Urteil des OLG Hamm vom 26.02.2004

OLG Hamm: gemeinschaftliches testament, letztwillige verfügung, pflichtteil, erbeinsetzung, nachlass, erbschein, einziehung, urkunde, wiedergabe, tod

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 486/03
Datum:
26.02.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 486/03
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 5 T 85/0
Tenor:
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 2) hat die der Beteiligten zu 1) im Verfahren der
weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu
erstatten.
Der Gegenstandswert des Verfahrens dritter Instanz wird auf 698.209,70
Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Erblasserin war in einziger Ehe verheiratet mit C, der am 15.09.1991 vorverstorben
ist. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die aus der Ehe hervorgegangenen Töchter.
3
Die Ehegatten waren zu je 1/2 Anteil Miteigentümer des Hausgrundstücks D-weg 42 in
P. Die Erblasserin war darüber hinaus Alleineigentümerin des Innenstadtgrundstücks R-
platz 13 in P, das aus der Familie ihrer Mutter stammte.
4
Die Ehegatten errichteten am 23.09.1977 ein privatschriftliches gemeinschaftliches
Testament, in dem sie sich zunächst gegenseitig als Erben einsetzten und dann weiter
folgendes bestimmten:
5
"Wir wissen, dass unsere Kinder aufgrund dieser Anordnung berechtigt sind, von
dem Überlebenden den Pflichtteil zu verlangen. Wir erwarten aber, dass dies nicht
geschieht. Sollte trotz unserer Bitte eines unserer Kinder nach dem Tod des
Vorversterbenden Pflichtteilsansprüche geltend machen, so soll es auch nach
dem Tod des Längerlebenden nur einen Pflichtteilsanspruch haben. Im Übrigen
wird es hiermit in diesem Fall von uns enterbt.
6
Noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes errichtete die Erblasserin am 09.01.1990 ein
7
notarielles Einzeltestament (UR-Nr. Notar Dr. V in P), dessen Vorbemerkung lautet:
"Mein Ehemann, C, geb. 20.02.1903, und ich haben ein privatschriftliches
Ehegattentestament errichtet, in dem wir uns gegenseitig derart zu Erben
eingesetzt haben, dass der Überlebende Alleinerbe des Zuerstversterbenden sein
soll.
8
Ich bin vom beurkundenden Notar über die Möglichkeiten des Widerrufs
wechselbezüglicher Verfügungen in Ehegattentestamenten gemäß § 2271 BGB
belehrt worden, möchte jedoch von der Möglichkeit eines förmlichen Widerrufs
keinen Gebrauch machen, obwohl ich auf die Folge der Unwirksamkeit meiner
nachfolgenden Verfügungen für den Fall meines Vorversterbens hingewiesen
worden bin."
9
Nachfolgend setzte die Erblasserin für den Fall ihres Überlebens die Beteiligten zu 1)
und 2) zu gleichen Teilen als ihre Erbinnen ein und wandte der Beteiligten zu 2) als
Vorausvermächtnis das Hausgrundstück D-Str. 42 und der Beteiligten zu 1), ersatzweise
deren Kindern, ein Nachvermächtnis daran zu. Mit notariellem Vertrag vom 22.08.1995
übertrug die Erblasserin das Grundstück D-Str. 42 an die Beteiligte zu 2) unter
Anrechnung auf ihre Erb- und Pflichtteilsansprüche. Am 24.05.2000 errichtete die
Erblasserin ein weiteres notarielles Testament (UR-Nr. Notar T in P), in dem sie
nunmehr die Beteiligte zu 1) als ihre Alleinerbin einsetzte. Dieses Testament ergänzte
sie zu notarieller Urkunde vom 15.02.2001 (UR-Nr. Notar T, indem sie ihre Enkeltochter
I zur Ersatzerbin berief.
10
Die Beteiligte zu 2) hat zu notarieller Urkunde vom 26.03.2002 (UR-Nr. Notar L in H) die
Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der sie und die Beteiligte zu
1) zu je 1/2 Anteil als Erbinnen ausweisen soll. Zur Begründung hat sie die Auffassung
vertreten, die Erbfolge richte sich nach dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament
vom 23.09.1977. Dessen Auslegung ergebe insbesondere unter Berücksichtigung der
Pflichtteilsstrafklausel, dass die Ehegatten ihre gemeinschaftlichen Kinder zu gleichen
Teilen als Erben eingesetzt hätten. An diese Erbeinsetzung sei die Erblasserin nach
dem Tode ihres Ehegatten gebunden gewesen.
11
Die Beteiligte zu 1) ist dem Erbscheinsantrag mit der Begründung entgegengetreten,
das gemeinschaftliche Ehegattentestament enthalte keine Schlusserbeinsetzung.
12
Das Amtsgericht hat in der Sitzung vom 13.05.2002 die Zeugen S und L vernommen
und sodann durch Beschluss vom 16.05.2002 im Wege des Vorbescheids die Erteilung
eines Erbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 2) angekündigt. Nach
Ablauf der eingeräumten Frist zur Beschwerdeeinlegung hat das Amtsgericht unter dem
11.06.2002 der Beteiligten zu 2) eine Ausfertigung des angekündigten Erbscheins
erteilt.
13
Die Beteiligte zu 1) hat mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 24.02.2003
beantragt, den Erbschein als unrichtig einzuziehen (§ 2361 BGB). Zur Begründung hat
sie ihren Standpunkt näher erläutert, die Pflichtteilsklausel in dem gemeinschaftlichen
Testament könne allein keine hinreichende Grundlage für die Annahme sein, die
Ehegatten hätten eine Schlusserbeinsetzung nach dem Tode des Letztversterbenden
verfügen wollen. Im Übrigen ergebe sich aus dem notariellen Übertragsvertrag vom
22.08.1995, dass die Beteiligte zu 2) ihren Pflichtteil verlangt und erhalten habe. Durch
14
Beschluss vom 14.04.2003 hat das Amtsgericht die Einziehung des Erbscheins
abgelehnt.
Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz ihrer
Verfahrensbevollmächtigten vom 24.04.2003 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht
hat nach Anhörung der Beteiligten zu 2) durch Beschluss vom 21.11.2003 unter
Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichts dieses angewiesen, den erteilten
Erbschein als unrichtig einzuziehen.
15
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2), die
sie mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 18.12.2003 bei dem
Landgericht eingelegt hat.
16
Die Beteiligte zu 1) beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
17
II.
18
Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht
eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 2) folgt daraus, dass das
Landgericht zu ihrem Nachteil die Einziehung des vom Amtsgericht erteilten Erbscheins
angeordnet hat.
19
In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts
nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).
20
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer zulässigen
Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1) ausgegangen. Auch in der Sache hält die
Entscheidung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung stand.
21
Die Feststellung der Erbfolge hängt hier entscheidend davon ab, ob dem
gemeinschaftlichen Ehegattentestament vom 23.09.1977 im Wege der Auslegung die
Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) als Schlusserbinnen nach dem Tode der
Erblasserin entnommen werden kann. Führt die Auslegung zu einem solchen Ergebnis,
stellt sich die weitere Auslegungsfrage nach der Wechselbezüglichkeit dieser
Verfügung im Verhältnis zu derjenigen, durch die der vorverstorbene Ehemann die
Erblasserin zu seiner Alleinerbin eingesetzt hat. Ist auch diese Frage ggf. durch
Anwendung der dann anwendbaren Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB zu
bejahen, war die Erblasserin nach dem Tode des Ehemannes an einem Widerruf ihrer
Verfügung rechtlich gehindert (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB).
22
Das Landgericht hat mit der nachstehend näher behandelten Begründung das
gemeinschaftliche Ehegattentestament mit dem Ergebnis ausgelegt, dass es eine
Schlusserbeneinsetzung der gemeinschaftlichen Kinder nicht enthält. Die Auslegung
rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen und damit auch von Testamenten und
Erbverträgen ist dem Tatrichter vorbehalten. Die Auslegung des Landgerichts kann im
Verfahren der weiteren Beschwerde nur beschränkt, nämlich dahin nachgeprüft werden,
ob sie nach den Denkgesetzen und der feststehenden Erfahrung möglich ist - sie muss
nicht zwingend sein -, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht, dem
klaren Sinn und Wortlaut der Erklärung nicht widerspricht und alle wesentlichen
Tatsachen berücksichtigt (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27, Rdnr. 49 m.w.N.).
Einen solchen Rechtsfehler lässt die Entscheidung des Landgerichts nicht erkennen.
23
Die Kammer ist bei ihren Erwägungen von zutreffenden Auslegungskriterien
ausgegangen. Bei der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments ist anhand des
Wortlautes und außerhalb der Testamentsurkunde liegender Umstände der subjektive
Erblasserwille beider Ehegatten zu ermitteln. § 157 BGB ist entsprechend anzuwenden.
Jeder Ehegatte muss die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen auf
diejenigen des anderen Teils einzustellen und umgekehrt (BGH NJW 1993, 256).
24
Die Bestimmung, dass der beiderseitige Nachlass nach dem Tode des
Letztversterbenden an einen Dritten fallen soll, braucht in dem gemeinschaftlichen
Testament nicht ausdrücklich getroffen zu sein. Sie kann sich auch aus einer
Pflichtteilsstrafklausel der hier getroffenen Art ergeben, dass dasjenige der
gemeinschaftlichen Kinder, das beim Tode des erstversterbenden Ehegatten den
Pflichtteil verlangt, auch beim Tode des Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten
soll. In Rechtsprechung und Literatur wird im Ausgangspunkt einhellig die Auffassung
vertreten, dass eine solche Regelung einen Anhaltspunkt dafür darstellen kann, dass
die Ehegatten mit einer solchen Regelung zugleich die pflichtteilsberechtigten
Abkömmlinge als Erben des Letztversterbenden berufen wollten, weil sie dies als
selbstverständliche Voraussetzung erachtet haben, die Erbeinsetzung sich also quasi
hinter der Strafklausel verbirgt (BayObLGZ 1959, 199, 204 f.; 1960, 216, 221; OLG Köln
NJW-RR 1994, 397, 398; OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 844, 845; OLG Bremen
ZEV 1994, 365; OLG Karlsruhe BWNotZ 1995, 168, 169; OLG Frankfurt FGPrax 2001,
246; Staudinger/Kanzleiter, BGB 13. Bearb., § 2269, Rdnr. 24; MK/BGB-Musielak, 3.
Aufl., § 2269, Rdnr. 12; RGRK/BGB-Johannsen, 12. Aufl., § 2269, Rdnr. 5).
25
Davon ausgehend hat das Landgericht geprüft, ob durch Umstände außerhalb des
Testaments ein subjektiver Wille der Ehegatten belegt werden kann, bereits mit ihrem
Testament vom 23.09.1977 ihre Töchter zu Schlusserbinnen nach dem
letztversterbenden Ehegatten einzusetzen. Die Kammer hat dazu zunächst ausgeführt,
zwar ergebe sich aus den Aussagen der vom Amtsgericht vernommenen Zeugen L und
S, dass zumindest der vorverstorbene Ehemann seine beiden Töchter habe bedenken
wollen. Die Aussage der Zeugin S beschränke sich in diesem Zusammenhang
allerdings auf die Wiedergabe einer Äußerung des Ehemannes, er habe für die
Beteiligte zu 2) gesorgt; diese solle das Hausgrundstück D-weg bekommen. Selbst
wenn aber - so die weitere Würdigung des Landgerichts - die Ehegatten im Jahre 1977
davon ausgegangen seien, dass nach dem Tode des Längstlebenden der beiderseitige
Nachlass an die gemeinsamen Kinder fallen sollte, könne daraus nicht ohne weiteres
geschlossen werden, dass im Sinne einer Wechselbezüglichkeit jeder Ehegatte die
Kinder deshalb habe bedenken wollen, weil auch der andere in dieser Weise verfügt
habe.
26
Diese Ausführungen lassen allerdings befürchten, dass die Kammer die Frage, ob die
Ehegatten in ihrem gemeinschaftlichen Testament überhaupt eine
Schlusserbeinsetzung ihrer Töchter vornehmen wollten, in nicht unbedenklicher Weise
mit derjenigen nach der Wechselbezüglichkeit einer solchen Verfügung vermischt hat.
Beide Auslegungsfragen haben vielmehr einen verschiedenen Gegenstand, mögen sie
auch in einem inhaltlichen Zusammenhang aufeinander aufbauen. Denn die
Feststellung einer Schlusserbeinsetzung führt nicht notwendig zur Annahme der
Wechselbezüglichkeit der Verfügung, weil die Ehegatten durchaus die Vorstellung
gehabt haben können, der überlebende von ihnen solle zu einer Änderung der
Schlusserbeinsetzung berechtigt sein. Die Ablehnung einer Wechselbezüglichkeit, die
27
im übrigen entgegen den Ausführungen des Landgerichts entsprechend der
Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB nur zwischen der Erbeinsetzung des
überlebenden durch den erstverstorbenen Ehegatten einerseits und der von dem
Längstlebenden getroffenen Regelung der Schlusserbfolge andererseits bestehen kann,
zwingt also nicht zu der Annahme, eine Schlusserbeinsetzung sei bereits als solche
nicht gewollt.
Gleichwohl ist die Annahme des Landgerichts nicht zu beanstanden, die Aussagen der
vernommenen Zeugen ließen auch unter Berücksichtigung der sonstigen Umständen
einen überzeugenden Schluss auf einen übereinstimmen Willen der Ehegatten nicht zu,
bereits in ihrem gemeinschaftlichen Testament vom 23.09.1997 eine
Schlusserbeinsetzung vorzunehmen. Die Aussage der Zeugin S beschränkt sich in
ihrem maßgeblichen Teil auf die bereits oben wiedergegebene Äußerung des
vorverstorbenen Ehemannes. Die Aussage dieser Zeugin zeigt, dass die von ihr
wiedergegebene Äußerung des vorverstorbenen Ehemannes die tatsächliche
Entwicklung nicht richtig wiedergibt. Mag es ggf. dessen Vorstellungen entsprochen
haben, dass die Beteiligte zu 2) das Hausgrundstück D-Straße erhalten sollte, so hat
jedenfalls der vorverstorbene Ehemann keine Verfügung getroffenen, durch die eine
solche Regelung sichergestellt wurde. Mit der Wendung "er habe dafür gesorgt, ..." hat
er die Zeugin nur sehr unvollständig über die tatsächlichen Verhältnisse unterrichtet.
Dies zeigt, dass bei der Würdigung von Zeugenaussagen die Möglichkeit berücksichtigt
werden muss, dass ein Erblasser seinen Gesprächspartner ggf. bewusst unrichtig oder
nur bruchstückhaft über seine Vorstellungen und Verfügungen über die Erbfolge
unterrichtet hat. Dementsprechend kann auch die Aussage des Zeugen L, zu Lebzeiten
des vorverstorbenen Ehemannes sei immer davon die Rede gewesen, dass die beiden
Töchter Erbinnen werden sollten, keinen überzeugenden Schluss auf einen
übereinstimmenden Willen der Ehegatten zu einer entsprechenden
Schlusserbeinsetzung in dem gemeinschaftlichen Testament vom 23.09.1977 zulassen.
Denn es lässt sich nicht überzeugend ausschließen, dass es sich insoweit lediglich um
allgemeine Vorstellungen der Ehegatten handelte, sie aber gleichwohl die
abschließende Regelung der Schlusserbfolge dem überlebenden Ehegatten überlassen
wollten.
28
Das Landgericht hat weiter ausgeführt, die Einzeltestamente der Erblasserin,
insbesondere das noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes errichtete Testament vom
09.01.1990, ließen ihre Vorstellung erkennen, das gemeinschaftliche Testament vom
23.09.1977 enthalte keine Regelung über die Schlusserbfolge, diese müsse gesondert
durch ihre weitere letztwillige Verfügung getroffen werden. Diese Würdigung ist
jedenfalls in der Hinsicht beanstandungsfrei, dass die späteren Einzeltestamente der
Erblasserin nicht als überzeugendes Anzeichen dafür gewertet werden können, dass
die Ehegatten bereits in dem gemeinschaftlichen Testament vom 23.09.1977 eine
Schlusserbfolge haben anordnen wollen. Die tatsächliche Würdigung des Landgerichts,
die Einzeltestamente der Erblasserin brächten ihre Überzeugung zum Ausdruck, die
Schlusserbfolge noch testamentarisch gesondert regeln zu müssen, weil das
gemeinschaftliche Testament vom 23.09.1997 eine solche Regelung nicht enthalte,
befasst sich allerdings in ihrer Begründung nicht mit der Möglichkeit, dass die
Erblasserin bewusst eine von dem Willen ihres Ehemannes abweichende Regelung
treffen wollte. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Erblasserin noch zu
Lebzeiten ihres Ehemannes eine einseitige Regelung getroffen hat. Nachdem die
Ehegatten bereits ein gemeinschaftliches Testament errichtet hatten, erscheint es
zumindest ungewöhnlich, dass die Ehegatten bei bestehender Ehe nicht ein weiteres
29
gemeinschaftliches Testament zur Regelung der Schlusserbfolge errichtet haben,
sondern die Erblasserin ein Einzeltestament hat beurkunden lassen. Das Vorbringen
der Beteiligten lässt keine Anhaltspunkte für das Motiv erkennen, das die Erblasserin zu
ihrer Vorgehensweise bewogen hat. Auch der Inhalt des notariellen Testaments vom
09.01.1990 ergibt insoweit entgegen der Auffassung der weiteren Beschwerde keinen
überzeugenden Aufschluss. Denn die dort enthaltene Passage "Vorbemerkungen"
enthält notarielle Belehrungen, die sich ausdrücklich nur auf die gegenseitige
Erbeinsetzung der Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament beziehen. Denn nur
diese ist in dem einleitenden ersten Absatz in der Wiedergabe durch die Erklärung der
Erblasserin als Inhalt des bestehenden gemeinschaftlichen Testaments erwähnt. Die
nachfolgende notarielle Belehrung über die Möglichkeit eines Widerrufs der Verfügung
in dem gemeinschaftlichen Testament "gemäß § 2271 BGB" (gemeint ist erkennbar die
Verweisung in Abs. 1 S. 1 der Vorschrift auf § 2296 BGB, also die Erforderlichkeit der
Zustellung eines notariellen Widerruftestamentes an den anderen Ehegatten) bezieht
sich auf diese gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten. Dies folgt aus dem zweiten
Satzteil, in dem die Erblasserin darüber belehrt worden ist, dass bei dem von ihr
gewünschten Unterbleiben eines wirksamen Widerrufs ihre nachfolgenden Verfügungen
für den Fall ihres Vorversterbens unwirksam sein würden. Die Erblasserin hat sich also
bewusst damit begnügt, die (Schluss-) Erbfolge für den Fall zu regeln, dass sie als
längstlebende der Ehegatten verstirbt. Dieser Umstand allein zwingt jedoch keineswegs
zu der Schlussfolgerung, dass die Ehegatten bereits in ihrem gemeinschaftlichen
Testament aus dem Jahre 1977 auch eine Regelung für die Schlusserbfolge treffen
wollten. Möglich ist ebenso, dass die Ehegatten die Regelung einer Schlusserbfolge zu
dem damaligen Zeitpunkt offen lassen wollten und in den späteren Jahren eine
gemeinschaftliche Regelung - aus welchen Gründen auch immer - nicht haben treffen
können.
Auf dieser Grundlage bleibt nur die Pflichtteilsstrafklausel als Anknüpfungspunkt für eine
Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments dahin, dass die Ehegatten auch eine
Regelung über die Schlusserbfolge treffen wollten. Das Landgericht hat diesen
Umstand allein nicht als ausreichend für eine entsprechende Auslegung des
Testaments erachtet. Rechtsfehlerhaft wäre diese Bewertung nur dann, wenn ein
gesicherter Erfahrungssatz dahin bestünde, dass Ehegatten, indem sie ihre
gegenseitige Erbeinsetzung nach dem Erstversterbenden mit einer
Pflichtteilsstrafklausel verbinden, gleichzeitig die Kinder als Adressaten dieser Klausel
zu gleichen Teilen als Schlusserben des Letztversterbenden einsetzen wollen, eine
entsprechende Auslegung also nicht nur rechtlich möglich, sondern zwingend wäre.
Dies ist jedoch nicht der Fall (OLG Hamm, 7. Zivilsenat, DNotZ 1951, 41, 44; OLG
Bremen, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Celle MDR 2003, 813;
Staudinger/Kanzleiter, a.a.O.; J. Mayer in: Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und
Erbvertrag, 4. Aufl., § 2269, Rdnr. 13). Die Strafklausel bewirkt ihrer Formulierung nach
nur einen Ausschluss desjenigen Kindes von der Erbfolge (§ 1938 BGB), das nach dem
Tode des erstversterbenden Ehegatten den Pflichtteil verlangt. Dies wird auch in der
Formulierung des hier zu beurteilenden gemeinschaftlichen Testaments ("... wird
enterbt") besonders deutlich. Mit dem Inhalt der Strafklausel ist es durchaus vereinbar,
dass die Ehegatten dem Überlebenden freie Hand für die Regelung der Schlusserbfolge
lassen und lediglich dem Kind, das nach dem Tode des Erstversterbenden den
Pflichtteil verlangt, jede Aussicht auf eine Beteiligung als Erbe am Nachlass des
Letztversterbenden nehmen wollen (OLG Hamm a.a.O.). Ob eine so ausgestaltete
Pflichtteilsstrafklausel geeignet ist, die Kinder in der gewünschten Weise zu
veranlassen, von der Geltendmachung des Pflichtteils gegenüber dem überlebenden
30
Ehegatten abzusehen, mag allerdings zweifelhaft erscheinen. Denn im Hinblick auf die
kurze Verjährungsfrist des Pflichtteilsanspruchs (§ 2332 Abs. 1 BGB) wird sich mancher
zur Geltendmachung dieses Anspruchs gezwungen sehen, wenn er nicht zugleich eine
gesicherte Aussicht erhält, am Nachlass des letztversterbenden Elternteils beteiligt zu
werden. Versteht man die Pflichtteilsstrafklausel als Instrument, ein gutes familiäres
Einvernehmen über die Erbfolge zwischen Eltern und gemeinsamen Kindern zu
erhalten, so kann die Klausel nur wirksam werden, wenn sie quasi als Gegenleistung für
das erwartete Wohlverhalten eine erbrechtliche Zuwendung an die Kinder nach dem
Tode des letztversterbenden Elternteils umfasst. Für die Testamentsauslegung
maßgebend ist demgegenüber allein der Wille der testierenden Ehegatten. Es ist
danach durchaus möglich, dass die Ehegatten im Rahmen ihrer Vorstellungen größeres
Gewicht darauf haben legen wollen, dem Überlebenden die freie Verfügung über den
gemeinschaftlichen Nachlass einzuräumen, weil sie sich gegenseitig das Vertrauen
entgegengebracht haben, der Überlebende werde unter Berücksichtigung der weiteren
Entwicklung eine gerechte Regelung für die Schlusserbfolge treffen. Die entsprechende
Auslegung des Landgerichts liegt somit im Rahmen des rechtlich Möglichen und kann
im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beanstandet werden.
Die Entscheidung über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des
Verfahrens der weiteren Beschwerde folgt aus der zwingenden Vorschrift des § 13 a
Abs. 1 S. 2 FGG.
31
Die Wertfestsetzung für das Verfahren dritter Instanz beruht auf den §§ 131 Abs. 2, 30
Abs. 1 KostO. Sie folgt der unbeanstandet gebliebenen Festsetzung der
landgerichtlichen Entscheidung.
32