Urteil des OLG Hamm vom 20.06.2007

OLG Hamm: grundsatz der unmittelbarkeit, wahrscheinlichkeit, diebstahl, versicherungsnehmer, cousin, entwendung, fahrzeug, eltern, beweiswürdigung, sicherheit

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 247/06
Datum:
20.06.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 247/06
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 2 0 546/04
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06. September 2006
verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Kaskoentschädigung aufgrund einer
behaupteten Entwendung eines – bei der Beklagten versicherten – Pkw DB E 420 T in
Anspruch.
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Die Klägerin kaufte am 20.12.2001 einen Pkw DB E 420 T mit einem Unfallschaden
zum Preis von 35.000 DM. Der km-Stand ist im Kaufvertrag mit ca. 55.000 angeben. Bei
der Hauptuntersuchung des Kfz am 28.6.2002 betrug der km-Stand 66.000, bei einer
Reparatur am 26.9.2003 88.220 Km.
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Am 09.02.2004 gab die Klägerin in einem Zwangsvollstreckungsverfahren vor dem
Amtsgericht Gelsenkirchen die eidesstattliche Versicherung ab. Sie erklärte u. a, über
keinerlei Einkünfte zu verfügen und von ihrem Lebensgefährten L unterhalten zu
werden. Der Pkw sei dem Zeugen L sicherungsübereignet worden; das Café betreibe
sie nicht mehr. Forderungen gegen Dritte habe sie nicht.
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Am 12.02.2004 zeigte die Klägerin bei der Polizei in N den Diebstahl des Mercedes an.
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Sie meldete den Verlust dann der Beklagten und füllte auch eine Schadensanzeige aus,
dies allerdings nur unvollständig. Unter dem 18.03.2004 teilte der Agent der Beklagten
weitere Informationen mit, die er von der Klägerin erhalten hatte, darunter den km-Stand
mit 90.000. Am 20.4.2004 füllte die Klägerin einen Fragebogen aus, der ihr von der
Polizei zugeschickt worden war, und gab den km-Stand darin mit ca. 95.000 an. Weitere
Informationen erteilte die Klägerin dann nicht mehr, obwohl ihr die Beklagte unter dem
23.4.2004 ein Aufforderungsschreiben zuschickte. Mit Schreiben vom 24.06.2004 lehnte
die Beklagte dann den Versicherungsschutz ab, da kein Diebstahlschaden vorliege.
Das Ermittlungsverfahren wurde am 19.05.2004 eingestellt.
Die Klägerin hat behauptet, dass sie den Unfallschaden an dem Pkw vollständig und
fachgerecht beseitigt habe. Sie sei mit dem Fahrzeug am 12.02.2004 nach N gefahren,
um ihre Eltern zu besuchen, die in der Nähe von N wohnten. Dort lebe auch der Zeuge
W - ihr Cousin -, mit dem sie sich am Abend in der Innenstadt von N getroffen habe. Sie
habe das Fahrzeug dann zwischen 20.00 und 21.00 Uhr auf einem öffentlichen
Parkplatz in der N1 abgestellt. Als sie dorthin – in Begleitung des Zeugen W - zwischen
23.30 und 24.00 Uhr zurückgekehrt sei, habe sie das Fahrzeug nicht mehr vorgefunden.
Sie habe dann bei ihrem Cousin übernachtet und sei am nächsten Tag von ihrem
Freund, dem Zeugen L, abgeholt worden. Der Pkw habe einen Wiederbeschaffungswert
von 18.450 € gehabt, was sich aus einem Gutachten der E ergebe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 18.450,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat den Diebstahl des Mercedes bestritten und die Ansicht vertreten, der Klägerin
kämen keine Beweiserleichterungen zugute. Die Redlichkeitsvermutung sei widerlegt,
da die Klägerin in ihrer eidesstattliche Versicherung falsche Angaben gemacht habe.
Außerdem habe sie bei der Schadensmeldung widersprüchliche Angaben gemacht. Es
sei auch von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Diebstahls
auszugehen, da die Klägerin kurz zuvor die eidesstattliche Versicherung abgegeben
habe. Darüber hinaus sei sie wegen Obliegenheitsverletzungen leistungsfrei.
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Das Landgericht hat im ersten Termin am 26.10.2005 durch die RinLG N2 Beweis
erhoben durch die Vernehmung der Zeugen W und L (Bl. 58 ff.). Es hat dann das
Gutachten zur Schadenshöhe der SV Viehmeyer eingeholt und die Beklagte am
Schluss des zweiten Termins am 06.09.2006 durch die RinLG G zur Zahlung von
14.763,79 € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das
Gericht angeführt, dass der Versicherungsfall eingetreten sei. Die Klägerin habe den
Diebstahl des Pkw bewiesen. Ihr komme dabei eine Beweiserleichterung zugute, da die
Redlichkeitsvermutung nicht widerlegt sei. Darüber hinaus würden die Angaben durch
die glaubhafte Aussage des Zeugen W bestätigt. Es liege auch weder eine erhebliche
Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Versicherungsfalls, noch
Obliegenheitsverletzungen seitens der Klägerin vor. Von dem durch Gutachten
ermittelten Wiederbeschaffungswert i.H.v. 17.300 € sei die Mehrwertsteuer und die
Selbstbeteiligung i.H.v. 150 € abzuziehen.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches
Begehren auf Klageabweisung weiterverfolgt:
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Das Gericht habe Sachvortrag der Beklagten übergangen und die erhobenen Beweise
in einer Besetzung gewürdigt, die nicht derjenigen bei Beweisaufnahme entsprochen
habe. Die Klägerin könne den Diebstahl nicht beweisen, da die Redlichkeitsvermutung
widerlegt sei. Jedenfalls sei aber von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit der
Vortäuschung auszugehen. Auch sei sie aufgrund von Obliegenheitsverletzungen
leistungsfrei geworden.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil:
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Sie sei überhaupt nicht auf die Redlichkeitsvermutung angewiesen, denn sie habe das
äußere Bild eines Diebstahls durch den Zeugen W bewiesen. Es läge auch keine
erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Versicherungsfalls und keine
Obliegenheitsverletzungen vor.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den
Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug
genommen.
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Der Senat hat die Kläger persönlich angehört und die Zeugen L und W und die
Sachverständige W1 (ergänzend) vernommen.
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II.
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Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist unbegründet, da der Klägerin kein
Anspruch auf Zahlung einer Kaskoentschädigung wegen der behaupteten Kfz-
Entwendung zusteht. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass ihr Pkw - so wie von ihr
behauptet – am 12.04.2004 entwendet worden ist.
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1.) Zutreffend rügt die Beklagte, dass dem Landgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen
ist. Das Gericht hat die erhobenen Beweise in einer Besetzung gewürdigt, die nicht
derjenigen bei Beweisaufnahme entsprochen hat. Die Zeugen wurden in dem ersten
Termin am 26.10.2005 von der RinLG N2 vernommen, während das Urteil und die darin
enthaltene Beweiswürdigung von der RinLG G stammt. Dies verstößt im vorliegenden
Fall gegen den in § 355 ZPO normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit der
Beweisaufnahme. Zwar erfordert ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme nicht
grundsätzlich deren Wiederholung. Frühere Zeugenaussagen können im Wege des
Urkundenbeweises durch Auswertung des Vernehmungsprotokolls verwertet werden.
Das Gericht darf bei der Beweiswürdigung aber nur das berücksichtigen, was
aktenkundig ist und wozu die Parteien sich erklären können. Eindrücke, die nicht in das
Verhandlungsprotokoll aufgenommen seien, dürfen daher nach einem Richterwechsel
bei der Entscheidung nicht verwertet werden (BGHZ 43, 245; BGH, NJW 1991, 1180;
NJW 1997, 1586). Im vorliegenden Fall enthält das Sitzungsprotokoll vom 26.10.2005
keinerlei Vermerke über die von der vernehmenden RinLG gewonnenen Eindrücke,
sondern ausschließlich die Aussagen der Zeugen. Dennoch werden die Aussagen der
Zeugen im Urteil ausdrücklich als glaubhaft bezeichnet, so dass die Beweiswürdigung
auf Eindrücken beruht, die nicht in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen wurden.
Die vom Landgericht festgestellten Tatsachen waren für den Senat daher nicht gem. §
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529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend; die Beweisaufnahme war – wie geschehen - zu
wiederholen.
2.) Einem Versicherungsnehmer stehen im Bereich der Fahrzeugversicherung – aus
dem Inhalt des Versicherungsvertrages abgeleitete - Beweiserleichterungen zur Seite.
Der Versicherungsnehmer genügt seiner Darlegungslast, wenn er ein Mindestmaß an
Tatsachen vorträgt, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
den Schluss auf eine Wegnahme des versicherten Fahrzeugs gegen seinen Willen
zulassen (BGH, Urt. v. 17.05.1995 – IV ZR 279/94 – NJW 1995, 2169). Das Abstellen
des Fahrzeugs an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit und das
Nichtwiederauffinden - so genanntes
äußeres Bild
Minimaltatbestand dar. Diesen hat der Versicherungsnehmer allerdings gemäß § 286
ZPO
voll
Form von Zeugen, für die vom Versicherer bestrittene Entwendung zur Verfügung oder
kann der VN den Beweis nicht mit Zeugen führen, kann der § 141 ZPO persönlich
angehörte Versicherungsnehmer den erforderlichen Beweis mit seiner Aussage führen,
soweit das Gericht diese - im Rahmen der freien Würdigung nach § 286 ZPO - als
glaubhaft betrachtet (BGH, Urt. v. 24.04.1991 – IV ZR 172/90 – VersR 1991, 917). Das
setzt aber unabdingbar die aus der – vermuteten - Redlichkeit herzuleitende
Glaubwürdigkeit
Redlichkeitsvermutung erschüttert, kann der VN den erforderlichen Beweis für das
äußere Bildes eines versicherten Diebstahls allein durch seine Angaben nicht
erbringen. Auf Umstände, die die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des
Diebstahls begründen (wofür der Versicherer beweisbelastet ist), kommt es dann nicht
mehr an (vgl. zum Ganzen Prölss/Martin-Kollhosser, VVG, 27. Aufl., zu § 49, RdNr. 48
ff.)
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3.) Die Klägerin hat das Vorliegen des äußeren Bildes einer versicherten Kfz-
Entwendung nicht bewiesen.
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a) Zwar hat der Zeuge W bekundet, dass die Klägerin am 12.04.2004 den Pkw
abgestellt hat und kurze Zeit später nicht wieder vorgefunden hat. Der Senat hat aber
erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen W, so dass die Klägerin
mit dieser Aussage das äußere Bild nicht beweisen kann. Die Aussagen der Klägerin
und des Zeugen W sind zum Teil widersprüchlich. So hat die Klägerin noch in der
Schadensanzeige vom 19.02.2004 noch angegeben, am Abend des 12.04.2004 beim
Zeugen W übernachtet zu haben ("Übernachtung bei Cousin W"). Demgegenüber war
sich der Zeuge W sicher, dass er die Klägerin bei ihren Eltern abgesetzt hat und dass
sie auch dort übernachtet habe. Dieser Wiederspruch - zu einem nicht lediglich
unbedeutenden Umstand – geht zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin.
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Soweit sich die Klägerin – im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 13.06.2007 - darauf
beruft, dass sowohl sie als auch der Zeuge W das Grundstück, auf welchem sowohl das
Haus des Zeugen (Hstr. #) als auch das Haus der Eltern (Hstr. ##) errichtet sind, als
"Einheit" betrachten, so vermag dies an den Zweifeln des Senats nichts zu ändern.
Selbst wenn die Einschätzung der Klägerin zutreffend wäre, ist weder ersichtlich und
nachvollziehbar, warum die Klägerin "
Übernachtung
hat. Etwas anderes würde allenfalls dann gelten, wenn die Klägerin lediglich die
Adresse "Hstr. #"
ohne
angegeben,
bei
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festhalten lassen.
b) Die – zunächst auch für die Klägerin geltende – Redlichkeitsvermutung ist erschüttert.
Die Klägerin hat in ihrer – 3 Tage vor dem behaupteten Diebstahl abgegebenen -
eidesstattlichen Versicherung unzutreffende bzw. widersprüchliche Angaben (insb. in
Bezug auf den angeblich entwendeten Pkw) gemacht. So hat sie zunächst angegeben,
der Pkw befinde sich beim Zeugen L. Der Zeuge L hat dies aber gerade nicht bestätigt.
Er will den Pkw nie gefahren haben; lediglich der Fahrzeugbrief habe sich bei ihm
befunden. Weiterhin hat sie angegeben, den Pkw an den Zeugen L zur Sicherheit
übereignet zu haben. Demgegenüber hat sie vor dem Landgericht zunächst ausgesagt,
dass der Wagen niemandem zur Sicherheit übereignet worden sei. Erst nachdem das
Gericht ihr den Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung vorhielt, hat sie eine
Vereinbarung (die sie aber nicht als Sicherungsübereignung verstanden haben will) mit
dem Zeugen L eingeräumt.
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In Bezug auf das Café hat sie in der eV angegeben, nur "Gewerbeinhaberin", aber nicht
"faktische Betreiberin" zu sein; das Geschäft werde von dem Zeugen L geführt. Diese
Angaben hat der Zeuge L ebenfalls nicht bestätigt. Danach will er das Café bis zur WM
2006 für rd. 5 – 6 Monate (also erst ab Januar 2006) betrieben haben. Des Weiteren hat
die Klägerin in der eV nicht angegeben, dass sie sich zum Zeitpunkt der Abgabe der eV
einer Forderung gegen die B (wegen eines Kaskounfallschadens) berühmte, die sie
dann im Jahre 2005 nach Durchführung eines Prozesses (3 O 94/02 LG Essen) auch –
in Höhe von 10.000,00 € - realisieren konnte. Diese Umstände lassen den Schluss zu,
dass die Klägerin - evtl. unter Mitwirkung des Zeugen L - bestrebt war, ihr Vermögen
dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen. Auf die Redlichkeitsvermutung kann sich eine
so agierende Versicherungsnehmerin nicht (erfolgreich) berufen.
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4.) Auf Umstände, die für eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des
Diebstahls sprechen könnten, kam es danach nicht mehr an. Dies gilt auch für die
Frage, ob die Beklagte wegen Obliegenheitsverletzungen der Klägerin leistungsfrei ist.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10. Die Zulassung
der Revision war nicht veranlasst (§ 543 ZPO).
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