Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (treu und glauben, zpo, vergleich, elterliche gewalt, anwaltliche vertretung, beschwerde, protokoll, vertretung, verhandlung, scheidung)

Oberlandesgericht Hamm, 6 UF 313/79
Datum:
27.06.1979
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 UF 313/79
Vorinstanz:
Amtsgericht Bocholt, 5 F 161/77
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten der Beschwerde nach einem Wert
von 7.680, DM.
Gründe:
1
Die Parteien haben im Ehescheidungsverfahren vor dem Familiengericht Bocholt in der
mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 1977 einen Vergleich über
Scheidungsfolgen im Sinne des § 630 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 ZPO zu gerichtlichem
Protokoll erklärt. Der Antragsgegner war weder im Verfahren noch bei Abschluß des
Vergleichs anwaltlich vertreten. Ihm war zuvor vom Familiengericht zweimal schriftlich
mitgeteilt worden, er könne sich nur dann an dem Verfahren beteiligen und Anträge
stellen, wenn er sich durch einen beim Landgericht Münster oder in Bocholt
zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lasse. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung
vom 1. Dezember 1977 hat der Antragsgegner vorab zu Protokoll gegeben, ihm sei klar,
daß er an sich durch einen beim Familiengericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten
sein müßte; im Augenblick verzichte er aber auf eine Vertretung durch einen Anwalt.
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Nach Abschluß des Vergleichs hat das Familiengericht durch Verbundurteil vom selben
Tage die Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Gewalt über die aus der Ehe
hervorgegangenen Kinder im Einverständnis der Parteien dem Jugendamt der Stadt
Bocholt übertragen und die Regelung des Versorgungsausgleichs abgetrennt.
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Nachdem der Antragsgegner zunächst Unterhalt an die Antragstellerin gezahlt hatte,
stellte er im Frühjahr 1978 die Zahlungen ein bzw. leistete er nur noch sporadisch und
unzureichend Unterhalt an diese. Die Antragstellerin betrieb daraufhin die
Zwangsvollstreckung aus dem obengenannten Vergleich.
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Mit Schriftsatz vom 11. Mai 1979 legte der Antragsgegner, nunmehr anwaltlich vertreten,
beim Familiengericht Erinnerung gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel mit der
Begründung ein, da er beim Abschluß des Vergleichs nicht durch einen zugelassenen
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Rechtsanwalt vertreten gewesen sei, stelle der Vergleich keinen vollstreckbaren Titel
dar, und deshalb hätte eine Klausel nicht erteilt werden dürfen.
Durch den angefochtenen Beschluß, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, hat das
Familiengericht die Erinnerung, welcher der Urkundsbeamte nicht abgeholten hat,
zurückgewiesen.
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Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Beschwerde. Er meint, abgesehen
davon, daß zur Entscheidung über die Erinnerung nicht das Familiengericht, sondern
das Vollstreckungsgericht zuständig gewesen sei, widerspreche die Auffassung des
Familiengerichts, Prozeßvergleiche in Ehesachen unterlägen nicht dem Anwaltszwang,
der eindeutig herrschenden Auffassung in der neuesten Rechtsprechung.
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Die Beschwerde ist gem. §§ 732, 576 Abs. 2 ZPO zulässig.
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Sachlich hat sie jedoch keinen Erfolg.
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Was zunächst die Rüge der Unzuständigkeit des vom Antragsgegner mit der Erinnerung
angerufenen Familiengerichts angeht, so entbehrt diese jeglicher Rechtfertigung. Wie
der Antragsgegner bei der Adressierung seiner Erinnerung durchaus richtig erkannt hat,
entscheidet über Einwendungen gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel gemäß
§ 732 Abs. 1 ZPO das Gericht, dessen Geschäftsstelle die Klausel erteilt hat. Da der
Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Familiengerichts gemäß § 724 ZPO die
Vollstreckungsklausel zu erteilen hatte und auch erteilt hat, war das Familiengericht zur
Entscheidung über die Erinnerung berufen. Aus den vorgenannten gesetzlichen
Vorschriften ergibt sich eindeutig, daß die Erteilung der Vollstreckungsklausel noch
keine Vollstreckungsmaßnahme darstellt und deshalb auch nach der Entscheidung des
BGH vom 31. Januar 1979 (NJW 1979, 1048) Einwendungen dagegen vom
Prozeßgericht zu bescheiden sind.
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Demgemäß ist auch der Senat zur Entscheidung über die Beschwerde berufen.
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In der Sache selbst ist die Frage, ob ein zu gerichtlichem Protokoll erklärter
Scheidungsfolgenvergleich nur dann einen wirksamen Vollstreckungstitel darstellt,
wenn beide Parteien dabei durch Rechtsanwälte vertreten waren, erheblich umstritten.
Bejahende und verneinende Stimmen sind fast gleichmäßig verteilt, so daß entgegen
der Auffassung des Antragsgegners keineswegs eindeutig von einer herrschenden
Meinung gesprochen werden kann.
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Zu den bejahenden Stimmen gehören:
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OLG Celle (9. Ziv.Sen.) (Nieders. Rpfl. 75, 137), OLG Hamm (NJW 75, 1709 = JMBL NW
75, 221), OLG Köln (17. Ziv.Sen.) (NJW 72, 2317), OLG Bremen (MDR 69, 393), OLG
Karlsruhe (Justiz 72, 116), OLG München (NJW 62, 351), OLG Celle im Beschl. v.
16.1.78 in 17 UF 30/77, OLG Oldenburg im Beschl. v. 23.12.77 in 5 WF 57/77,
Rosenberg-Schwab (Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., § 132 III 2 g) (S 727)), Brüggemann
(FamRZ 77, 587), Herbert Schneider (NJW 71, 1043), Baumbach-Hartmann (ZPO, 37.
Aufl., § 78 Anm 2 B und Anh. nach § 307 Anm. 4 F), Thomas-Putzo (ZPO, 10. Aufl.,
§ 794 Anm II 3 d), Zöller-Vollkommer (ZPO, 12. Aufl., § 78 Anm II 1 b aa)), Stein-Jonas-
Pohle (ZPO, 19. Aufl., § 78 Anm IV 4), Stein-Jonas-Pohle-Münzberg (a.a.O., § 794 Anm
II 2 b), Palandt-Diederichsen (BGB, 38. Aufl., § 1585 c = Anm 2 e).
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Die Frage verneinen u.a.: BGH (LM Nr. 3 zu § 826 (F a) BGB), OLG Celle (7. Ziv.Sen.)
(Nieders. Rpfl. 74, 187), OLG Celle (8. Ziv.Sen) (MDR 67, 407), OLG Frankfurt (NJW 61,
882), OLG Neustadt (NJW 58, 795; NJW 64, 1329), OLG Köln (16. Ziv.Sen.) (MDR 73,
413), OLG Koblenz (NJW 71, 1043; MDR 76, 940), OLG Frankfurt im Beschl. vom
15.6.78 in 1 WF 459/77, Hornung (Rpfl 73, 77), Mes (Rpfl. 69, 273), Egon Schneider
(MDR 69, 393), Tiarks (NJW 77, 2303), Blomeyer (Zivilprozeßrecht, 1963, § 65 V
(S 328)), Gernhuber (Familienrecht, 2. Aufl. 1971, § 25 V 1), Zöller-Korch (a.a.O., § 630
Anm 6 c), Soergel-Siebert (BGB, 10. Aufl., § 72 EheG Rdn. 27) und Rolland (1. EheRG,
1. Aufl., § 1585 c BGB, Rdn 40).
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Soweit letztere Stimmen, wie z.B. der BGH (a.a.O.), das OLG Koblenz (a.a.O.) und Mes
(a.a.O.), den Anwaltszwang ausdrücklich für einen Vergleich in Anordnungsverfahren
nach § 627 b ZPO alter Fassung abgelehnt haben, fragt es sich allerdings schon, ob
diese Auffassung auf Scheidungsfolgenvergleiche nach den jetzt geltenden Vorschriften
der ZPO noch anwendbar sind. Nach § 78 Abs 1 Ziff. 2 ZPO neuer Fassung sind
nämlich Folgesachen gerade dem Anwaltszwang unterworfen. Sie werden auch, soweit
es sich um endgültige Regelungen für den Fall der Scheidung handelt, nach § 623 ZPO
nicht im Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, sondern gleichzeitig
und zusammen mit der Scheidungssache verhandelt und entschieden. Ein
Scheidungsfolgenvergleich stellt dementsprechend nach dem heutigen Rechtszustand
keinen Vergleich in einem Nebenverfahren mehr dar, sondern er ist ein Vergleich in der
Hauptsache (§§ 610 Abs 2 Satz 2, 623 ZPO; vgl. auch die kostenmäßige Behandlung
von Scheidungs- und Folgesachen in §§ 19 a GKG, 7 Abs. 3 BRAGO). Der
Anwaltszwang besteht im übrigen selbst dann fort (vgl. BGH, Beschl. v. 17.1.1979 in
IV ZB 111/78), wenn nur eine in einem Verbundurteil enthaltene Entscheidung über eine
Folgesache, nicht aber gleichzeitig die über die Ehesache, angefochten werden soll.
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Der Senat braucht zu dieser Frage aber ebensowenig wie dazu, welcher der beiden
grundsätzlichen Meinungen über die Wirksamkeit eines ohne anwaltliche Vertretung
abgeschlossenen Scheidungsfolgenvergleichs zuzustimmen ist, endgültig Stellung zu
nehmen. Im vorliegenden Fall könnte sich nämlich der Antragsgegner selbst im Falle
der Unwirksamkeit des Vergleichs vom 1. Dezember 1977 nicht mit Erfolg darauf
berufen. Einer solchen Berufung des Antragsgegners steht der Einwand des
Rechtsmißbrauchs entgegen (vgl. dazu BAG, NJW 70, 349).
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Dieser ist ein Ausfluß des Grundsatzes von Treu und Glauben, der nach allgemeiner
Ansicht auch das Prozeßrechtsverhältnis beherrscht (vgl. u.a. BGH 248, 354; BGHZ 69,
43; BAG a.a.O.; Baumbach-Hartmann, a.a.O. Einl. III Anm 6; Zöller-Vollkommer, a.a.O.,
Einl III a und Vorbem. A I 4 vor § 128). Da es nicht Zweck einer staatlichen Einrichtung
wie der Gerichte ist, einer ungerechten Sache zum Siege zu verhelfen, ist jeder
Rechtsmißbrauch als Verstoß gegen Treu und Glauben von Amts wegen zu beachten
(Baumbach-Hartmann, a.a.O.).
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Dem Antragsgegner war, wie er in der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 1977
zu Protokoll gegeben hat, auf Grund der Belehrung durch den Familienrichter bekannt,
daß er im Ehescheidungsverfahren an sich durch einen beim Prozeßgericht
zugelassenen Rechtsanwalt vertreten sein müßte, falls er sich am Verfahren aktiv
beteiligen wollte. Wenn er dann auf Vorschlag des Familienrichters, der den wirksamen
Abschluß eines Scheidungsfolgenvergleichs trotz fehlender anwaltlicher Vertretung für
möglich hielt, eine solche Vereinbarung zum Zwecke der Beendigung des Verfahrens
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hinsichtlich der Regelung des Unterhalts und der Ehewohnung zu treffen bereit war, war
er sich, zumindest unter Parallelwertung in der Laiensphäre, nicht allein dessen bewußt,
daß er bei der Herstellung eines Vollstreckungstitels mitwirkte. Er war in diesem
Rahmen auch hinreichend darüber orientiert, daß die Wirksamkeit des
Vollstreckungstitels Bedenken begegnen konnte.
Da er den Vergleich trotzdem als Voraussetzung einer einverständlichen Scheidung
gem. § 630 ZPO geschlossen und außerdem in der Folgezeit länger als ein Jahr als
wirksam und maßgeblich für seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der
Antragstellerin angesehen hat, ist es ihm nach Treu und Glauben nun verwehrt, den
möglichen Formfehler der mangelnden anwaltlichen Vertretung als Hindernis für eine
Klauselerteilung geltend zu machen (vgl. BAG, a.a.O.).
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Dem kann nicht mit Reinicke (NJW 70; 306 ff) unter Verweisung auf die Entscheidungen
des BGH in WM 57, 1440 und WM 64, 482 ff (487) entgegengehalten werden, die
Tatsache, daß die Parteien das formwidrig abgeschlossene Rechtsgeschäft lange Zeit
als gültig angesehen und sich danach gerichtet hätten, reiche nicht aus, um es nach
Treu und Glauben rechtlich als gültig zu behandeln, es müßten schon im Vertrauen auf
die Gültigkeit schwerwiegende und nicht mehr rückgängig zu machende Maßnahmen
getroffen worden sein; außerdem sei der durch den Vergleich begünstigte Teil bei einer
Unwirksamkeit als Prozeßvergleich nicht einmal benachteiligt, da in diesem in der
Regel jedenfalls eine wirksame materielle Vereinbarung zu sehen sei, auf Grund deren
er nunmehr eine Klage erheben könne. Einmal ist im vorliegenden Fall im Vertrauen auf
die Gültigkeit des Vergleichs vom 1. Dezember 1977 als schwerwiegende nicht mehr
rückgängig zu machende Maßnahme die Scheidung der Ehe der Parteien durchgeführt
worden (§ 630 ZPO), durch die der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Antragstellerin
entscheidend umgestaltet worden wäre. Ohne diesen Vergleich hätte zunächst eine
anderweitige Feststellung dieses Unterhaltsanspruchs erfolgen müssen, was die
Ehescheidung zumindest nicht unerheblich verzögert hätte. Außerdem wäre, wenn der
Vergleich vom 1. Dezember 1977 nicht als Vollstreckungstitel beabsichtigt gewesen
wäre, jedenfalls im Verbundurteil die Verpflichtung des Antragsgegners zur
Unterhaltszahlung tituliert worden, so daß die Antragstellerin nicht neu hätte auf
Unterhaltszahlung klagen müssen. Eine erneute Unterhaltsklage selbst auf der
Grundlage einer im Vergleich vom 1. Dezember 1977 zu sehenden materiellen
Vereinbarung wäre aber für die Antragstellerin, die mangels sonstiger Einkünfte auf die
Unterhaltszahlung durch den Antragsgegner angewiesen ist, nicht zumutbar.
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Unter diesen Umständen hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des
Familiengerichts die Vollstreckungsklausel zu Recht erteilt.
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Die Beschwerde war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
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Als Gegenstandswert war der Wert des zu vollstreckenden Anspruchs (§ 17 Abs. 1
GKG) festzusetzen (vgl. OLG Köln Rpfleger 69, 247; Zöller-Scherübl, a.a.O., § 732 Anm
IV 3 i. V. mit § 731 Anm VI 3).
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