Urteil des OLG Hamm vom 29.01.1999

OLG Hamm (schlachtung, schlachthof, eigenes verschulden, geschäftsführer, veterinär, schaden, unterbringung, verhalten, fleisch, amtspflicht)

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 91/98
Datum:
29.01.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 91/98
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 4 O 544/97
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18. Februar 1998 verkündete
Teilurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert die Klägerin mit nicht mehr als 60.000 DM.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin, ein Viehhandelsunternehmen, nimmt den beklagten Kreis, der für die
Veterinäraufsicht zuständig ist, im Wege der Amtshaftung auf Schadensersatz in
Anspruch, weil der Kreisveterinär sich bei zwei Anlieferungen von Schweinen zur
Schlachtung nicht pflichtgemäß verhalten haben soll und ihr dadurch finanzielle
Ausfälle entstanden seien.
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In dem nach Teilurteil im Berufungsrechtszug befindlichen Fall lieferte die Klägerin am
06.02.1996 auf dem Schlachthof der Fa. C KG in P 189 Schweine aus deutscher Zucht
an. Der Auswahl der Tiere lag – so war in erster Instanz unstreitig und wird nunmehr von
der Klägerin behauptet - ein Irrtum des Fahrers der Klägerin zugrunde, weil nicht die zur
Schlachtung vorgesehen Schweine, sondern, wegen einer Verwechselung der Ställe
auf dem Hof des Erzeugers, solche Schweine aufgeladen worden seien, die kurz zuvor
mit einem Beruhigungsmittel gespritzt worden waren und daher erst einige Wochen
später schlachttauglich gewesen wären. Der Kreisveterinär G bemerkte die
Einstichstellen. Er hielt Rücksprache mit dem Geschäftsführer der Klägerin, der die
Impfung in Abrede stellte. Daraufhin gab G die Schweine zur Schlachtung frei. Die
anschließende Untersuchung von 10 Gewebeproben erwies Rückstände des
Beruhigungsmittels "Acepromacin". Die Schlachtkörper wurden daher insgesamt als
untauglich verworfen.
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Die Klägerin ist der Meinung gewesen, G habe nach den einschlägigen Bestimmungen
der Fleisch-Hygieneverordnung in Anbetracht der Einstichstellen die Schlachterlaubnis
versagen müssen. Die Tiere hätten dann nach Ablauf der Wartezeit beanstandungsfrei
geschlachtet werden können. Der Klägerin sei infolge der schuldhaften
Amtspflichtverletzung das Kreisveterinärs ein Schaden in Höhe von 52.660,50 DM
entstanden.
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Aufgrund weiterer Pflichtverletzungen G im Zusammenhang mit einer Partie von 698
Schlachtschweinen aus Spanien, die nur mit Verlust hätten weiterverwertet werden
können, sei ein Schaden von 52.025,47 DM entstanden, so daß
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die Klägerin beantragt hat,
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den beklagten Kreis zu verurteilen, an sie 104.685,97 DM nebst 4 %
Zinsen aus 52.025,47 DM seit dem 21.02.1997 und aus 52.660,50
DM seit dem 06.02.1996 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Auffassung gewesen, die Erteilung der Schlachterlaubnis sei
geboten gewesen, weil die Tiere wegen Platzmangels auf dem Schlachthof nicht
mehrere Tage von der Schlachtung hätten zurückgestellt werden können und weil ein
Abtrieb vom Schlachthof unzulässig gewesen wäre. Im übrigen habe die Klägerin -was
unstreitig ist- nach Kenntnisnahme vom Analyseergebnis eine Untersuchung der
übrigen Tierkörper auf eigene Kosten abgelehnt. Der Beklagte hat schließlich das
Schlachtgewicht und den Kilopreis bestritten.
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Mit dem angefochtenen Teilurteil hat das Landgericht die Klage hinsichtlich der
Schlachtung der 189 Schweine aus deutscher Zucht wegen ganz überwiegenden
Verschuldens der Klägerin abgewiesen.
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Es könne dahinstehen, ob der Kreisveterinär G bei Erteilung der Schlachterlaubnis am
06.02.1996 rechtswidrig und schuldhaft gehandelt habe. Die Klägerin habe jedenfalls
durch die ihr zurechenbare Verwechslung des Schlachtviehs die erste Ursache für den
späteren Schaden gesetzt und auch gegenüber dem Veterinär die vermutete
Untauglichkeit des Schlachtviehs in Abrede gestellt. Sie habe es versäumt, zuvor mit
dem Züchter der Tiere Rücksprache zu halten, wodurch die Verwechslung ohne
weiteres hätte festgestellt werden können. Ebenso wenig habe sie um eine Herausgabe
der Tiere oder deren Zurückstellung von der Schlachtung nachgesucht. Letzteres hätte
um so näher gelegen, als nach Darstellung der Klägerin am Schlachthof kein
Platzmangel geherrscht habe. Es erscheine auch nicht ausgeschlossen, daß die Tiere
nach einer Ruhezeit wieder zur Klägerin hätten zurücktransportiert werden können.
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Mit ihrer zulässigen Berufung greift die Klägerin dieses Urteil an und verfolgt ihr
Schadensersatzbegehren weiter. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und
meint, ein überwiegendes Verschulden liege bei ihr nicht vor. Der Veterinär habe die
sich aus der FlHV ergebenden Amtspflichten verletzt; hätte er die Schlachterlaubnis
pflichtgemäß verweigert, so wäre es möglich gewesen, mit der Schlachtung noch
abzuwarten, bis das Medikament abgebaut worden sei. Eine Unterbringung der Tiere für
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diese Zeit auf dem Schlachthof sei möglich gewesen; ebenso hätte sie die Tiere auch
wieder abtransportieren können, denn gegen die Erteilung der dafür erforderlichen
Genehmigung habe nichts gesprochen. Bei einer Unterbringung auf dem Schlachthof
wären Futterkosten von 200,00 DM und Arbeitslohn von 120,00 DM täglich angefallen;
der Rücktransport hätte höchstens 600,00 DM gekostet.
Die angelieferten 189 Schweine hätten ein Gewicht von 17.553,5 kg gehabt; allerdings
seien 4 Tiere verendet und hätten deshalb nicht verkauft werden können. Pro
Kilogramm Gewicht erlöse sie einen Preis von 3,00 DM.
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Die Klägerin beantragt,
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abändernd den Beklagten zu verurteilen, an sie 52.660,50 DM nebst
4 % Zinsen seit dem 06.02.1996 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und behauptet ergänzend, der Geschäftsführer
der Klägerin habe gegenüber dem Veterinär versichert, die Tiere seien nicht gespritzt
worden. Ebenso wenig habe er Vorschläge zum weiteren Vorgehen gemacht, etwa
nach den Möglichkeiten eines Abtransports gefragt oder erklärt, die Schlachtung solle
verschoben und die Tiere zunächst bis zur Klärung auf dem Schlachthof untergebracht
werden. Der Beklagte meint, unter Berücksichtigung all dieser Umstände habe sich der
Veterinär pflichtgemäß verhalten. Zudem seien eventuell verletzte Amtspflichten nicht
drittschützend. Die Vorschriften dienten vielmehr ausschließlich dem Schutz des
Publikums vor gesundheitlichen Gefahren. Allein die Klägerin sei für die Anlieferung
unbedenklicher Schlachttiere verantwortlich. Das Verhalten der Klägerin begründe ein
so erhebliches eigenes Verschulden, daß zumindest unter diesem Aspekt der Anspruch,
wie vom Landgericht angenommen, unbegründet sei. In Bezug auf die Höhe des
Anspruchs bestreitet der Beklagte, daß die Klägerin die Tiere überhaupt dem Erzeuger
bezahlt hat, daß ein Kilopreis von 3,00 DM zu erzielen war, und meint, die Klägerin
müsse sich jedenfalls die Kosten für Abtransport oder Unterbringung auf dem
Schlachthof anrechnen lassen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg, denn die Klage ist unbegründet.
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I.
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Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
zu, denn der Kreisveterinär G hat keine ihm gegenüber der Klägerin obliegende
Amtspflicht verletzt.
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1.
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Allerdings hat sich G mit der Erteilung der Schlachterlaubnis amtspflichtwidrig verhalten.
Die von ihm festgestellten, unstreitig bei allen Tieren vorhandenen Injektionsstellen
waren eine sichere Tatsache, die den Schluß auf eine kurz zuvor durchgeführte
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pharmakologische Behandlung der Tiere zuließ. Nach Ziffern 5.4 und 5.5 des Kapitels I
der Anlage 1 (zu §§ 5 und 6) der Fleischhygieneverordnung hätte G deshalb die
Schlachterlaubnis versagen müssen, zumal auch nach dem Vortrag des Beklagten die
mündlichen Erläuterungen des Geschäftsführers der Klägerin nicht so waren, daß sie
den bestehenden Verdacht auf eine Behandlung der Schweine mit pharmakologischen
Mitteln ausräumen konnten.
2.
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Die insoweit vom Kreisveterinär verletzte Amtspflicht war allerdings nicht drittschützend
im Verhältnis zur Klägerin..
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Die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen des Fleischhygienegesetzes, der
Fleischhygieneverordnung und deren Anlagen haben ausschließlich den Schutz des
Verbrauchers vor gesundheitlich bedenklichem Fleisch zum Ziel. Insbesondere die
Ermächtigungsnorm des § 5 FlHG spricht ausdrücklich davon, daß die
Verordnungsermächtigung besteht, "soweit es zum Schutz des Verbrauchers
erforderlich ist". Anhaltspunkte für einen darüber hinaus mitbezweckten Schutz von
Erzeugern oder Zwischenhändlern sind nicht erkennbar. Auch wenn die Prüfungen der
Veterinäraufsicht für Erzeuger und Händler die erfreuliche Nebenwirkung
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haben können, sie vor finanziellen Schäden durch vorzeitige Schlachtungen zu
schützen, so reicht dies nicht aus, um aus dieser Nebenwirkung der einem anderen
Zweck dienenden behördlichen Prüfung Amtspflichten zum Schutze der Belange der
Erzeuger oder Viehhändler herleiten zu wollen (vgl. BGHZ 39, 358, 365 zu den
Amtspflichten einer Bauordnungsbehörde).
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3.
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G ist im Verhältnis zur Klägerin auch keine Verletzung der allgemeinen Amtspflicht,
hoheitliche Aufgaben so wahrzunehmen, daß Rechtsgüter Dritter nicht verletzt werden,
vorzuwerfen.
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Dieser allgemeinen Pflicht hat G schon dadurch genügt, daß er den Geschäftsführer der
Klägerin über die getroffenen Feststellungen informiert und es ihm damit ermöglicht hat,
in das weitere Geschehen einzugreifen. Die Klägerin konnte nach dieser Information
unter Berücksichtigung der ihr bekannten Einzelheiten nach Lösungen suchen. Zum
einen war es ihr möglich, durch Rückfrage beim Erzeuger definitiv zu klären, ob
tatsächlich Pharmaka gespritzt worden waren oder nicht. Anhand dieser Information
hätte sie entscheiden können, ob die Schlachtung aller Tiere risikolos möglich war oder
zurückgestellt werden mußte, um die Medikamente zunächst abzubauen. Wäre nach
den Auskünften des Erzeugers allein die letzte Alternative in Betracht gekommen, so
hätte der Geschäftsführer der Klägerin an Ort und Stelle entweder die Möglichkeiten
einer vorübergehenden Unterbringung des Schlachtviehs auf dem Schlachthof mit
dessen Betreiber und der Veterinäraufsicht abklären oder aber die erforderliche
Viehverkehrsgenehmigung zum Abtransport der Schweine vom Schlachthof beantragen
und die Transportvorbereitungen organisieren können.
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Solche Entscheidungen hatte allein die Klägerin zu treffen und zu verantworten; nur ihr
oblag auch der weitere Schutz ihres Eigentums, nachdem sie durch den Veterinär auf
die bestehende Gefahrenlage aufmerksam gemacht worden war. Auch aus ihrem
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Vortrag ergibt sich nichts dafür, daß G ihr gegenüber durch seine Erklärungen oder
Handlungen den Eindruck vermittelt haben könnte, sie könne sich darauf verlassen,
auch ohne eigenes Tätigwerden keine finanziellen Schäden zu erleiden.
II.
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Der Klägerin stehen auch keine Ansprüche aus § 39 Abs. 1b OBG NW zu.
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Die Erteilung der Schlachterlaubnis stellt zwar eine rechtswidrige ordnungsbehördliche
Maßnahme im Sinne von § 39 Abs. 1 lit. b OBG NW dar. Jedoch ist nicht jede
rechtswidrige Maßnahme geeignet, einen Entschädigungsanspruch zu begründen.
Maßgeblich ist der Schutzzweck der getroffenen Maßnahme (BGHZ 123, 191, 198). Ein
maßgebliches Kriterium für den Schutzzweck öffentlich-rechtlicher Genehmigungen der
Ordnungsbehörden besteht in dem Vertrauen, das die ordnungsbehördliche Maßnahme
begründen soll. Dieser Schutzzweck präventiver Erlaubnisse kann nach Inhalt und
Prüfungsgegenstand der einschlägigen Verwaltungsakte verschieden sein. Jedenfalls
setzt ein schutzwürdiges Vertrauen in eine solche Erlaubnis auch voraus, daß der Dritte
nicht etwa selbst die Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahme erkennt oder eine
solche Erkenntnis sich ihm hätte aufdrängen müssen (BGHZ 134, 268, 283f.).
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Der Geschäftsführer der Klägerin war mit den einschlägigen Bestimmungen des
Fleischhygienerechts vertraut. Durch die Informationen, die er von G erhalten hatte, war
er ohne weiteres in der Lage zu erkennen, daß die Schlachterlaubnis nicht erteilt
werden durfte. Die Informationen waren auch nicht so zu verstehen, daß G damit
ankündigen wollte, es würden nach einer Schlachtung keine
Stichprobenuntersuchungen auf eine eventuell unzulässige pharmakologische
Belastung des Fleisches durchgeführt, sondern das Fleisch werde sofort ohne eine
solche Prüfung zum Verkehr freigegeben werden. Die Klägerin durfte deshalb nicht
darauf vertrauen, im Falle einer Schlachtung ohne finanzielle Einbußen zu bleiben; sie
mußte vielmehr bei ihren Vermögensdispositionen berücksichtigen, daß
möglicherweise das gesamte Fleisch unverwertbar sein könnte.
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Wenn die Klägerin in dieser Situation von der rechtswidrig erteilten Erlaubnis Gebrauch
macht und die Schweine schlachten läßt, so liegt der eingetretene Schaden außerhalb
der objektiven Reichweite des durch die Bestimmung des § 39 Abs. 1 lit. b OBG NW
bezweckten Vermögensschutzes.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711,
713, 546 Abs. 2 ZPO.
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