Urteil des OLG Hamm vom 28.07.2010

OLG Hamm (kläger, arglistige täuschung, eigenes interesse, täter, höhe, brand, tochter, versicherungsvertrag, wohnung, ehefrau)

Oberlandesgericht Hamm, I-20 U 20/10
Datum:
28.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 20/10
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 4 O 206/09
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 02.12.2009 verkündete Urteil
der 4. Zi-vilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe (§ 540 ZPO):
1
A.
2
Der Kläger nimmt die Beklagte nach einem Wohnungsbrand in der Nacht vom 8. auf den
9.12.2007 auf Zahlung einer Entschädigung in voller Höhe der Versicherungssumme
von 54.600 EUR aus einer bei der Beklagten zwei Tage zuvor policierten
Hausratversicherung in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Allgemeinen
Bedingungen für die Hausratversicherung" (im Folgenden: VHB 97) zu Grunde. Die
Beklagte behauptet vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls durch Eigen-
oder Auftragsbrandstiftung. Ferner focht sie den Versicherungsvertrag wegen falscher
Angaben über die Schadenshöhe eines am 4.12.2007 geschehenen (unversicherten)
Vorschadens an.
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Der Kläger hat beantragt,
4
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 54.600 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2009 zu zahlen
und ihn von der Gebührenforderung der Rechtsanwälte N und N in Höhe von
5
1.761,08 EUR freizustellen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe den
Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen
Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
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Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, während die Beklagte das
landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien im
Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen verwiesen. Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der
Zeugen L und L2. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den
Berichterstattervermerk vom 28.07.2010 verwiesen.
7
B.
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
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Dem Kläger steht ein Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung nicht zu.
10
I.
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Der Versicherungsvertrag ist zwischen den Parteien wirksam, er ist insbesondere nicht
durch die Beklagte wirksam angefochten.
12
1.
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Zwar hat die Beklagte nicht, wie das Landgericht meint, die einjährige Anfechtungsfrist
versäumt (§ 124 BGB). Denn der Lauf der Anfechtungsfrist beginnt erst, wenn der
Getäuschte die arglistige Täuschung als solche erkennt, und nicht bereits dann, wenn er
über Unterlagen verfügt, aus denen sich Widersprüche herausarbeiten ließen. Zudem
muss sich die Kenntnis nicht nur auf die objektive Falschheit der Angaben, sondern
auch auf die subjektive Arglist des anderen Teils beziehen (Staudinger/Singer/v.Fin-
kenstein, BGB, § 124 Rdnr. 4). Dieser Schluss war von der Beklagten mit einer bloßen
Kenntnis der Betragsabweichung der tatsächlichen von der angegebenen
Vorschadenshöhe noch nicht ohne weiteres zu ziehen.
14
2.
15
Die Anfechtung greift aber deshalb nicht, weil eine arglistiger Täuschung nicht
festgestellt werden kann. Beweispflichtig für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung
ist die Beklagte. Hier kann jedoch nicht die Einlassung des Klägers aus seinem
Schriftsatz vom 14.09.2009 widerlegt werden, wonach es sich nicht um eine absichtliche
Falschangabe, sondern um ein sprachliches Missverständnis gehandelt habe.
16
II.
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Der Kläger kann die begehrte Versicherungsleistung jedoch deshalb nicht
beanspruchen, weil er den Versicherungsfall auch zur Überzeugung des Senats selbst
herbeigeführt hat. Diese Feststellung beruht auf Indizien, welche zur Überzeugung des
Senats einen Rückschluss auf vorsätzliche Eigenbrandstiftung zulassen.
18
a)
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Als gewichtigstes Indiz ist hier die Ansage der Tat vier Tage zuvor aufzuführen. Als der
Kläger nach dem Einbruchsdiebstahl vom 04.12.2007 gewahr wurde, dass er den
Schaden mangels bestehender Versicherung nicht ersetzt bekäme, äußerte er
gegenüber dem Polizeibeamten, dann müsse er, der Kläger, sich etwas einfallen
lassen, um anderweitig an Geld zu gelangen, und: "er könne auch Verbrechen
begehen". Dass der Kläger dann zwei Tage darauf eine Hausratsversicherung
abschloss und weitere zwei Tage darauf die soeben versicherte Einrichtung durch einen
Wohnungsbrand vernichtet wurde, begründet den dringenden Verdacht, dass der Kläger
seine vorherige Ankündigung wahrgemacht hatte.
20
b)
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Zu diesem Hauptindiz gesellt sich die fehlende Wahrheitsliebe des Klägers,
insbesondere auch vor Gericht.
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Noch vor dem Landgericht hat er den Zweck seines Casinobesuchs in Venlo so erklärt,
dass er mit zwei türkischen Freunden dort gewesen sei, die ihm vorgeschlagen hätten,
mitzukommen. Er selbst spiele überhaupt nicht, da er ja seine eigenen Kinder versorgen
soll. Vor dem Senat hingegen hat der Kläger sich als Inhaber einer VIP-Card des
Spielcasinos darstellt, der sich an fünf bis sieben Tagen in der Woche dort aufhalte, als
stetiger Spielgewinner allseits bekannt und beliebt sei und regelmäßig auf fremde
Rechnung mit höheren Beträgen und auf eigene Rechnung mit kleineren Beträgen am
Roulette-Spiel teilnähme.
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Weiter machte der Kläger im Ermittlungsverfahren - dort zulässigerweise - falsche
Angaben zum Rauchen der Ehefrau. Im Rechtsstreit jedoch erklärt er diese
widersprüchlich einmal damit, er sei bei der Polizei falsch verstanden worden sein (GA
171), ein anderes Mal damit, es habe sich um eine "Notlüge" gehandelt (GA 154). Auch
über die Herkunft des Barbetrages von 8.000 EUR hat der Kläger widersprüchliche
Angaben gemacht; einmal soll es sich hier um angespartes Geld gehandelt haben, ein
anderes Mal um den Verkaufserlös eines VW-Passat.
24
c)
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Unplausibel in der Darstellung des Klägers ist außerdem, dass er seine Wohnung
nachts aus Angst vor einem Einbruch verlassen haben will, gleichwohl die Wohnungstür
nur zugezogen anstatt auch das Schloss umgeschlossen haben will.
26
d)
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Ausgeschlossen scheint demgegenüber, dass es sich bei dem Brandstifter um
denselben Täter wie bei dem vorherigen Einbruchsdiebstahl handelt, was jedoch der
Kläger als Mutmaßung vortragen lässt.
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Denn der erste Einbruch war nicht auf Schädigung (Vandalismus), sondern auf Ertrag
(Diebesbeute) angelegt. Hingegen war beim zweiten Schaden, nur vier Tage darauf, gar
keine Beute mehr zu erwarten, da ja bereits alles Wertvolle weg war. Das wusste der
Täter der ersten Tat. Daher wäre auch ein erneutes Durchsuchen völlig zwecklos. Auch
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konnte der Täter der ersten Tat nach nur vier Tagen nicht auf neue Geldeinnahmen in
beträchtlicher Summe oder sofortige Widerbeschaffungen des sonst Gestohlenen
spekulieren. Daraus folgt, dass der Täter zwischen beiden Taten sowohl einen
Motivwechsel vollzogen haben müsste (statt Ertrags- nunmehr Schädigungsabsicht) und
zusätzlich noch über seine Absicht getäuscht haben wollen (Herrichten eines nach
Wertgegenständen trachtenden Durchsuchungsszenarios). Das alles erscheint völlig
unwahrscheinlich, abgesehen davon, dass der Täter - wäre es ihm hierauf angekommen
- den Brand auch beim ersten Einbruch schon hätte legen können. Und wer nur dem
Kläger schaden will, setzt nicht leichtfertig das Leben der Wohnungsnachbarn aufs
Spiel.
e)
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Auch an der Schilderung der sonstigen Vorfälle des Abends ist Vieles ungereimt. So
passen die Gestalten, die sich nach den Angaben der Ehefrau des Klägers am Balkon
zu schaffen gemacht haben sollen, nicht zu einem späteren Einbruch auf ganz anderem
Wege, nämlich durch die Wohnungstür. Auch die weglaufenden Gestalten, die die
Tochter L2 auf der Straße wahrgenommen haben will, passen nicht zum späteren
Einbruch: Wer sich an einem bestimmten Objekt bereits verdächtig gemacht hat, ertappt
fühlt und das Weite sucht, kehrt vernünftigerweise nicht kurz darauf zum selben Objekt
zurück, wo er mit besonderer Aufmerksamkeit der Bewohner und Nachbarn rechnen
muss, sondern nimmt entweder ein anderes Einbruchsobjekt ins Visier oder zu einem
anderen Zeitpunkt einen völlig neuen Anlauf.
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f)
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Dass andere Geschädigte (Hauseigentümer / Nachbarn) ein eigenes Interesse gehabt
haben könnten, in der Wohnung des Klägers Feuer zu legen, erscheint abwegig. Auch
fernliegend ist die Mutmaßung, die Hausbewohner könnten falsche Angaben darüber
gemacht haben, jemanden ins Haus eingelassen zu haben, um nicht mit in die Sache
hineingezogen zu werden. Angesichts der Gefährlichkeit einer Brandstiftung dürfte
vielmehr jeder Hausbewohner ein vitales Interesse an der Tataufklärung gehabt haben.
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Angebliche Widersprüche in der polizeilichen Aussage des Zeugen C2 (BA 79 ff.)
gegenüber seinen ersten Angaben vor Ort (BA 15 f.) sind nicht zu erkennen, jedenfalls
keine schwerwiegenden. Dass es bei der ersten Aufnahme vor Ort heißt, der Zeuge
habe mit dem Spaten versucht, die Balkontür zu öffnen (BA 16 BA), während sich später
herausstellte, dass sich dieser Versuch tatsächlich auf die Wohnungstür bezog (BA 80),
dürfte einem Missverständnis bei der ersten, kursorischen Befragung vor Ort geschuldet
sein. Weitere Widersprüche sind von der Berufung auch nicht konkret aufgezeigt.
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Der Rückschluss, eine Eigenbrandstiftung vor Mitternacht durch den Kläger sei deshalb
ausgeschlossen, weil das Feuer keinesfalls über eine Stunde gebraucht haben würde,
um bis zu der laut Zeigerstand um 00:57 Uhr arretierten Wohnzimmeruhr vorzudringen,
verfängt schon deshalb nicht, weil er weder eine Auftragsbrandstiftung noch eine
spätere Rückkehr des Klägers oder seiner Ehefrau ausschließt, um den Brand zu legen.
Auch muss die Uhr vor dem Brand nicht zwingend richtig gegangen sein. Sie könnte
sogar vom Täter absichtlich verstellt worden sein, um ein vermeintliches
Entlastungsindiz zu konstruieren.
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Der Vorhalt der Berufung schließlich, es sei nicht nach Fingerabdrücken gesucht
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worden, ist ausweislich Bl. 30, 57 der Ermittlungsakte falsch: Danach ist eine Suche
nach daktyloskopischen Spuren erfolgt, solche konnten aber nicht gesichert werden.
g)
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Schließlich hatte der Kläger auch Gelegenheit zur Brandlegung. Wie bereits die
Nachbarin X bei der Polizei angab (BA 31) und auch der Kläger sowohl in seiner
Berufungsbegründung (BA 230) wie auch bei seiner persönlichen Anhörung vor dem
Senat darlegte, fuhr dieser nicht gleichzeitig mit den übrigen Personen zum Haus seiner
Tochter, sondern erst kurz danach, und kam - wie die Zeugin L2 glaubhaft und
glaubwürdig bekundet hat - erst einige Minuten später dort an. In der Zwischenzeit hatte
der Kläger Gelegenheit, den Brand zu legen, beispielsweise durch Hinterlassen einer
brennenden Zigarette auf dem Sofa. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in
diesem Zeitfenster von der Gelegenheit Gebrauch machte. Womöglich reifte der
Tatentschluss ganz spontan, als der Kläger die Chance erblickte, eine scheinbare
Täterverbindung zu der unmittelbar vorangegangenen Bedrohung an der Balkontür zu
knüpfen. Dafür könnte auch sprechen, dass kein Brandbeschleuniger benutzt wurde.
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Die entgegen stehende Bekundung der Zeugin L, wonach alle Personen in demselben
Fahrzeug zur Wohnung der Tochter übergewechselt hätten, führt der Senat auf eine
Erinnerungslücke dieser Zeugin zurück.
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II.
40
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.
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