Urteil des OLG Hamm vom 14.03.2017

OLG Hamm (elterliche gewalt, kind, vater, vormund, wohl des kindes, zeitlich befristet, elternteil, durchführung, gewalt, antrag)

Oberlandesgericht Hamm, 3 UF 59/79
Datum:
15.11.1979
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 UF 59/79
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird abgeändert. Das Recht des Beteiligten
zu 1) zum Umgang mit seinem Kind ... wird wie folgt geregelt:
1) Der Kindesvater ist berechtigt, mit seinem Kind ... an jedem 1. Freitag
eines Monats in der Zeit von 16.00 bis 17.00 Uhr im Besuchsraum der
Justizvollzugsanstalt zusammen zu sein. Der Besuch des Kindes findet
in Anwesenheit eines Sozialarbeiters der Justizvollzugsanstalt statt.
Dem Vormund wird gestattet, bei den Besuchen zugeben zu sein.
2) Der Onkel des Kindes, ... 1, bringt ... von der Wohnung des
Vormundes in ... zur Justizvollzugsanstalt und wieder zurück.
3) Der Vormund ist verpflichtet, das Kind am jeweiligen Besuchstag um
15.00 Uhr ausgehfertig bereitzuhalten und Herrn ... zu übergeben. Herr
... hat das Kind bis spätestens um 18.00 Uhr wieder beim Vormund
abzuliefern.
4) Ist ... wegen Krankheit oder aus einem anderen triftigen Grund
verhindert, am festgelegten Besuchstag zum Vater zu fahren, wird der
ausgefallene Besuchstag am nächstfolgenden Freitag nachgeholt. Der
Vormund ist verpflichtet, eine Verhinderung des Kindes spätestens am
Dienstag dem Vater und Herrn ... mitzuteilen.
5) Alle Personen, die an der Durchführung dieser Besuchsregelung
beteiligt sind, habe sich jeglicher negativen Äußerung zum Nachteil
eines anderen Beteiligten in Gegenwart des Kind2es zu enthalten.
6) Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtlichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
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... entstammt einer Ehe, die sehr ungünstig verlief. Seine Eltern, der Beteiligte zu 1) und
die Tochter des Beteiligten zu 2) schlossen am 8.1.1971 die Ehe miteinander. Bereits
am 30.6.1971 verließ die Kindesmutter den Ehemann, der wegen Straftaten am
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22.8.1971 in Untersuchungshaft genommen wurde. Durch Urteil des Landgerichts
Bochum vom 17.5.1973 (3 R 49/73) wurde die Ehe der Kindeseltern aus beiderseitigem
Verschulden geschieden. Die elterliche Gewalt über das Kind wurde durch Beschluß
des Vormundschaftsgerichts Herne vom 20.9.1973 dem Beteiligten zu 2) als Vormund
übertragen. Erst am 22.4.1974 wurde der Kindesvater aus der Haft zur Bewährung
entlassen. In der Folgezeit lebte er in ..., wo er häufig das Kind beim Vormund besuchte,
zu dem ein guter Kontakt bestand. Im November 1976 wurde der Beteiligte zu 1) wegen
einer schweren Straftat erneut inhaftiert. Z. Zt. verbüßt er eine rechtskräftige
Freiheitsstrafe von 14 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung in der
Justizvollzugsanstalt Werl.
... lebt weiterhin in der Familie seines Großvaters, des Beteiligten zu 2). Seit 1978
besucht er die Grundschule in ...
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Mit Schreiben vom 30.7.1978 hat der Kindesvater beantragt, eine gerichtliche
Besuchsregelung dahingehend zu treffen, daß ... ihn einmal monatlich für eine Stunde
besuche. Diesem Antrag hat der Beteiligte zu 2) widersprochen, und auch das
Jugendamt ... hat in seiner Stellungnahme vom 27.10.1978 von Besuchen des Kindes
beim Vater abgeraten.
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Durch Beschluß vom 29.12.1978 hat das Familiengericht Herne den Antrag des
Kindesvaters mit der Begründung zurückgewiesen, daß es für die Entwicklung eines
sieben Jahre alten Kindes nicht förderlich sei, wenn es seinen Vater in einer
Justizvollzugsanstalt besuchen müsse. Gegen diese Entscheidung, die dem Beteiligten
zu 1) am 24.1.1979 zugestellt worden ist, richtet sich seine Beschwerde vom selben
Tage, die beim Oberlandesgericht am 31.1.1979 eingegangen ist. Zur Begründung
seines Rechtsmittels, mit dem, der Kindesvater den bisherigen Antrag weiterverfolgt,
trägt er vor: Der Junge wisse ohnehin, daß sich 1 sein Vater wegen Straftaten in der
Justizvollzugsanstalt befinde. Für das Kind sei es leichter, den Vater im Gefängnis zu
besuchen, als ihn überhaupt nicht zu sehen. Denn während der Freiheit sei das Vater-
Sohn-Verhältnis sehr herzlich und intensiv gewesen. Er, der Beteiligte zu 1), sei schon
bestraft genug und akzeptiere nicht die Doppelbestrafung, die in einem Ausschluß des
Besuchsrechts liege. Der Beteiligte zu 2) sei zwar herzensgut zu ..., betrachte ihn aber
als seinen Sohn und wolle ihn allein für sich. Seine Sorge sei es, den Vater aus ... Welt
zu verdrängen. Der Onkel des Kindes, Herrn ..., könne bestätigen, wie gern ... den Vater
in der JVA besucht habe.
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Der Berichterstatter des Senats hat am 26.3.1979 den Kindesvater und den Vormund
des Kindes persönlich zur Sache gehört. Wegen des Terminsergebnisses wird auf die
Niederschrift Bezug genommen. Außerdem hat der Senat ein familienpsychologisches
Gutachten beim Institut für Gerichtspsychologie in ... eingeholt, das die Sachverständige
Dipl.-Psychologin ... am 22.6.1979 erstattet hat. Auf dessen Inhalt wird Bezug
genommen.
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Die Beschwerde des Kindesvaters ist gem. § 621 Nr. 2 i.V.m. § 621e ZPO statthaft. Sie
ist fristgerecht eingelegt, da die Rechtsmittelschrift binnen eines Monats seit Zustellung
des angefochtenen Beschlusses beim Oberlandesgericht eingegangen und begründet
worden ist. Auch gegen die Form des eingelegten Rechtsmittels bestehen keine
Bedenken, da die Erstbeschwerde im Sinne des § 621e ZPO in einer isolierten
Familiensache nicht durch einen Anwalt beim Gericht angebracht werden muß.
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Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat in der Sache Erfolg.
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Ebenso wie die elterliche Gewalt wächst das Verkehrsrecht des nicht sorgeberechtigten
Elternteils mit dem gemeinsamen Kind aus dem natürlichen Elternrecht und der damit
verbundenen Elternverantwortung, die auch trotz Scheidung grundsätzlich fortbesteht
(so Bundesverfassungsgericht NJW 1971, 1447). Als Teil des natürlichen Elternrechts
soll das Verkehrsrecht im einzelnen dem nicht sorgeberechtigten Elternteil die
Möglichkeit geben, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und
seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu
überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und
einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung
tragen (so BGH NJV 1969, 422; OLG Hamm Justizministerialblatt NW 1975, 265). Der
sorgeberechtigte Elternteil oder der Vormund sind deshalb verpflichtet, die Ausübung
dieses Rechts im Interesse des Kindes sicherzustellen, weil sie durch die
Personensorge die Pflicht haben, alles zu tun, was dem Wohle des Kindes entspricht.
Ein Ausschluß des Verkehrsrechts muß folglich auf besonders schwerwiegende
Einzelfälle beschränkt bleiben. Er ist nur zulässig, wenn andere Möglichkeiten zum
Schutz des Kindes nicht gegeben sind (so OLG Hamm FamRZ 1966, 317; 4 UF 319/77;
Kammergericht FamRZ 1968, 260; Bayr. ObLG FamRZ 1968, 269/271; OLG Hamburg 2
UF 236/77).
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Diese Grundsätze gelten auch für den Fall, daß die elterliche Gewalt über das Kind bei
einem Vormund liegt und der Elternteil, der einen Besuchskontakt zum Kind wünscht,
inhaftiert ist. Auch in einem solchen Falle ist für die Frage, ob ein Ausschluß des
Verkehrsrechts geboten ist, auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen (so OLG
Hamm 5 UF 259/78; Kammergericht a.a.O.; wohl auch OLG Düsseldorf 1 UF 349/77).
Eine gerichtliche Bestrafung des Elternteils reicht für sich allein in aller Regel noch nicht
für einen Ausschluß des Besuchsrechts aus. Vielmehr ist abzuwägen zwischen dem
Kindesschutz vor psychischen Belastungen einerseits und dem Kindesinteresse an der
Aufrechterhaltung der Beziehungen zum nichtsorgeberechtigten Elternteil andererseits
(so OLG Hamm a.a.O.).
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Nach dem überzeugend begründeten Untersuchungsergebnis der psychologischen
Sachverständigen sieht der Senat keinen Grund, das Besuchsrecht des Vaters dauernd
oder zeitlich befristet auszuschließen. Im Unterschied zu vielen anderen Fällen, in
denen der verkehrsberechtigte Elternteil eine längere Freiheitsstrafe verbüßt, sind die
Umstände des vorliegenden Falles relativ günstig. ... selbst hat trotz der langen
Trennung noch deutliche Erinnerungen und Bindungen an seinen Vater. Wenngleich er
ein grobes Wissen um dessen Straftaten hat und vage die damit zusammenhängenden
Probleme empfindet, nimmt er doch keine ablehnende Haltung ein. In seiner
unvoreingenommenen Einstellung gegenüber dem Vater ist das Kind von sich aus
bereit, Besuche zu machen, sofern sie nicht gegen den Villen und ohne das
Einverständnis den geliebten Großeltern durchgeführt werden. Hinzu kommt, daß ... von
seiner seelischen Konstitution her robust genug erscheint, um die außergewöhnliche
Belastung zu verkraften, die nun einmal mit Besuchen in einer Haftanstalt verbunden
sind. Wie die Sachverständige festgestellt hat, ist das Kind altersgerecht entwickelt und
zeigt in seiner Persönlichkeitsartung keine Auffälligkeiten. Außerdem bringt ... gute
rationale Verarbeitungsmöglichkeiten mit; er ist verständig genug, um anstehende
Probleme mit ihm auf sachlicher Basis besprechen zu können Irgendwelche
Anhaltspunkte dafür, daß das Kind seelisch besonders beeindruckbar ist und zu Angst
und Verunsicherung neigt, hat die psychologische Untersuchung nicht erbracht. Da
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zudem ... den Vater bereits in der ... besucht und an diesen Besuch besonders lebhafte
Erinnerungen hat, kann nach Auffassung des Senats davon ausgegangen werden, daß
das Kind mit den Schwierigkeiten fertig wird. Zwar verkennt der Senat die Belastungen
nicht, die auf das Kind zukommen werden. Diese können aber bereits dadurch gemildert
werden, daß der Vormund des Kindes, der als Ersatzvater einen großen Einfluß auf die
Erziehung und Meinungsbildung des Kindes ausübt, seine ablehnende Haltung
zumindest nicht merken läßt und dem Kind dadurch eine Konfliktsituation erspart. Auch
die Hinzuziehung eines Sozialarbeiters zu den Besuchszeiten geschieht zu dem Zweck,
um die Atmosphäre bei den Besuchen zu lockern und zu entkrampfen. Schließlich darf
auch nicht übersehen werden, daß der Kindesvater in echter Zuneigung an ... hängt und
schon deshalb alles unterlassen wird, was dem Kind zusätzliche Schwierigkeiten
bereiten und evtl. sogar seelischen Schaden zufügen könnte.
Neben der grundsätzlichen Entscheidung zugunsten eines Besuchsrechts hat das
Familiengericht auch die Einzelheiten der Durchführung präzise zu regeln. Dabei stellt
sich zunächst die Frage, in welchem zeitlichen Abstand die Besuche erfolgen können
und sollen. Auf der einen Seite ist nicht zu verkennen, daß auch ein robustes Kind zur
Verarbeitung außergewöhnlicher Eindrücke und Belastungen einen bestimmten
Zeitraum benötigt. Auf der anderen Seite sind jedoch die Besuchszeiten in einer
Justizvollzugsanstalt schon wegen der Aufrechterhaltung der Anstallsordnung und der
Gleichbehandlung aller Strafgefangenen wesentlich kürzer als unter gewöhnlichen
Umständen in Freiheit. Wenn die Besuche ihren Zweck nicht verfehlen und eine
kontinuierliche Kontaktanbahnung herbeiführen sollen, müssen sie schon in einem
regelmäßigen Rythmus erfolgen. Mit der Sachverständigen ist daher der Senat der
Auffassung, daß ein monatlicher Besuch von einstündiger Dauer notwendig ist, um die
persönlichen Beziehungen zwischen ... und seinem Vater wieder zu intensivieren und
aufrecht zu erhalten. Sollte sich entgegen den Feststellungen der Sachverständigen
herausstellen, daß ... doch einer solchen Belastung nicht gewachsen ist, wird der Vater
eine Reduzierung der Besuche hinnehmen müssen. Denn am Wohl des Kindes hat sich
die gesamte Besuchsregelung zu orientieren. Sie wird auch nur funktionieren, wenn alle
Beteiligten im Interesse des Kindes zusammenwirken. Dazu gehört, daß der Vormund ...
auf die Besuche vorbereitet und das Kind seinem Onkel übergibt, damit dieser die Fahrt
zur JVA und zurück durchführen kann. Zu einer ordnungsgemäßen Durchführung gehört
ferner, daß alle Beteiligten sich in Gegenwart des Kindes negativer Äußerungen über
andere Beteiligte enthalten. Wenn der Vormund sich noch dazu durchringen könnte, bei
den Besuchen zu begleiten und diese dadurch als Ausfluß selbstverständlich
bestehender Bindungen erscheinen zu lassen, würde dem Kind sehr geholfen; deshalb
war dem Vormund die Anwesenheit zu gestatten.
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Die angefochtene Entscheidung ist somit abzuändern, eine genaue Besuchsregelung
festzulegen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 131 KostO, § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG.
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