil es auf die Einsichtsfähigkeit zum Tatzeitpunkt ankommt, hätten diese
Untersuchungen zeitnah nach dem Vorfall angestrengt werden müssen und nicht mit
mehrmonatiger Verspätung. Für diese Untersuchungen kam es auch nicht darauf an, ob
X bereits ins Ausland verbracht war, da die Untersuchungen auch im Ausland hätten
angestellt werden können.
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4.
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Leistungsfreiheit für den Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen
Obliegenheitsverletzung ist auch vereinbart (§ 6 AHB).
27
II.
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Da die Rechtsverfolgung der Klägerin erfolglos blieb, ist auch der Anspruch auf
Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unbegründet.
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III.
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Die nicht nachgelassenen Schriftsätze beider Parteien vom 14.10.2010, 28.10.2010,
08.11.2010 und 26.11.2010 nötigen nicht zu einer Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung (§ 156 Abs. 1, 2 ZPO).
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IV.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.
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