Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (schutz der ehe, treu und glauben, unerlaubte handlung, vertragliche beziehung, berufliche tätigkeit, tatsächliche vermutung, zusammenleben, verhältnis zu, mieter, zpo)

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 216/76
Datum:
14.12.1976
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 216/76
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 4 O 156/76
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des
Landgerichts Paderborn vom 25. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die am 20. März 1962 geborene Beklagte aus übergegangenem
Recht (§ 1542 RVO) auf Ersatz von Leistungen in Anspruch, welche sie als Trägerin der
gesetzlichen Krankenversicherung an ihr Mitglied ... aufgrund eines Unfalls vom 5. Juni
1975 erbracht hat, bei dem ... von dem Balkon der Obergeschosswohnung des
Wohnhauses ... stürzte.
2
Die Beklagte ist seit dem 15. Februar 1974 Eigentümerin dieses Hauses; bezüglich des
hier streitigen Schadensrisikos ist sie nicht haftpflichtversichert. Vorher war von 1968 an
ihr Vater Eigentümer. Sie selbst wohnt mit ihren Eltern nicht in diesem Hause. Die
Erdgeschosswohnung war an ... und die Obergeschosswohnung an ein Fräulein ...
vermietet, mit der ... seit längerem eng befreundet war und mit der er in der
Obergeschosswohnung zusammenlebte.
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Die Klägerin hat behauptet: Der Unfall habe sich dadurch ereignet, daß sich ... leicht an
die Balkonbrüstung des zur Wohnung ... gehörigen Balkons gelehnt habe. Dadurch sei
ein Teil der Balkonbrüstung abgebrochen. ... sei dabei aus einer Höhe von ca. 3,50 m
abgestürzt, da er sich nirgends habe festhalten können. Der Brüstung sei vorher nicht
anzusehen gewesen, daß sie nicht mehr sicher gewesen sei. Sie habe nur deshalb
abbrechen können, weil die Beklagte es unterlassen habe, in gehöriger Weise für die
Unterhaltung auch dieses Gebäudeteiles zu sorgen. ... habe bei dem Unfall eine
Brustkorbprellung, eine Beckenprellung sowie einen Bruch des rechten Handgelenks
und eines Fingers der rechten Hand erlitten. Sie, die Klägerin, habe für ihn an
Heilungskosten insgesamt 3.971,90 DM aufgewandt.
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Die Klägerin hat gemeint, die Beklagte hafte gemäß §§ 836, 829 BGB auf Ersatz der
Heilungskosten.
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Sie hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.971,90 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 11. August
1975 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet: Der Unfall habe sich ereignet, als ... Möbel oder Verpackungsmaterial
über den Balkon transportiert habe, ohne sich vorher zu vergewissern, ob die dabei
offensichtlich übermäßig beanspruchte Balkonbrüstung dies aushalten werde. Bei dem
Möbeltransport sei die Balkonbrüstung beschädigt und dadurch der Unfall herbeigeführt
worden.
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Im übrigen hat die Beklagte geltend gemacht: Sie sei gemäß § 828 Abs. 2 BGB für den
Schaden nicht verantwortlich, da sie zur Unfallzeit nicht die zur Erkenntnis der
Verantwortlichkeit erforderliche Reife gehabt habe. Eine Ersatzpflicht aus
Billigkeitsgründen nach § 829 BGB sei schon deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin
im Verhältnis zu ihr sehr vermögend sei. Ihr, der Beklagten, Vater habe den Balkon
gemäß Rechnung vom 8.5.1973 durch zuverlässige Handwerker instandsetzen lassen.
Weder ... noch Fräulein ... hätten als Mieter irgendwelche Schäden an dem Hause
angezeigt, obwohl sie hierzu nach dem Mietvertrag verpflichtet gewesen wären; im
Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Hausrenovierung hätten sie vielmehr auf
Befragen ausdrücklich erklärt, am Balkon seien keine Instandsetzungsarbeiten
erforderlich. Schließlich hat die Beklagte die Schadenshöhe als unsubstantiiert
bestritten.
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Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil die Klage abgewiesen und in den
Gründen ausgeführt: Eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 836, 823 BGB entfalle
gemäß § 828 Abs. 2 BGB. Auch eine Billigkeitshaftung gemäß § 829 BGB komme nicht
in Betracht. Der Klägerin stehe auch kein auf sie übergegangener
Schadensersatzanspruch des ... aus dem Gesichtspunkt des Vertrages mit
Schutzwirkungen zugunsten Dritter zu. Es sei schon zweifelhaft, ob der Verletzte ...
überhaupt in den Schutzbereich des Mietvertrages zwischen der Beklagten und der
Mieterin ... einbezogen gewesen sei. Auf jeden Fall lasse sich allein aus der Tatsache,
daß die Balkonbrüstung abgebrochen sei, keine Vertragsverletzung der Beklagten
herleiten, zumal die Klägerin selbst vortrage, daß man der Balkonbrüstung die
mangelnde Sicherheit nicht habe ansehen können.
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Gegen dieses Urteil, auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird, richtet sich die
Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Sie meint, ... habe in
Bezug auf die mietvertraglichen Schutzpflichten der Beklagten die gleiche Stellung
eingenommen, als wenn Angehörige der Mieterin ... bei dieser gewohnt hätten. Die
bloße Tatsache, daß ... und Fräulein ... nicht verheiratet gewesen seien, sei unerheblich.
Beide hätten sich tagsüber meistens in der Wohnung ... und nachts in der Wohnung ...
aufgehalten und einen gemeinsamen Haushalt geführt. Im übrigen spreche eine
tatsächliche Vermutung dafür, daß die mangelnde Standsicherheit der Balkonbrüstung
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von der Beklagten bzw. ihren Eltern zu vertreten sei.
Die Klägerin hat beantragt,
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abändernd die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.971,90 DM nebst 8 % Zinsen seit dem
11. August 1975 zu zahlen, hilfsweise, ihr für den Fall einer revisionsfähigen
Entscheidung nachzulassen, jede Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, auch
in Form selbstschuldnerischer Bürgschaft einer Großbank oder öffentlichen Sparkasse,
oder durch Hinterlegung abzuwenden.
15
Die Beklagte beantragt,
16
1)
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die Berufung zurückzuweisen,
18
2)
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ihr bei einer revisionsfähigen Entscheidung nachzulassen, jede Zwangsvollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden,
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3)
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falls der Klägerin Vollstreckungsnachlaß gewährt werde, gemäß § 713 Abs. 2 2.
Halbsatz ZPO auszusprechen, daß das Urteil auch bei Sicherheitsleistung durch die
Klägerin für die Beklagte vorläufig vollstreckbar ist, sofern diese ihrerseits Sicherheit
leiste, welche hiermit angeboten werde.
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Sie tritt der Rechtsansicht der Klägerin entgegen und macht noch geltend: Die von der
Klägerin behauptete Art der gemeinsamen Wohnungsbenutzung durch ... und Fräulein
... sei der Beklagten und ihren Eltern nicht bekannt; diese hätten nur allgemein gewußt,
daß beide ein enges Verhältnis miteinander unterhalten hätten, so daß sich daraus die
naheliegende Schlußfolgerung ergebe, daß sich beide häufig gegenseitig in ihren
Wohnungen besuchten. Mehr sei ihnen, die in einem anderen Stadtteil wohnten, nicht
bekannt gewesen.
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Im übrigen wiederholen und ergänzen die Parteien ihr bisheriges Vorbringen, wegen
dessen näherer Einzelheiten auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten
Schriftsätze verwiesen wird.
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Die Klägerin hat den Eheleuten ..., den Streit verkündet.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist unbegründet. Der Klägerin stehen weder auf sie übergegangene
Ansprüche des ... gemäß §§ 836, 823, 828 Abs. 2, 829 BGB noch vertragliche
Schadensersatzansprüche aus dem zwischen der Beklagten und Fräulein ...
geschlossenen Mietvertrag zu.
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1)
28
Bezüglich eines etwaigen Anspruchs aus unerlaubter Handlung (§§ 836, 823 BGB) hat
das Landgericht zutreffend ausgeführt, daß die Beklagte nicht die zur Erkenntnis ihrer
Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gehabt hat, § 828 Abs. 2 BGB; für ihre
gesetzlichen Vertreter haftet die Beklagte weder aus §§ 823, 831 BGB, weil die
gesetzlichen Vertreter nicht zu einer Verrichtung bestellt sind (RGZ 159, 283, 292;
Erman/Drees, 6. Aufl., § 831 BGB Rz. 14, 22), noch aus § 836 BGB (RG JW 1915, 580;
LZ 1915, 1004; Geigel, Haftpflichtprozeß, 16. Aufl., Seite 586 Rz. 11). Das wird von der
Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen, die insoweit lediglich meint, es entspreche der
Billigkeit, daß die Beklagte wenigstens einen Teil des Schadens trage.
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Zu Recht hat das Landgericht indes die Voraussetzungen einer etwaigen Ersatzpflicht
der Beklagten aus § 829 BGB verneint. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der in
einem der in den §§ 823 bis 826 BGB bezeichneten Fälle für einen von ihm
verursachten Schaden aufgrund des § 828 BGB nicht verantwortlich ist, gleichwohl -
sofern der Ersatz des Schadens nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt
werden kann - den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den
Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine
Schadloshaltung erfordert und ihm nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum
angemessenen Unterhalte sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten
bedarf. Diese Bestimmung ist entsprechend auf die Fälle des § 836 BGB anzuwenden,
da es sich hier um einen gleichwertigen Tatbestand - nämlich eine unerlaubte Handlung
im Sinne des § 823 BGB - handelt und lediglich eine abweichende Regelung der
Beweislast getroffen ist (Erman/Drees, a.a.O., §§ 829 und 836 BGB, jeweils Rz. 1;
Palandt/Thomas, 35. Aufl., § 829 BGB Anm. 4 und § 836 BGB Anm. 1; Medicus,
Studienkommentar zum BGB, § 829 Anm. 3).
30
Es kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt im übrigen die Voraussetzungen des § 836
BGB oder des § 823 BGB vorliegen, ob sich der Unfall in der von der Klägerin
behaupteten Weise ereignet hat und ob, falls die Beklagte als erwachsener normaler
Mensch für ihr Tun voll verantwortlich sein würde, sowohl der objektive als auch der
subjektive Tatbestand einer unerlaubten Handlung verwirklicht wäre oder ob bewiesen
werden könnte, daß die zum Zwecke der Abwendung der Gefahr im Verkehr
erforderliche Sorgfalt beachtet worden ist (§ 829 BGB ist nämlich auch dann nicht
anzuwenden, wenn die Schuld des Täters aus anderen als den in §§ 827, 828 BGB
bezeichneten Gründen nicht gegeben ist, BGH NJW 1958, 1630, NJW 1962, 2201 und
NJW 1963, 1609). Immerhin war nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin der
Balkonbrüstung eine mangelnde Sicherheit nicht anzusehen. Schließlich kann es auch
offen bleiben, ob nicht eine Schadensersatzpflicht eines aufsichtspflichtigen Dritten in
Betracht kommt. Denn auf jeden Fall wäre eine Ersatzpflicht der Beklagten gemäß § 829
BGB deswegen zu verneinen, weil die Billigkeit eine solche nicht erfordert.
31
Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzes, daß schuldunfähige Personen nicht
ersatzpflichtig sind, darf nicht schon durch das Billigkeitsurteil des § 829 BGB korrigiert
werden, wenn die Billigkeit, etwa im Hinblick auf die beiderseitigen
Vermögensverhältnisse, dieses erlaubt. Vielmehr muß die Billigkeit diese Korrektur
(ganz oder teilweise) erfordern, wie schon der Wortlaut des Gesetzes und die
Einschränkung zeigt, daß der Geschädigte nicht Ersatz bei einem Aufsichtspflichtigen
darf erlangen können (BGH NJW 1969, 1762 und NJW 1973, 1795). Seine
"Bedürftigkeit" ist daher mindestens ebenso Voraussetzung einer Haftung aus 829 BGB
wie die "Leistungsfähigkeit" des Schädigers. Um das Billigkeitsurteil zutreffend fällen zu
können, bedarf es der Würdigung der gesamten Umstände des Haftpflichtfalles, wobei
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die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten als einer der
Beurteilungsfaktoren zu berücksichtigen sind, daneben aber, auch die Besonderheiten
der den Schaden auslösenden Handlung (BGH NJW 1957, 674 - VersR 1957, 218 und
NJW 1969, 1762).
Über die Vermögensverhältnisse ihres Mitglieds ... hat die Klägerin gar nichts dargelegt,
nicht einmal seine berufliche Tätigkeit. Bezüglich der Beklagten hat sie nur vorgebracht,
daß diese Grundstückeigentümerin sei. Letzteres ist aber für sich allein nichtssagend,
da weder der Gebäudewert noch die Mieteinnahmen bekannt sind. Nach dem Inhalt der
Grundakten ist bei der notariellen Übertragung des Hausgrundstücks auf die Beklagte
der Verkehrswert mit 50.000,- DM angegeben worden; für die Eltern der Beklagten ist
ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht eingetragen, beginnend mit der Vollendung des
18. Lebensjahres der Beklagten, also am 20.3.1980. Der Senat sah keine
Veranlassung, der Klägerin gemäß § 139 ZPO eine Ergänzung ihres Vorbringens
anheimzustellen, da bereits in dem angefochtenen Urteil ausgeführt ist, es sei nicht
hinreichend dargetan, wieso hier eine Haftung der Beklagten der Billigkeit entsprechen
solle. Demgemäß kann nicht davon ausgegangen werden, daß die wirtschaftlichen
Verhältnisse des ... und der Beklagten eine Billigkeitshaftung der Beklagten erfordern
würden.
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Im übrigen wäre bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse aber auch zu
berücksichtigen, daß die Beklagte gegen das hier streitige Schadensrisiko nicht
haftpflichtversichert ist, während der hier streitige Schaden des Geschädigten ... von
einem Sozialversicherungsträger getragen worden ist, der zudem nach dem eigenen
Vorbringen der Klägerin keinen Bankkredit in Anspruch nimmt, seine überschüssigen
Gelder vielmehr zinsbringend (angeblich im Schnitt zu 8 %) anlegt. Werden aber die
Schäden des Geschädigten von einem Sozialversicherungsträger getragen, während
der schuldunfähige Schädiger nicht haftpflichtversichert ist, so kann die
Billigkeitsregelung des § 829 BGB nur sehr begrenzt herangezogen werden. Auch
dieser Gesichtspunkt spricht vorliegend gegen eine Billigkeitshaftung der Beklagten.
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Schließlich zeigt aber auch die Besonderheit der den Schaden nach der Behauptung
der Klägerin auslösenden Handlung keinen so schweren Verantwortungsbeitrag der
Beklagten, daß er eine Billigkeitshaftung nach § 829 BGB erfordern würde. Unstreitig
war der Balkonbrüstung die mangelnde Festigkeit nicht anzusehen und ist sie auch von
Schäpermeier nicht erkannt worden, obwohl er nach dem Vorbringen der Klägerin
tagsüber dauernd mit Fräulein ... in deren Obergeschosswohnung zusammenlebt und
daher jedenfalls im allgemeinen die örtlichen Verhältnisse genau kannte.
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Nach alledem würden schon die Gesamtumstände nicht zu einer Billigkeitshaftung der
Beklagten gemäß § 829 BGB führen.
36
2)
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Da dem Mitglied ... der Klägerin kein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen die
Beklagte zustand, konnte ein solcher auch nicht gemäß § 1542 RVO auf die Klägerin
übergehen.
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Allerdings hätte die Mieterin ..., falls sie selbst durch eine Mangelhaftigkeit der
Balkonbrüstung geschädigt worden wäre, bei Verschulden der Beklagten, die im
Rahmen des Mietvertrages gemäß § 278 BGB für ihre gesetzlichen Vertreter
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einzustehen hätte, nach § 538 BGB einen Schadensersatzanspruch, falls dieser nicht
gemäß § 539 BGB wegen Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels
ausgeschlossen wäre. In der Rechtsprechung ist es anerkannt, daß auch dritte, an
einem Vertrag nicht unmittelbar beteiligte Personen in den Schutzbereich eines
Vertrages einbezogen werden können. Ihnen gegenüber ist dann der Schuldner zwar
nicht zur Leistung, wohl aber unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet. Zu den
Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gehört insbesondere auch der
Mietvertrag (BGH NJW 1964, 33; NJW 1965, 1757; Betrieb 1968, 349; JZ 1968, 304;
NJW 1968, 694 und 885, 887; NJW 1973, 2059, 2061). Die Einbeziehung Dritter in die
Schutzwirkung eines Vertrages beruht darauf, daß - dem Schuldner erkennbar - mit
seiner Leistung ein Dritter in Berührung kommt, dem gegenüber der Gläubiger in dem
Bereich, in den das Schuldverhältnis hineinragt, seinerseits fürsorge- und
obhutspflichtig ist. Dann nämlich entspricht es Sinn und Zweck des Vertrages sowie
Treu und Glauben, daß dem Dritten der Schutz des Vertrages in gleicher Weise zugute
kommt wie dem Gläubiger selbst. Steht diesem aber - wie z.B. einem Mieter - ein
Schadensersatzanspruch bei eigener Schädigung zu, so kann für den Dritten nichts
anderes gelten. Das bedeutet keine nicht zu rechtfertigende Ausdehnung der
Garantiehaftung des Vermieters auf eine unübersehbare Zahl von Personen, vielmehr
kann der Schutzbereich nur auf diejenigen Personen ausgedehnt werden, von denen
bei Vertragsschluß angenommen werden muß, daß der Mieter ihnen den selben Schutz
zukommen lassen will, wie er ihm selbst im Rahmen des Vertrages zusteht (BGH NJW
1968, 887).
Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, daß der Kreis derjenigen
Personen, die in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen können, eng zu
begrenzen ist (vgl. die oben angeführten Entscheidungen). Ein derartiges
Fürsorgeverhältnis des Mieters zu Dritten ist bei dem Vater gegenüber den
Familienangehörigen (NJW 1964, 34) und bei dem Mieter gegenüber Hausangestellten
oder sonstigen Hilfspersonen, die nach dem Inhalt des Mietvertrages
bestimmungsgemäß an dem Gebrauch der Mietsache teilhaben oder ihn gar anstelle
des Mieters für sich ausüben (BGH NJW 1973, 2059, 2061), bejaht worden. Dabei ist
allgemein darauf abzustellen, daß der Mieter für das "Wohl und Wehe" des Dritten
mitverantwortlich sein und Anlaß haben muß, auf dessen Sicherheit ebenso bedacht zu
sein wie auf seine eigene (BGH NJW 1964, 35). Nach der Literatur fallen nicht unter die
Schutzwirkung eines Mietvertrages Besucher oder zufällige Kontaktpersonen des
Mieters (Erman/Westermann, a.a.O., § 328 BGB Rz. 12) bzw. Lieferanten oder Gäste
(Palandt-Heinrichs a.a.O., § 328 BGB Anm. 3, a, ii).
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Das Mitglied ... der Klägerin fiel aus mehreren Gesichtspunkten nicht unter den
Schutzbereich, des zwischen der Beklagten und der Mieterin ... bestehenden
Mietvertrages:
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a)
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In den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen bestand durchweg eine
Fürsorgepflicht des Mieters gegenüber dem Geschädigten Dritten, sei es aufgrund der
familienrechtlichen Vorschriften oder im Hinblick auf § 618 BGB. Dieser Fürsorgepflicht
entsprechen Treuepflichten des anderen Teils, die bei den familienrechtlichen
Verhältnissen in den §§ 1353 ff, 1601 ff, 1626 ff BGB gesetzlich normiert und in einem
Arbeitsverhältnis (vgl. hierzu Erman/Sirp, a.a.O., § 242 BGB Rz. 61 ff; Palandt/Putzo,
a.a.O., § 611 BGB Anm. 8) aufgrund des § 242 BGB besonders ausgeprägt sind.
43
Demgegenüber war aber das bloße Zusammenleben des Mitglieds ... der Klägerin mit
Fräulein ... durch eine beiderseitige völlige Bindungslosigkeit gekennzeichnet, die noch
dadurch offenbarer wird, daß nicht einmal eine vertragliche Beziehung in Form eines
Verlöbnisses behauptet wird. Dieses bloße Zusammenleben begründete kein
gesetzliches Treue- und Fürsorgeverhältnis, keine gegenseitige Unterhalts- oder
Beistandspflicht in Notfällen und konnte jederzeit ohne Angabe von Gründen einseitig
aufgelöst werden, ohne daß einer auf den anderen dahin Rücksicht zu nehmen hatte, ob
dieser hierdurch wirtschaftlich oder sonstwie hart getroffen wurde. Wenn beide aber
durch bloßes Zusammenleben eine Beziehung eingehen, die von der Rechtsordnung
nicht besonders vorgesehen und geschützt, sondern allenfalls in gewissem Umfange
toleriert wird, so haben sie damit selbst Verhältnisse geschaffen, die außerhalb des
besonderen Schutzbereiches stehen, auf die sich noch der Mietvertrag erstreckt.
Deshalb war ... nicht in den Schutzbereich des Mietvertrages einbezogen.
b)
44
Im übrigen fiel ... auch deshalb nicht unter den durch den Mietvertrag geschützten
Personenkreis, weil ein Vermieter es nicht generell zu dulden braucht, daß eine Mieterin
einen Partner aufnimmt, mit dem sie ehelos zusammenlebt. Zwar ist ein Mieter
berechtigt, nahe Familienangehörige in die Wohnung aufzunehmen (BGH WarnRspr.
1970 Nr. 66); jedoch ist die eigenmächtige Aufnahme eines Partners zum Zwecke des
bindungslosen Zusammenlebens ein vertragwidriger Gebrauch im Sinne des § 353
BGB. Zu Unrecht hat das Landgericht Bonn gemeint (NJW 1975, 1690), die Abwägung
der Interessen des Vermieters und des Mieters könne im Einzelfall dazu führen, daß das
Interesse des Mieters an der Fortführung der eheähnlichen Beziehungen in der
Mietwohnung das Interesse des Vermieters an der Durchsetzung seiner
Moralauffassung überwiege. Wenn Schickedanz gar meint (NJW 1975, 1891), aus
Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes unter dem Gesichtspunkt der Eheschließungsfreiheit
auch die "vorehelichen Aktivitäten des Suchens und gemeinsamen Versuchens" als
verfassungsrechtlich geschützt anzusehen, so ist das schlechthin abwegig und
pervertiert den grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie. Im übrigen wäre es dem
Vermieter auch weder möglich noch zumutbar, Erhebungen darüber anzustellen, ob es
sich bei dem Dritten um den Verlobten oder den "ernsthaften Partner vorehelicher
Aktivitäten" oder um einen bindungslosen Geschlechtspartner handelt.
45
Allerdings bedeutet, wie Gernhuber (Familienrecht, 2. Aufl., § 5 I, 1) zutreffend ausführt,
der Schutz der Ehe noch kein verfassungsrechtliches Verbot der "freien
Lebensgemeinschaft". Mögen auch manche Vermieter gegen die Vermietung an ein
unverheiratetes Paar oder gegen die Aufnahme eines "freien Partners" keine Bedenken
haben und mag ein derartiges Zusammenleben auch teilweise praktiziert werden, so
ändert das doch nichts an der Tatsache, daß auch heute noch ein nicht unerheblicher
Teil der Bevölkerung daran Anstoß nimmt. Auch der Vermieter hat Anspruch auf
Gewissensfreiheit und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Demjenigen, der das
Zusammenleben eines unverheirateten Paares als sittlich nicht zu rechtfertigen erachtet,
muß es frei stehen, sich eines Mieters zu entledigen, der sich über diese auf
beachtenswerte Grundwerte zurückzuführende Haltung einseitig hinwegsetzen will. Zur
Entfaltung der freien Persönlichkeit des Vermieters gehört es, daß er seine Auffassung
darüber, was in seinem Hause geschieht, frei vertreten und durchsetzen kann (so
zutreffend Händel NJW 1975, 521). Wenn tatsächlich - wie von der Gegenmeinung
behauptet wird - die Zahl derer wächst, die bei sozialethischer Betrachtung einem
ehelosen Zusammenleben positive Aspekte abgewinnt, so ist es einem Mieter umso
46
eher zumutbar, sich eventuell eine andere Wohnung bei einem "toleranten" Vermieter
zu suchen, als seinerseits Toleranz einseitig zu postulieren und dem Vermieter die
Duldung eines Konkubinates aufzuzwingen.
War demnach die Beklagte als Vermieterin nicht von vornherein verpflichtet, die
Aufnahme des ... durch Fräulein ... zu dulden, so unterfiel ... auch nicht zu Lasten der
Beklagten den Schutzwirkungen des mit Fräulein ... geschlossenen Mietvertrages.
47
Unerheblich ist es insoweit, ob die Beklagte bzw. ihre Eltern entsprechend ihrer
Behauptung von dem Zusammenleben keine Kenntnis gehabt haben. Denn selbst wenn
sie dieses Zusammenleben geduldet haben sollten, führte das nicht zu einer
Einbeziehung des Schäpermeier in den Schutzbereich des Mietvertrages.
48
Demgemäß war die Berufung zurückzuweisen. Die Nebenentscheidungen folgen aus
§§ 97, 708 Nr. 7 ZPO.
49
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlaß, da die gesetzlichen Voraussetzungen
des § 546 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen. Zum einen weicht die vorliegende Entscheidung
des Senats nicht von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes ab. Zum anderen
hat die Rechtssache aber auch keine grundsätzliche Bedeutung. Die
Zulassungsvoraussetzung der "grundsätzlichen Bedeutung" ist bereits durch die
Rechtsprechung zu der früheren Fassung des § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO und den
entsprechenden Bestimmungen anderer Verfahrensordnung weithin ausgefüllt. Sie fand
mit der Verordnung vom 15.1.1924 zum Zwecke der Beschränkung der Revision in
Ehesachen erstmals, wenn auch nur vorübergehend, Eingang in den Zivilprozeß und ist
seit Inkrafttreten des Arbeitsgerichtsgesetzes 1926 Gegenstand des arbeitsgerichtlichen
Revisionsrechts. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "grundsätzliche
Bedeutung" hat sich im wesentlichen an den Hauptaufgaben des Revisionsgerichts,
nämlich die Wahrung der Rechtseinheit und die Fortbildung des Rechts, zu orientieren.
Erforderlich ist daher das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Frage von grundsätzlicher
und damit allgemeiner Bedeutung (BGH NJW 1951, 762; BVerwG NJW 1962, 218).
Unter "allgemeiner Bedeutung" ist dabei zu verstehen, daß sich die Auswirkungen der
Entscheidung in quantitativer Hinsicht nicht in einer Regelung der Beziehungen der
Parteien oder in einer von vornherein überschaubaren Anzahl gleich gelagerter
Angelegenheiten erschöpfen dürfen, sondern eine unbestimmte Vielzahl von Fällen
betreffen müssen (BFH 89, 117, 119). In qualitativer Hinsicht dürfen die Auswirkungen
der Entscheidung nicht nur auf tatsächlichem Gebiet liegen. Immer muß es sich um das
abstrakte Interesse der Gesamtheit, der Einheit und Entwicklung des Rechts handeln
und nicht um das Interesse eines Einzelnen oder um einen sogenannten Musterprozeß
zur höchstrichterlichen Entscheidung zu bringen (BAG 2, 26;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 34. Aufl., § 546 ZPO Anm. 2).
50
Nach diesen Grundsätzen kann keine Zulassung der Revision erfolgen. Die Auffassung
des Senats zu § 829 BGB entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes,
ebenso die Rechtsauffassung, daß der Kreis derjenigen Personen, die in den
Schutzbereich eines Vertrages einbezogen werden können, eng zu begrenzen ist. Die
Rechtsfrage, daß ein in bindungsloser Gemeinschaft aufgenommener Partner nicht zu
diesem Kreis gehört, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die weiteren Ausführungen,
daß ein Vermieter es nicht generell zu dulden braucht, daß eine Mieterin einen Partner
aufnimmt, mit dem sie ehelos zusammenlebt, ist nur eine zusätzliche Begründung für die
Rechtsauffassung des Senats, auf die sich die vorliegende Entscheidung also nicht
51
allein stützt.
Mangels Zulassung der Revision entfiel auch die Anordnung von
Vollstreckungsnachlaß (§ 713 a ZPO).
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