Urteil des OLG Hamm vom 18.10.1999

OLG Hamm: operation, berufliche tätigkeit, impotenz, vollstreckung, schmerzensgeld, sicherheitsleistung, begriff, behandlung, anfang, sparkasse

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 3 U 206/98
18.10.1999
Oberlandesgericht Hamm
3. Zivilsenat
Urteil
3 U 206/98
Landgericht Münster, 11 O 452/96
Die Berufung des Beklagten gegen das am 13. August 1998 verkündete
Grund- und Teil-Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird
zurückgewiesen.
Auf die Anschlußberufung des Klägers wird dieses Urteil mit der
Maßgabe abgeändert, daß der Beklagte auf den zuerkannten
Schmerzensgeldbetrag 4 % Zinsen seit dem 10.02.1997 an den Kläger
zu zahlen hat. Im übrigen wird die Anschlußberufung zurückgewiesen.
Der Kläger trägt 16 %, der Beklagte 84 % der Kosten des
Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 50.000,00 DM abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit
leistet.
Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 3.000,00 DM abwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Beiden Parteien wird nachgelassen, die zu erbringende
Sicherheitsleistung auch durch eine unbedingte und unbefristete
Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder
öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
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Entscheidungsgründe:
Der am 27.04.1940 geborene Kläger hatte keinen erlernten Beruf. Er war unter anderem als
Busfahrer tätig und bis Anfang 1995 bei einer Stahlbaufirma als Schlosser beschäftigt. Seit
Anfang der 80er Jahre litt der Kläger unter Bandscheibenbeschwerden, die jeweils
konservativ behandelt wurden. Am 14.02.1995 begab sich der Kläger aufgrund einer
Überweisung seines Hausarztes in die Behandlung des Beklagten. Dieser diagnostizierte
einen Bandscheibenprolaps mit Nervenwurzeldekompression L 5/S 1 und empfal eine
Diskographie sowie eine LaserNervenwurzeldekompression. Zur Durchführung dieser
Maßnahme begab sich der Beklagte am 09.03.1995 in das St. FHospital in C, in welchem
der Beklagte Belegbetten unterhält. Die geplante Operation führte der Beklagte noch am
09.03.1995 aus. Am 13.03.1995 wurde bei dem Kläger eine Peronaeusparese
diagnostiziert. Der Kläger gab seine berufliche Tätigkeit wegen der Fußheberschwäche
auf. Er hat den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung
20.000,00 DM -, Ersatz materieller Schäden und Feststellung der Verpflichtung weiterer
materieller Schäden in Anspruch genommen. Er hat behauptet, daß er weder am 14.02.
noch am 09.03.1995 über die Risiken der Operation aufgeklärt worden sei. Wäre dies
geschehen, hätte er die Operation nicht durchführen lassen. Die Operation sei nicht
indiziert gewesen. Eine sich entwickelnde Peronaeusparese im linken Bein, die mit
erheblicher Druckschmerzhaftigkeit einhergehe, sei auf die Operation ebenso wie eine
Impotenz zurückzuführen. Der Beklagte hat behauptet, den Kläger bereits am 14.02.1995
u.a. über mögliche Nervschäden z.B. PeronaeusSchäden aufgeklärt zu haben. Am
09.03.1995 habe er den Kläger noch einmal umfassend über die wesentlichen Risiken
aufgeklärt. Die Operation sei indiziert gewesen und fehlerfrei durchgeführt worden. Die
Peronaeusparese sei weder durch die Operation entstanden noch sei sie dauerhaft.
Das Landgericht hat dem Kläger ein Schmerzensgeld von 40.000,00 DM zugesprochen,
den materiellen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und
dem Feststellungsantrag stattgegeben. Zur Begründung ist ausgeführt, daß die Operation
zwar indiziert, aber nicht gerechtfertigt gewesen sei, weil die Aufklärung den erforderlichen
Anforderungen nicht genügt habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der Berufung und beantragt,
1.
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen;
2.
die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
1.
die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;
2.
ihm hilfsweise zu gestatten, eine von ihm zu leistende Sicherheit auch durch die
Bürgschaft einer Großbank, Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu erbringen;
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3.
den Beklagten zu verurteilen, an ihn über das bereits zugesprochene Schmerzensgeld
hinaus ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen;
4.
den Beklagten darüber hinaus zu verurteilen, an ihn Zinsen in Höhe von 4 % des
zugesprochenen bzw. zuzusprechenden Schmerzensgeldes seit Eintritt der
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen
der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz
gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Parteien angehört, die Arzthelferin des Beklagten als Zeugin vernommen
und die Sachverständigen Profes. E. C1 und T3 ihre schriftlichen Gutachten erläutern
lassen. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 26. Mai
1999 Bl. 499 - 507 d.A. verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten bleibt ohne Erfolg, die Anschlußberufung des Klägers ist nur
im Zinsausspruch erfolgreich.
Das Landgericht hat der Klage zu Recht in dem titulierten Umfang stattgegeben. Auf die
Gründe der angefochtenen Entscheidung wird insgesamt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug
genommen.
Der Beklagte haftet dem Kläger unter dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsverschuldens
gemäß §§ 823, 847 BGB und bezüglich der materiellen Schäden aus einer schuldhaften
Verletzung von Sorgfaltspflichten des Behandlungsvertrages.
Die von dem Beklagten durchgeführte Aufklärung war defizitär.
Eine Aufklärung ist nur dann ausreichend, wenn sie dem Patienten eine allgemeine
Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt (BGH
VersR 1984, 465, 466; 1992, 960, 961; 1996, 195). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil
der Beklagte den Kläger nicht auf das Risiko einer Querschnittslähmung als das schwerste
mögliche Risiko ausreichend hingewiesen hat.
Am 14.02.1995 ist der Kläger nicht auf das Risiko einer Querschnittslähmung hingewiesen
worden. Unabhängig von der Frage, welchen Beweiswert der Computerausdruck vom
14.02.1995 (Bl. 33 d.A.) hat, läßt sich diesem Ausdruck keine hinreichende Aufklärung über
eine Querschnittslähmung entnehmen. Dort sind nur u.a. "Nervenschäden mit z.B.
ParonaeusSchäden" genannt. Sollten diese Begriffe gegenüber dem Kläger tatsächlich
verwandt worden sein, so ist ihm als Patienten, auf dessen Empfängerhorizont abzustellen
ist (vgl. Deutsch, Medizinrecht, 3. Aufl., Rn. 120) das Risiko einer Querschnittslähmung
nicht verdeutlicht worden. Auch der Aussage des Beklagten in erster Instanz (S. 3 des
Protokolls vom 13.08.1998, Bl. 290 d.A.) ist nicht zu entnehmen, daß dem Kläger mit der
allgemeinen Erwähnung von Lähmungen das Risiko einer Querschnittslähmung deutlich
vor Augen geführt worden ist. Hinzu kommt, daß sich der Begriff der Lähmungen nicht
einmal in dem Computerausdruck wiederfindet, auf den sich der Beklagte in seiner
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Aussage ausdrücklich bezogen hat.
Auch die Aussage der Zeugin S vermochte den Senat nicht davon zu überzeugen, daß auf
das Risiko einer Querschnittslähmung hingewiesen worden ist. Zwar soll, der Aussage
dieser Zeugin im Senatstermin folgend (Bl. 500 d.A.), der Begriff "Lähmungen bis hin zum
Querschnitt" genannt worden sein. Diese Aussage aber steht mit der unmittelbar folgenden
Bekundung dieser Zeugin in Widerspruch, wonach sie nur das im Computer dokumentiere,
was Dr. T sage und das dann so niederschreibe. Das Risiko einer Querschnittslähmung
aber ist hier gerade nicht niedergeschriebenen worden.
Die dokumentierte und von dem Beklagten erläuterte Aufklärung genügte den
Anforderungen nicht, weil damit dem Sicherheitsbedürfnis des Klägers, das - wie hier - im
Falle der relativen Idikation ausschlaggebend ist (vgl. BGH VersR 1997, 451) nicht
hinreichend Rechnung getragen worden ist. Daß die Querschnittslähmung nicht
eingetreten ist, sondern sich andere Risiken verwirklicht haben, läßt, da es an einer
ausreichenden Grundaufklärung fehlt, den Zurechnungszusammenhang nicht entfallen
(vgl. BGH VersR 1996, 195).
Auch am Tag der Operation ist nicht auf das Risiko einer Querschnittslähmung
hingewiesen worden. Die allgemeine Erwähnung von Nervenschäden reicht insoweit nicht
aus. Selbst wenn am Operationstag auf dieses Risiko hingewiesen worden wäre, ergäbe
sich daraus keine wirksame Einwilligung. Bei einem solchen Vorgehen würde das
Selbstbestimmungsrecht des Patienten als Grundlage einer wirksamen Einwilligung nicht
ausreichend gewahrt (vgl. BGH MedR 1998, 516, 517), gerade unter Berücksichtigung des
Umstandes, daß die Operation hier nur relativ indiziert war.
Allein wegen der fehlenden Grundaufklärung ist die Aufklärung demzufolge defizitär.
Defizitär ist die Aufklärung darüber hinaus auch deshalb, weil der Kläger insbesondere
nicht auf das Risiko einer Impotenz hingewiesen worden ist. Der Senat ist davon
überzeugt, daß diese Komplikation auch bei einer regelrechten LaserOperation der in Rede
stehenden Art auftreten kann. Bei dieser Beurteilung macht sich der Sachverständige die
Feststellungen der Sachverständigen Profes. E. C1 und T3, die ihre Gutachten
überzeugend erläutert haben, zu eigen. Insbesondere der Sachverständige Prof. Dr. T3 hat
die Möglichkeit der Verletzung der in Betracht kommenden Nerven bei einer solchen
Operation konkret, nachvollziehbar und überzeugend dargelegt. Diese Darlegungen
werden nicht durch die Stellungnahme des von dem Beklagten beauftragten Prof. Dr. T2
(Bl. 496, 497 d.A.) in Frage gestellt. Zum einen hat diese allgemein gehaltene
Stellungnahme nicht den erforderlichen Fallbezug. Zum anderen kann die Ursache dafür,
daß diese Operationsfolge nicht in Statistiken erwähnt wird, seine plausible Ursache darin
haben, daß wie Prof. Dr. C1 ausgeführt hat sich viele Patienten scheuen über das
Problem der Impotenz als Operationsfolge zu reden.
Der Kläger hat auch plausibel und nachvollziehbar dargelegt, daß er sich bei
ausreichender Aufklärung in einem wirklichen Entscheidungskonflikt befunden hätte. Dabei
verkennt der Senat nicht, daß der Kläger darauf aus war, seine Arbeitsfähigkeit möglichst
schnell wieder herzustellen und deshalb unter einem gewissen Leidensdruck stand. Der
Verzicht auf die Operation zum damaligen Zeitpunkt aber hätte gerade nicht gegen die
"medizinische Vernunft" verstoßen, vielmehr sei, so der Sachverständige C1, das breite
Spektrum der konservativen Behandlung noch nicht ausgeschöpft gewesen. Der Senat
glaubt dem Kläger, daß er in Kenntnis des Risikos einer Querschnittslähmung und/oder
des Impotenzrisikos die Operation am 09.03.1995 nicht hätte durchführen lassen. Dabei
sprach nicht zuletzt für den Kläger, daß er selbst im Senatstermin noch bestrebt war, die
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Qualifikation des Beklagten nicht in Zweifel zu ziehen. Vielmehr ist er auch heute noch der
Auffassung, daß es sich bei dem Beklagten um eine Kapazität oder um einen
"Bombenarzt" handele.
Der Senat hat wie das Landgericht keinen Zweifel daran, daß der Nervschaden mit der
Einschränkung der Gehfähigkeit, die schmerzhafte Berührungsempfindlichkeit, der Verlust
der Funktion der Ausübung einfacher handwerklicher Tätigkeiten und die Impotenz
Dauerfolgen der am 09.03.1995 erfolgten Operation sind. Zur Vermeidung von
Wiederholungen wird nochmals auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen der
angefochtenen Entscheidung verwiesen. Auch die erneute Anhörung der Gutachter hat
ergeben, daß die zuvor beschriebenen Dauerfolgen auf die Operation vom 09.03.1995
zurückzuführen sind. Die überzeugenden Schlußfolgerungen von Prof. Dr. T3 basieren - im
Gegensatz zu denen des Privatgutachters Prof. Dr. I als Facharzt für Orthopädie und
Chirurgie, Bl. 447 bis 457 d.A. - unter anderem darauf, daß Prof. Dr. T3 bei dem Kläger eine
umfassende neurologische ambulante Untersuchung durchgeführt hat. Erst recht vermögen
die subjektiven Wahrnehmungen des Beklagten über den Zustand des Klägers am Ende
des Senatstermins diese Schlußfolgerungen nicht in Frage zu stellen.
Die Anschlußberufung hat nur bezüglich der in erster Instanz nicht geltend gemachten
Zinsen gemäß §§ 291, 288 BGB Erfolg. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld
hält der Senat für angemessen und ausreichend.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92, 97, 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Das Urteil
beschwert den Beklagten mit mehr und den Kläger mit weniger als 60.000,00 DM.