Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (elterliche gewalt, gleichberechtigung von mann und frau, antragsteller, unterhalt, einkommen, kind, sohn, rechtskraft, ehegatte, tochter)

Oberlandesgericht Hamm, 1 UF 165/79
Datum:
20.11.1979
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 UF 165/79
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 34 F 1167/78
Tenor:
Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 22. März 1979
verkündete Urteil des Amtsgerichts (Familiengerichts) Bielefeld
abgeändert, soweit der Antragsteller verurteilt worden ist, an die
Antragsgegnerin für die Zeit ab Rechtskraft des Scheidungsausspruches
monatlich 340,- DM Unterhalt zu zahlen.
Der Unterhaltsanspruch wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien haben am 15. August 1973 geheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder,
nämlich die am ... geborene Tochter ... und der am ... geborene Sohn ...
hervorgegangen. Seit November 1978 leben die Parteien voneinander getrennt.
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Die Parteien haben beantragt,
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die am 15. August 1973 vor dem Standesbeamten des Standesamts Bielefeld Mitte
Registernummer 774/73 geschlossene Ehe der Parteien zu scheiden.
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Die elterliche Gewalt über die Tochter ... dem Antragsteller und die elterliche Gewalt
über den Sohn ... der Antragsgegnerin zu übertragen.
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Die Antragsgegnerin hat ferner beantragt,
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den Antragsteller zu verurteilen, ab Rechtskraft des Scheidungsverfahrens
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a) für den Sohn ... monatlich 205,- DM Unterhalt und
b) für sie selbst monatlich 516,- DM Unterhalt zu zahlen.
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Der Antragssteller hat den Unterhaltsanspruch bezüglich des Sohnes Michael in Höhe
von 205,- DM monatlich anerkannt und im übrigen beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Durch das am 22. März 1979 verkündete Urteil hat das Amtsgericht die Ehe der Parteien
geschieden, die elterliche Gewalt über Andrea auf den Antragsteller und über ... auf die
Antragsgegnerin übertragen. Ferner hat das Amtsgericht den Antragsteller verurteilt, ab
Rechtskraft des Scheidungsurteils an die Antragsgegnerin für den Sohn ... monatlich
205,- DM und für die Antragsgegnerin selbst 340,- DM monatlichen Unterhalt zu zahlen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe dieses
amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
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Gegen dieses am 29. März 1979 verkündete Urteil wendet sich der Antragsteller mit der
am 25. Juni 1979 eingelegten und nach der am 25. Juli 1979 erfolgten
Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist
rechtzeitig eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.
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Er will den Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin insgesamt abgewiesen wissen.
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Er macht geltend, sein Einkommen sei nur zur Hälfte anzurechnen, da auch er ein
minderjähriges Kind betreue und deshalb im Verhältnis zur Antragsgegnerin nicht
arbeitspflichtig sei. Doch selbst wenn man sein gesamtes Nettoeinkommen
zugrundelege, so sei er nicht in der Lage, Unterhalt zu zahlen, weil er für die Betreuung
des bei ihm lebenden Kindes während einer Arbeitszeit 350,- DM aufwenden müsse.
Ferner habe er Miete, Kindergarten, Rundfunk, Fernsehen, Versicherungen monatlich
527,- DM aufzuwenden. Darüber hinaus müsse er anfallende Krankheitskosten zu 20 %
selbst tragen, da er nur 80 % dieser Kosten ersetzt erhalte.
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Er beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit er verurteilt
worden ist, ab Rechtskraft des Scheidungsurteils an die Antragsgegnerin monatlich
340,- DM Unterhalt zu zahlen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie macht geltend, sie sei wegen der Betreuung eines der minderjährigen Kinder aus
der gemeinsamen Ehe nicht arbeitspflichtig und daher unterhaltsbedürftig. Unter
Hinweis auf § 1577 Abs. 2 BGB beziffert sie ihren Unterhaltsbedarf auf wenigstens
1.000,- DM und hat unter Berücksichtigung des Einkommens des Antragstellers, das sie
auf monatlich knapp 2.060,- DM ohne Kindergeld beziffert hat, zunächst
Anschlußberufung angekündigt, mit dem Antrag,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Antragsteller zu verurteilen, an sie ab
Rechtskraft des Scheidungsurteils monatlich 516,- DM zu zahlen.
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Nach Verweigerung des hierfür begehrten Armenrechts durch den Senat hat sie diesen
Antrag nicht weiterverfolgt.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien einen
Teilvergleich geschlossen, indem der Antragsteller sich verpflichtet hat, für den Sohn ...,
der von der Antragsgegnerin versorgt wird, zu den vom Familiengericht zuerkannten
205,- DM ab Rechtskraft der Scheidung noch 1/4 des auf beide Kinder entfallenden
Kindergeldes also noch 37,50 DM zu zahlen.
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Wegen des Einkommens des Antragstellers wird auf die von ihm vorgelegte
Gehaltsauskunft seines Arbeitgebers vom 9. August 1979 (Bl. 123, 124) sowie auf die
von ihm im Termin vorgelegte Gehaltsabrechnung für die Monate August, September
und Oktober 1979 verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung hat Erfolg.
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Zwar hat die Antragsgegnerin im Grundsatz einen Unterhaltsanspruch nach § 1570
BGB, da sie eine entgeltliche Erwerbstätigkeit nicht ausübt und eine solche von ihr, die
sie den aus der Ehe der Parteien stammenden vier Jahre alten Sohn ... betreut, auch
nicht erwartet werden kann. Zudem ist sie während der Ehe nicht regelmäßig einer
Berufstätigkeit nachgegangen, so daß es auch den Lebensverhältnissen der Parteien,
nicht entspricht, evtl. trotz der Betreuung eines Kindes berufstätig zu sein.
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Der Antragsteller ist jedoch unter Berücksichtigung seiner Erwerbs- und
Vermögensverhältnisse und unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen
außer Stande, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts der Antragsgegnerin
Unterhalt zu gewähren (§ 1581 BGB). Sein monatliches Bruttoeinkommen beläuft sich,
wie sich aus den Gehaltsstreifen für die Monate August bis Oktober 1979 ergibt, auf
1.921,02 DM. Hiervon muß er, da er inzwischen von der Antragsgegnerin geschieden
ist, und nur eines der beiden aus der Ehe stammenden Kinder bei sich hat, Steuern
nach der Steuerklasse 2, ein Kind, entrichten. Das sind 204,- DM Lohnsteuern und
13,86 DM Kirchensteuern, also 217,86 DM. Sein monatliches Bruttoeinkommen
vermindert sich deshalb auf 1.703,16 DM.
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Diesem Einkommen sind das anteilige Weihnachtsgeld und das anteilige Urlaubsgeld
zuzurechnen. Aus der Gehaltsbescheinigung seines Arbeitsgebers vom 9. August 1979
ergibt sich, daß er 1978 Weihnachtsgeld in Höhe von 1.948,65 DM brutto bezogen hat,
das sich um 278,- DM Lohnsteuer vermindert hat. Ihm sind somit 1.670,- DM im Jahr
oder 139,40 DM auf den Monat umgerechnet verblieben. Von 300,- DM Urlaubsgeld
brutto verbleiben ihm, so ist zu schätzen, 200,- DM netto, oder 16,66 DM pro Monat.
Dem monatlichen Einkommen des Antragstellers sind deshalb insgesamt 156,06 DM
hinzuzurechnen, so daß er ein Nettoeinkommen von 1.859,22 DM hat. Dieses
Einkommen vermindert sich um 59,- DM monatlich für Krankenversorgung, wie sich aus
den vorgelegten Gehaltsstreifen für die Monate August bis Oktober 1979 ergibt. Es
verbleiben ihm somit rd. 1.800,- DM.
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Dieses Einkommen vermindert sich um weitere 100,- DM, die der Antragsteller
monatlich zurückzahlen muß, da er ein Darlehen in Höhe von 2.000,- DM aufgenommen
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hat, um der Antragsgegnerin den Ankauf von Möbeln für ihre neueinzurichtende
Wohnung zu ermöglichen.
Ferner sind von dem Einkommen des Antragstellers vorab die Beträge abzuziehen, die
er zum Unterhalt für die beiden aus der Ehe stammenden minderjährigen Kinder
aufwenden muß. Darüber waren sich die Parteien im Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Senat einig.
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Für den Sohn Michael, der bei der Antragsgegnerin versorgt wird, sind hier vom
Antragsteller nach dem vor dem Senat geschlossenen Vergleich vom 25. Oktober 1979
242,50 DM pro Monat aufzuwenden.
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Ferner hat er Aufwendungen für die bei ihm lebende Tochter ... Der zu ihrer Betreuung
notwendige finanzielle Aufwand ist ebenfalls vor Berechnung des Unterhaltsanspruchs
der Antragsgegnerin vom Einkommen des Antragstellers abzuziehen. Ihr
Unterhaltsbedarf ist unter Anwendung der gleichen Grundsätze, wie bei der Berechnung
des Bedarfs des Sohnes ... bei der gebotenen Gleichbehandlung beider Kinder unter
Berücksichtigung des Altersunterschieds einschließlich des Kindergeldes nach der
Düsseldorfer Tabelle, die der Senat bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen in
ständiger Rechtsprechung zugrundelegt, auf monatlich 222,50 DM festzusetzen.
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Weil die Sätze der Düsseldorfer Tabelle lediglich die Unterhaltsverpflichtung des
barunterhaltspflichtigen Elternteils festlegen, der neben dem anderen Elternteil
unterhaltsverpflichtet ist, der die Betreuung des Kindes übernommen hat, so stellen die
in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Sätze nur rd. die Hälfte des wahren
Unterhaltsbedarfs des Kindes dar. Da die Unterhaltsleistungen beider Elternteile
grundsätzlich gleichwertig sind, der Antragsteller im vorliegenden Fall auch die
Betrauung von Andrea übernommen hat, ist von seinem Einkommen vorweg weiterhin
eine Pauschale für die Betreuung der Tochter in Höhe von mindestens weiteren 222,50
DM abzusetzen, -wenn nicht ein Betrag von 350,- DM, der den tatsächlichen
Aufwendungen entspricht,- so daß sich der gesamte Unterhaltsbedarf der Kinder auf
mindestens 687,50 DM beläuft.
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Von dem Einkommen des Antragstellers verbleiben daher noch 1.012,50 DM.
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Der Senat ist der Auffassung, daß der Antragsteller von diesem restlichen Einkommen
der Antragsgegnerin keinen Unterhalt mehr zu zahlen und sich insbesondere nicht mit
dem sogen, notwendigen Selbstbehalt von ca. 800,- DM zu bescheiden braucht.
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Ebenso wie die Antragsgegnerin betreut er ein minderjähriges Kind. Nach der Vorschrift
des § 1570 BGB kann daher von ihm im Grundsatz nicht erwartet werden, daß er einer
Erwerbstätigkeit nachgeht, um Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten
erfüllen zu können. Daran kann sich nicht deshalb etwas ändern, weil auch der andere
Ehegatte ein gemeinsames minderjähriges Kind betreut. Beide geschiedenen
Ehegatten befinden sich in der gleichen Situation. Beide könnten sie, gestützt auf §
1570 BGB, Unterhaltsansprüche gegen den anderen geltend machen, wenn nicht, wie
hier der Antragsteller selbst für seinen Unterhalt sorgte (§ 1569 BGB). Es besteht
angesichts der in Art. 3 Abs. 2 GG festgelegten Gleichberechtigung von Mann und Frau
und der Ausgestaltung der Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehegatten
gegeneinander nach dem 1. EheRG keine Möglichkeit, dem Ehegatten, der bei
Bestehen der Ehe durch seine Arbeit für den finanziellen Unterhalt der Familie gesorgt
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hat, nach der Auflösung der Familie weiterhin die Verpflichtung aufzuerlegen, zur
Deckung des Unterhaltsbedarfs des anderen Ehegatten, der ein minderjähriges Kind
versorgt, einer Berufstätigkeit nachzugehen, wenn auch er selbst ein minderjähriges
Kind betreut. Es gibt nach der durch das 1. EheRG Art. 1 Ziff. 20 eingeführten Vorschrift
der § 1569 BGB keinen allgemeinen Grundsatz zur Unterhaltsverpflichtung der
geschiedenen Ehegatten gegeneinander, sondern nur, gleichsam als
Ausnahmevorschriften eingeführte, Einzeltatbestände die zu einer
Unterhaltsberechtigung führen können (BT-DruckS. 7/650 S. 121 und 7/4361 S. 16).
Das durch das 1. EheRG Gesetz gewordene nacheheliche Unterhaltsrecht verfolgt
gerade in Abkehr von dem bisherigen Verschuldensprinzip den Grundsatz, daß jeder
Ehegatte nach der Scheidung für sich selbst zu sorgen habe. (Grundsatz der
Eigenverantwortlichkeit). (Vgl. Palandt-Diederichs BGB, 37. Aufl., § 1569 Anm. 1;
Erman-Ronke, BGB, Nachtragsheft neues Familienrecht § 1569 Rdn. 5; Münchener
Kommentar BGB, Familiengericht 1978 § 1569 Anm. 1).
Das bedeutet jedoch nicht, daß in einem wie dem vorliegenden Falle die
Unterhaltsverpflichtung der geschiedenen Ehegatten gegeneinander vollends entfällt.
Denn das neue nacheheliche Unterhaltsrecht enthält neben dem Grundsatz der
Eigenverantwortlichkeit ferner den der Mitverantwortlichkeit. Der nacheheliche
Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehegatten gegeneinander ist seiner Rechtsnatur
nach, wie schon nach dem bisherigen Recht, ein familienrechtlicher Anspruch, der sich
als Nachwirkung der Ehe ergibt (BGHZ 20, 127/135; Münchener Kommentar a.a.O. Rdn.
2 und 5; Rolland, 1. EheRG § 1569 Rdn. 6 m.w.N.). Besteht deshalb nach Scheidung
der Ehe eine ehebedingte Bedürftigkeit, weil z.B. ein Ehegatte wegen der Betreuung
minderjähriger Kinder von der Begründung einer eigenen wirtschaftlicher Existenz
abgesehen hat, so besteht eine Unterhaltsberechtigung und auf der anderen Seite eine
Unterhaltsverpflichtung. Letztere kann den erwerbstätigen geschiedenen Ehegatten, der
ebenfalls ein aus der Ehe stammendes minderjähriges Kind betreut, jedoch nicht in
gleicher Weise treffen, wie denjenigen, der sich in einer solchen Lage nicht befindet. Er
ist zwar wegen der auch weiterhin von ihm ausgeübten Berufstätigkeit nicht bedürftig
und kann daher keine Unterhaltsansprüche gegen den anderen Ehegatten geltend
machen. Doch, da er im übrigen durch die Betreuung des minderjährigen Kindes in der
gleichen Lage sich befindet wie der andere Ehegatte, also "quasi unterhaltsberechtigt"
ist, erscheint es gerechtfertigt, seine Einkünfte gegenüber einem Unterhaltsanspruch
des geschiedenen Ehegatten in Anwendung des Gedankens des § 1577 Abs. 2 BGB
nur insoweit anzurechnen, als sie nach Abzug der übrigen gegenüber
Unterhaltsansprüchen relevanten oben genannten Verbindlichkeiten seinen eigenen
"vollen Unterhalt" im Sinne des § 1578 BGB übersteigen. Der zur Deckung seines
Lebensbedarfs angemessene Betrag hat daher hier dem Antragsteller zu verbleiben.
Dieser Betrag wird vom Senat in Übereinstimmung mit den übrigen Familiensenaten
des hiesigen OLG mit wenigstens 1.000,- DM angesetzt. Nach Abzug des auf die
minderjährigen Kinder entfallenden oben berechneten Unterhaltsbedarfs von 687,50
DM verbleiben dem Antragsteller gerade 1.000,- DM, so daß ein Unterhaltsanspruch der
Antragsgegnerin entfällt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entsprechenden
Anwendung des Rechtsgedanken des § 1577 Abs. 2 BGB in ähnlichen Fällen gem. §
621 d Abs. 1 ZPO zugelassen worden.
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