Urteil des OLG Hamm vom 21.07.2010

OLG Hamm (versicherung, abschluss, rechtsschutzversicherung, versicherungsfall, vvg, antrag, stgb, lebensversicherung, auflage, schaden)

Oberlandesgericht Hamm, I-20 U 203/09
Datum:
21.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 203/09
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 1 O 182/09
Leitsätze:
1.)
Der Rechtsschutzversicherer ist bei einer Klage des VN auf Leistungen
aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht leistungsfrei, auch wenn
sich herausstellt, dass der VN bei Beantragung der BU-Versicherung
arglistig über seinen Gesundheitszustand getäuscht hat.
2.)
Es liegt keine Straftat (Betrug) i.S.d. § 3 Abs. 5 ARB 98 vor, wenn bei
Abschluss der Versicherung eine Berufsunfähigkeit des VN überhaupt
noch nicht absehbar war.
Weder liegt zu diesem Zeitpunkt ein Vermögensschaden noch eine
schadensgleiche Vermögensgefährdung vor.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. September 2009
verkündete Urteil der Zivilkammer I des Landgerichts Detmold wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
A.
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Die klagende Rechtsschutzversicherung nimmt den Beklagten auf Rückzahlung von
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erbrachten Versicherungsleistungen in Anspruch. Im Einzelnen geht es um Folgendes:
Der Beklagte schloss mit der Klägerin eine Rechtsschutzversicherung, der die
Bedingungen ARB 98 zugrunde lagen (Kopie Bl. 127 ff.). Am 26.6.2001 beantragte er
bei der M2 Lebensversicherung AG unter anderem eine
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ). Unter Ziffer 18 des entsprechenden
Antrags wurde der Beklagte gefragt, ob er in den letzten fünf Jahren ärztlich untersucht,
beraten oder behandelt worden sei (Frage 14, siehe dazu die Kopie des Fragebogens
auf Bl. 35 der Beiakte LG Detmold 12 O 262/07). Hierzu ist als schriftliche Antwort
vermerkt, dass er in 2001 eine Erkältung gehabt habe. Die Behandlung des Beklagten
wegen einer Depression im Zeitraum vom 25.4. bis zum 2.6.2000, die im
Zusammenhang mit der Vergewaltigung seiner damals 13 Jahre alten Tochter stand, ist
in dem von ihm unterzeichneten Formular nicht eingetragen. Nachdem der Beklagte an
Weihnachten 2005 zusammen gebrochen und seit dem 2.1.2006 krankgeschrieben war,
beantragte er im März 2007 bei der M2 Lebensversicherung AG Leistungen aus der
BUZ. Als dieser Antrag abgelehnt war, bewilligte ihm die Klägerin Deckungsschutz, der
sich zunächst auf die außergerichtliche Geltendmachung der Ansprüche und später
auch auf das Gerichtsverfahren erster Instanz bezog. In dem nachfolgenden Prozess hat
das Landgericht Detmold (12 O 262/07) die Klage auf Leistungen aus der BUZ durch
Urteil vom 16.7.2008 abgewiesen (Bl. 135 ff. der Beiakte). Zur Begründung hat es
ausgeführt, dass der (jetzige) Beklagte keinen Anspruch aus dem Versicherungs-vertrag
habe, da dieser wirksam gemäß den §§ 142, 123 BGB wegen arglistiger Täuschung
angefochten worden sei. In seinem Versicherungsantrag habe er arglistig verschwiegen,
vom 25.4. bis 2.6.2000 wegen einer Depression krankgeschrieben und in ärztlicher
Behandlung gewesen zu sein.
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Für die dagegen eingelegte Berufung erteilte die jetzige Klägerin am 13.8.2008
Deckungsschutz, wobei sie folgenden Hinweis erteilte (Kopie Bl. 31): "Sollte sich
allerdings im Berufungsverfahren bestätigen, dass eine vorsätzliche Herbeiführung des
Versicherungsfalls erfolgte, werden wir unsere Kostenzusagen widerrufen und unsere
Aufwendungen zurückfordern". Die gegen das Urteil vom 16.7.2008 eingelegte
Berufung nahm der Beklagte nach einem Hinweis des Senates auf deren fehlende
Erfolgsaussicht zurück.
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Mit Schreiben vom 23.3.2009 widerrief die Klägerin, die als Rechtsschutzversicherer
insgesamt 18.552,51 € an gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten gezahlt hatte,
ihre Deckungszusagen und forderte den Beklagten unter Fristsetzung zum 27.4.2009
auf, diesen Betrag zu erstatten. Mit ihrer Klage macht die Klägerin diese Forderung
nunmehr gerichtlich geltend.
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Sie hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei nach § 812 I 1, 1. Fall BGB zur
Rückzahlung verpflichtet, da sie sämtliche Verfahrenskosten getragen habe, obwohl sie
eigentlich gemäß § 61 VVG a.F. leistungsfrei gewesen sei. Der Beklagte habe den
Versicherungsfall zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Er habe die M2
Lebensversicherung AG bei Abschluss des BUZ-Vertrages arglistig getäuscht. Dabei
habe er zugleich in Kauf genommen, dass es später zu einem Prozess gegen den
Versicherer komme, für den er Leistungen aus der bereits zuvor abgeschlossenen
Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen werde.
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Die Klägerin hat deshalb beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 18.552,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 28.4.2009 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Ansicht vertreten, dass er als Versicherungsnehmer auf den Bestand der
Deckungszusagen habe vertrauen dürfen. Die Klägerin sei über den Stand des
Verfahrens stets vollständig informiert gewesen. Lediglich in der Beweisaufnahme habe
sich der von ihm vorgetragene Sachverhalt nicht bestätigt. Wenn sich die Klägerin
damals entschieden habe, Versicherungsleistungen zu erbringen, so könne sie jetzt –
wo das Ausgangsverfahren nicht erfolgreich gewesen sei – keinen Rückgriff nehmen.
Überdies habe er in Bezug auf den Versicherungsfall keineswegs arglistig oder sonst
schuldhaft gehandelt.
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Durch Urteil vom 28.9.2009 (Bl. 88 ff.) hat das Landgericht Detmold die Klage
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 61 VVG
a.F. nicht erfüllt seien. Die Klägerin müsse sich zudem daran festhalten lassen, dass sie
im Schreiben vom 13.8.2008 einen möglichen Rückgriff auf den Fall des Vorsatzes
beschränkt habe. Dieser aber lasse sich nicht feststellen. Das den Versicherungsfall
auslösende Ereignis, nämlich das Ausfüllen des Versicherungs-antrags am 26.6.2001,
lasse diesen Schluss nicht zu. Aus einem arglistigen Handeln gemäß § 123 BGB im
Zusammenhang mit dem Abschluss der BUZ lasse sich nicht ohne weiteres folgern,
dass der Beklagte dadurch zugleich den Versicherungsfall in der
Rechtsschutzversicherung habe herbeiführen wollen.
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Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
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Sie trägt vor, dass der Versicherungsfall im Sinne der Rechtsschutzversicherung in dem
Antrag auf Abschluss der BUZ bei der M2 AG liege. Dabei habe der Beklagte seine
Depression aus dem Jahr 2000 verschwiegen und dadurch die
Versicherungsgesellschaft arglistig getäuscht. Dadurch habe er den Versicherungs-fall
schuldhaft herbeigeführt, denn er habe in Kenntnis der Rechtschutzversicherung bei
dem Antrag für die BUZ bewusst falsche Angaben gemacht und so zugleich den Keim
des Versicherungsfalls der Rechtsschutzversicherung gelegt. Das Bewusstsein, dass es
später zu einer Inanspruchnahme der Rechtsschutz-versicherung kommen könne, sei
hingegen im Rahmen des § 61 VVG a.F. nicht notwendig. Soweit es für ihre
Leistungsfreiheit auf § 3 (5) ARB ankomme, habe der Beklagte vorsätzlich den
Straftatbestand des Betruges verwirklicht.
15
Die Klägerin beantragt deshalb nunmehr,
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das Urteil des Landgerichts Detmold vom 28.9.2009 aufzuheben und den
Beklagten zu verurteilen, an sie 18.552,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 28.4.2009 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und führt ergänzend aus, bei seinem
Antrag für eine BUZ im Jahre 2001 nicht daran gedacht zu haben, später einmal zur
Durchsetzung etwaiger Ansprüche seine Rechtsschutzversicherung in Anspruch
nehmen zu müssen. Zudem habe die Klägerin ihre Deckungszusagen in Kenntnis der
maßgeblichen Umstände erteilt, woran sie sich jetzt festhalten lassen müsse. Schon vor
Beginn des gerichtlichen Verfahrens sei überdies klar gewesen, dass es um die
Anfechtung seitens des Versicherers gehen werde. Keinesfalls seien die
Voraussetzungen des § 3 (5) ARB – vorsätzliche Begehung einer Straftat - erfüllt.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst dazu überreichten Anlagen Bezug genommen.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Senat über den Inhalt des Gespräches bei
Aufnahme des BUZ-Antrages Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin O.
22
B.
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
24
I.
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Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen
Rückforderungsanspruch gegen den Beklagten aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB hat.
Sie hat zwar unstreitig 18.552,51 € geleistet, aber dies geschah aufgrund des wirksam
geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages mit dem Beklagten und nicht etwa
ohne Rechtsgrund. Maßgeblich dafür ist im Einzelnen Folgendes:
26
1.
27
Die Klägerin kann den fehlenden Rechtsgrund der Leistung nicht aus § 61 VVG a.F.
herleiten, denn diese Vorschrift ist hier durch § 3 (5) ARB 98 (Kopie Bl. 128)
abbedungen. Darin haben die Parteien nämlich vereinbart, dass der
Versicherungsschutz (nur) dann ausgeschlossen ist, wenn die rechtliche
Auseinandersetzung in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer vorsätzlichen
Straftat des Versicherungsnehmers steht. Dadurch ist § 61 VVG a.F., der ausdrücklich
auch grob fahrlässig herbeigeführte Versicherungsfälle aus dem Versicherungsschutz
ausschließt, zugunsten des Versicherungsnehmers abbedungen (vgl. dazu Harbauer-
Maier, ARB, 8. Auflage 2010, § 3 ARB 2000 Rn. 211, 212 und Harbauer-Maier, ARB, 7.
Auflage 2004, § 3 ARB 94 Rn. 27).
28
2.
29
Die Voraussetzungen einer Leistungsfreiheit nach § 3 (5) ARB 98 sind indes im
vorliegenden Fall nicht erfüllt. In Betracht käme hier zwar ein Betrug des Beklagten im
Sinne von § 263 Abs. 1 StGB zum Nachteil des BU-Versicherers, aber dessen
Voraussetzungen liegen im Ergebnis nicht vor.
30
a)
31
Der Beklagte hat den Versicherer zwar durch seine unrichtige Antwort auf die
Gesundheitsfrage Nr. 14 objektiv getäuscht, dadurch einen Irrtum über seinen
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Gesundheitszustand erregt und erreicht, dass die Klägerin den Vertrag in seiner
konkreten Form (also zu der vereinbarten Prämie und ohne einen Risikoausschluss)
abgeschlossen hat. Das allein reicht aber für einen Betrug im Sinne von § 263 StGB
nicht aus. Es muss vielmehr hinzukommen, dass die irrtumsbedingte Vermögens-
verfügung bei dem Getäuschten zu einem Vermögensschaden führt bzw. (beim
versuchten Betrug) einen solchen Schaden verursachen soll. In diesem Sinne ist ein
Schaden gegeben, wenn die Verfügung des Getäuschten zu einer nicht durch einen
Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines
Vermögens führt (Fischer, StGB, 57. Auflage 2010, § 263 Rn. 111 m.w.N.). In dem
Abschluss eines Austauschvertrages aufgrund eines täuschungsbedingten Irrtums liegt
daher nicht schon deshalb ein Schaden, weil der Getäuschte eine Vermögens-
verfügung trifft, die er ohne die Täuschung nicht getroffen hätte (Fischer, a.a.O., § 263
Rn. 114).
Daran gemessen hat die M2 Lebensversicherung AG allein durch den Abschluss der
BU-Versicherung mit dem Beklagten noch keinen Vermögensschaden erlitten. Die
Klägerin gewährte Versicherungsschutz und erhielt dafür von dem Beklagten die
vereinbarten Prämien. Leistungsansprüche des Beklagten waren zwar aufgrund der
Versicherung möglich, aber unstreitig noch nicht konkret absehbar, so dass zu diesem
Zeitpunkt bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vermögens der Versicherung noch kein
Schaden eingetreten war.
33
b)
34
Unter bestimmten Umständen reicht aber im Rahmen des § 263 StGB schon eine
konkrete und deshalb schadensgleiche Vermögensgefährdung. Diese liegt dann vor,
wenn zwar rechnerisch bei einem Vermögensvergleich vor und nach der Verfügung
noch kein negativer Saldo festgestellt werden kann, aber die Gefährdung bereits so
konkret ist, dass sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Verschlechterung der
gegenwärtigen Vermögenslage bedeutet (siehe dazu Schönke/Schröder –
Cramer/Perron, StGB, 27. Auflage 2006, § 263 Rn. 143 m.w.N.). Keine ausreichende
Vermögensgefährdung bedeutet es hingegen, wenn der Getäuschte einen Vertrag
abschließt, der nur die Möglichkeit schafft, dass der Getäuschte demnächst in Erfüllung
dieses Vertrages eine ihn schädigende Leistung erbringen muss (Schönke/Schröder –
Cramer/Perron, a.a.O., § 263 Rn. 145).
35
Auch nach diesen Grundsätzen liegt hier noch keine schadensgleiche Vermögens-
gefährdung vor. Anders als in einem Fall, in dem der Täuschende bereits schwer
erkrankt ist und deshalb schon der Abschluss der Versicherung eine konkrete
Gefährdung des Vermögens des Versicherers bedeutet, war nach Überzeugung des
Senats im Juni 2001 noch nicht absehbar, ob überhaupt und wann der Beklagte
berufsunfähig werden würde. Das zeigt auch der spätere Geschehensablauf, der erst im
Jahr 2007 zu einem Antrag des Beklagten auf Leistungen aus der BUZ geführt hat.
36
c)
37
Es bleibt deshalb festzuhalten, dass der Versicherungsfall der Rechtsschutz-
versicherung nicht mit einer vorsätzlichen Straftat des Beklagten in Zusammenhang
steht, so dass sich die Klägerin nicht auf eine Leistungsfreiheit nach § 3 (5) ARB 98
berufen kann und deshalb mit Rechtsgrund im Sinne von § 812 I 1 BGB geleistet hat.
38
II.
39
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
sowie 713 ZPO.
40
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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