Urteil des OLG Hamm vom 07.10.2008

OLG Hamm: haschisch, marihuana, beweiswürdigung, rauschgift, festnahme, erwerb, betäubungsmittel, kokain, zeugenaussage, eigenkonsum

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss 416/08
Datum:
07.10.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss 416/08
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 4 Ns 23 Js60/07-78/08
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts Detmold zurückverwiesen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Detmold hat den Angeklagten am 18.03.2008
wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
30 Fällen unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Detmold vom
02.05.2006 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Detmold vom 12.09.2006 in
23 Js 742/04 unter Auflösung der dort verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und wegen unerlaubten
gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 52 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Zudem wurde der Verfall der bei dem
Angeklagten sichergestellten 530,- € und 215,- € angeordnet.
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Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht
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- die kleine Strafkammer II - Detmold mit Urteil vom 01.07.2008 das angefochtene Urteil
unter Verwerfung der Berufung im Übrigen dahingehend neu gefasst, dass der
Angeklagte unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Detmold vom
02.05.2006 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Detmold vom 12.09.2006
(Az.: 4 Ns 23 Js 742/04) verhängten Einzelfreiheitsstrafen und Auflösung der dort
gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in 20 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
sechs Monaten und weiter wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und
wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 50
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Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wird. Zudem wurde der
Verfall der sichergestellten 530,- € und 215,- € angeordnet.
Im Urteil des Landgerichts Detmold sind u.a. folgende Feststellungen getroffen worden:
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"Auch in den Jahren 2006 und 2007 nahm der Angeklagte regelmäßig Haschisch
und Marihuana zu sich. Um sich neben seinem spärlichen Einkommen aus dem
Arbeitslosengeld II eine weitere Finanzquelle zur Finanzierung seines
Eigenkonsums zu verschaffen, verkaufte er mit Gewinn Kleinmengen Haschisch
und Marihuana an verschiedene Kunden. Im Einzelnen kam es zu folgenden
Geschäften:
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1.- 20.:
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Von Anfang Mai 2006 bis zum 25.07.2006 verkaufte er bei mindestens
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20 Gelegenheiten Marihuana zum Kaufpreis von jeweils 10,00 EUR bis
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20,00 EUR, also ein bis zwei Gramm an den Zeugen X. Am 25.07.2006 wurde X in
anderer Sache festgenommen und hatte noch etwas Haschisch dabei, das er von
dem Angeklagten erworben hatte. Die Käufe liefen im wesentlichen in der
Wohnung des Angeklagten in der X2 in E ab.
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21.- 22.:
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Am 24.01.2007 wurden anlässlich einer polizeilichen Durchsuchung im Zimmer
des Angeklagten in der X-Straße in E in einem Sessel zwischen Lehne und
Sitzfläche 59,1 Gramm Haschisch sowie in einer dort befindlichen Mehlmühle 10,6
Gramm Haschisch sichergestellt. Dieses Rauschgift gehörte dem Angeklagten.
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Am 01.02.2007 wurde der Angeklagte festgenommen. Dabei fanden sich in seiner
Jeans 20 Gramm Haschisch sowie 215,00 EUR in bar, in der Stückelung 1 x 50
EUR, 4 x 20 EUR, 5 x 10 EUR und 7 x 5 EUR. Dieses Geld stammte aus
Rauschgiftgeschäften.
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23.- 72.:
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Von November 2006 bis Ende Oktober 2007 verkaufte der Angeklagte in
mindestens 50 Fällen zwischen einem und fünf Gramm Marihuana an den Zeugen
T4. Dieser zahlte zwischen 5,00 EUR und 35,00 EUR. Auch diese Verkäufe liefen
im wesentlichen in der Wohnung des Angeklagten ab. (...)"
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Im Rahmen der Beweiswürdigung wird u.a. ausgeführt:
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"Der Angeklagte hat bestritten, in so großem Umfang mit Rauschgift gehandelt zu
haben. Abweichend von den getroffenen Feststellungen hat er sich dahin
eingelassen, dem Zeugen X habe er nie etwas verkauft. Dieser sei nur einmal bei
ihm gewesen und habe 100 Gramm Haschisch erwerben wollen (Ziffern 1.- 20.).
Das am 24.01.2007 im Sessel gefundene Haschisch habe nicht ihm gehört. Er
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habe auch nicht davon gewusst. Damals habe er mit einem Herrn T3 zusammen
gewohnt. Die in der Mehlmühle gefundenen 10,6 Gramm seien für seinen, des
Angeklagten, Eigenkonsum bestimmt
gewesen, ebenso wie die bei der Festnahme am 01.02.2007 gefundenen
20
20 Gramm. Diese Menge stamme aus einem einzigen Erwerb (Ziffern 21. u. 22.).
Dem Zeugen T4 habe er ebenfalls nichts verkauft. Dieser habe zwar öfter gefragt,
ob er Marihuana erwerben könne. Das habe er, der Angeklagte, jedoch immer
abgelehnt ( Ziffern 23. - 72). (...)
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Diese Einlassung ist widerlegt, soweit sie im Widerspruch zu den oben getroffenen
Feststellungen steht.
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Zu 1. - 20.:
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Der Zeuge X hatte nach seiner Festnahme am 25.07.2006 das Gespräch mit dem
Zeugen T gesucht und am 17.10.2006 als Beschuldigter umfangreiche Angaben zu
Rauschgiftgeschäften gemacht. Hier gab er unter anderem an, mehrfach Haschisch
oder Marihuana von dem Angeklagten gekauft zu haben und zwar von Mai 2006
bis zu seiner Festnahme am 25.07.2006. Er habe etwa alle drei Tage für 10,00
EUR bis 20,00 EUR gekauft. Die Kammer glaubt dem Zeugen. Auch in seiner
Vernehmung vor der Kammer hat er diese Darstellung bestätigt. Er konnte sich
zwar nicht mehr genau an die einzelnen Käufe erinnern, verwies aber auf die
Richtigkeit seiner Aussage in der polizeilichen Vernehmung. Die Kammer
übersieht nicht, dass dieser Zeuge in seiner Vernehmung erster Instanz noch
erklärt hatte, er habe nur einmal und zwar am Tage vor seiner Festnahme ein
Gramm Haschisch bei dem Angeklagten gekauft. Der Zeuge hat jedoch in seiner
Aussage vor der Kammer ausdrücklich klargestellt, dass er hier die Unwahrheit
gesagt hatte. Er habe das deshalb getan, weil er sich über die Vorsitzende des
Schöffengerichts geärgert habe. Diese habe nämlich einem Herrn F2, der seiner,
des Zeugen, Verlobten Kokain verkauft habe, noch einmal Bewährung gegeben.
Hierüber habe er sich so geärgert, dass er falsche Angaben gemacht habe. Aus
Gründen äußerster Vorsicht geht die Kammer jedoch nur von 20 Käufen aus. Der
Zeuge X konnte nicht mehr genau sagen, wann im Mai 2006 die
Rauschgiftgeschäfte mit dem Angeklagten begannen und dass genau alle drei
Tage Rauschgift erworben wurde.
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Zu 21. und 22.:
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Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass alles bei dem Angeklagten am
24.01.2007 und 01.02.2007 gefundene Haschisch bzw. Marihuana ihm gehörte,
und zwar auch das im Sessel. Der Angeklagte mag zwar mit einem Herrn T3
zusammen gewohnt haben. Der Zeuge C, der seinerzeit die Durchsuchung leitete,
hat jedoch glaubhaft dargestellt, dass der Sessel in dem Teil der Wohnung
gefunden wurde, die dem Angeklagten zuzuordnen war. Hinzu kommt, dass der
Angeklagte auf die Frage, wer das Zimmer sonst noch benutze, bei der
Durchsuchung erklärt hatte, dass die Beamten "Glück gehabt hätten, das
Rauschgift zu finden und nur er diesen Raum benutze". Zu Gunsten des
Angeklagten geht die Kammer davon aus, dass das an diesen beiden Tagen bei
ihm gefundene Rauschgift im wesentlichen nicht zum Handel, sondern zu seinem
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Eigenkonsum bestimmt war.
Zu 23. - 72.:
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Der Zeuge T4 hat den Sachverhalt zu den von ihm getätigten Käufen so
geschildert, wie er oben dargestellt ist. Auch diesem Zeugen glaubt die Kammer.
Dieser hat freimütig die Geschäfte eingeräumt und sowohl in seiner polizeilichen
Vernehmung als auch in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht und in der
Beweisaufnahme vor der Kammer durchgehend konstant geschildert. Die Kammer
sieht nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, warum dieser Zeuge den
Angeklagten zu Unrecht belasten sollte.
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Letztlich ist ein Indiz für die Richtigkeit der Angaben der Zeugen X und T4, dass die
jetzt abzuurteilenden Taten genau auf der Linie liegen, die zum Urteil der Kammer
vom 12. September 2006 gegen den Angeklagten geführt haben. In allen Fällen
verkaufte er Kleinmengen Haschisch oder Marihuana an ihm nicht näher bekannte
Kunden. Dass der Angeklagte das Rauschgift mit Gewinn verkaufte, schließt die
Kammer daraus, dass er keine persönlichen Beziehungen zu den Zeugen X und
T4 unterhielt. Er hatte daher keine Veranlassung, diesen das Haschisch zum
Selbstkostenpreis zu überlassen. (...)"
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Rechtlich hat das Landgericht die Fälle 1. - 20. und 23. - 72. als unerlaubtes
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG und die unter
Ziffern 21. und 22. dargestellten Taten als einen einzigen Fall des Erwerbs von
Betäubungs-mitteln i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG gewertet.
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Die Strafzumessung des Landgerichts beruht u.a. auf folgenden Erwägungen:
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"In den Fällen 1. bis 20. und 23. bis 72. handelte er auch gewerbsmäßig im Sinne
von § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG. Durch die - zugegeben nicht besonders großen -
Rauschgiftgeschäfte besserte er sein kärgliches Arbeitslosengeld II auf.
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Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hält die Kammer für jeden Fall des
gewerbsmäßigen Handeltreibens (Ziffern 1. - 20. und 23. - 77.) die Mindeststrafe
von 1 Jahr für tat- und schuldangemessen. Bei der Bemessung der Strafe für den
Erwerb (Ziffern 22. und 23.) war zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen,
dass es sich um eine recht große Menge von insgesamt
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90,5 Gramm handelte. Unter Abwägung aller für und gegen ihn sprechen-
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den Umstände hält die Kammer für diese Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von
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9 Monaten für angemessen. (...)"
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Zur Anordnung des Verfalls der sichergestellten 530,- € und 215,- € hat die Kammer
einerseits ausgeführt, dass sie davon überzeugt sei, dass das bei dem Angeklagten
sichergestellte Geld aus Rauschgiftgeschäften stammt, es sich dabei um sogenanntes
"Dealgeld" handelte, andererseits nimmt die Kammer auch Bezug auf § 73 a StGB und
legt dar, dass der Angeklagte Einnahmen "in zumindest dieser Höhe" aus
Rauschgiftgeschäften erzielt habe.
37
Gegen das dem Verteidiger des Angeklagten am 11.07.2008 zugestellte Urteil des
Landgerichts vom 01.07.2008 richtet sich die Revision des Angeklagten vom
03.07.2008, die gleichtägig per Telefax beim Landgericht Detmold einging und die mit
am 07.08.2008 per Telefax eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben
Tag näher begründet wurde. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts,
insbesondere der Schuldspruch wegen gewerbsmäßig begangenen Handeltreibens.
38
II.
39
Die Revision ist rechtzeitig eingelegt sowie frist- und formgerecht begründet worden.
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Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt auf die erhobene Sachrüge hin zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht - kleine Strafkammer - Detmold.
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Die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in 20 Fällen, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln
und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 50
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Fällen hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.
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Die Beweiswürdigung trägt den Schuldspruch wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in 20 Fällen nicht. Die Anzahl der festgestellten Taten ergibt sich
nicht aus der dem Tatgeschehen allein zugrunde gelegten Aussage des Zeugen X.
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Der Zeuge hat nicht bekundet, dass der Ankauf von Haschisch oder Marihuana bereits
"Anfang" Mai stattfand; er konnte nämlich nicht mehr genau sagen, wann im Mai 2006
die Rauschgiftgeschäfte mit dem Angeklagten begannen, so dass als Tatanfang auch
der 31. Mai 2006 möglich ist. Auch konnte der Zeuge X nicht mehr genau sagen, dass
genau alle drei Tage Rauschgift vom Angeklagten erworben wurde. Somit besteht
ebenfalls die Möglichkeit einer den dreitägigen Verkauf von Betäubungsmitteln
unterschreitenden Häufigkeit mit der Folge, dass bei einem Tatzeitraum vom 31. Mai
2006 bis zum 25. Juli 2006 (56 Tage) auf der Grundlage der dargestellten
Zeugenaussage 20 Taten nicht sicher feststellbar sind.
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Die Beweiswürdigung zu den Taten 1. - 20. erweist sich darüber hinaus als lückenhaft.
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In den Urteilsgründen wird mitgeteilt, dass der Zeuge X in seiner Vernehmung erster
Instanz noch erklärt habe, nur einmal, und zwar am Tag vor seiner Festnahme, ein
Gramm Haschisch bei dem Angeklagten gekauft zu haben, dass dies jedoch die
Unwahrheit gewesen sei, wie der Zeuge vor der Kammer klarstellte. Motiv für diese
frühere Falschaussage sei der Ärger des Zeugen über die Vorsitzende des
Schöffengerichts gewesen, weil sie gegen einen Herrn F2, der an die Verlobte des
Zeugen Kokain verkauft habe, noch einmal (nur) eine Bewährungsstrafe verhängt habe.
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Warum die Kammer dem Zeugen trotz früherer Falschaussage und widersprüchlicher
Angaben gleichwohl Glauben schenkt und die den Angaben des Zeugen widerspre-
chende Einlassung des Angeklagten allein aufgrund dieser Zeugenaussage als
widerlegt ansieht, wird in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt, insbesondere nicht, ob die
Umstände zur Motivation des Zeugen hinsichtlich seiner angeblichen Verärge-rung auf
wahren Begebenheiten beruht, also ein Herr F2 tatsächlich Kokain an die Verlobte des
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Zeugen verkaufte und deshalb von der Vorsitzenden de Vries - Direktorin des
Amtsgerichts Detmold - zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.
Eine Auseinandersetzung mit der gegenüber dem Vorverfahren abweichenden Aussage
eines Zeugen ist jedoch erforderlich, wenn sich daraus erhebliche Bedenken gegen die
Glaubwürdigkeit des Zeugen ergeben (BGH, StraFo 2003, S. 274;
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Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 267 Rdnr. 12 a), insbesondere bei der - hier
vorliegenden - Konstellation der "Aussage gegen Aussage" (Meyer-Goßner, a.a.O.,
§ 261 Rdnr. 11 a m.w.N.). Daher werden besonders strenge Anforderungen an die
Beweiswürdigung gestellt, wenn die Entscheidung allein davon abhängt, welchen
Angaben das Gericht folgt (Meyer-Goßner, a.a.O.).
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Die Einschränkung des Landgerichts, die Kammer gehe "aus Gründen äußerster
Vorsicht" nur von 20 Käufen aufgrund der Aussage des Zeugen X aus, vermag die
verbliebenen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen aufgrund der lückenhaften
Beweiswürdigung nicht auszuräumen. Die Beweiswürdigung zu den Taten
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1. - 20. belegt daher nicht mehr eine tragfähige, nachvollziehbare Tatsachengrund-lage
und wird den an sie zu stellenden Anforderungen nicht mehr gerecht.
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Auch die Wertung der Taten 1. - 20. als gewerbsmäßiges Handeltreiben und die ohne
weitere Abwägung zugrunde gelegte Mindeststrafe von jeweils einem Jahr für die Taten
1. - 20. begegnen rechtlichen Bedenken.
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Zwar werden in den Urteilsgründen an verschiedenen Stellen Umstände mitgeteilt, die
für eine Gewerbsmäßigkeit sprechen. So hat die Kammer, wie die
Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, bereits einleitend festgestellt, dass der
Angeklagte handelte, um sich neben seinem spärlichen Einkommen aus dem
Arbeitslosengeld II eine weitere Finanzquelle zur Finanzierung seines Eigenkonsums
zu verschaffen. Auch hat die Kammer festgestellt, dass die Taten "genau auf der Linie
liegen", die zu der früheren Verurteilung durch Urteil der Kammer vom 12.09.2006
geführt haben, indem der Angeklagte Kleinmengen Haschisch und Marihuana an
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ihm nicht näher bekannte Kunden verkaufte. Schließlich hat die Kammer auch an
mehrfacher Stelle aufgezeigt, dass bei dem Angeklagten aufgefundene höhere
"gestückelte" Geldbeträge aus Drogengeschäften größeren Umfangs stammen.
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Gewerbsmäßiges Handeln erfordert jedoch das Ziel, sich durch wiederholte
Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und von einigem
Umfang zu verschaffen, setzt also eine Erheblichkeit der angestrebten Einnahmen
voraus. Diesbezüglich bleibt bereits unklar, in welcher Höhe der Angeklagte Gewinne
aufgrund der festgestellten Betäubungsmittelgeschäfte erzielte, da Einkaufs- und
Verkaufspreise nicht mitgeteilt werden, so dass die Ermittlung einer Gewinnmarge des
Angeklagten nicht möglich ist.
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Darüber hinaus begründet das Vorliegen gewerbsmäßigen Handelns im Fall des
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§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG lediglich ein Regelbeispiel gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG,
dessen Indizwirkung durch andere, erheblich schuldmindernde Umstände kompensiert
werden kann, z.B. bei geringen Umsatzmengen (hier: 1 - 2 g Marihuana bei den Taten
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1.-20. bzw. 1 - 5 g bei den Taten 23. - 72.) oder bei geringfügigen Erlösen (hier: 10,- -
20,- € bei den Taten 1.-20. bzw. 5,- - 35,- € bei den Taten 23. - 72.).
Solche kompensierenden Umstände müssen allerdings jeweils für sich oder in ihrer
Gesamtheit so gewichtig sein, dass sie bei der Gesamtabwägung aller Faktoren die
Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften und die Anwendung des Strafrahmens des
besonders schweren Falles unangemessen erscheinen lassen. Wesentliche Umstände
betreffend den Unrechtsgehalt von Betäubungsmitteldelikten und den Schuldumfang
eines deratige Delikte begehenden Täters und damit für die Frage eines besonders
schweren Falles sind insbesondere der Wirkstoffgehalt des Rauschgifts und der erzielte
Gewinn (BGHSt 33, 8, 9; 42, 255; Urteil vom 09.05.2001 in BeckRS 2001, 30179486;
Münchener Kommentar zum StGB, 1. Aufl. 2007, Vorbemerkungen zu §§ 29 ff. BtMG,
Rdnr. 57 ff., § 29 BtMG, Rdnrn. 438 - 445 m.w.N.).
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Zu diesen Umständen teilt das Landgericht jedoch nichts mit, sondern es bejaht allein
aufgrund angenommener Gewerbsmäßigkeit das Vorliegen besonders schwerer Fälle
bei den Taten 1. - 20. (wie auch bei den Taten 23. - 72.).
60
Die Strafkammer hätte sich - ggfs. im Wege der Schätzung und unter Berücksichtigung
des Zweifelssatzes - eine Überzeugung vom Mindestwirkstoffgehalt des von dem
Angeklagten gehandelten Marihuana verschaffen müssen. Anknüpfungspunkte für die
Schätzung des für den Unrechtsgehalt der Taten und den Schuldumfang bedeutsamen
Wirkstoffgehalts ergeben sich aus der Qualität der bei dem Angeklagten sichergestellten
Betäubungsmittel, aus - insoweit ergänzend festzustellenden - von dem Angeklagten
gezahlten Einkaufspreisen und erzielten Verkaufserlösen oder aus möglichen
Bekundungen der Erwerber zur Qualität des Rauschgifts.
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Die Feststellungen zu 21. - 22. und die zugehörige Beweiswürdigung tragen nicht eine
Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln.
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Der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln stellt ein Rechtsgeschäft, wenn auch ein
sittenwidriges, dar i.S. der einverständlichen Ableitung der tatsächlichen Verfü-
gungsmacht vom "Verfügungsberechtigten" (Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O.,
§ 29 BtMG, Rdnr. 796).
63
Zu einem solchen Rechtsgeschäft teilt das Urteil nichts mit, sondern die Feststellungen
belegen lediglich, dass sich der Angeklagte am 24.01.2007 im Besitz von 59,1 g und
10,6 g und am 01.02.2007 im Besitz von 20 g Haschisch befand. Die Kammer war dabei
überzeugt, dass das gefundene Haschisch dem Angeklagten gehörte und hat zu seinen
Gunsten unterstellt, dass es zu seinem Eigenkonsum bestimmt war. Der Einlassung des
Angeklagten, dass ihm 59,1 g nicht gehörten und 10,6 sowie
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20 g aus einem einzigen Erwerb stammten, ist die Kammer nicht gefolgt, soweit diese im
Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen stand. Letztlich hat die Kammer die
unter Ziffer 21. und 22. genannten Taten als einen Fall des Erwerbs i.S.v. §§ 29 Abs. 1
Nr. 1 BtMG gewertet.
65
Diese Schlussfolgerung ist nicht nachvollziehbar, da die getroffenen Feststellungen
lediglich einen Besitz i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG belegen, wenngleich auch insoweit
eine rechtliche Wertung als nur eine Tat möglich ist. Der Senat sieht sich allerdings an
einer Schuldspruchänderung gehindert, weil auch insoweit Feststellungen zum
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Wirkstoffgehalt der bei dem Angeklagten aufgefundenen Betäubungsmittel sowie zu der
Frage fehlen, ob der Angeklagte die bei ihm am 24.01.2007 und am 01.02.2007
sichergestellten Mengen Haschisch (59,1 g und 10,6 g sowie 20 g) gleichzeitig besaß.
Für den Unrechtsgehalt der Tat des Besitzes und für den Schuldumfang des
Angeklagten ist jedoch wiederum die Wirkstoffmenge, nicht die Gewichtsmenge, der
Maßstab, und zudem muss bei Teilmengen, die hier zugunsten des Angeklagten im
Sinne einer rechtlichen Tat zusammengefasst wurden, festgestellt werden, welche
Mengen (mit welchem Wirkstoffgehalt) der Täter gleichzeitig besaß (Münchener
Kommentar, a.a.O., § 29 a BtMG, Rdnr. 59 m.w.N.), sofern - wie es das Landgericht
getan hat - bei der Bemessung der Strafe strafschärfend die - hohe, wenngleich nicht
nicht geringe - Gesamtmenge berücksichtigt wird.
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Mangels diesbezüglicher Feststellungen ist für den Senat auch nicht überprüfbar, ob die
für diese Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten angemessen ist.
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Auch die Beweiswürdigung zu den Taten 23. - 72. hält einer rechtlichen Prüfung nicht
Stand. Allein aus dem Satz, der Zeuge T4 habe den Sachverhalt wie dargestellt
geschildert, erschließt sich nicht, wie die Kammer zur Feststellung von mindestens
50 Fällen des Marihuana-Verkaufs gelangt ist.
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Zwar muss das Gericht trotz erschöpfender Würdigung i.S.v. § 261 StPO in den
Urteilsgründen nicht stets in allen Einzelheiten darlegen, auf welche Weise es zu
bestimmten Feststellungen gelangt. Die Beweiswürdigung dient auch nicht dazu, für alle
Sachverhaltsfeststellungen einen Beleg zu erbringen oder mitzuteilen, welche Beweise
in der Hauptverhandlung erhoben wurden unter breiter Darstellung des Inhalts der
Angaben des Angeklagten und der Bekundungen der Zeugen, was sogar fehlerhaft sein
kann, weil es lediglich Beweisdokumentation, nicht aber Beweiswür-
70
digung wäre (BGH, NStZ 1985, S. 184; 1996, S. 326; 1997, S. 377; 2007, S. 720; NStZ-
RR 1997, S. 270; 1998, S. 277; 2000, S. 293).
71
Die Beweiswürdigung muss jedoch nachvollziehbar machen, warum der Zeuge und
nicht der Angeklagte glaubwürdig ist, insbesondere wenn die Entscheidung allein
davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt (BGH, StV 90, S. 99; 91, S. 451; 92,
S. 219; Meyer-Goßner, a.a.O., § 271 Rdnr. 11a m.w.N.).
72
Das setzt wiederum voraus, dass die wesentlichen Angaben des Zeugen mitgeteilt
werden, um den festgestellten Sachverhalt auf seine Plausibilität und die
Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage auch anhand ihres Inhalts überprüfen zu können.
Dies ermöglicht die Beweiswürdigung zu 23. - 72. nicht.
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Zudem mangelt es auch den Feststellungen zu 23. - 72. an der Mitteilung des
Wirkstoffgehalts der veräußerten Betäubungsmittel sowie der Einkaufs- und
Verkaufspreise, so dass die bereits zu 1. - 20. dargelegten rechtlichen Bedenken im
Hinblick auf die Annahme gewerbsmäßigen Handeltreibens und die darauf beruhende
Strafzumessung bestehen.
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Das angefochtene Urteil konnte daher insgesamt keinen Bestand haben.
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Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Erwähnung des § 73 a StGB in den
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Urteilsgründen und die darin verwendete Formulierung, der Angeklagte habe
Einnahmen zumindest in Höhe der sichergestellten Geldbeträge erzielt, Unklarheit
bezüglich der Anordnung des Verfalls der sichergestellten 530,- € und 250,- € schaffen
können, weil sie die Voraussetzungen für den Verfall von Wertersatz betreffen.