Urteil des OLG Hamm vom 10.02.2005

OLG Hamm: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, abzug vom einkommen, verfügung, nettoeinkommen, arbeitslosenhilfe, arbeitsstelle, bruttoeinkommen, versorgung, gleichrangigkeit, ausdehnung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 4 UF 79/04
10.02.2005
Oberlandesgericht Hamm
4. Senat für Familiensachen
Urteil
4 UF 79/04
Amtsgericht Dortmund, 170 F 1730/03
Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.1.2004 verkündete Urteil
des Amtsgerichts – Familiengericht – Dortmund (Aktenzeichen 170 F
1730/03) abgeändert.
Das Versäumnisurteil vom 10.9.2003 wird teilweise aufgehoben und wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu Händen des gesetzlichen
Vertreters folgende monatliche Unterhaltszahlungen zu leisten:
Juli und August 2003: je 146,00 €
September bis Dezember 2003: je 66,00 €
ab Januar 2004: je 136,00 €
Die bis einschließlich Januar 2005 fällig gewordenen Monatsraten sind
jeweils ab dem dem jeweiligen Monatsersten folgenden Werktag in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage
abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 71 % und die
Beklagte 29 % zu tragen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens
werden zu 69 % dem Kläger und zu 31 % der Beklagten auferlegt;
hiervon ausgenommen sind die Kosten der Säumnis der Beklagten, die
die Beklagte allein trägt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die
Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Wegen der Frage, ob und in welcher Höhe der Barunterhaltsbedarf der
Tochter E der Beklagten bei der Ermittlung der unterhaltsrechtlichen
Leistungsfähigkeit der Beklagten zu berücksichtigen ist, wird die Revision
zugelassen.
Gründe
I.
Der am 26.7.1991 geborene Kläger ist der Sohn der Beklagten. Als Schüler verfügt er über
kein eigenes Einkommen. Die Ehe der Kindeseltern wurde durch Urteil des Amtsgerichts
Dortmund vom 3.6.1997 geschieden. Aus dieser Ehe sind insgesamt 5 Kinder
hervorgegangen, von denen heute noch zwei minderjährig sind. Während der Kläger bei
seinem Vater lebt, wird die am 19.7.1988 geborene Tochter E von der Beklagten versorgt.
Der Vater des Klägers bezieht eine Knappschaftsrente sowie eine Betriebsrente der Fa. T.
Eine gegen ihn gerichtete Unterhaltsklage seiner Tochter E wurde rechtskräftig
abgewiesen.
Die Beklagte hat eine abgeschlossene Ausbildung als Fleischfachverkäuferin. Seit Januar
2003 war sie zunächst arbeitslos und bezog Arbeitslosenhilfe. Seit dem 16.6.2003 ist sie
als Verkäuferin für den Rewe-Lebensmittelkonzern tätig. Nachdem sie zunächst
versuchsweise vollschichtig gearbeitet hatte, war sie ab September 2003 halbschichtig
tätig. Seit dem 1.4.2004 beträgt die wöchentliche Arbeitszeit 28 Stunden.
Der Kläger, der noch bis Juni 2003 Leistungen von der Unterhaltsvorschusskasse in Höhe
von monatlich 150,00 € bezog, begehrt die Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe des
Regelbedarfs ab März 2003.
Die Beklagte hat behauptet, dass ihr eine weitere Ausweitung der Erwerbstätigkeit aus
gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei. Sie habe am linken Mittelfussknochen und am
rechten Arm Trümmerbrüche erlitten. Außerdem befinde sie sich wegen Depressionen in
neurologischer Behandlung.
Durch Versäumnisurteil des Amtsgerichts vom 10.9.2003 ist die Beklagte verurteilt worden,
an den Kläger für den Zeitraum von März bis einschließlich Juni 2003 eine Unterhaltsrente
in Höhe von 228,00 € und ab Juli 2003 in Höhe von 269,00 € zu zahlen. Nach
fristgerechtem Einspruch des Beklagten hat das Amtsgericht das Versäumnisurteil
teilweise – in Höhe von monatlich 20,00 € ab Juli 2003 – aufrechterhalten und die Klage im
übrigen unter Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, bis einschließlich Juni 2003 bestehe ein
Unterhaltsanspruch mangels Leistungsfähigkeit nicht. Ein Verstoß gegen
Erwerbsobliegenheiten liege nicht vor. Da die Beklagte eine neue Anstellung gefunden
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habe, könne von ausreichenden Bemühungen um eine Arbeitsstelle ausgegangen werden.
Ab Juli 2003 sei die Beklagte teilweise als leistungsfähig anzusehen. Ihr sei insoweit
zumutbar gewesen, eine 2/3-Stelle anzunehmen. Eine Verpflichtung zur Aufnahme einer
vollschichtigen Tätigkeit habe nicht bestanden, da sie zum einen ein minderjähriges Kind
zu betreuen habe und auch gesundheitliche Umstände entgegen stünden. Ausgehend vom
derzeitigen Einkommen könne die Beklagte einschließlich der Sonderzahlungen ein
durchschnittliches Nettoeinkommen von 1.140,00 € erzielen. Hinzuzurechnen sei das
Kindergeld von 154,00 €. In Abzug zu bringen seien Fahrtkosten in Höhe von 50,00 €
sowie der Unterhalt für das im Haushalt der Beklagten lebende Kind E in Höhe 384,00 €
(135 % des Regelbetrages).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung begehrt der Kläger weiterhin die Zahlung von
Unterhalt in Höhe des Regelbedarfs. Er vertritt die Auffassung, dass die Beklagte die
fehlende Leistungsfähigkeit nicht dargetan habe. Gesundheitliche Hindernisse seien nicht
substantiiert vorgetragen worden, so dass die Beklagte vollschichtig arbeiten könne. Für
die Betreuung von E dürfe der Tabellenunterhalt nicht vom Einkommen der Beklagten
abgezogen werden, wenn gleichzeitig dem Kläger nur 20,00 € zugesprochen würden.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Versäumnisurteil vom 10. 9.
2003 aufrechtzuerhalten mit der Maßgabe, dass der Beklagte ab März 2003 verurteilt wird,
an den Kläger einen monatlichen Unterhalt von 284,00 € zu zahlen, zuzüglich jeweils 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz auf jeweils 228,00 € monatlich ab dem jeweiligen
Monatsersten für März bis Juni 2003 und auf jeweils 284,00 € monatlich ab dem jeweiligen
Monatsersten seit Juli 2003.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte meint, dass ihr eine vollschichtige Tätigkeit nicht zugemutet werden könne.
Ein entsprechender Versuch Mitte 2003 habe abgebrochen werden müssen.
Der Senat hat zur Frage der Erwerbsfähigkeit der Beklagten Beweis erhoben durch die
Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. I vom
7.10.2004 verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Ein Anspruch auf Zahlung von Unterhalt
besteht in dem ausgeurteilten Umfang nach § 1601 BGB.
Der minderjährige Kläger ist noch Schüler und außerstande, sich selbst zu unterhalten,
1602 Abs. 1 BGB. Die Beklagte ist jedoch nur teilweise leistungsfähig. Sie kann aus ihrem
Einkommen den geltend gemachten Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages nach
der Düsseldorfer Tabelle nur teilweise aufbringen.
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1. Zeitraum März bis Mai 2003
Ein Unterhaltsanspruch besteht nicht, denn die Beklagte war in diesem Zeitraum nicht
leistungsfähig. Sie bezog Arbeitslosenhilfe in Höhe von durchschnittlich 573,30 € im Monat.
Mit dem Amtsgericht ist davon auszugehen, dass der Beklagten ein Verstoß gegen ihre
Erwerbsobliegenheit nicht vorgeworfen werden kann. Da sie bereits im Juni 2003 wieder
eine Anstellung gefunden hat, können entsprechende Bemühungen um einen Arbeitsplatz
unterstellt werden. Im übrigen wäre der Kläger auch nicht aktivlegitimiert, weil er noch
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezogen hat (§ 7 Abs. 1 UVG).
2. Juni 2003
Für diesen Zeitraum ergibt sich rechnerisch ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 74,00 €,
doch auch insoweit fehlt es aufgrund der oben genannten Erwägung an der
Aktivlegitimation des Klägers.
Die Beklagte war seit dem 16.6.2003 wieder erwerbstätig. Die zunächst bis zum
Monatsende gezahlte Arbeitslosenhilfe muss von der Beklagten, wie im Senatstermin
klargestellt worden ist, teilweise zurückgezahlt werden, so dass nur von einem Einkommen
von 286,65 € auszugehen ist (573,30 € monatliche Arbeitslosenhilfe : 2). Hinzuzurechnen
ist ein Nettoeinkommen für den Rest des Monats von rund 714,00 € (Bruttoeinkommen von
973,00 € abzüglich Steuern, Sozialversicherung und Monatsticket). Unter Berücksichtigung
des Selbstbehalts von 840,00 € stehen lediglich 160,65 € (286,65 € + 714,00 € - 840,00 €)
für Unterhaltszwecke zur Verfügung, wovon ein Teilbetrag von (rund) 87 € auf den
Barunterhaltsbedarf der Tochter E der Beklagten entfällt, so dass für den Unterhalt des
Klägers nur noch 74,00 € verfügbar sind.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann bei der Beklagten für die Versorgung des
Kindes E kein Abzug in Höhe des Tabellenbetrages vorgenommen werden. Vielmehr ist
der den Selbstbehalt übersteigende Betrag unter den beiden minderjährigen Kindern
aufzuteilen. Für die (bloße) Betreuung eines Kindes darf zwar grundsätzlich kein Abzug
vom Einkommen des Betreuenden vorgenommen werden (vgl. Johannsen/Henrich-Graba,
Eherecht, 4. Auflage 2003, § 1603 BGB Rn. 22; BGH FamRZ 1991, 182 ff.), weil hierdurch
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betreuenden Elternteils nicht beeinträchtigt wird.
Im vorliegenden Fall leistet die Beklagte für E neben der Betreuung jedoch auch
vollständig den Barunterhalt, weil der Vater des Klägers nicht leistungsfähig ist. Diese
Konstellation ist wie ein Mangelfall zu behandeln, bei dem der zur Verfügung stehende
Betrag entsprechend den am Existenzminimum orientierten Einsatzbeträgen aufzuteilen ist
(vgl. Erman-Hammermann, BGB, 11. Auflage, § 1603 Rn. 84). Dies erfordert die
Gleichrangigkeit der Unterhaltsansprüche der Kinder (§ 1609 BGB) und ihre
Gleichwertigkeit im Familienverbund. Die Beklagte muss tatsächlich den materiellen
Unterhaltsbedarf der bei ihr lebenden Tochter E decken, weil der Kindesvater mangels
Leistungsfähigkeit den Barunterhalt für sie nicht zu leisten vermag. Dieser tatsächlichen
Unterhaltsbelastung kann sich die Kindesmutter im Interesse des zwingend von den
Kindeseltern zu beachtenden Kindeswohls nicht in zumutbarer Weise entziehen. Die
Situation des Klägers ist vergleichbar. Auch hier muss der Kindesvater mangels Leistung
von Barunterhalt durch die Beklagte trotz seiner bescheidenen Einkünfte die tatsächliche
materielle Versorgung des Klägers übernehmen. Eine Mangelverteilung in dieser Lage
führt zu dem angemessenen Ergebnis, dass entsprechend den Verhältnissen in einer
intakten Familie die Kindeseltern solidarisch für die gleichmäßige Versorgung ihrer
gemeinsamen Kinder zur Sicherung ihrer materiellen Existenzgrundlage aufkommen.
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Der vom Amtsgericht vorgenommene Abzug des Tabellenbetrags (abzüglich Kindergeld)
verstößt gegen den Grundsatz der Gleichrangigkeit der Geschwister, zumal gerade
angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse auch nicht davon ausgegangen
werden kann, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beklagten tatsächlich in
entsprechendem Umfang reduziert wird.
Nach Auffassung des Senates ist es deshalb geboten, die zur Mangelverteilung
entwickelten Grundsätze (vgl. Ziffer 23 der Hammer Leitlinien, Stand 1.7.2003)
entsprechend anzuwenden. Die der 6. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle
(Stand 1. 1. 2002) entnommenen Einsatzbeträge belaufen sich auf 308,00 € für den Kläger
und 364,00 € für seine Schwester E. Die Mangelquote beträgt bei einer Leistungsfähigkeit
von 160,65 € rund 24 % (160,65 € : 672,00 € Summe der Einsatzbeträge).
Damit ergibt sich für den Kläger ein rechnerischer Anspruch in Höhe von rund 74,00 € (24
% des Einsatzbetrages von 308,00 €). Da jedoch der Kläger im Monat Juni 2003 noch
Leistungen in Höhe von 150,00 € von der Unterhaltsvorschusskasse erhielt, ist eine
Aktivlegitimation nicht gegeben.
3. Juli und August 2003
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich
146,00 €.
Die Beklagte hat in diesen Monaten versuchsweise vollschichtig gearbeitet und
durchschnittlich 1.170,13 € netto verdient. Werden davon die Kosten für das Monatsticket
von 37,50 € in Abzug gebracht, verbleibt ein Betrag von rund 1.132,00 €. Unter
Berücksichtigung des Selbstbehalts von 840,00 € stehen 292,00 € für Unterhaltszwecke
zur Verfügung. Davon steht dem Kläger nunmehr die Hälfte zu, denn er hat jetzt das 12.
Lebensjahr vollendet und ist ebenso wie seine Schwester E der 3. Altersstufe der
Düsseldorfer Tabelle zuzuordnen. Damit ist der zur Verfügung stehende Unterhaltsbetrag
zwischen beiden Geschwistern hälftig zu teilen; der Unterhaltsanspruch des Klägers
beträgt 146,00 €.
Das Einkommen der Beklagten ist ungeachtet der von ihr geltend gemachten
gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig in die Abrechnung mit einzubeziehen,
denn die Beklagte hat gem. § 1603 Abs. 2 BGB alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der
Kinder Unterhalt zur Verfügung zu stellen.
4. September bis Dezember 2003:
Der Unterhaltsanspruch des Klägers beläuft sich nunmehr auf monatlich 66,00 €.
Die Beklagte war in dieser Zeit lediglich halbschichtig tätig. Damit hat sie ihre
Erwerbsobliegenheit verletzt. Wie sich aus dem Sachverständigengutachten vom
7.10.2004 ergibt, kann die Beklagte ihre Tätigkeit in der Fleischerei trotz der
gesundheitlichen Einschränkungen 30 Stunden in der Woche ausüben. Dafür spricht auch,
dass die Beklagte seit April 2004 ausweislich der vorgelegten Verdienstbescheinigungen
in der Lage war, die Arbeitszeit auf monatlich 121,33 Stunden bzw. wöchentlich rund 28
Stunden auszudehnen. Die Beklagte ist deshalb so zu stellen, als habe sie bereits ab
September 2003 eine wöchentliche Arbeitszeit von 28 Stunden gehabt.
Eine weitere Ausdehnung der Arbeitszeit ist dagegen nicht zumutbar. Nach den
Feststellungen der Sachverständigen ist eine Ausdehnung der Arbeitszeit auf über 30
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Stunden in der Woche nicht möglich. Die Beklagte leidet insbesondere unter den Folgen
einer Mittelfußköpfchenfraktur, die einer rein stehenden Tätigkeit entgegensteht. Die
Feststellungen der Gutachterin sind insgesamt überzeugend und werden von den Parteien
auch nicht mit Substanz angegriffen. Weitere Einschränkungen ergeben sich aus den
Folgen einer Radiusköpfchen-Trümmerfraktur sowie den Spondylarthrosen der
Wirbelsäule. Die Beklagte muss das Tragen von schweren bis mittelschweren Lasten und
auch regelmäßige Überkopfarbeiten vermeiden. Rückenbelastende Tätigkeiten, die mit
einseitiger Körperhaltung oder häufigen Heben oder Tragen verbunden sind, sind nicht
mehr zumutbar.
Der Beklagten kann schließlich auch nicht zugemutet werden, ihre Arbeitsstelle in der
Fleischerei aufzugeben und eine vollschichtige leichtere Tätigkeit zu suchen. Nach dem
Ergebnis des Sachverständigengutachtens kommt eine derartige Tätigkeit zwar in Betracht,
sofern nicht eine depressive Erkrankung dem entgegen steht. Dem Senat ist jedoch aus
zahlreichen anderen Verfahren bekannt, dass ein höheres Nettoeinkommen für im Sitzen
ausgeübte Tätigkeiten, die dem Ausbildungsstand der Beklagten als Fachverkäuferin
entsprechen, praktisch nicht erreichbar ist. Die Beklagte ist deshalb nicht verpflichtet, sich
auf andere Stellen zu bewerben, in denen lediglich eine leichte Tätigkeit verlangt wird.
Zwar könnte die Beklagte nach dem Sachverständigengutachten wöchentlich noch zwei
Stunden mehr arbeiten. Dabei wird jedoch noch nicht berücksichtigt, dass sich die Beklagte
außerdem in einer neurologischen Behandlung befindet. Nach der Bescheinigung des
praktischen Arztes B vom 16.6.2004 finden deshalb weiterhin therapeutische Gespräche
statt. Ein Wechsel der Arbeitsstelle mit dem Ziel, die wöchentliche Arbeitszeit um zwei
Stunden auszudehnen, kann der Beklagten bei Abwägung aller Umstände nicht zugemutet
werden. Damit ist die Beklagte so zu behandeln, als habe sie bereits ab September 2003
ihr späteres Gehalt von brutto 1.453,00 € erzielt.
Bei dem im Jahr 2003 geltenden Steuersätzen ist von einem monatlichen Nettoeinkommen
von rund 1.009,00 € auszugehen. Wird von diesem Einkommen das Monatsticket mit 37,50
€ in Abzug gebracht, bleibt ein bereinigtes Einkommen von 971,50 €. Unter
Berücksichtigung des Selbstbehalts von 840,00 € stehen für Unterhaltszwecke 131,50 €
zur Verfügung. Dem Kläger steht davon die Hälfte zu, gerundet 66,00 €.
5. Ab Januar 2004:
Der Unterhaltsanspruch des Klägers beträgt 136,00 € monatlich.
Die Beklagte erzielte im Jahr 2004 ausweislich der Dezemberabrechnung ein zu
versteuerndes Jahreseinkommen in Höhe von 17.292,00 €. Da sie in den ersten drei
Monaten des Jahres nur halbschichtig gearbeitet hat, obwohl ihr eine höhere Stundenzahl
zumutbar war, ist das Jahreseinkommen fiktiv um einen Bruttobetrag von 1.323,00 €
(441,00 € x 3 Monate) zu erhöhen. Die monatliche Differenz der in der
Dezemberabrechnung für 2004 und dem in der Septemberabrechnung 2003 bescheinigten
Bruttoeinkommen beträgt 441,00 € brutto. Ausgehend von einem fiktiven Bruttoeinkommen
von 18.615,00 € ergibt sich nach den im Jahr 2004 geltenden Steuersätzen ein
Jahresnettoeinkommen von 12.875,21 €.
Hinzuzurechnen ist der steuerfrei gewährte Warengutschein über 450,00 € sowie eine
fiktive Steuererstattung für das Jahr 2003. Der Senat schätzt den Erstattungsbetrag, der
sich unter Berücksichtigung der erheblichen Inanspruchnahme von Lohnersatzleistungen
ergibt, auf 460,00 €. Die Beklagte war verpflichtet, mögliche Steuervorteile in Anspruch zu
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nehmen (vgl. Nr. 1.7 der Hammer Leitlinien, Stand 1.7.2003) und musste deshalb eine
Steuererklärung abgeben. Da sie dies unterlassen hat, ist ihr fiktiv eine entsprechende
Erstattung zuzurechnen. Damit ergibt sich für das Jahr 2004 ein Einkommen in Höhe von
13.785,21 € (12.875,21 € + 450,00 € Warengutschein + 460,00 € fiktive Steuererstattung)
und ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.148,77 €.
Wird demgegenüber das Monatsticket mit 37,50 € in Abzug gebracht, ist die Beklagte in
Höhe von rund 271,27 € (1.148,77 € - 37,50 € - 840,00 €) leistungsfähig. Der
Unterhaltsanspruch des Klägers beträgt gerundet 136,00 €.
Für das Jahr 2005 ist das Einkommen der Beklagten aus 2004 fortzuschreiben. Der
Darstellung der Beklagten, der Warengutschein sei ein Ausgleich für das in 2003 nicht
gezahlte Weihnachtsgeld und falle deshalb in 2005 nicht mehr an, vermag der Senat –
zumal auch die Prognose der Beklagten, sie werde in 2004 keine Sonderzahlungen
erhalten, widerlegt worden ist – nicht zu folgen, denn hierfür findet sich in der
maßgeblichen Verdienstabrechnung keinerlei Anhaltspunkt. Eine möglicherweise geringer
ausfallende Steuererstattung wird durch die Steuerreform und eine zu erwartende
Lohnerhöhung teilweise kompensiert. Außerdem kann die Beklagte im laufenden Jahr in
die günstigere Steuerklasse II wechseln.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte wurde
durch das anwaltliche Schreiben vom 24.2.2003 in Verzug gesetzt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 344 ZPO, während die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 708 Nr. 10, 711 ZPO beruht.
8.
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen worden, da die Rechtssache eine
grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob die Leistungsfähigkeit eines
Unterhaltspflichtigen durch Barunterhaltsleistungen für von ihm betreute Kinder
beeinträchtigt wird, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.