Urteil des OLG Hamm vom 15.05.2002

OLG Hamm: aussetzung, anstand, beschränkung, vorrang, verfügung, konzentrationsmaxime, einverständnis, ausnahmecharakter, datum

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 144/02
Datum:
15.05.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 144/02
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem
Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen hat, verworfen.
Gründe: I. Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 26. Oktober
2001 wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln unter
Einbeziehung einer früheren Jugendstrafe von 1 Jahr und neun Monaten zu einer
Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Dagegen hat
der Angeklagte Berufung eingelegt. Sein Rechtsmittel hat er in der
Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die
Jugendkammer hat in der Hauptverhandlung am 22. Januar 2002 diese für einen
Zeitraum von ca. 8 Monaten ausgesetzt und dem Angeklagten im
Aussetzungsbeschluss - mit dessen ausdrücklichem Einverständnis - aufgegeben, in
regelmäßigen Abständen von vier Wochen eine Ärztin zum Drogenscreening
aufzusuchen und zu seinem Bewährungshelfer - aus dem früheren Verfahren - Kontakt
zu halten. Für den Fall, dass der Angeklagte dem nicht nachkommt, hat sie sich
vorbehalten, kurzfristig die Hauptverhandlung anzuberaumen.
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Gegen diese Aussetzungsentscheidung hat die Staatsanwaltschaft Bochum noch in der
Hauptverhandlung Beschwerde eingelegt, der die Generalstaatsanwaltschaft
inzwischen beigetreten ist. Sie ist mit der Staatsanwaltschaft Bochum der Auffassung,
dass die Entscheidung der Jugendkammer nicht mehr der Förderung des Verfahrens
diene und deshalb unzulässig sei. Die Jugendkammer hat der Beschwerde nicht
abgeholfen. In ihrer Nichtabhilfeentscheidung hat sie darauf hingewiesen, dass das
Verfahren Ausnahmecharakter habe. Dem Angeklagten solle mit der Aussetzung die
Möglichkeit gegeben werden, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 31 Abs. 3
JGG zu schaffen. Der Angeklagte hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
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II. Die Beschwerde ist zulässig (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl.,
2001, § 228 Rn. 16 ff. mit weiteren Nachweisen). Sie hat in der Sache jedoch keinen
Erfolg.
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Die von der Jugendkammer getroffene Aussetzungsentscheidung ist unter
Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles - ausnahmsweise - nicht zu
beanstanden.
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Nach § 228 Abs. 1 StPO ist die Aussetzung der Hauptverhandlung grundsätzlich
zulässig, wenn Beschleunigungs- und die Konzentrationsmaxime nicht entgegenstehen.
Diese gebieten grundsätzlich, dass eine einmal begonnene Hauptverhandlung zügig
und unter Vermeidung unnötiger Verzögerungen zu Ende geführt wird (Gollwitzer in
Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 228 Rn. 8 f., Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.,
jeweils mit weiteren Nachweisen). Die gesetzlich vorgesehenen (Ausnahme)Fälle der
Aussetzung der Hauptverhandlung stellen zwar keine abschließende Regelung dar.
Eine Aussetzung kommt jedoch - über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus - nur in
Betracht, wenn dies zur Förderung des Verfahrens, insbesondere zu besseren
Sachaufklärung, oder zur Wahrung von Verfahrensrechten der Beteiligten geboten
erscheint. Insoweit ist eine Abwägung vorzunehmen.
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Diesen Anforderungen wird die Aussetzungsentscheidung der Jugendkammer vom 22.
Januar 2002 noch gerecht. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass sie im Jugendgerichtsverfahren ergangen ist, das, worauf die
Jugendkammer in ihrem Nichtabhilfebeschluss zutreffend hingewiesen hat, die
Möglichkeit zu flexiblen Entscheidungen, wie z.B. in § 27 oder § 57 JGG vorgesehen,
bietet. (Allgemein) anerkannt ist zudem, dass eine Hauptverhandlung zur besseren
Sachaufklärung ausgesetzt werden kann. Dem kommt das von der Jugendkammer mit
der Aussetzung erstrebte Ziel in etwa gleich. Die Jugendkammer konnte - so die
Begründung ihres Nichtabhilfe-beschlusses - am 22. Januar 2002 nicht abschließend
beurteilen, ob angesichts der positiven Entwick-lung, die der Angeklagte in den letzten
Monaten gemacht hat, schon von der Möglichkeit des § 31 Abs. 3 JGG Gebrauch
gemacht werden konnte oder nicht. Ziel der Aussetzung war es mithin, die Grundlagen
für die insoweit erforderliche Entscheidung weiter zu ermitteln und/oder zu festigen,
indem dem Angeklagten die Möglichkeit geboten wurde, sich über einen weiteren
längeren Zeitraum drogenfrei zu erweisen. Dafür stand das Vorgehen nach § 57 JGG,
das andernfalls nahe gelegen hätte, wegen der Besonderheiten des Falles nicht zur
Verfügung, da vorrangig die Entscheidung nach § 31 Abs. 3 JGG zu treffen war und erst
danach die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe anstand.
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Der dem Jugendgerichtsverfahren immanente Erziehungsgedanke stand dem nicht
entgegen. Vielmehr ist auch unter seiner Berücksichtigung die getroffene Entscheidung
(noch) sachgerecht, wobei der Senat besonderes Gewicht auf den Umstand legt, dass
der Angeklagte sich offenbar in der Tat "gefangen" hat und er zudem kurz vor Abschluss
seiner Lehrzeit steht. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Angeklagte sein
Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat und damit auch die
Beschleunigungsmaxime dem Vorgehen des Gerichts nicht entgegensteht. Durch die
Beschränkung steht fest, dass der Angeklagte für sein Fehlverhalten mit einer
gerichtlichen Reaktion rechnen muss.
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Nach allem konnte das Rechtsmittel daher keinen Erfolg haben und war mit der sich aus
den §§ 467, 473 ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.
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Der Senat weist abschließend noch einmal darauf hin, dass nur die Besonderheiten des
Falles, insbesondere der Umstand, dass von der in § 57 JGG vorgesehenen
Möglichkeit, erst später über die Aussetzung der verhängten Strafe zu entscheiden, nicht
Gebrauch gemacht werden konnte, die Entscheidung der Kammer als (noch)
sachgerecht erscheinen lassen. In anderen Fällen wird der Regelung des § 57 JGG der
Vorrang zu geben sein. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen der
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Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme.