Urteil des OLG Hamm vom 26.01.2005

OLG Hamm: wohnsitz im ausland, treu und glauben, versicherungsschutz, fester wohnsitz, begriff, vollstreckung, rechtssprache, ausschluss, strasse, versuch

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 170/04
26.01.2005
Oberlandesgericht Hamm
20. Zivilsenat
Urteil
20 U 170/04
Landgericht Bielefeld, 2 O 624/03
Die Berufung des Klägers gegen das am 1. Juni 2004 verkündete Urteil
der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistung aus einer bei dieser im Juli 2000 unter
Einbezug der geltenden Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen der
Beklagten (Bl. 10 - 18 GA) geschlossenen Forderungsausfallversicherung mit der
Begründung in Anspruch, er sei bedingungsgemäß mit einer rechtskräftig titulierten
Schmerzensgeldforderung über 7.500 EUR gegen Herrn T ausgefallen;
Vollstreckungsversuche seien bei dem der Obdachlosenszene angehörenden Schädiger
gescheitert und aussichtslos.
Die Beklagte hat die Leistung abgelehnt. Sie hat sich u.a. darauf berufen, dass ihre
Leistungspflicht nach ihren Bedingungen ausgeschlossen sei, weil T vorsätzlich gehandelt
habe. Ausserdem hat sie mit Nichtwissen bestritten, dass T entsprechend Ziffer X.3 a ihrer
Versicherungsbedingungen zur Zeit des Schadenereignisses und zum Zeitpunkt des
Scheiterns der Vollstreckungsversuche einen festen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe.
Das Landgericht hat in der Verhandlung vom 11.3.2004 gegen den nichterschienenen
Kläger ein klageabweisendes Versäumnisurteil erlassen (Bl. 70 f GA). Auf den fristgerecht
eingelegten Einspruch des Klägers hat es in seinem Urteil vom 1.6.2004 (Bl. 85 f GA), auf
das zur näheren Sachdarstellung und Begründung Bezug genommen wird, das
Versäumnisurteil aufrechterhalten mit der Begründung, die Beklagte sei schon nicht
leistungspflichtig, weil der dem Kläger entstandene Schaden durch eine Vorsatztat
herbeigeführt worden sei und dieses Risiko gemäß Ziffer X.1. iVm § 4 II Ziff 1. der
Versicherungsbedingungen nicht versichert sei. Außerdem sei der Anspruch nach Ziffer
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X.3 a der Bedingungen ausgeschlossen, weil T weder zum Zeitpunkt der Tat noch zum
Zeitpunkt der Vollstreckungsversuche einen festen Wohnsitz gehabt habe.
Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein
erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
Er macht geltend: Ziffer X.1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten sei, wenn damit
ausgefallene Forderungen, die auf einer Vorsatztat des Schädigers beruhen,
ausgeschlossen sein sollten, überraschend und intransparent und damit unwirksam.
Gleiches gelte für Ziffer X 3 a der Bedingungen. Dessen Voraussetzungen seien aber auch
nicht gegeben, weil T - wie in erster Instanz unter Beweisantritt vorgetragen -
zwischenzeitlich einen ordentlichen Wohnsitz genommen habe.
Er beantragt,
unter Abänderung des am 1.6.04 verkündeten Urteils des Landgerichts Bielefeld die
Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.500 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
dem 25.4.2002 Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Kl. aus dem
Versäumnisurteil des LG Bielefeld vom 29.10.02 (2 0 131/02) gegen Herrn T zu zahlen
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger kann von der Beklagten aus § 1 VVG, Ziffer X. 1 der Besonderen Bedingungen
und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherung (folgend: Besondere
Bedigungen) der Beklagten iVm dem Versicherungsvertrag keinen Ausgleich der ihm
gegen T zustehenden Forderung über 7.500 EUR verlangen. Sein Anspruch ist gemäß
Ziffer X. 3 a der Besonderen Bedingungen der Beklagten vom Versicherungsschutz
ausgeschlossen.
1.) Allerdings steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen, dass er - was im Tatbestand
des angefochtenen Urteils bindend (§ 314 ZPO) festgestellt worden ist - Opfer einer
Vorsatztat wurde.
a) Die Versicherungsbedingungen der Beklagten nehmen Ansprüche des
Versicherungsnehmers, denen eine vorsätzliche Schädigung durch einen Dritten zu
Grunde liegt, vom Versicherungsschutz der Forderungsausfallversicherung nicht aus.
aa) Ziffer X. 6 b der Besonderen Bedingungen ("Nicht versichert sind Ansprüche, soweit für
den Schaden Leistungen aus ... einer für den Schädiger bestehenden
Privathaftpflichtversicherung beansprucht werden können") , auf den die Beklagte insoweit
in ihrer Klageerwiderung abgestellt hat, enthält einen entsprechenden Ausschluss schon
deshalb nicht, weil von der Privathaftpflichtversicherung des Schädigers für dessen
Vorsatztaten wegen § 152 VVG (bzw § 4 Absatz II, Ziff. 1 AHB) Leistungen regelmäßig
nicht verlangt werden können.
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bb) Auch der Regelung in Ziffer X.1. der Besonderen Bedingungen ("Eingeschlossen sind
nach den für die eigene Privathaftpflichtversicherung geltenden Bedingungen...Schäden,
die der Versicherte selbst durch einen Dritten erleidet...") ist eine Beschränkung des
Versicherungsschutzes auf fahrlässig durch Dritte herbeigeführte Schäden nicht zu
entnehmen. Die erforderliche Auslegung der Klausel ist nach gefestigter Rechtsprechung
des BGH daran auszurichten, wie ein durchschnittlicher VN sie bei aufmerksamer
Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß;
dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche
Spezialkenntnisse an (so zB BGH in VersR 1993, 957).
Der durchschnittliche VN, der die Besonderen Bedingungen der Beklagten aufmerksam
liest und verständig würdigt, wird der vorzitierten Klausel allenfalls entnehmen können,
dass die im Rahmen seiner allgemeinen Privathaftpflichtversicherung geltenden
Bedingungen und Ausschlüsse auch im Rahmen der Ausfalldeckungsversicherung
Anwendung finden. Er wird in seine Überlegungen einbeziehen, dass auch bei
Schädigung durch einen Dritten sein Versicherungsschutz bei eigenem Fehlverhalten
ausgeschlossen ist, zB gemäß § 4 Absatz II Ziffer 1 AHB ( "Ausgeschlossen von der
Versicherung bleiben... Versicherungsansprüche aller Personen, die den Schaden
vorsätzlich herbeigeführt haben..."), wenn er, der anspruchstellende VN selber, das zum
Schaden führende Verhalten des Dritten vorsätzlich provoziert hat. Anhalt zu der Annahme,
dass das vorsätzliche Verhalten des Schädigers den Versicherungsschutz entfallen lassen
kann, bietet sich für ihn indessen nicht - das Verhalten des mit dem versicherten
Anspruchsteller nicht identischen Schädigers ist weder in § 4 Abs II Ziffer 1 AHB noch in
Ziffer X. 1 der Besonderen Bedingungen erwähnt. Der VN wird (deshalb) auch nicht
erwarten, dass er aufgrund eines Fehlverhaltens des Dritten, auf den er keinerlei Einfluss
nehmen kann, seinen Versicherungsschutz verliert.
Ergibt schon die Auslegung von Ziffer X.1. der besonderen Bedingungen keinen
Risikoausschluss für Vorsatztaten Dritter, kommt es auf die Frage, ob die Klausel gemäß §
307 Absatz I Satz 2 BGB nF unwirksam, weil unklar, ist und den VN unangemessen
benachteiligt, nicht (mehr) an.
2.)
Wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, scheitert der Anspruch des
Klägers aber an Ziffer X. 3 a der Besonderen Bedingungen.
a) Wenn Ziffer X. 3 a der Besonderen Bedingungen verlangt, dass " der Schädiger sowohl
zum Zeitpunkt des Schadensereignisses als auch zum Zeitpunkt des Scheiterns des
Vollstreckungsversuches seinen festen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat",
muss der durchschnittliche VN das dahin verstehen, dass immer dann kein
Versicherungsschutz besteht, wenn sein Forderungsschuldner zu den genannten
Zeitpunkten keinen festen Wohnsitz hat oder wenn er seinen festen Wohnsitz im Ausland
hat. Trotz der Verwendung eines Possessivpronomens ("seinen") erstreckt sich durch die
ausdrückliche Einbeziehung des Adjektives "fest" der Ausschluss für den VN erkennbar
nicht nur auf den Fall, in dem der Schädiger im Ausland residiert, sondern auch auf die
Alternative, in der der Schädiger wohnsitzlos ist.
b)
Die Klausel ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht überraschend im Sinne von §
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305 c I BGB, sie ist Vertragsbestandteil geworden und hält auch einer Inhaltskontrolle statt.
Überraschend im Sinne von § 305 c I BGB nF sind Klauseln dann, wenn ihnen ein
Überrumpelungseffekt innewohnt. Sie müssen eine Regelung enthalten, die von den
Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und mit der dieser den Umständen
nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (BGHZ 109, 197).
Mit der von der Beklagten angebotenen Ausfall- Deckungsversicherung bietet die Beklagte
in Ziffer X. 1. der Besonderen Bedingungen Versicherungsschutz für Schäden, die der VN
erleidet, wenn und soweit er seine Schadensersatzforderung gegen den Schädiger nicht
durchsetzen kann.
Davon, dass dieser erkennbar weit gesteckte Leistungsrahmen der näheren Ausgestaltung
und Einschränkung bedarf, wird der verständige VN ohne weiteres ausgehen.
Hierauf wird er zudem mit der Überschrift in Ziffer X. 3. (" Weitere Voraussetzungen für die
Leistungspflicht sind...") ausdrücklich hingewiesen. Die Einschränkung in Ziffer X. 3 a) der
Besonderen Bedingungen enthält für sich genommen entgegen der Auffassung des
Klägers auch keine erhebliche Reduzierung des versicherten Kernbereichs. Es sollen
vielmehr nur solche Forderungen vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, die
aus einem anderen Grund als dem der bloßen Vermögenslosigkeit des
Forderungsschuldners nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen - wegen eines
fehlenden Wohnsitzes oder eines Wohnsitzes im Ausland - durchgesetzt werden können.
Mit Einschränkungen dieser Art wird der verständige VN indessen rechnen, insbesondere,
wenn er berücksichtigt, dass die Beklagte das Risiko der Beitreibung der ihr nach Ziffer X.7.
der Besonderen Bedingungen abzutretenden Forderung übernimmt. Im Hinblick auf diesen
Sinn und Zweck der Klausel kann auch eine den VN nach Treu und Glauben
unangemessene Benachteiligung (§ 307 I 2 BGB) nicht erkannt werden.
c) Weil T weder zum Zeitpunkt des Schadensfalles, noch zum Zeitpunkt der späteren
Vollstreckung über einen festen Wohnsitz verfügte, ist die gegen ihn gerichtete Forderung
des Klägers vom Versicherungsschutz der Ausfallversicherung nicht umfasst.
aa) Soweit der Kläger die Auffassung vertreten hat, umgangssprachlich habe auch der
regelmäßig eine Stelle - zB eine Parkbank - aufsuchende Obdachlose einen festen
Wohnsitz, geht er fehl.
Was unter dem Begriff "fester Wohnsitz" zu verstehen ist, wird in Ziffer X 3.a der
Besonderen Bedingungen nicht näher ausgeführt und ist deshalb durch Auslegung des
Begriffs zu ermitteln. Dabei gilt, dass dann, wenn die Rechtssprache mit einem
verwendeten Ausdruck einen bestimmten Begriff verbindet, im Zweifel anzunehmen ist,
dass auch die AVB darunter nichts anderes verstehen wollen (BGH in: RuS 1992, 168
(169)).
Mit dem vorliegend verwendeten Ausdruck des "Wohnsitzes", der in § 7 BGB als der Ort
der ständigen Niederlassung definiert wird, verbindet die Rechtssprache begrifflich eine
eigene Unterkunft und den Willen, diese zum ständigen Schwerpunkt der
Lebensverhältnisse zu machen (Palandt: BGB, 64. Auflage, Rn 6 zu § 7 BGB (Heinrichs)).
Diese Voraussetzungen liegen bei einem Obdachlosen nicht vor.
Dass dies auch von einem juristischen Laien so gesehen wird, erschließt sich schon
daraus, dass im allgemeinen Sprachgebrauch als Synonym für den dem Wortsinn nach
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eine eigene Unterkunft ausschliessenden Begriff "obdachlos" der Ausdruck "wohnsitzlos"
verwendet wird.
bb)
Weder zum Zeitpunkt des Schadenfalles, noch zum Zeitpunkt der späteren Vollstreckung
verfügte T über einen festen Wohnsitz im vorstehend ausgeführten Sinn.
Wie der Kläger selber vortragen lässt, gehörte T jedenfalls zum Tatzeitpunkt am 7.9.2001
der C "Obdachlosenszene" an; bei der Adresse "L-Strasse" handelt es sich ausweislich
des Hinweises des Landgerichts vom 18.2.2004, dessen Richtigkeit der Kläger nicht in
Abrede gestellt hat, um eine Kontaktadresse für Obdachlose. Der fruchtlose Versuch der
Vollstreckung fand - wie das Landgericht im Tatbestand des angefochtenen Urteils
festgestellt hat - statt, als T postalisch unter der Anschrift "I-Weg" gemeldet war; da es sich
auch dabei unstreitig um eine Kontaktadresse für Obdachlose handelt, verfügte er auch zu
diesem Zeitpunkt nicht über einen festen Wohnsitz.
Soweit der Kläger hat vortragen lassen, T habe "zwischenzeitlich" einen
"ordnungsgemäßen" Wohnsitz in C genommen, sind allein damit die Voraussetzungen der
Ziffer X. 3 a der Besonderen Bedingungen nicht erfüllt. Außerdem ist dieser Vortrag -
worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat - nicht ausreichend substantiiert: Vor
dem Hintergrund, dass der als Zeuge für die klägerische Behauptung benannte T nach wie
vor unter der Kontaktadresse "L-Strasse" geladen werden soll, hätte der Kläger konkret
darlegen müssen, wo T nunmehr welche Unterkunft genommen haben soll.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, § 543 Abs II Satz 1 ZPO.