Urteil des OLG Hamm vom 14.07.2009

OLG Hamm: einstweilige verfügung, erlass, abmahnung, karte, dringlichkeit, zugang, veranstaltung, geschäftsführer, versicherung, polizei

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 86/09
Datum:
14.07.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 86/09
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 4 O 69/09
Tenor:
Auf die Berufung des Antragsgegners wird das am 26. März 2009
verkünde-te Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen
abgeändert.
Die einstweilige Verfügung wird aufgehoben und der auf ihren Erlass
gerich-tete Antrag wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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A.
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Das Landgericht hat dem Antragsgegner durch das angefochtene Urteil unter
Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt,
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Eintrittskarten, die über Internetportale, insbesondere das Portal "Internetadresse"
angeboten und/oder verkauft werden, mit dieser Begründung für den Zugang zum
Stadion zu sperren und/oder den Inhabern solcher Eintrittskarten den Einlass zu
der auf der Karte ausgewiesenen Veranstaltung zu verwehren, und ferner zu
behaupten bzw. behaupten zu lassen oder zu verbreiten bzw. verbreiten zu
lassen, dass Tickets, die über nicht von dem Antragsgegner "autorisierte"
Verkaufsstellen erworben wurden, keine Gültigkeit besitzen und/oder den Inhaber
der Eintrittskarte nicht zum Besuch der entsprechenden Veranstaltung
berechtigen, insbesondere wenn dies durch den Aufdruck des folgenden Textes
auf Eintrittskarten für Spiele des Antragsgegners erfolgt: "Die Karte verliert bei
einem solchen Verkauf Ihre Gültigkeit und berechtigt den Inhaber nicht mehr zum
Besuch der Veranstaltung", und zwar unter Bezug auf "einen Verkauf der Karte
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über nicht autorisierte Internet-Auktionshäuser oder nicht autorisierte Internet-
Ticketbörsen oder nicht autorisierte gewerbliche Verkäufer".
In der Sache hat das Landgericht einen Unterlassungsanspruch wegen gezielter
Absatzbehinderung durch den Antragsgegner i.S.v. §§ 3, 4 Nr. 10 UWG bejaht. Den
notwendigen Verfügungsgrund hat es auf die Dringlichkeitsvermutung des § 12 II UWG
gestützt, wobei diese nach Auffassung des Landgerichts nicht wegen des Zeitablaufs
zwischen Kenntnis von den Umständen, die den Wettbewerbsverstoß begründeten (mit
Zugang des Schreibens der Polizeibehörde X vom 09.01.2009), und dem Einreichen
des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (am 17.02.2008) widerlegt sei. Die
Antragstellerin habe zunächst weitere Recherchen hinsichtlich des Vorgehens des
Antragsgegners anstellen und jedenfalls die Reaktion des Antragsgegners auf die
Unterlassungserklärung abwarten dürfen. Der Antragsgegner habe den ihm insoweit
obliegenden Nachweis, dass die Antragstellerin schon vor dem Schreiben vom
09.01.2009 Kenntnis von dem Aufdruck auf den Tickets und der tatsächlichen Sperrung
von Karteninhabern gehabt habe, nicht geführt.
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Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts und der näheren Begründung wird auf
den Tatbestand (S. 3 bis 7) und die Entscheidungsgründe (S. 7 ff.) des angefochtenen
Urteils Bezug genommen.
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Der Antragsgegner greift das Urteil mit der von ihm eingelegten Berufung an, mit der er
abändernd die Aufhebung der einstweiligen Verfügung und die Zurückweisung des auf
ihren Erlass gerichteten Antrags begehrt. Er bemängelt die Bestimmtheit des Tenors
und hält die Verfügung hinsichtlich des Verbots bezüglich des Verkaufs bei
"Internetportalen" für zu weit gefasst. Er meint, es liege kein Unterlassungsanspruch der
Antragstellerin vor, so insbesondere keine gezielte Wettbewerbsbehinderung nach §§ 3,
4 Nr. 10 UWG. Es fehle insoweit an der Zielgerichtetheit seines Handelns. Ziel sei es
vielmehr, die Sicherheit im Stadion zu gewährleisten und ein sozialverträgliches
Preisgefüge sicherzustellen. Ferner erfolge keine Förderung des eigenen
Ticketabsatzes, da die Karten von ihm vorher schon verkauft worden seien. Seine
Interessen zur Wahrung von Leib und Leben der Besucher sowie zum Schutz des
sozialen Preisgefüges überwögen sodann das wirtschaftliche Interesse der
Antragstellerin an dem Verkauf über ihre Internetbörse. Der Antragsgegner hält seine
AGB und den Ticketaufdruck für wirksam und zulässig. Entsprechende
Einschränkungen des Zutrittsrechts seien zulässig nach § 796 BGB. Alsdann wirke sich
im Rahmen der Interessenabwägung auch eine Markenverletzung durch die
Antragstellerin zu ihren Lasten aus. Es fehle an der Dringlichkeit für den Erlass der
einstweiligen Verfügung. Der Antragsgegner behauptet dazu, die Antragstellerin habe
aufgrund der Rechtsentwicklung und der weiteren Auseinandersetzung mit dem I schon
vor dem 09.01.2009 Kenntnis von dem vermeintlichen Verstoß gehabt, sich jedenfalls
einer solchen Kenntnis bewusst verschlossen. Spätestens am 09.01.2009 sei der
Verstoß in allen Einzelheiten bekannt gewesen. Er meint, durch das Zuwarten mit der
Abmahnung bis zum 06.02.2009 und dem Stellen das Verfügungsantrags erst am
17.02.2009 habe die Antragstellerin die gerichtliche Geltendmachung in
dringlichkeitsschädlicher Weise verzögert.
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Der Antragsgegner beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Essen vom 26.03.2009 die
erlassene einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass
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gerichteten Antrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das Urteil mit nähern Ausführungen. Sie meint zum Verfügungsgrund, es
fehle nicht an der erforderlichen Dringlichkeit. Durch ihr Verhalten habe sie nicht zum
Ausdruck gebracht, dass ihr die Angelegenheit nicht eilig sei. Kenntnis von dem
Ticketaufdruck habe sie erst durch den mit Schreiben vom 09.01.2009 übermittelten
polizeilichen Vorgang erhalten. Dieser Vorgang sei ausweislich der eidesstattlichen
Versicherung des Zeugen L erst nach einigen Tagen zur Kenntnis genommen worden.
Ihre Prozessbevollmächtigte habe aufgrund des polizeilichen Vorgangs eigene
Recherchen angestellt. Die zuständigen Mitarbeiter der Polizeibehörden habe sie erst
Ende Januar 2009 erreicht. Auch mit Frau Dr. X2 habe sie Kontakt aufgenommen. Einen
solchen Kontakt habe sie zu dem ausgesperrten Herrn M indes nicht herstellen können.
Auch wenn es letztlich nicht auf die Frage ankomme, ob Herr M wegen des Verkaufs
über F oder wegen des Verkaufs über die Antragstellerin ausgesperrt worden sei, sei ihr
daran gelegen gewesen, vor der rechtlichen Würdigung des Falles den Sachverhalt
vollständig zu erschließen. In diesem Zusammenhang sei auch eine umfassende
Internetrecherche durchgeführt worden. Erst danach sei die rechtliche Würdigung
vorgenommen worden. Bei dieser komplexen Sach- und Rechtslage sei ein
Wettbewerbsverstoß für den leitenden Mitarbeiter L nicht ohne weiteres erkennbar
gewesen. Die Antragstellerin schildert den Schriftverkehr zwischen den Parteien,
beginnend mit der Abmahnung vom 06.02.2009. Nur zwei Werktage nach dem
Antwortschreiben des Antragsgegners, so die Antragstellerin weiter, sei die einstweilige
Verfügung beantragt worden. Die außergerichtliche Korrespondenz und die
Antragsschrift hätten zudem mit ihrem der deutschen Sprache nicht mächtigen
Geschäftsführer abgestimmt werden müssen. Die Antragstellerin bestreitet eine frühere
Kenntnis zur Aussperrung durch den Antragsgegner im Zusammenhang mit der Praxis
des Bundesligavereins I. Sie weist darauf hin, dass es insoweit keine
Marktbeobachtungspflicht gebe, und wendet sich gegen den Vortrag des
Antragsgegners, ihr habe der Aufdruck auf den Tickets deshalb bekannt sein müssen,
weil sie diese selbst verschicke und daher in Augenschein nehme. Lediglich in
Ausnahmefällen würden Karten vom Verkäufer über die Antragstellerin an den Käufer
versendet. Ihre Tätigkeit beschränke sich dann aber auf die Weiterleitung der Karten.
Eine Überprüfung der Tickets und eine Kenntnisnahme etwaiger Aufdrucke fänden
hierbei nicht statt. Entgegen der Behauptung des Antragsgegners habe es vor dem
angesprochenen polizeilichen Ermittlungsverfahren keine Beschwerden aufgrund von
Aussperrungen gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
13
B.
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Die zulässige Berufung des Antragsgegners ist begründet und führt zur Aufhebung der
einstweiligen Verfügung und zur Zurückweisung des Verfügungsantrags.
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Die Antragstellerin kann nicht im Wege der einstweiligen Verfügung die begehrten
Unterlassungen verlangen, denn es fehlt an dem für den Erlass der einstweiligen
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Verfügung nötigen Verfügungsgrund. Die Frage des Verfügungsanspruchs kann für die
Entscheidung im Eilverfahren insofern dahinstehen.
Zunächst wird die Dringlichkeit nach § 12 II UWG vermutet. Diese Vermutung ist nach
allgemeiner Auffassung jedoch widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein eigenes
Verhalten zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Verfolgung seiner Ansprüche nicht eilig
ist und er die gerichtliche Geltendmachung in dringlichkeitsschädlicher Weise selbst
verzögert (vgl. Ahrens-Schmuckle, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl. 2009, Kap. 45
Rn. 17 f. m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Senats ist dies regelmäßig der Fall,
wenn der Antragsteller ab Kenntnis von dem Verstoß mehr als einen Monat bis zur
Einreichung des Verfügungsantrags bei Gericht zuwartet (vgl. etwa NJW-RR 1994, 48;
OLGR 2005, 644). Dies ist vorliegend der Fall.
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Die Antragstellerin hatte unstreitig jedenfalls durch das Schreiben der
Kreispolizeibehörde vom 09.01.2009 konkret Kenntnis von sämtlichen Tatsachen, die
die geltend gemachten Wettbewerbsverstöße des Antragsgegners begründen sollen, so
insbesondere auch von den Sperrungen der übers Internet gehandelten Karten und dem
fraglichen Ticketaufdruck. Erst mit bei Gericht eingegangenem Antrag vom 17.02.2009
wurde der Verfügungsantrag dann eingereicht. Diese eigene Verzögerung war in
dringlichkeitsschädlicher Weise zu lang. Selbst bis zur Abmahnung vom 06.02.2009
brauchte es fast schon einen Monat. Soweit die Antragstellerin demgegenüber eine
eidesstattliche Versicherung ihres Mitarbeiters L vom 16.07.2009 vorgelegt hat, ergibt
sich hieraus nur, dass dieser erstmals "einige Tage nach dem 09.01.2009" von dem
fraglichen Aufdruck und von den Sperrungen erfahren habe, wobei ihm wiederum auch
"nicht bekannt" sei, dass andere Mitarbeiter vor dem 09.01.2009 entsprechende
Kenntnis gehabt hätten. Der Zugang des Schreibens der Polizeibehörde vom
09.01.2009 per Telefax – ist jedenfalls nicht bestritten. Ein insofern nicht näher
spezifizierter Verweis auf eine Kenntnis ihrer leitenden Mitarbeiter "einige Tage später"
ist dabei nicht geeignet, die Entkräftung der Vermutung zu beseitigen, schon deshalb,
weil "einige Tage später" nicht ohne weiteres auch auf eine Dauer von jedenfalls 8
Tage schließen lässt. Die Antragstellerin müsste in diesem Punkt schon
nachvollziehbar dartun und zudem überprüfbar versichern, dass sie erst entsprechend
deutlich später, und zwar innerhalb der regelmäßig zugrunde zu legenden Monatsfrist,
diese Kenntnis bekommen hat. Dies ist nicht erfolgt.
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Ein Verweis auf weitere Recherchen, so in Form von Telefonaten mit der Polizei oder
Frau Dr. X2, die die Anzeige erstattet hatte, ist in diesem Zusammenhang
unmaßgeblich. Zwar kann der Antragsteller zur Feststellung eines Verstoßes
gegebenenfalls noch erforderliche Recherchen anstellen, um sich über den
Wettbewerbsverstoß erst noch Gewissheit zu verschaffen (vgl. Bernecke, 2003, Rn. 68
m.w.N.). Erforderliche Recherchen standen hier aber tatsächlich nicht mehr an und sind
in Bezug auf ihre Relevanz plausibel auch nicht vorgetragen. Durch die Mitteilung des
detaillierten Anzeigeninhalts und der weiteren polizeilichen Ermittlungen wusste die
Antragstellerin nicht nur von dem beanstandeten Aufdruck auf den Karten, sondern im
Einzelnen auch von der konkreten Eintrittsverweigerung gegenüber dem
Kartenerwerber M. Weitere Informationen waren zum Zwecke der Ausbringung der
Abmahnung und zur gerichtlichen Geltendmachung der Verfügungsanträge nicht
erforderlich, was sich deutlich auch daran zeigt, dass solche in keiner Weise mehr in der
Abmahnung vom 06.02.2009 wie auch in der Antragsschrift aufgegriffen sind. Auch eine
etwaige Unklarheit etwa darüber, ob die Karte wegen des Verkaufs über F oder über die
Antragstellerin gesperrt wurde, war – auch aus eigener Sicht der Antragstellerin gemäß
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Schriftsatz vom 07.07.2007 - nicht relevant. Die beanstandete Sperrung bzw.
Einlassverweigerung (betr. Antrag zu 1 a) wie auch die Behauptung der Ungültigkeit auf
den Karten (betr. Antrag zu 1 b) war unzweifelhaft vollumfänglich bekannt. Die AGBs
des Antragsgegners konnten darüber hinaus ad hoc aus dem Internet abgegriffen
werden. Maßgebliche Recherchen, die ein Zuwarten rechtfertigen könnten, waren
keineswegs mehr erforderlich. Die Tatsachen, die die Rechtsverfolgung veranlassten
und auf die diese ge-stützt wird, waren mit dem Faxschreiben vom 09.01.2009 bekannt,
lagen sprichwörtlich "auf dem Tisch". Dies gilt um so mehr, als die Problematik der
Sperrungen von Karten, die über vermeintlich nicht autorisierte Händler gehandelt
werden, aufgrund der Auseinandersetzungen mit dem I und der Entscheidung des BGH
vom 11.09.2008 bereits in offenkundiger Weise "virulent" war, zumal vorliegend zudem
auch eine Strafanzeige gegen die Antragstellerin zugrunde lag, die unmittelbar nach
einem Telefonat mit Fr. X3 von der Marketingabteilung der Antragstellerin von der
Polizei gefaxt worden ist. Eine solche wird von den Betroffenen im Allgemeinen in
besonderer Weise zur Kenntnis genommen. An der Beurteilung ändert sich im Ergebnis
auch angesichts der umfangreichen Geschäftstätigkeit der Antragstellerin in
Deutschland nichts durch die Notwendigkeit der Übersetzung für ihren Geschäftsführer
oder durch die im Übrigen durchaus komplexe Rechtsprüfung.
Hinzu kommt, ohne dass dies allein noch durchschlagen würde, dass die Antragstellerin
auch nach Ablehnung der Unterzeichnung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung
durch den Antragsgegner mit Schreiben vom 11.02.2009 – gerade auch unter dem
Gesichtspunkt, dass zwischen den Parteien schon kein Wettbewerbsverhältnis bestehe
– nicht sogleich den Verfügungsantrag bei Gericht eingereicht hat. Der Antragsgegner
hatte durch das genannte Schreiben unmissverständlich mitgeteilt, dass die geltend
gemachten Ansprüche zurückgewiesen würden. Nunmehr hat die Antragstellerin ihm
mit Schreiben vom 13.02.2009 unter Fristsetzung und mit weiteren Informationen zu den
in Rede stehenden Eintrittskarten erneut zur Unterwerfung aufgefordert, obwohl klar war,
dass sich der Antragsgegner auch aus allgemeinen Erwägungen heraus in Bezug auf
eine Unterwerfung strikt verweigerte.
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Insgesamt ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände festzustellen, dass das
Verfahren nicht in der nötigen Weise zügig eingebracht worden ist. Die Dringlichkeit für
den Erlass einer Eilentscheidung ist von daher zu verneinen. Auf die weitere Frage, ob
bereits vor dem 09.01.2009 eine grob fahrlässige Unkenntnis der in Rede stehenden
Umstände bestand, kommt es entscheidend nicht mehr an.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I, 708 Nr. 10
ZPO.
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