Urteil des OLG Hamm vom 30.09.2010

OLG Hamm (lex specialis, antragsteller, wohnung, höhe, auszug, zahlung, beschwerde, kredit, sohn, leistungsfähigkeit)

Oberlandesgericht Hamm, II-3 UF 154/10
Datum:
30.09.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-3 UF 154/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Bochum, 58 F 200/10
Schlagworte:
Nutzungsentschädigung, Ehewohnung
Normen:
§ 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB, § 745 Abs. 2 BGB
Tenor:
In Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengerecht -
Bochum vom
14.07.2010 und unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde
wird die Antragsgegnerin verpflichtet, an den Antragsteller eine
Nutzungsentschädigung zu zahlen in Höhe von monatlich 150,00 € für
die Zeit vom 1. Mai 2010 bis zum 31. März 2011 und in Höhe von 300,00
€ monatlich für die Zeit ab 1. April 2011. Der weitergehende Antrag wird
zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen die Parteien jeweils zur
Hälfte; außer-gerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird - endgültig - auf
3.600,00 € festgesetzt.
Gründe:
1
I.
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Die Beteiligten - getrennt lebende Eheleute – streiten um die Verpflichtung der
Antragsgegnerin zur Zahlung von Nutzungsentschädigung für die Ehewohnung. Sie
sind zu je ½ Miteigentümer eines Grundstücks in C, H-Straße. Das Grundstück ist
bebaut mit einem Reihenmittelhaus, das die Beteiligten als Ehewohnung genutzt haben.
Seit dem Auszug des Antragstellers im März 2010 wohnt die Antragsgegnerin mit dem
gemeinsamen volljährigen Sohn der Beteiligten in dem Objekt, dessen Nebenkosten sie
trägt.
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Der Antragsteller hat beantragt, die Antragsgegnerin zur Zahlung einer
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Nutzungsentschädigung in Höhe von monatlich 400 € ab April 2010 zu verpflichten. Das
Haus habe eine Marktmiete von wenigstens 800 €, von der ihm die Hälfte zustehe.
Die Antragsgegnerin ist dem entgegen getreten. Sie hat u.a. geltend gemacht, sie sei
nicht leistungsfähig, weil ihr Einkommen unterhalb des Selbstbehalts liege.
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Das Amtsgericht hat dem Antragsteller eine Nutzungsentschädigung in Höhe von
monatlich 300 € ab April 2010 zugesprochen. Es hat die Einkünfte beider Beteiligter
ermittelt und festgestellt, bei einer Zahlung in Höhe von 224 € monatlich von der
Antragsgegnerin an den Antragsteller hätten beide Beteiligte gleich hohe Einkünfte.
Dieser Betrag sei auf 300 € zu erhöhen, weil die Antragstellerin von dem Sohn der
Beteiligten einen Wohnkostenbeitrag fordern könne, der dem Antragsteller zur Hälfte
zustehe.
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Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde. Zur Begründung beruft
sie sich im Wesentlichen auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, den sie u.a. durch Vorlage
eines Marktwertgutachtens vertieft. Sie beantragt,
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den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass der Antrag auf
Zahlung einer Nutzungsentschädigung zurückgewiesen wird.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt den angefochtenen Beschluss unter Wiederholung und Vertiefung seines
erstinstanzlichen Vorbringens.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug
genommen.
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II.
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Die nach §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 FamFG zulässige Beschwerde der
Antragsgegnerin ist nur teilweise begründet.
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1.
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Wie der Senat mit Urteil vom 1. Juli 2010 (3 UF 222/09) ausgeführt hat, richtet sich der
Anspruch auf Zahlung von Nutzungsentschädigung für die Zeit des Getrenntlebens der
Parteien nach § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB als lex specialis gegenüber der Vorschrift des
§ 745 Abs. 2 BGB (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2008,1639; OLG München, FamRZ
2007,1655). Denn für getrennt lebende Eheleute, die - wie hier - zugleich Mitglieder
einer Eigentümergemeinschaft im Sinne der §§ 741 ff. BGB an der Ehewohnung sind,
verdrängt für die Frage einer zu zahlenden Nutzungsentschädigung die Regelung des §
1361b Abs. 3 Satz 2 BGB bzw. der §§
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2, 3 HausratsVO die allgemeine Regelung des § 745 Abs. 2 BGB als lex specialis für
die Trennungszeit bzw. die nacheheliche Zeit. Dies gilt auch dann, wenn der weichende
Ehegatte die Ehewohnung freiwillig verlassen hat und sie dem verbleibenden
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Ehegatten freiwillig zur Nutzung überlassen hat und somit die eigentliche Zuweisung
der Ehewohnung nicht Streitgegenstand ist. Hier ist § 1361b Absatz 3 Satz 2 BGB auch
weiterhin anwendbar, weil es sich bei der streitbefangenen Wohnung noch um die
Ehewohnung der Parteien handelt. Allein ein freiwilliger Auszug eines Ehegatten und
die Überlassung der Wohnung an den anderen Ehegatten - auch wenn dies in der
Vorstellung geschieht, die Wohnung nicht mehr gemeinsam nutzen zu wollen - beseitigt
den Status der Ehewohnung nicht. Insoweit ist eine eindeutige und endgültige Einigung
beider Ehegatten über die wesentlichen Modalitäten einer künftigen Alleinnutzung der
Wohnung durch den anderen Ehegatten Voraussetzung (OLG Hamm, FamRZ
2008,1639). Hierzu gehört sowohl die Einigung, wer die Wohnung künftig nutzen wird,
als auch eine Regelung, ob und ggf. in welcher Höhe eine Nutzungsentschädigung
gezahlt werden soll. Der letztere Punkt ist aber gerade Gegenstand dieses Verfahrens.
In Betracht kommt demnach ein Anspruch des Antragstellers aus § 1361b Abs. 3 Satz 2
BGB, wie ihn das Amtsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat.
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2.
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Gemäß § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB kann ein Ehegatte, der dem anderen Ehegatten die
Ehewohnung ganz oder zum Teil überlässt, für die Trennungszeit eine Vergütung für die
Nutzung verlangen, wenn dies der Billigkeit entspricht. Maßgebend für die
Billigkeitsentscheidung sind stets die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls,
d.h. neben dem Mietwert sind insbesondere die Lebens- und die wirtschaftlichen
Verhältnisse der Ehegatten und ihre bisherige Lebensgestaltung zu beachten (Senat,
Urteil vom 1. Juli 2010, 3 UF 222/09).
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a)
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Zu betrachten ist demnach zunächst der Mietwert, wobei grundsätzlich im ersten Jahr
nach der Trennung der angemessene und anschließend der objektive Mietwert
maßgeblich ist (vgl. HLL Nr. 5.2). Der Senat hält es für sachgerecht, den objektiven
Mietwert des Objekts mit rund 600 € anzusetzen. Einen höheren Wert macht selbst der
Antragsteller nicht nachvollziehbar geltend. Die Antragsgegnerin meint zwar unter
Berufung auf das vorgelegte Bankgutachten, der Mietwert liege bei rund 500 €. Nach der
Erfahrung des Senats aus einer Vielzahl vergleichbarer Fälle sind entsprechende
Bankgutachten indes regelmäßig im Hinblick auf die Beleihungsregeln der Banken
vorsichtig bemessen, so dass ein – geringfügiger – Aufschlag auf den auch von dem
Antragsteller als Mindestbetrag behaupteten objektiven Mietwert von 600 € gerechtfertigt
erscheint.
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Der Senat hält es ferner für gerechtfertigt, für einen Zeitraum von rund einem Jahr nach
dem Auszug des Antragstellers entsprechend der nur noch eingeschränkten Nutzung
lediglich einen angemessenen Wohnwert von rund 300 € anzusetzen. Dies entspricht
den Kosten einer angemessenen Wohnung für eine Person, wie sie auch der
Antragsteller belegt hat, und berücksichtigt, dass die Ehewohnung der Antragsgegnerin
durch den Auszug des Antragstellers zumindest für eine gewisse Übergangszeit
gleichsam aufgedrängt wurde (vgl. BGH FamRZ 1986, 436, Rdn. 10 bei juris).
23
b)
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Zu berücksichtigen sind ferner die Einkommensverhältnisse der Beteiligten.
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Auf Seiten des Antragstellers ist die Rente von 759 €
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und die Warmmiete von 246 €
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zu berücksichtigen sowie Stromkosten von 30 €,
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so dass verbleiben 483 €.
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Die geltend gemachten Kosten für Digitalfernsehen sind der Lebensführung
zuzurechnen und nicht gesondert anzusetzen.
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Der Antragsteller macht ferner Aufwendungen für einen Kredit (275 € monatlich) geltend.
Er behauptet, mit dem Kredit habe er im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits die
Prozesskosten bezahlt sowie den gerichtlich angeordneten Rückbau finanziert. Ferner
sei der Kredit für die Kosten der Lebenshaltung herangezogen worden. Die
Antragsgegnerin ist dem entgegen getreten. Sie meint, das Geld sei von dem
Antragsteller für eigene Zwecke verbraucht worden. Da den vorgelegten Unterlagen
lediglich entnommen werden kann, dass der Kredit mehrfach umgeschuldet wurde, nicht
aber wofür er verwandt wurde, und die Beteiligten hierzu weder hinreichend vorgetragen
noch geeignete Beweismittel benannt haben, hat der Senat die Kreditbelastung nicht
entscheidend berücksichtigt.
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Bei der Antragsgegnerin ist eine Rente von 944,00 €
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anzusetzen abzüglich Grundbesitzabgaben 51,00 €,
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Gebäudeversicherung 12,95 €,
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Schornsteinfeger 3,66 €,
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Gas und Wasser 137,00€ und
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Strom 116,45 €.
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Es verbleiben 622,94 €.
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c)
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Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der volljährige Sohn der Beteiligten zumindest
ein Zimmer in dem Haus bewohnt und Bad und Küche nutzt. Hierfür könnte die
Antragsgegnerin zur Überzeugung des Senats einen gewissen Beitrag des Sohnes
verlangen, der dem Antragsteller hälftig zugute kommen müsste.
40
d)
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Unter Berücksichtigung einerseits des Mietwertes, andererseits der insgesamt besseren
finanziellen Situation der Antragsgegnerin und der möglichen Inanspruchnahme des
Sohnes, zugleich aber auch ihrer beschränkten Leistungsfähigkeit hält der Senat die
aus dem Tenor ersichtlichen Zahlungen von Nutzungsentschädigung für angemessen,
und zwar:
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aa)
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monatlich 150,00 € für die Zeit vom 1. Mai 2010 bis zum 31. März 2011. Die
Nutzungsentschädigung ist erst ab Zugang einer entsprechenden Zahlungsaufforderung
geschuldet (Palandt/Brudermüller, BGB, 69. Aufl., § 1361b Rdn. 23). Der Antragsteller
beruft sich auf ein Schreiben vom 29. April 2010. Mangels anderer Anhaltspunkte ist
davon auszugehen, dass das Schreiben der Antragsgegnerin erst im Mai 2010
zugegangen ist, weshalb sie erst ab Mai 2010 Nutzungsentschädigung schuldet. Eine
zusätzliche Überlegungsfrist (vgl. Palandt/Brudermüller, aaO, m.w.N.) ist der
Antragsgegnerin zur Überzeugung des Senats nicht zuzubilligen, da nicht ersichtlich ist,
dass sie anderweitig günstigeren
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Wohnraum hätte finden können.
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Die Nutzungsentschädigung ist nach dem oben Gesagten für den genannten Zeitraum
von rund einem Jahr nach dem Auszug des Antragstellers auf die Hälfte des
angemessenen Wohnwertes zu beziffern. Die Antragsgegnerin ist insoweit auch
leistungsfähig, wenn man berücksichtigt, dass in den unterhaltsrechtlichen
Selbstbehalten, auf deren Unterschreitung sie sich beruft, erhebliche Wohnkosten
enthalten sind (vgl. HLL Nr. 21.2 und 21.3.1).
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bb)
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300,00 € monatlich für die Zeit ab 1. April 2011. Hierbei handelt es sich um die Hälfte
des objektiven Wohnwertes. Auf fehlende Leistungsfähigkeit kann die Antragsgegnerin
sich insoweit nicht mit Erfolg berufen, da ihr hinreichende Zeit verbleibt, eine günstigere
Wohnung zu suchen und aus der Ehewohnung auszuziehen.
48
cc)
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Letztlich dahin stehen kann, ob die in der Vergangenheit von der Antragsgegnerin für
das Objekt erbrachten Finanzierungsbeiträge oder aber die unstreitig von dem
Antragsteller erbrachten Eigenleistungen höher zu bewerten sind.
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3.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 81, 84 FamFG, die Festsetzung des
Verfahrenswertes auf § 48 FamGKG.
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